Matt Dunn – „Aus. Ende. Gelände.“

Montag, 27. Juni 2011

(Knaur, 431 S., Pb.)
Am 16. Januar ruft Edward seinen besten Freund Dan, den blendend aussehenden Moderator der „Antiquitäten-Roadshow“ an, um ihm mitzuteilen, dass seine langjährige Lebensgefährtin Jane nach Tibet abgehauen ist. Immerhin hat sie ihm einen Brief hinterlassen, in dem sie ihm vorwirft, sich zu sehr gehen gelassen zu haben. In genau drei Monaten will sie wieder zurückkehren und sich mit Teddy weiterunterhalten. Also hat Edward drei Monate Zeit, sich wieder in Form zu bringen und für Jane wieder attraktiv zu werden.
Er heuert eine Personal Fitness-Trainerin an, verzichtet auf Pizza und Alkohol und muss sich ständig mit Dan auseinandersetzen, der ihm die Frauenwelt näherzubringen versucht. Allerdings ist der ungemein treue Edward gar nicht daran interessiert, Tricks zu lernen, wie man möglichst viele Frauen möglichst schnell ins Bett bekommt, so wie es Dans Lebensphilosophie ist. Edward möchte einfach nur seine Jane zurückhaben. Denn bald schon wird ihm klar, wie sehr er sein Mädchen vermisst.
„Schon beim Aufwachen oder besser gesagt beim Aufstehen spüre ich sofort, dass etwas nicht so ist, wie es sein sollte. Ich komme erst langsam richtig zu mir, denn ich habe nicht besonders gut geschlafen. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass ich zum ersten Mal seit vielen Jahren nicht die ganze Nacht um das Federbett kämpfen musste. Was immer die Ursache für meine Unruhe war, bin ich mir der leeren Stelle, wo eigentlich Jane liegen sollte, sehr bewusst.
Während ich meine erste Zigarette des Tages rauche, wird mir mit einem Schaudern bewusst, dass sie zum ersten Mal in all den zehn Jahren nicht wie gewohnt in unmittelbarer Reichweite ist, wenn man einmal von gelegentlichen Geschäftsreisen oder Familientreffen absieht. Auch wenn wir uns mal gestritten hatten, lagen wir doch immer im selben Bett, bisweilen Rücken an Rücken in eisigem Schweigen, bis einer von uns eine Hand oder einen Fuß ausstreckte.“ (S. 37)
Bereits mit den ersten Seiten weckt Matt Dunn das Mitleid seiner Leser für den armen Tropf Edward, der offensichtlich aufgegangen ist wie ein Hefekloß und vor allem in Gegenwart von Dan-Playboy unbemerkt in dessen Schatten verblasst. Es ist schon witzig zu verfolgen, wie die Lebensphilosophien dieser so grundverschiedenen Freunde sich aneinander reiben, und doch lässt sich Edward immer wieder von seinem so Frauen-erfahrenen Freund antreiben und zu den schlechtesten, gelegentlich aber auch solchen Ideen anstiften, die zwar seinen Geldbeutel mächtig erleichtern, dafür aber sein Heim, sein Outfit und sein Äußeres auf Vordermann bringen, bis Edward tatsächlich selbstbewusster mit Frauen umzugehen versteht.
„Aus. Ende. Gelände.“ lässt sich wunderbar leicht und schnell weglesen, ohne den Intellekt, aber auch nicht wirklich das Zwerchfell großartig zu beanspruchen.

