Tom Wolfe - „Ich bin Charlotte Simmons“

Freitag, 27. November 2009

(Blessing, 791 S., HC)
Tom Wolfe zählt nicht unbedingt zu den produktivsten Schriftstellern. Der preisgekrönte Sachbuchautor erzielte 1987 mit seinem Romandebüt „Fegefeuer der Eitelkeiten“ gleich einen von Brian de Palma verfilmten Hit. Nun liegt mit „Ich bin Charlotte Simmons“ erst sein dritter Roman vor. Der aber hat es in sich. Auf fast 800 Seiten gewährt er tiefe Einblicke in das rege, absolut nicht standesgemäße Treiben auf einer amerikanischen Elite-Uni.
Die junge, überaus strebsame Charlotte Sometimes ist die erste aus dem 900-Seelen-Kaff Sparta in North Carolina, die ein Stipendium für die traditionsreiche Dupont University in Pennsylvania erhält. Doch schon beim Einzug in die Freshmen-Unterkunft wird Charlotte etwas mulmig zumute. Ihre Zimmergenossin Beverly spielt fraglos in einer ganz anderen Liga. Schon früh schleppt sie Jungen ab und schickt Charlotte ins „Sexil“. Dabei wurde ihr von der Resident Assistant Ashley doch gesagt, dass diese Art von „Heimzest“ allgemein ziemlich verpönt sei. Auch das strikte Alkoholverbot wird bei jeder Gelegenheit mühelos umgangen. Während sich die unbedarfte Charlotte in den Waschräumen der gemischten Unterkunft nur noch ekelt, fühlt sie sich bald ziemlich allein und wird so doch empfänglicher für die Annäherungsversuche drei ganz unterschiedlicher Männer. Da ist auf der einen Seite der fast schon berühmte Basketballstar Jojo, der es als einziger Weißer in die Startmannschaft des Teams geschafft hat, seine Aufsätze aber von seinem Tutoren Adam schreiben lassen muss, weil er einfach nichts in der Birne hat. Adam wiederum nähert sich Charlotte als einer der wenigen, wie er glaubt, Intellektuellen auf dem Campus, während Hoyt der allgemeine Mädchenschwarm ist, der schon darum wettet, die Frauen in sieben Minuten rumzukriegen … Tom Wolfe beschreibt seine Charaktere sehr präzise, ebenso das soziale Umfeld und die Gepflogenheiten von Sex, Drugs und Rap. Das ist höchst amüsant zu lesen und kann durchaus als treffendes Portrait der amerikanischen Jugendkultur gelten.

David Schickler - „Fette Klunker“

(Blessing, 288 S., HC)
Dass der Verbrecherbande Floyd, Roger und Henry auf dem Weg zu einem Auftrag, den sie für ihren Boss Honey Pobrinkis ein Bussard in die Windschutzscheibe kracht, mutet schon wie ein schlechtes Omen an. Tatsächlich läuft die geplante Aktion, Honeys Diamantenhändler Charles Chalk wieder die so genannten „Planeten“, eine Reihe von sieben perfekt in Form der sieben 1790 bekannten Planeten geschliffenen Diamanten, abzunehmen, die er Honey geklaut hatte. Als Roger sich an Charles’ heiße Braut Helena heranmacht, schlägt Henry erst Roger zusammen und geht dann selbst mit dem Diamantenkoffer stiften. Auf seiner Flucht macht der 32-jährige Gauner die Bekanntschaft der abgedrehten Grace McGlone, die im Alter von 14 Jahren die Orgasmen ihrer zwei Jahre älteren Freundin überwachen musste und dann wenig später selbst von Reverend Bertram Block in seinem Wohnwagen entjungfert wurde.
Während Honey sich selbst mit seinen Männern an Henrys Fersen, verfolgt Grace ihre ganz eigenen Pläne. Noch an dem Tag, an dem sie Henry kennen lernt, suchen die beiden einen Priester auf, der die beiden traut, damit Henry die gottesfürchtige Grace endlich vögeln kann. Sie nimmt Henry das Versprechen ab, dass sie sowohl Reverend Block als auch Graces Jugendfreund Stewart aufsuchen, doch vorher kommt es bereits zur Konfrontation mit den Pobrinkis-Jungs… Schickler ist mit „Fette Klunker“ ein rasanter Road-Movie-Roman voller skurriler Typen, erfrischendem Humor, netter Prügel-Action und natürlich viel Sex gelungen.

