David Baldacci – (John Puller: 1) „Zero Day“

Sonntag, 26. Januar 2014

(Heyne, 607 S., HC)
In dem kleinen Städtchen Drake in West Virginia wird Oberst Matthew Reynolds ermordet aufgefunden. Da er beim Militärischen Geheimdienst DIA für die tägliche Berichterstattung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse an den Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs verantwortlich war, wird der 35-jährige John Puller auf den Fall angesetzt. Der hochdekorierte Kriegs-Veteran und Spezialermittler der Militärstrafverfolgungsbehörde CID bekommt allerdings nur die örtlichen Polizeibehörden zur Unterstützung, um nicht die Aufmerksamkeit von FBI und den Medien zu erregen.
Nach seiner Ankunft in Drake lernt Puller nicht nur die tüchtige Polizeibeamtin Sam Cole kennen, die ihm bei den Ermittlungen tatsächlich eine große Hilfe ist, sondern auch die wenigen mächtigen Leute in Drake, die ihren Reichtum dem Kohletagebau verdanken. Nach weiteren Morden in der Stadt und Attentaten auf die beiden Ermittler steht weit mehr auf dem Spiel, als nur einen Mord an einem Armeeangehörigen aufzuklären. Wie Puller durch seinen Bruder, den wegen Hochverrats inhaftierten Atomwissenschaftler Robert, erfährt, werden die bei den Ermittlungen aufgetauchten Elemente Goldfolie und Wolframkarbid beim Bau von Nuklearsprengstoffen verwendet. In diesem Zusammenhang bekommt der abgelegene Regierungsbau mit riesiger Betonkuppel eine ganz neue Bedeutung für den Fall. Als Pullers Vorgesetzter berichtet, dass in drei Tagen mit einem terroristischen Anschlag zu rechnen ist, läuft Puller und Cole die Zeit davon.
„Falls er sterben musste, wollte er als letztes Bild seiner selbst das Bild eines Mannes in Uniform vor sich sehen, der für etwas kämpfte, für das es sich zu kämpfen lohnte. Im Irak und in Afghanistan war die Motivation naheliegend gewesen. Man kämpfte, um sein Leben zu schützen. An zweiter Stelle zählte die Zugehörigkeit zur Armee der Vereinigten Staaten im Allgemeinen und zu den Rangern im Besonderen. Drittens spielte die Verpflichtung gegenüber dem Heimatland eine Rolle. Ein Zivilist hätte diese Reihenfolge möglicherweise als verdreht erachtet, doch Puller wusste es besser. Seine Prioritäten entsprachen vollkommen dem Denken der Mehrheit aller Uniformträger, die regelmäßig die Kastanien aus dem Feuer holen mussten.“ (S. 535f.) 
Der amerikanische Bestseller-Autor David Baldacci hat zwar auch romantische Stoffe wie „Das Geschenk“ und „Das Versprechen“ verfasst, aber berühmt ist er durch seine Thriller geworden, unter denen der von Clint Eastwood verfilmte Roman „Absolute Power“ und die Reihen um den ehemaligen Secret-Service-Agenten Sean King und seine Partnerin Michelle Maxwell sowie den exklusiven Camel Club zu den bekanntesten zählen.
Mit „Zero Day“ startet nun eine weitere, diesmal im Heyne Verlag veröffentlichte Serie um den CID-Ermittler John Puller. Schnörkellos geschrieben, nimmt sich Baldacci nicht allzu viel Zeit für die Charakterisierung seiner Figuren, sondern enthüllt nur Fragmente von Pullers militärischer Vergangenheit, die ganz im Schatten seines übermächtigen Vaters steht, und seiner Beziehung zum inhaftierten Bruder, der glücklicherweise eine bedeutende Rolle bei der Aufklärung dieses ersten Falls spielen darf. Diese knappen Einblicke in die Vergangenheit des CID-Spezialermittlers lassen natürlich Freiräume für die kommenden Romane, aber im Vordergrund steht ohnehin der Fall, der alles zu bieten hat, was sich Thriller-Freunde wünschen – eine abgelegene Stadt mit einer eingeschworenen Gemeinschaft, einen undurchsichtigen Mordfall ohne ersichtliches Motiv, Indizien und Beweise, die mehrere Deutungsmöglichkeiten offenlassen, und ein wendungsreicher Showdown, der neugierig macht auf die weiteren Fälle von John Puller.
 Leseprobe David Baldacci - "Zero Day"