Lotte & Søren Hammer – „Schweinehunde“

Samstag, 25. Juni 2011

(Droemer, 504 S., HC)
Seit die schwedischen Bestseller-Autoren Henning Mankell und Hakan Nesser die Lust an skandinavischen Krimis geweckt haben, hat sich auch hierzulande ein reges Interesse an skandinavischer Spannungsliteratur entwickelt, das seinen vorläufigen Höhepunkt durch die gefeierte „Millennium“-Trilogie von Stieg Larsson erreichte. In diesem Zuge erscheinen natürlich auch Krimis, die den hohen Standard bereits bekannter Autoren allerdings nicht halten können – wie das thematisch aufwühlende Debüt des dänischen Geschwisterpaars Liselotte Hammer Jacobsen und Søren Hammer Jacobsen.
In Bagsvaerd, einem Vorort von Kopenhagen, finden zwei Kinder in der Turnhalle ihrer Schule eines Morgens fünf nackte Männer von der Decke hängen, akkurat aufgeknüpft und bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Als Kriminalhauptkommissar Konrad Simonsen von seinem abgebrochenen Urlaub mit seiner 16-jährigen Tochter an den Tatort kommt, macht sich schnell der Hausmeister Per Clausen verdächtig, der mit seinen irreführenden Antworten die Polizei an der Nase herumführt.
Doch bevor seine Ermittler Nathalie „Comtesse“ von Rosen, der spielsüchtige Arne Pedersen, die junge Pauline Berg und der pensionierte, aber erfahrene Kaspar Planck den hochdekorierten Statistiker, der nach dem Tod seiner Tochter völlig aus der Bahn geworfen wurde, weiter befragen können, setzt Per Clausen seinem Leben ein Ende. Als die Presse die Identität einiger Opfer enthüllt und verlauten lässt, dass es sich um Pädophile handelt, beginnt in der Öffentlichkeit eine erbarmungslose Hetzjagd gegen alle, die irgendwann einmal wegen Unzucht mit Minderjährigen in Verruf geraten sind. Organisationen werden gegründet, um sich für härtere Strafen gegen die Kinderpornographie einzusetzen, Webseiten werden ins Leben gerufen, Massenmails verschickt.
Five paedophiles executed in Denmark.
Die Überschrift der Mail ging einem direkt unter die Haut, ihr Inhalt war ein manipulierendes Sammelsurium aus Fiktion und Fakten: Um den Kinderpornographie-Export des Landes nicht zu gefährden, verschweige der Staat, dass es sich bei den fünf Hingerichteten um Pädophile handele, was aber gut zur Tatsache passé, dass Dänemark pädophile Vereinigungen und Internetseiten zulasse und sich standhaft weigere, eine bindende polizeiliche Zusammenarbeit mit den übrigen EU-Staaten einzugehen. Das Strafmaß für den sexuellen Missbrauch von Kindern sei lächerlich niedrig und wirke eher wie der Nachweis der offiziellen Akzeptanz dieses Verbrechens.“ (S. 147)
Da sich in der dänischen Bevölkerung immer mehr die Überzeugung durchsetzt, dass die hingerichteten Opfer ihre Strafe verdient haben, stoßen Simonsen und sein Team vielerorts auf taube Ohren und wenig Bereitschaft zur Mithilfe bei der Auflösung des Verbrechens. Aber auch mit der Presse und den Politikern hat die Polizei ihre Probleme …
Das Setting von „Schweinehunde“ hat eigentlich alles, was einen guten Krimi auszeichnet: einen Aufsehen erregendes Verbrechen, ein interessantes Ermittlerteam, dessen einzelne Persönlichkeiten auch Raum für private Seitenwege lassen und ein auch gesellschaftlich brisantes Thema. Doch das über 500 Seiten starke Buch schwächelt gleich auf mehreren Ebenen: Nicht nur die allzu trockene Sprache, die keine Empathie weder für die Handlung noch die Figuren aufkommen lässt, verleidet den Lesegenuss, auch die frühzeitige Erkenntnis über den Täter und seinen Hintergrund nehmen die Spannung weg. Die Handlung konzentriert sich zunehmend darauf, Kinderpornographie und Pädophilie und die zu laschen Strafen in Dänemark zu thematisieren, worauf wenig glaubwürdig ein Szenario beschrieben wird, in dem die Polizei ohnmächtig gegen eine zur Selbstjustiz aufgehetzte Öffentlichkeit ankämpft. Zum Ende hin nimmt das etwas zu langatmige Krimidrama zum Glück wieder etwas Fahrt auf und kommt auch sprachlich geschliffener daher, so dass die Hoffnung genährt wird, dass die Fortsetzungen etwas spannender und interessanter zu lesen sind. Vom „besten dänischen Kriminalroman seit langem“, wie das K. Dagblad meint, ist  so noch weit entfernt.