Cees Nooteboom - „Paradies verloren“

Donnerstag, 26. November 2009

(Suhrkamp, 159 S., HC)
Eingerahmt in zwei Zitate aus John Miltons „Verlornes Paradies“ (womit schon mal ein Bezug zum Titel hergestellt wäre), erzählt der niederländische Erfolgsschriftsteller Cees Nooteboom in seinem neuen Roman die Geschichte von Alma, die mit ihrer langjährigen Freundin Almut in Brasilien lebt, wohin ihre beiden Väter nach dem Krieg ausgewandert sind.
Als Alma eines Abends in einem schlimmeren Viertel von Sao Paulo vergewaltigt wird, unternehmen die beiden Freundinnen eine Reise in das Land ihrer Kindheitsträume, Australien, wo sich Alma in einen Aborigines-Künstler verliebt und durch ihn in die Geheimnisse der Traumzeit eingeführt wird. Schließlich reisen die beiden Frauen nach Perth, wo Alma an einem Angel Project teilnimmt, sich als Engel verkleidet und an einem bestimmten Ort darauf wartet, von den Besuchern entdeckt zu werden. Vor allem der holländische Literaturkritiker Erik Zondag, der in Perth Abstand zu seinen Alltagsproblemen zu gewinnen sucht, ist von der Engelsgestalt besonders angetan und bringt so auch Alma ins Leben zurück … Wundervoll poetischer Roman über die Macht der Phantasie und die Magie der Engel.

Asko Sahlberg - “Die Stimme der Dunkelheit”

Mittwoch, 25. November 2009

(Luchterhand, 256 S., HC)
Der namenlose Ich-Erzähler in Asko Sahlbergs prämierten Debütroman hat sich scheinbar ganz aus der realen Welt verabschiedet. Nachdem er das geerbte Anzeigenblättchen in seiner schwedischen Heimat verkauft und seine Frau Ursula verlassen hatte, wanderte er nach Finnland aus, um dort seine Ersparnisse langsam aufzubrauchen und gelegentlich für einen finnischen Bauunternehmer zu jobben, nur um ab und zu mal was zu tun zu haben.
Er schläft tagsüber, um mit dem Leben der anderen so wenig wie möglich in Berührung zu kommen. Und obwohl er die Anonymität in einer Großstadt gesucht hat, wo ihn niemand kennt, kann er sich doch nicht ganz dem Leben entziehen. Er macht die Bekanntschaft seiner arbeitslosen Nachbarin Karin, einer Dänin, die sich von einem reichen Schweden aushalten lässt und das sexuelle Abenteuer sucht. Und er lernt auch die verzweifelte Anna kennen, die unfreiwillig ihre finnische Heimat verlassen musste und sich aufgrund der Verständigungsprobleme so einsam in Finnland fühlt. Wider Erwarten kümmert er sich um die beiden Frauen, empfindet Sehnsüchte und Anteilnahme und findet letztlich doch seinen Platz im urbanen Treiben der Stadt, die für ihn anfangs nicht mehr als eine Mülldeponie war. Sahlberg schildert eindringlich Empfindungen von Einsamkeit und Mitgefühl und drückt stimmungsvoll das großstädtische Seelenleben unserer Zeit aus.

