Richard Laymon - "Das Loch"

Montag, 26. November 2012

(Heyne, 544 S., Pb.)
Rodney war schon zu Schulzeiten ein Außenseiter, über den ständig gespottet wurde. Nun rächt er sich, indem er in das Haus seines Jugendschwarms Pamela einbricht, ihren Mann Jim umbringt und sie selbst entführt. Bei einer Pinkelpause in der Wüste gelingt es ihr, sich ihres Peinigers zu entledigen und von einem geheimnisvollen Fremden in dessen Bus mitgenommen zu werden. Dass er als Gäste nur angezogene Schaufensterpuppen befördert, die auf ihren T-Shirts Slogans tragen, die mit einem 6-Seelen-Kaff namens Pits zu tun haben, verwundert Pamela zunächst, doch vor allem ist sie dankbar, dem sicher geglaubten Tod entkommen zu sein und in dem Diner von Pits leckere Hamburger serviert zu bekommen.
Kaum hat sich Pamela in der kleinen, völlig von der Außenwelt isolierten Gemeinde angefangen wohlzufühlen und in dem Diner zu arbeiten, da stößt sie auf das verstörende Tagebuch eines Jungen und auf merkwürdige Überbleibsel, die offensichtlich frühere Gäste vergessen haben. Nun ängstigt sie der Gedanke, dass hier Menschen zu Burgern verarbeitet werden …
Ich werde den Kühlschrank aufmachen und mir in Ruhe den Inhalt ansehen. Und dort werden Frikadellen, Koteletts und Steaks liegen – ganz normales Essen wie in jedem Restaurant. Es werden keine Menschenköpfe darin sein, die für die Suppe bestimmt sind. Keine Steaks von den Hinterbacken. Keine gebackenen Rippchen von Lkw-Fahrern, keine Burritos mit Leberfleisch oder Dim Sun aus Studenten. Pamela ging zur Dusche und zog sich auf dem Weg die Kleider vom Leib. Zeit, sich frisch zu machen. Und die Uniform anzuziehen, bestehend aus einem weißen Polohemd, auf das links auf der Brust mit rotem Garn Pamela eingestickt war, hellroten Shorts und einer blauen Schürze mit Taschen für Bestellblock und Trinkgeld. Süß wie ein Kätzchen. Dann in den Lagerraum des Cafés zu spazieren und den Kühlschrank aufzumachen. Sich zu beweisen, dass Pits kein Kannibalen-Ort ist.“ (S. 315) 
Währenddessen hat der Student Norman zwei Anhalter mitgenommen, die ihn gehörig auf Trab halten. Während ihrer wilden Fahrt durch die Wüste verliert Norman nicht nur seine Unschuld und kann den zweifelhaften Reizen der nymphomanischen Boots kaum widerstehen, sondern angestiftet vom psychopathischen Duke hinterlässt das Trio auch eine Spur aus Blut. In Pits drehen sie schließlich richtig auf … Richard Laymon gelingt es in seinem 2005 veröffentlichten Werk „Into The Fire“, das jetzt als deutsche Erstausgabe erhältlich ist, ein packendes Road-Movie mit ganz unterschiedlichen Figuren zu inszenieren, die sich zu einem blutigen Showdown in einem abgeschotteten Wüstenkaff zusammenfinden. Bis dahin bietet Laymon in vertraut einfacher, aber pointierter Sprache seinen Lesern die geschätzte Mischung aus Horror, Sex und Humor, dass kaum Zeit zum Luftholen bleibt. Das Finale schießt dabei sicher etwas über das Ziel hinaus, doch letztlich überzeugt „Das Loch“ als sehr kurzweiliger Thriller mit eigenwilligen Figuren, interessantem Setting und spannenden Entwicklungen.
 Leseprobe Richard Laymon – “Das Loch”