Joe Hill – „Christmasland“

Sonntag, 5. Januar 2014

(Heyne, 800 S., HC.)
Mit seinen ersten beiden Romanen „Blind“ und „Teufelszeug“ hat sich Joe Hill schon früh aus dem mächtigen Schatten seines Vaters Stephen King lösen und als äußerst origineller Horror-Autor etablieren können. Mit seinem neuen Werk „Christmasland“ liefert er nun sein Magnus Opus ab, eine 800-seitige Saga, in der sich gleich mehrere Themen aus dem Universum seines Vaters wiederfinden.
In den 90er Jahren hat Charles Talent Manx III Dutzende in seinem alten Rolls-Royce von Kindern entführt, um sie an einen Ort zu bringen, wo das ganze Jahr über Weihnachten herrscht. Zusammen mit seinem ebenfalls psychisch derangierten Handlanger Bing Partridge, der mit Gasmaske maskiert und aromatisierten Betäubungsgas bewaffnet die ausgesuchten Opfer ins sogenannte Christmasland brachte, ließ Manx über die Jahre in verschiedenen Bundesstaaten unter jeweils mysteriösen Umständen Kinder und ihre Mütter verschwinden, bis er eines Tages gefasst, verurteilt und ins Gefängnis gesteckt wurde, wo er allerdings 2001 ins Koma fiel.
Im Dezember 2008 kam Manx in der Dauerpflegestation im Hochsicherheitsspital des FCI Englewood allerdings unerwartet wieder zu sich, um seine Jagd nach vermeintlich unglücklichen Kindern und ihren unwürdigen Müttern fortzusetzen. Allerdings findet er in Victoria McQueen eine versierte Gegenspielerin. In ihrer Kindheit verfügte sie über die beachtliche Gabe, verlorene Dinge wiederzufinden, indem sie sich auf ihr Raleigh-Tuff-Burner-Fahrrad schwang, hinter dem Haus den Hügel hinunterratterte und über die Shorter Way Bridge auf unerklärliche Weise genau dort landete, wo das verschollene Ding zu finden war. Sie war das einzige Mädchen, das den Fängen des Weihnachtsmörders entkommen konnte, allerdings bezahlte sie dieses traumatische Erlebnis mit Wahnvorstellungen, die sie in die Nervenklinik brachten, nachdem sie ihr Haus abgebrannt hatte. Doch 2011 bekommt Vic unerwarteten Besuch von Maggie Leigh, einer stotternden Bibliothekarin, die das Mädchen damals mit seiner besonderen Gabe vertraut gemacht hatte. Als Maggie verkündet, dass die Leiche von Manx verschwunden ist, will Vic nicht wahrhaben, dass die Jagd von Neuem beginnt.
„Vics Wut drohte überzukochen, und sie wollte Maggie damit verbrennen. Nicht nur versperrte Maggie ihr den Weg zu ihrer Haustür und brachte mit ihrem irren Gerede Vics Wahrnehmung der Realität und ihre hart erkämpfte Zurechnungsfähigkeit ins Wanken. Nein, sie gönnte ihr auch nicht die Erleichterung angesichts von Manx‘ Tod. Charlie Manx, der Gott weiß wie viele Kinder entführt hatte, der Vic selbst gekidnappt, gequält und beinahe getötet hatte – Charlie Manx lag unter der Erde. Vic war ihm endlich entkommen. Aber die verdammte Margaret Leigh wollte ihn wieder zurückholen, ihn ausgraben, damit Vic sich weiter vor ihm fürchten musste.“ (S. 334) 
Als sich Vic endlich der Wahrheit stellt, lässt sie sich nicht mehr von ihrem Vorhaben abbringen, Manx endgültig zur Strecke zu bringen. Mit der Entführung ihres Sohnes in sein Christmasland hat er den Bogen nämlich deutlich überspannt…
„NOS4A2“ hat Joe Hill seinen dritten in Deutschland veröffentlichten Roman zunächst etwas kryptisch anmutend betitelt, aber die Bedeutung des Rolls-Royce-Nummernschilds als „Nosferatu“ beschreibt treffend, worum es in „Christmasland“ geht, denn offensichtlich zieht sich Charlie Manx sein Lebenselixier aus den Kindern, die er in sein unheimliches Christmasland bringt.
Was den epischen Roman dabei auszeichnet, ist nicht allein die moderne Variation des ewig faszinierenden Vampir-Themas, sondern der Kampf des Guten gegen das Böse. Hier tauchen Motive aus Stephen Kings „Christine“ ebenso auf wie aus seinen Romanen „Es“, „Shining“ oder „Das letzte Gefecht“, aber auch Ray Bradbury lässt mit „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“ grüßen. Dabei lebt die Geschichte von ihren faszinierenden Hauptfiguren, den bösartigen Häschern Charlie Manx und Bing Partridge auf der einen Seite und Vic „das Gör“ McQueen mit ihrer Familie auf der anderen. Über eine Zeitspanne von über 25 Jahren mit verschiedenen – nicht immer einfach nachzuvollziehenden - Rückblenden, Zeitsprüngen und Ortwechseln hinweg folgen Manx und Vic ihren Lebenswegen, um dann aufeinanderzutreffen, sich aus den Augen zu verlieren, bis sich für einen alles entscheidenden Kampf erneut ihre Wege kreuzen.
Diese wendungsreiche, spannende Geschichte entbehrt nicht einiger recht skurriler Einfälle, dokumentiert aber eindrucksvoll, dass Hill schon jetzt zu den einfallsreichsten modernen Horror-Autoren gezählt werden muss, der hoffentlich ebenso produktiv wird wie sein alter Herr.
Leseprobe Joe Hill – “Christmasland”