David R. MacDonald - „Die Straße nach Cape Breton“

(S. Fischer, 352 S., HC)
Nach einigen Autodiebstählen wird Innis Corbett nach Kanada ausgewiesen, obwohl er dort nur die ersten drei Jahre seines Lebens verbracht hatte. Ohne Geld in der Tasche macht er sich auf den Weg zu seinem Onkel Starr, der in einem verschlafenen Nest in den Wäldern von Cape Breton eine kleine Fernsehreparaturwerkstatt unterhält. Schon auf der Reise per Anhalter klaut Innes junge Föhren-Pflanzen, um sie in den Wäldern zum Schutz seiner geplanten Marihuana-Plantage anzubauen.
Es dauert nicht lange, da wird Innis schon wieder auffällig. Ohne rechte Motivation sägt er eine ausgewachsene Föhre in der Nähe seines neuen Zuhauses ab und wird dabei von einem Mann namens Finlay gestellt, der ihn mit zu sich nach Hause nimmt. Um den Schaden wieder gut zu machen, wird er von Finlays hellsichtigen Vater Dan Rory für einige Jobs eingeplant. Kein Problem für Innes, solange er nach wie vor Zeit findet, sich um seinen großen Traum zu kümmern, den Anbau seiner Marihuana-Plantage. Die Beziehung zu seinem Onkel Starr gestaltet sich indes schwierig. Ohnehin nicht besonders erfreut über die Zwangseinquartierung, wird das familiäre Verhältnis auch noch durch die Claire, einer attraktiven Frau Ende Dreißig, aus dem Gleichgewicht gebracht. Die aufkommenden Verdächtigungen und Rivalitäten zwischen den beiden Männern steuern letztlich auf einen gefährlichen Höhepunkt zu. MacDonald zeichnet seine Figuren psychologisch sehr eindringlich und beschreibt ihre Träume, Ängste und Leidenschaften vor dem Hintergrund einer ebenso geheimnisvollen Landschaft.

Carl-Johan Vallgren - „Geschichte einer ungeheuerlichen Liebe“

(Insel, 377 S., HC)
Der Titel des neuen Romans des schwedischen Autors Vallgren, der viele Jahre in Berlin gelebt hat, macht neugierig. Was kann an einer Liebe „ungeheuerlich“ sein? Das Rätsel wird schnell gelüftet: Als Doktor Götz in einer unbarmherzigen Winternacht des Jahres 1813 ins prominenteste Bordell Königsberg gerufen wird, soll er gleich zwei Frauen entbinden. Das eine unglückliche Mädchen liegt seit vierzig Stunden in den Wehen und bringt eine Missgeburt zur Welt, ehe sie - erschöpft von der schwierigen Geburt – stirbt: einen verkrüppelten Jungen mit einem riesigen Kopf ohne Ohren und Gehörsinn, verstümmelten Armen und Händen, eigentlich zu einem frühen Tode bestimmt, doch wie durch ein Wunder bleibt das hässliche Kind, Hercule Barfuss mit Namen, am Leben.

Das zweite Kind wird ohne Komplikationen geboren, ein hübsches, groß gewachsenes Mädchen, das auf den Namen Henriette Vogel getauft wird. Die beiden Kinder wachsen gemeinsam auf und lieben sich inniglich. Im Alter von zehn Jahren soll Henriette versteigert werden, nachdem eine Frau des Etablissements bestialisch zugerichtet wurde und die Kunden abschreckt. Die Wege der beiden Kinder trennen sich. Hercule entwickelt unglaubliche Fähigkeiten, lernt mit seinen Füßen Orgel zu spielen und kann vor allem Gedanken anderer Leute lesen. Das macht ihm vor allem in den Augen der Kirche verdächtig. Nach einem Aufenthalt im Irrenhaus kommt Hercule in die Obhut des liebenswürdigen Mönchs Julian Schuster, kann sich dann aus den Fängen der wiederbelebten Inquisition befreien und verdingt sich bei dem Wanderzirkus unter dem Direktor Barnaby Wilson, einem kleinwüchsigen Zyklopen, der wie Hercule die Gabe des Gedankenlesens beherrscht. Von ihm lernt Hercule die Ideen der frühen Sozialisten und die Schätze der romantischen Literatur und Kunst. Das Ziel seiner aufregenden Reise bleibt aber Henriette. Fest davon überzeugt, dass auch sie ihn sucht, hält allein der Gedanke an die Liebe zu ihr, ihn am Leben... Eine bewegende wie turbulente Liebesgeschichte in historisch unruhigen Zeiten!

