David Baldacci - "Der Abgrund"

Dienstag, 23. August 2011

(Bastei Lübbe, 639 S., Tb.)
Der Name David Baldacci ist immer noch eng mit seinem ersten Bestseller „Der Präsident“ verknüpft, der von und mit Clint Eastwood erfolgreich als „Absolute Power“ verfilmt worden ist. Seither hat sich der amerikanische Bestseller-Autor als sicherer Garant für spannende, oft actionreiche Thriller erwiesen, die teilweise sogar Teil großartiger Reihen wurden. Mit dem 2001 (in Deutschland 2003) veröffentlichten Thriller „Der Abgrund“ nimmt David Baldacci das grandiose Scheitern einer groß angelegten FBI-Aktion zum Ausgangspunkt für eine komplexe Geschichte, in der der hochdekorierte Agent Web London mit seinem Team die mutmaßliche Finanzverwaltung eines Drogenkonzerns hochgehen lassen will.
Doch das achtköpfige Team gerät in einen Hinterhalt. Dass Web plötzlich in bewegungslose Starre verfällt, rettet ihm zwar als einzigen das Leben, doch dafür wird er von seinen Kollegen als Feigling gebrandmarkt und von den Witwen seiner getöteten Gefährten geächtet. Einzig ein schwarzer Junge, der Web am Tatort ein merkwürdiges „Donnerhall“ entgegenraunte, könnte Licht in das FBI-Desaster bringen, doch scheint er wie vom Erdboden verschluckt. Um der Medienhetze zu entgehen, muss Web untertauchen und auf eigene Faust ermitteln. Dabei stößt er auf eine Reihe von aktuellen Todesfällen, die sowohl mit der jüngsten FBI-Katastrophe in Zusammenhang stehen könnten als auch mit dem Massaker an der Schule in Richmond, bei dem Web fast selbst dran glauben musste.
„‘Zwei Leute, am gleichen Tag. Einmal Louis Leadbetter; er war der Richter in Richmond, der die ‚Freie Gesellschaft‘ verurteilt hat. Er wurde erschossen. Und Fred Watkins war bei diesem Prozess der Vertreter der Anklage. Sein Haus ist explodiert, als er gerade hineingehen wollte. Und dann das Charlie-Team. Wir waren die Einsatztruppe, die auf Anforderung des Richmond Field Office geschickt wurde. Ich habe zwei von Frees Leuten getötet, bevor mein Gesicht getoastet und ich von zwei Kugeln durchlöchert wurde. Und dann wäre da noch Ernest B. Free höchstpersönlich. Aus dem Gefängnis getürmt.‘“ (S. 251 f. in der Weltbild-Lizenzausgabe von 2011) 
Web sucht mit seinem Kollegen Paul Romano die Ranch von Bill Canfield auf, dessen Junge damals in der Schule umkam und mit dem der entflohene Free vielleicht noch eine Rechnung offen haben könnte …
David Baldacci erweist sich einmal mehr als Meister der explosiven Spannung, die viel Action und haufenweise Intrigen bereithält. Obwohl über 600 Seiten stark, hält sich „Der Abgrund“ nicht mit einer langen Einleitung auf, sondern katapultiert den Leser gleich ins dramatische Geschehen, bei dem Web London auf einen Schlag seine ganze Truppe verliert. Doch Web London hat nicht nur die Hintergründe der fürchterlich gescheiterten Mission aufzuklären, sondern mit der Psychiaterin Claire Daniels auch seine eigene dunkle Vergangenheit aufzuarbeiten. In einem furiosen Finale werden so einige knifflige Knoten gelöst und Widersacher von Webs HRT-Team ins Leichenschauhaus befördert.

Stewart O’Nan – „Engel im Schnee“

Sonntag, 7. August 2011

(Rowohlt, 251 S., HC)
An einem verschneiten Winterabend in der Kleinstadt Butler, Pennsylvania, hört der fünfzehnjährige Arthur Parkinson während seiner Posaunenprobe in der Band, Schüsse, die – wie sich später herausstellen wird – das Leben seiner früheren Babysitterin Annie Marchand beenden.
Es bedeutet das Ende eines noch jungen Lebens, das allerdings voller Probleme war. Ihren Mann Glenn hat sie in die Flucht getrieben und sich ausgerechnet mit Brock, dem Mann ihrer besten Freundin, eingelassen. Das treibt vor allem ihre Mutter May in die Verzweiflung:
„Das Leben ihrer Tochter ist so in Unordnung, dass es May umbringt. Eine dreijährige Tochter und nicht mal in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. May weiß nicht, wie Annie die Miete zusammenbekommt, bestimmt nicht von dem, was sie im Club verdient. Jedesmal wenn sie danach fragt, endet es mit einem Streit. Sie hat immer das Gefühl gehabt – obwohl sie es nie gesagt hat, oder nur leise zu Charles -, dass Annie nicht sonderlich intelligent ist, dass sie nicht vorausschaut und sich dann wundert, wenn alles schiefläuft. (…) Annie scheint immer noch an der High-School zu sein: Sie hat einen Teilzeitjob und sucht sich aus, welchem Jungen sie sich hingibt. Sie ist ihre Jüngste, und nach allem, was May gelesen hat, müsste sie sich verzweifelt an Annie festklammern. Aber May wünscht sich nur, dass sie zur Ruhe käme oder dass sie, falls daraus nichts wird (und das befürchtet sie, ihr einziges Mädchen), irgendwohin zöge, wo sie es nicht mehr mit ansehen muss.“ (S. 119 f.)
Doch Arthur, der einst für Annie geschwärmt hat, plagen eigene Probleme. Sein Vater ist gerade ausgezogen und hat bereits eine neue Lebensgefährtin, er selbst beginnt sich in eine Schulkameradin zu verlieben …
Mit „Snow Angels“ hat der amerikanische Schriftsteller Stewart O’Nan 1994 ein fulminantes Debüt hingelegt. Er beschreibt die Nöte und Sehnsüchte seiner einfachen Protagonisten mit viel Einfühlungsvermögen und Sympathie, wobei er trotz der oft trostlosen Situationen und Momente immer einen Ausweg aufzuzeigen scheint. Die Eindringlichkeit der schlichten Poesie geht mit einer anrührenden Melancholie einher, die sich nur selten in Hoffnungslosigkeit verliert, beispielsweise dann, wenn am Ende der unausweichliche Mord an Annie beschrieben wird. Doch darüber hinaus stellt „Engel im Schnee“ das vielschichtige Portrait normaler amerikanischer Kleinstädter mit ihren Sorgen und Hoffnungen dar, das man so schnell nicht aus der Hand legt.