Philippe Djian – „Die Rastlosen“

Sonntag, 11. November 2012

(Diogenes, 220 S., HC) 
Seit dem Durchbruch mit seinem dritten Roman „Betty Blue – 37,2° am Morgen“, der 1986 kongenial mit Béatrice Dalle und Jean-Hugues Anglade verfilmt worden ist, hat sich der französische Schriftsteller Philippe Djian mit Geschichten hervorgetan, in denen meist Männer in den besten Jahren, die irgendwie versuchen, als Schriftsteller durchzukommen, in verzwickte amouröse Abenteuer verstrickt werden. Dieses vertraute Terrain betritt der Leser auch in Djians neuem Werk „Die Rastlosen“.
Als 53-Jähriger hat es Marc längst aufgegeben, ein erfolgreicher Schriftsteller zu werden, und sich damit arrangiert, als Literaturdozent wenigstens bei seinen Studenten einen Sinn für die Kunst des Schreibens zu entwickeln. Dabei fällt es ihm mit zunehmendem Alter immer leichter, vor allem seine junge weibliche Zuhörerschaft zu betören. Um ja keinen Skandal zu riskieren, geht Marc beim Abschleppen der jungen Dinger stets überaus diskret vor. Diese Vorsicht macht sich in dem Moment bezahlt, als er eines Morgens neben der Leiche der 23-jährigen Barbara aufwacht, die er kurzerhand in einer Felsspalte entsorgt. Als er die Mutter des vermisst geltenden Mädchens kennenlernt, entdeckt Marc plötzlich ganz neue Gefühle in sich, nämlich die Leidenschaft für eine ältere, ihm intellektuell ebenbürtige Frau.
„Er konnte sich Myriam ohne weiteres im Badeanzug vorstellen – oder besser noch in Unterwäsche. Sie war knapp über fünfundvierzig. Bestens in Form. Und intellektuell gefestigt. Was gab es da noch zu sagen? Konnte man sich ein perfekteres Geschöpf, eine gefährlichere Begleitung denken? Die Vorstellung, dass man das Interesse einer solchen Person erweckte, war alles andere als unangenehm, ja sie steigerte sogar sein Selbstwertgefühl, fand er – denn so eine Person hatte ihren eigenen Kopf und ihren eigenen Geschmack und einiges an Lebenserfahrung. Plötzlich sprang ihm ins Auge, wie mittelmäßig seine Beziehungen mit den Studentinnen gewesen waren. Die Sexualität hatte die Welten nicht durchlässiger gemacht.“ (S. 56f.)
Doch einer Beziehung mit ihr stehen zwei Tatsachen im Wege: Seine Angebetete ist noch mit einem Soldaten verheiratet, der in Afghanistan verschollen scheint, und Marc lebt mit seiner Schwester Marianne in einem Haus, mit der ihn eine mehr als nur schwesterliche Beziehung verbindet …
Djian hat sich in seiner langjährigen Karriere als Meister von Erzählungen allerlei erotischer Verwirrungen erwiesen, und dieses Talent spielt er in seiner neuen, sehr flüssig geschriebenen Story voll aus. Die Ausgangssituation, dass sich ein Mann in besten Jahren mit weitaus jüngeren Damen herumschlägt, ist zwar allzu vertraut, wird in „Die Rastlosen“ aber auf sehr unterhaltsame Weise variiert. Das Jonglieren mit all den Frauen in Marc Leben sorgt für einige amüsante Reflexionen, und das psychologische Feingefühl, mit dem Djian seinen sympathischen Antihelden beschreibt, sorgt für einen vielschichtigen wie kurzweiligen Lesegenuss.

Jason Starr – „Dumm gelaufen“

Samstag, 3. November 2012

(Diogenes, 288 S., Pb.)
Mickey Prada arbeitet in einem Brooklyner Fischgeschäft, um sich so sein Studium zu finanzieren. Außerdem lebt er mit seinem an Alzheimer erkrankten Vater zusammen, um den er sich kümmern muss. Doch das geordnete Leben des jungen Mannes beginnt aus den Fugen zu geraten, als ein Stammkunde des Ladens, der sich als Angelo Santoro vorstellt und den Mickeys bester Freund Chris gleich als Mafioso identifiziert, Mickey bittet, ein paar Sportwetten für ihn abzuschließen.
Zu Mickeys Pech zählt nicht nur der Umstand, dass Angelo ausnahmslos alle Wetten verliert, sondern dass er partout seine Schulden nicht bezahlen will. Dennoch drängt er Mickey dazu, weitere Wetten für ihn bei Mickeys Buchhalter Artie abzuschließen.
“Während er auf dem Kings Highway nach Hause fuhr, spielte Mickey in Gedanken beide Varianten durch. Wenn er die Wette nicht abgab und die Seahawks verloren, stünde Angelo immer noch mit 1020 Dollar bei Artie in der Kreide. Wenn er die Wette abschloss und die Seahawks gewannen, würde Angelo morgen im Laden auftauchen und annehmen, seine Schulden hätten sich auf zwanzig Piepen reduziert, und Mickey müsste die tausend Dollar Unterschied gegenüber Artie ausgleichen. Mickey wäre so oder so am Arsch, und er entschied, dass er Angelos Wette irgendwie abschließen musste.“ (S. 89) 
Nachdem Mickey seinen Buchmacher immer wieder vertröstet hat, setzt Artie dem Jungen ein Ultimatum. Mickey bleibt nichts anderes übrig, als sein Gespartes anzuzapfen, um wenigstens einen Teil der Schulden zurückzuzahlen, nachdem Angelo schließlich völlig abgetaucht ist. Selbst die Freude über die Bekanntschaft mit der hübschen Rhonda währt nur kurz. Ihr Vater sieht den Umgang mit dem offensichtlichen Tunichtgut nicht gern, und schon bald geht Rhonda ihm aus dem Weg. Als sich für Mickey die Möglichkeit ergibt, bei einem todsicheren Einbruch seine Verluste wieder wettzumachen, hofft er, Rhonda zurückgewinnen zu können, doch natürlich geht auch diese Aktion fürchterlich schief …
Der New Yorker Schriftsteller Jason Starr hat sich zu einem wahren Meister darin entwickelt, sympathische Typen dabei zu beobachten, wie sie ihr eigenes Grab schaufeln oder zumindest von Tragödie zu Tragödie stolpern. Dass er dabei nie die Achtung vor seinen Figuren verliert und ihre Missgeschicke so beschreibt, als könnten sie jedem passieren, macht seine kurzweiligen Geschichten so lesenswert. In diese Tradition reiht sich das bereits 2003 vom Autor verfasste Werk mit dem programmatischen Titel „Dumm gelaufen“ nahtlos ein. Auf charmante Weise beschreibt Starr seinen an sich aufrechten Antihelden, der durch seine Gutmütigkeit unversehens in die Bredouille gerät und aus der Not heraus Dinge tut, die ihn noch tiefer in den Schlamassel reißen. Am Ende wird zwar nicht alles gut, aber zumindest einen Hoffnungsschimmer hält Starr für Mickey und seine Leser bereit.