José Carlos Somoza - „Die dreizehnte Dame“

Samstag, 21. November 2009

(Claassen, 496 S., HC)
Als der arbeitslose Literaturdozent Salomón Rulfo jede Nacht von dem gleichen Albtraum heimgesucht wird, in dem er Zeuge von drei bestialischen Morden in einer Villa wird, vertraut er sich einem Arzt an, der Rulfo sogar begleitet, als die von ihm geträumte Villa in den Nachrichten als Schauplatz eben genau des Verbrechens erwähnt wird, das Rulfo in seinen Albträumen heimsucht. Als er später das Haus noch einmal aufsucht, trifft auf die junge Prostituierte Raquel, deren Träume sie ebenfalls zu dem Haus geführt haben. Bei der gemeinsamen Durchsuchung des Hauses fällt Rulfo auf, dass die ermordete Hausbesitzerin Lidia Garetti ebenso wie er selbst die Dichtkunst liebt.
So richtig mysteriös wird es aber, als Rulfo seinen alten Literatur-Professor César Sauceda aufsucht, dem er einen Zettel zeigt, den er in dem Haus gefunden hat und auf dem ein Vers aus Dantes „Inferno“ geschrieben steht. Sauceda erzählt darauf erschrocken die Geschichte von seinem Großvater, der diesen Zettel geschrieben hat – und von einem Essay, das nachzuweisen versucht hat, dass eine Sekte von dreizehn Damen als Musen Dichter wie Petrarca, Shakespeare, Hölderlin, Milton, Keats, Blake und Borges inspiriert haben sollen, die dreizehnte Dame aber nie erwähnt werden durfte. Mit immer gefährlicheren, geheimnisvolleren Ereignissen konfrontiert, begreift Rulfo, dass er unbedingt die dreizehnte Dame finden muss, um nicht weniger als die Welt zu retten… Wunderbar poetischer Roman um die Macht der Sprache, dazu ebenso geheimnisvoll und spannend!

Patrick Redmond - „Der Musterknabe“

Freitag, 20. November 2009

(C. Bertelsmann, 448 S., HC)
Als der siebzehnjährigen Anna Sidney 1945 in der Londoner Provinz Hepton von ihrem Arzt eröffnet wird, dass sie schwanger sei, kommt eine Abtreibung für sie nicht in Frage. Fest davon überzeugt, dass der Vater des Kindes nach dem Krieg wie versprochen zu ihr zurückkehrt, gewährt ihrem nach dem Schauspieler Ronald Colman benannten Sohn Ronnie all ihre Liebe, auch wenn sie bei der Familie ihrer Verwandten Stan und Vera nicht viel zu lachen hat und Ronnie auch von den Kindern als Bastard bezeichnet wird.
Natürlich wird Annas Hoffnung auf die Rückkehr ihres Geliebten enttäuscht. Um sich und ihren Sohn zu ernähren, nimmt sie einen Job im entfernten Kendleton als Gesellschafterin an und heiratet schließlich den verunstalteten Charles Pembroke, um endlich wieder ihren geliebten Ronnie zu sich holen zu können. Der hübsche wie gescheite Junge hat schon bei seiner Pflegefamilie nichts zwischen sich und seiner Mutter kommen lassen. Nun lernt er mit Susie ein Mädchen kennen, das früh ihren geliebten Vater verlor und von ihrem brutalen Stiefvater Albert missbraucht wurde. Für sie ist ihre Schwester Jennifer das Objekt all der Fürsorge, die sie selbst nie erfahren hat. Sie und Ronnie entdecken eine Seelenverwandtschaft, in der vor allem Ronnie vollkommen aufgeht, die für Susie aber bald zu eng wird. Aber Ronnie hat auch schon früher der Gerechtigkeit mit Gewalt nachgeholfen… Patrick Redmond beschreibt das Böse auf sehr anschauliche, psychologisch fundierte Weise, doch baut sich die Spannung leider nur schleppend auf und leidet etwas unter dem wenig inspirierten Erzählstil.