Olen Steinhauer – „Last Exit“

Donnerstag, 9. Juni 2011

(Heyne, 543 S., HC)
Als der Journalist Henry Gray einen Brief des verstorbenen CIA-Agenten Thomas Grainger erhält, in dem dieser von seiner Abteilung und Operationen berichtet, die sich mit dem Sudan und gegen China beschäftigten, sieht er wieder Schwung in seine abgeflaute Karriere kommen. Doch bevor er sich näher mit der Story beschäftigen und sich wie von Grainger gewünscht an Milo Weaver wenden kann, wird er von Weavers Kollegen James Einner ausgeschaltet. Vier Monate später taucht Weaver in Budapest auf, um Gray im Krankenhaus zu besuchen, kann sich aber noch keinen Reim auf die Geschichte machen.
Ein paar Monate später erhält Weaver, reaktivierter Agent der CIA-Abteilung für die schmutzigsten Geschäfte, Tourismus genannt, seinen achten Auftrag, wenn möglich zwanzig Millionen Dollar zu beschaffen. Weaver beschließt, aus einem schlecht bewachten Museum in Zürich vier Gemälde zu stehlen, doch bevor er diese zu Geld machen kann, bekommt Weaver von seinem neuen Chef Alan Drummond den Auftrag, in Berlin das 15-jährige Mädchen Adriana Stanescu zu töten und die Leiche verschwinden zu lassen. Doch Weaver geht diese Operation völlig gegen sein Gewissen.
„Jeder Tourist hat eine Vergangenheit, und Alan Drummond wusste alles über die zwei Gründe, die Milo bei einem komfortableren Budget den Zugang zum Tourismus verwehrt hätten: seine Frau und seine Tochter. Drummond war natürlich klar, dass diese scheinbar so einfache Aufgabe für ihn schwerer war als das Erstürmen der iranischen Botschaft in Moskau. Offenbar hatte Milo mit seinem Verdacht richtig gelegen: Die Abteilung vertraute ihm noch immer nicht, und die bisherigen Aufträge hatten nur als Vorbereitung gedient, als dreimonatige Inkubationszeit vor seiner Wiedergeburt als Tourist. Ein langer Probelauf, der im neunten Auftrag gipfelte: ein Umschlag, der graue Himmel über Berlin und der Wunsch, lieber sich selbst auszulöschen, als diesen Job durchzuführen.“ (S. 52 f.)
Also gestaltet Weaver den Job nach seinen Vorstellungen um, lässt das Mädchen nach der Entführung durch seinen Vater Jewgeni Primakow, der innerhalb der UN eine eigene Geheimabteilung unterhält, in den Bergen verstecken. Als die Kleine aber tot aufgefunden wird, steckt Weaver mächtig in der Klemme, wird er doch für den Killer gehalten. Auf der Suche nach den Verantwortlichen verdichtet sich sein Verdacht, dass es innerhalb der Tourismus-Abteilung einen Maulwurf gibt, der die ganze Abteilung mit dem Aus bedroht. Und irgendwie wird Weaver das Gefühl nicht los, dass der amerikanische Senator Nathan Irwin etwas damit zu tun hat …
Nach „Der Tourist“ präsentiert der amerikanische, mittlerweile in Budapest lebende Schriftsteller Olen Steinhauer mit „Last Exit“ seinen zweiten Roman um den „Touristen“ Milo Weaver. Der bietet zwar weit weniger Action, als man es von James Bond oder Jason Bourne gewohnt ist, dafür vermittelt Steinhauer das Agenten-Dasein auf höchst authentisch wirkende Weise. Wie er seinen sympathischen, vielschichtigen, gewissenhaften Helden durch die Welt schickt, um Intrigen, Verrat und Verstrickungen aufzudecken, ist nicht nur packend geschrieben, sondern verleiht den Hauptfiguren sehr menschliche Züge. Allerdings bleibt noch die schwierige Beziehung zu Milo Weavers Frau und Tochter näher zu beleuchten. Aber dafür bieten ja die hoffentlich geplanten Fortsetzungen noch reichlich Gelegenheit …
Lesen Sie im Buch: „Last Exit“