Leif Davidsen - „Die guten Schwestern“

(Zsolnay, 544 S., HC)
Etwas deprimiert liegt der alternde dänische Sowjetexperte Teddy Pedersen auf seinem Bett in einem Hotel in der slowakischen Hauptstadt Pressburg und sehnt sich nach dem kalten Krieg und dem großen Imperium zurück, als er noch ein gefragter Mann war und zu etlichen Kongressen eingeladen wurde. Diese glorreichen Zeiten sind nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion passé. Als Teil einer Reisegruppe kehrt er noch einmal in den Osten zurück und wird von einer Frau angesprochen, die sich nicht nur als seine Halbschwester Maria vorstellt, sondern ihm auch zu erzählen versucht, dass sein als längst verstorben gegoltener Vater erst vor einem Jahr gestorben ist.
Offensichtlich ist er geflohen, als seine Vergangenheit in der Waffen-SS publik geworden ist, und hat sich in Kroatien in eine neue Frau verliebt und ein neues Leben begonnen. Zurück in Kopenhagen muss Teddy zudem erfahren, dass seine andere Schwester, Irma, als mutmaßliche Stasi-Agentin namens „Edelweiß“ festgenommen worden ist. Per Toftlund, der von seiner alten Chefin Jette Vuldom für den polizeilichen Nachrichtendienst reaktiviert wurde, übernimmt die Übermittlungen im Fall „Edelweiß“ und folgt verschiedenen Spuren der Familie Pedersen durch verschiedene osteuropäische Länder und sieht sich mehreren Attentaten ausgesetzt, während seine hochschwangere Frau zuhause auf seine Rückkehr wartet… Faszinierender Politthriller, der eine Brücke von den Nazi-Greueln bis zu den aktuellen Krisen im Balkan zieht, aber auch auf sympathische Weise die Protagonisten zeichnet.

Leslie Silbert - „Der Marlowe Code“

Samstag, 7. November 2009

(Blanvalet, 416 S., HC)
Als der englische Dramatiker Christopher Marlowe an einem Frühlingsabend des Jahres 1593 den Jahrmarkt an der London Bridge besucht, lässt er sich von einer seltsamen Alten die Karten legen, wobei ihm ein früher, gewaltsamer Tod prophezeit wird. Doch der selbstbewusste Bühnenautor, der zu den pfiffigsten Spionen seiner Majestät, Königin Elizabeth I., zählt, lässt sich von dieser Prognose nicht beirren. Doch die Wahrsagerin sollte Recht behalten. Gerade als Marlowe herauszufinden versucht, was es mit der geplanten Verschwörung gegen seine Königin auf sich hat, wird er in eine Falle gelockt und ermordet, die Umstände seines Todes verschleiert, so dass die Beweise für die Verschwörung unentdeckt bleiben…
Im heutigen London macht sich ein adliger, die Katze genannter Meisterdieb auf elegante Weise an einem Safe zu schaffen, der ein Jahrhunderte altes Manuskript enthält, doch bevor er seinen Coup genießen kann, wird der Baron gestellt, worauf sich dieser schnell selbst vergiftet. Das Manuskript gelangt in die Hände des smarten Geschäftsmannes Cidro Medina, der es in New York Kate Morgan übergibt, einer früheren Literaturwissenschaftlerin und Renaissance-Expertin, die nun für eine dem CIA zugehörige private Ermittlungsagentur arbeitet. Sie entschlüsselt das geheimnisvolle Manuskript als eine Sammlung von brisanten Spionageberichten, die der britische Spion Thomas Phelippes zusammengetragen hat und auch heute noch von hoher Brisanz ist. Kate macht sich auf den Weg nach London, muss aber schnell feststellen, dass ihr Leben in Gefahr gerät… Vielschichtiger, raffiniert zwischen den Epochen springender Spionage-Thriller mit interessantem historischem Background.

Ian Rankin - „Die Kinder des Todes“

Freitag, 6. November 2009

(Manhattan, 543 S., HC)
Während Detective Inspector John Rebus seine mysteriösen Brandverletzungen an den Händen im New Royal Infirmary in Edinburgh auskuriert, berichtet ihm seine Partnerin Detective Sergeant Siobhan Clarke von einem schrecklichen Fall, bei dem an einer Schule im kleinen Küstenstädtchen South Queensbury zwei Schüler getötet und einer verletzt wurde, während sich der vermeintliche Todesschütze, der ehemalige Soldat Lee Herdman, offensichtlich selbst eine Kugel in den Kopf schoss. Rebus hat zwar mit einer internen Ermittlung zu kämpfen, weil der Gauner Marty Fairstone bei einem Brand in seiner Wohnung ums Leben gekommen war und Rebus ihm nachweislich kurz vorher einen Besuch abgestattet hatte.
Rebus wird wegen Tatverdachts zunächst vom Dienst suspendiert, hilft seinen Kollegen Clarke und Hogan aber bei der Auflösung der Bluttat an der Port Edgar Academy. Man vermutet gemeinhin, dass Herdman seine soldatische Vergangenheit psychisch noch nicht verarbeitet hat, aber es bleibt ein Rätsel, warum er ausgerechnet in den Aufenthaltsraum der Schule ging und die drei Jungs erschießen wollte, von denen James Bell, der Sohn des Parlamentariers Jack Bell, mit einer Schulterverletzung mit dem Leben davonkam. Recht schnell schalten sich allerdings zwei Ermittler von der Royal Army ein, so dass Rebus vermutet, dass mehr hinter dem Fall steckt. Und tatsächlich, bei dem Beziehungsgeflecht der involvierten Jugendlichen und Herdmans zwielichtigem Bekanntenkreis tun sich ganz andere Abgründe auf, die die Tragödie heraufbeschworen haben… Gewohnt spannender, atmosphärisch dicht erzählter John-Rebus-Krimi vom Meister des britischen Krimis.

Ian Rankin - „Die Tore der Finsternis“

(Manhattan, 542 S., HC)
Ehe er sich versieht, muss Detective Inspector John Rebus in Tulliallan die Schulbank des Scottish Police College drücken, nachdem er gegenüber seiner Vorgesetzten, Detective Chief Superintendent Gill Templer, ausgerastet war und sie mit einem Becher Tee beworfen hatte. Zusammen mit fünf weiteren aufsässigen Kollegen aus den Reihen der schottischen Polizei soll Rebus seine Kenntnisse in korrektem Verhalten auffrischen und Teamarbeit lernen. Dafür setzt sie ihr Ausbilder, DCI a.D. Tennant, auf einen älteren, ungelösten Fall an, den Mord an Eric Lomax.
Da Rebus damals bei den Ermittlungen beteiligt gewesen ist, bemüht er sich, die neu aufgenommene Ermittlungsarbeit zu verschleppen und sich auf einen frischen Fall zu konzentrieren, von dem er gerade abgezogen worden war, der Ermordung des Kunsthändlers Edward Marber. Zusammen mit seiner Kollegin Siobhan Clarke sucht Rebus Motive und Beweise und stößt schnell auf den Kriminellen M.G. Cafferty, der sich aber schwer dingfest machen lässt. Je weiter die Ermittlungen von Rebus und Clarke auf der einen Seite, am Fall Lomax auf dem College aber vorangehen, um so mehr treten die Verbindungen zwischen beiden Morden zutage. Als die beiden Detectives schließlich erkennen, dass die Spuren der Mörder nicht nur in Edinburghs Unterwelt führen, sondern bis in die höchsten Polizeikreise, wird die Situation für die Ermittler äußerst brenzlig. Raffinierter und komplexer Krimi um den beliebten Serienhelden John Rebus.

Max Dax/Robert Defcon - „Nur was nicht ist ist möglich. Die Geschichte der Einstürzenden Neubauten“

Donnerstag, 5. November 2009

(Bosworth, 320 S., HC)
Einem international bedeutsamen kulturellen Phänomen wie den Einstürzenden Neubauten kann man sich auf verschiedene Weise nähern, will man ihre aufregende Geschichte in Buchform fassen, als reich bebilderte Biographie, wie sie Neubauten-Intimus Klaus Maeck mit „Hör mit Schmerzen“ vorgelegt hat, als ausführlich kommentierte Diskographie (Kirsten Borchardts „Einstürzende Neubauten“) oder eben als aussagekräftige O-Ton-Collage, wie es jetzt Max Dax und Robert Defcon getan haben. In einem Zeitraum von zwei Jahren haben die beiden engagierten Autoren 49 Einzelinterviews mit den Mitgliedern und Vertrauten der Einstürzenden Neubauten geführt und die ausführlichen Statements nach bestimmten Themenkomplexen sortiert und ohne die einleitenden Fragen kommentarlos neu zusammengesetzt und aneinandergereiht.
So erfahren wir im ersten Kapitel „Ich“, wie die Neubauten-Mitglieder zu ihren außergewöhnlichen Namen kamen, im nachfolgenden „Westberlin“ reflektieren Blixa Bargeld, Alexander Hacke & Co. die wilden Tage und Nächte im Berlin der Achtziger, die von Hausbesetzungen und Atomkriegängsten geprägte Endzeitstimmung. Die Neubauten wollten damals eigentlich keine Musik machen, sondern nur nerven, Interesse erzeugen. Auf über 300 Seiten erfährt der interessierte Leser eine Menge Intimes, Interessantes und Aufschlussreiches aus den Mündern der Macher selbst, über ihre Ansichten, Arbeitsweisen, Tourneen und das Selbstverständnis nach 25 Jahren Einstürzende Neubauten. Einen intimeren Einblick in das Wesen dieser wichtigen Band wird man wohl kaum noch bekommen.

Maximilian Dax & Johannes Beck - „The Life And Music Of Nick Cave - An Illustrated Biography“

(Die Gestalten Verlag, 178 S., Softcover im Großformat)
Bereits der kleine Photo-Band in dem Box-Set zum 93er Live-Album „Live Seeds“ dokumentierte nicht nur die unglaubliche Bühnenpräsenz, die Nick Cave bei seinen Live-Performances ausstrahlt, sondern legte vor allem Zeugnis über die ganz besondere Aura ab, die den charismatischen Künstler stets zu umgeben scheint. Die ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Fotographien können aus heutiger Sicht als Appetitanreger gedient haben für die längst überfällige deutschsprachige Biographie des australischen Ausnahmemusikers, wobei sich das von Maximilian Dax und Johannes Beck sorgfältig recherchierte und kurzweilig geschriebene Werk durch ein schönes Gleichgewicht von informativem Text und ausdrucksvollen Ganzseiten-Fotos auszeichnet.
Den beiden Autoren war von Beginn an daran gelegen, nicht weiter einer Mystifizierung des Rockstars Nick Cave zuzuarbeiten, sondern seinen Werdegang auch stets im Lichte der Zeit und der besonderen Lebensumstände zu betrachten, die Dinge zu erwähnen, die Cave antrieben und behinderten. Nach dem Vorwort von Johannes Beck bekommt der Leser erst einmal auf sieben durchgehenden Seiten rein visuelle Eindrücke aus Nick Caves Kindheit und Schulzeit vermittelt, und so bietet das großzügig mit über 100 Bildern aus Caves Leben ausgestattete Werk immer wieder Inseln emotional ansprechender Momentaufnahmen, die dem Leser Leben und Werk des außergewöhnlichen Künstlers nahebringen. Der dazugehörige Text schildert nicht nur Stationen von Nick Caves Leben und Werk, sondern bietet in konzentrierter Form auch unterhaltsame Episoden aus seinen Etappen zum Erfolg, setzt sich mit den einzelnen Alben und künstlerischen Einflüssen auseinander, läßt andere Künstler zu Wort kommen und wartet schließlich auch mit einer umfassenden Diskographie und Bibliographie auf und rundet damit ein farbenprächtiges, lustvoll designtes Werk ab, das man immer wieder gern zur Hand nimmt.

Douglas Coupland - „Alle Familien sind verkorkst“

Sonntag, 1. November 2009

(Hoffmann und Campe, 335 S., HC)
Mit seinem 1991 veröffentlichten Debüt „Generation X“ hat der 1961 geborene amerikanische Autor Douglas Coupland nicht nur ein beißend ironisches Portrait der Nach-Baby-Boom-Generation der zwischen 1960 und 1970 Geborenen gezeichnet, sondern sich sogleich in den Olymp der Kult-Autoren geschrieben. Wie in seinen nachfolgenden Romanen erweist sich Coupland auch mit seinem neuesten Streich als intelligenter Beobachter der amerikanischen Mittelschicht und ihrer Träume.
Er erzählt die kuriose wie liebenswerte Geschichte der Familie Drummond, deren Mitglieder eigentlich in ganz Nordamerika verstreut sind. Doch zum Weltraumausflug der Contergan-geschädigten Tochter und Schwester Sarah finden sich alle in Cape Canaveral zusammen: Die pillensüchtige, extrem sparsame Mutter Janet, ihr bankrotter Ex-Mann Ted, ihr Sohn Wade, der irgendwie auch immer blank ist und mit dem Gesetz auf Kriegsfuß steht, ihr anderer Sohn Bryan, dessen hysterische Frau mit dem Fantasienamen Shw das gemeinsame Kind abzutreiben gedenkt. Sie alle nehmen allerlei Schwierigkeiten bei ihrer Odyssee nach Orlando auf sich und kommen sich bei aller Hass-Liebe ausgerechnet durch einen deutschen Pharma-Erben wieder näher. Coupland beschreibt diese irrwitzigen Abenteuer so lebhaft und liebenswert, dass einem die schrägen Drummond-Vögel schon nach ein paar Seiten ans Herz wachsen. Die Coen-Brüder sollten sich die Filmrechte sichern.

Daniel Wallace - „Big Fish“

(Knaur, 222. S., Tb.)
Mit Filmen wie „Beetlejuice“ und „Edward mit den Scherenhänden“ hat Regisseur Tim Burton bislang am beeindruckendsten sein Faible für märchenhafte Geschichten in Szene setzen können. In dieser Tradition steht auch sein Film „Big Fish“, der auf dem Roman von Daniel Wallace basiert. Dieser schildert im Gegensatz zu seiner farbenprächtigen Leinwand-Adaption in knappen Sätzen ein wahrlich bezauberndes Märchen, in dem William Bloom seinen Vater erst richtig kennen lernt, als dieser bereits im Sterben liegt.
Bis dahin war das Leben von Edward Bloom eine Aneinanderreihung von unglaublichen Geschichten. Da rettete er einer Meerjungfrau das Leben, indem er ihr eine Giftschlange vom Leibe hielt. Oder er verschonte die kleine Gemeinde Ashland vor dem Riesen Karl, indem Edward ihm beibrachte, Gemüse anzubauen (während er im Film mit dem Karl auf Reisen ging). Bezaubernd auch, wie er das Herz seiner ersten großen Liebe zu erobern versuchte und wie er die Stadt Specter aufkaufte. Die sehr kurze Romanvorlage wurde von Tim Burton weitaus farbenprächtiger, witziger und märchenhafter umgesetzt, die schwierige Vater-Sohn-Beziehung besser herausgearbeitet. Dennoch bietet auch die Romanvorlage ein bezauberndes Lesevergnügen.