Fabio Volo – „Seit du da bist“

Sonntag, 29. Oktober 2017

(Diogenes, 311 S., Pb.)
Der ungefähr vierzigjährige Nicola ist überzeugter Single und Schürzenjäger. Als sein Freund Mauro daheim seine Freundin Michela mit einem anderen Mann im Bett erwischt, unternehmen die drei Freunde Mauro, Nicola und der verheiratete Sergio wie in früheren Zeiten einen gemeinsamen Trip nach Rom. Dort lernt Nicola die umwerfende Sofia aus Bologna kennen. Er ist hin und weg von ihr, obwohl sie ganz anders ist als die Frau, von der er immer geträumt hatte. Nachdem sie die Wochenenden gemeinsam entweder in Mailand oder bei ihr in Bologna verbracht haben, zieht Sofia zu Nicola in seine kleine Dachwohnung im Zentrum von Mailand. Doch die anfängliche Euphorie über das unvorstellbare Liebesglück weicht dem anstrengenden Alltag, als Sofia schwanger wird und Leo fortan den Tagesablauf bestimmt.
Über das Kümmern um das Baby verlieren sich Nicola und Sofia aus dem Blick, die Leidenschaft und das Vertrauen verkümmern über den kleinen Lebenslügen, mit denen sich Nicola seine Freiräume erkämpft, bis er sich auf dem Sofa seines Freundes Mauro wiederfindet.
„Von dem Leben, das uns erwartete, hatten wir eine völlig falsche Vorstellung. Ich dachte, bis auf ein bisschen Durcheinander und wenig Schlaf würde alles so weitergehen wie zuvor, vor allem meine Beziehung zu Sofia.
Wenn uns Freunde ihre Horrorgeschichten erzählten, dachten wir immer, so etwas könnte uns nicht passieren. Wir waren ja nicht wie sie. […] Keiner von uns beiden hätte sich je vorstellen können, irgendwann einen völlig Fremden vor sich zu haben.“ (S. 149) 
Der in Mailand lebende Autor, Schauspieler und Moderator Fabio Volo hat bereits in seinen früheren Bestsellern wie „Lust auf dich“, „Noch ein Tag und eine Nacht“, „Zeit für mich und Zeit für dich“ und „Einfach losfahren“ auf humorvolle, leichtfüßige aber auch lebensnahe Weise von den Herausforderungen im Leben und vor allem in der Liebe geschrieben. Und auch das aus der Perspektive seines Protagonisten Nicola geschriebene „Seit du da bist“ wirkt wie das authentische Dokument einer wunderbaren Verwandlung, diesmal eines überglücklichen Liebespaares zu einem Familientrio, in dem das Neugeborene fortan die ganze Aufmerksamkeit für sich beansprucht.
Zwar sind es vor allem Nicolas Gedanken und Gefühle, die der Leser vermittelt bekommt, aber die von ihm geschilderten Eindrücke und Empfindungen entsprechen bei aller persönlichen Note doch generell den Herausforderungen, die Liebespaare durch die Geburt eines Kindes meistern müssen. Einfühlsam lässt Volo seinen männlichen Protagonisten zunächst in Erinnerungen an das erste Kennenlernen und die folgenden leidenschaftlichen Begegnungen zwischen Nicola und Sofia schwelgen, um dann der Frage auf den Grund zu gehen, wie die beiden zu den Menschen geworden sind, die sich kaum noch etwas zu sagen haben, die ständig übernächtigt, gereizt und erschöpft sind, nicht mehr willens, auf den anderen zuzugehen, ihn zu verstehen oder gar noch zu begehren.
Es ist eine Achterbahn der Gefühle, die der Italiener in „Seit du da bist“ inszeniert, wobei er mit sehr lebendigen Dialogen auch Sofias Sicht auf die Dinge einbringt und zum Ende hin wundervoll beschreibt, wie Nicola und Sofia wieder die Kurve bekommen.
Zu dieser Leichtigkeit, mit der die großen Fragen des Lebens thematisiert werden, ist auch nur Fabio Volo in der Lage.
Leseprobe Fabio Volo - "Seit du da bist"

Sascha Lemon – „Schattenbrandung“

Samstag, 28. Oktober 2017

(books2read, 282 S., eBook)
Die Hobby-Fotografin Lena Kastor plagt das schlechte Gewissen. Statt zuhause bei ihrer Familie zu sein, hat sie vorgegeben, für ihr Fotobuchprojekt zu den Dragonfalls-Klippen zu fahren. Tatsächlich hat sie sich mit ihrem Liebhaber Jake im Hotel „Noble Inn“ vergnügt. Nun erkundigt sich ihr Mann Jo am Telefon nach ihrer gemeinsamen Tochter Jenna. Tags zuvor hatte Lena ihr noch verboten, auf eine Party zu gehen, um zu vermeiden, dass sie sich auf den windigen Mädchenschwarm Todd Rhioghan einlässt. Allerdings ist das Teenager-Mädchen am Samstagmorgen nirgends aufzufinden, weder zuhause noch bei ihrer Freundin Amy.
Jennas Verschwinden spitzt die unterschwellige Krise in der Kastor-Familie weiter zu. Seit Lena ihren Job wegen der Kindererziehung aufgegeben hat und mit ihrer Familie von Hamburg nach Schottland gezogen ist, wo sich der Firmensitz von Jos Brötchengeber befindet, bricht die Familie zunehmend auseinander. Lenas volljähriger Bruder Eric wird wegen der Suche nach ihr gar nicht erst benachrichtigt. Er ist zum Studium nach Edinburgh gezogen, verliert wegen seiner Unzuverlässigkeit aber sowohl seinen Kellner-Job als auch das Praktikum bei der Zeitung. Seine finanzielle Misere scheint er nur beheben zu können, indem er für den Drogendealer Michael Fitzpatrick arbeitet, der auch Erics eigenen Pillenkonsum sicherstellt.
Während die Polizei noch nicht tätig wird, machen sich Jo und Lena selbst auf die Suche nach ihrer Tochter. Dabei will Jake unbedingt bei Lena bleiben, während sich Jo in Amys Mutter Caitlyn verguckt hat. Nach einem unglücklichen Todesfall macht sich Gewalt und Verzweiflung in der schottischen Provinz Groom breit, und vor allem Lena hegt den Verdacht, dass Jennas Verschwinden der prekären familiären Situation geschuldet ist …
„Jenna hatte einem völlig Fremden gegenüber ausgesprochen, was mir, Eric und sicher auch Jo längst hätte klar sein müssen: Wir waren als Familie gescheitert. Jenna muss verstanden haben, dass die Affäre zwischen Jake und mir eine Folge dieses Scheiterns war. Vielleicht hatte sie geglaubt, dass ich der Realität mit einem anderen Mann entfloh, um dem Schmerz zu entgehen, der zu Hause auf mich wartete.“ (Pos. 3065) 
Vor einem halben Jahr erst hat Sascha Lemon mit dem Hamburg-Krimi „Blutiger Nebel“ sein Debüt als Schriftsteller gefeiert. Mit „Schattenbrandung“ legt er nun schon sein Zweitwerk nach und verlegt den Schauplatz seines Thrillers von Hamburg an die schottische Nordseeküste. Die Handlung, die sich über nicht mal dreihundert Seiten entfaltet, bildet nur ein Wochenende in der Kastor-Familie ab und beschreibt scharfsichtig die Abgründe eines Dramas, das durch das Verschwinden der Teenager-Tochter Jenna ausgelöst wird.
Dabei wird deutlich, wie sehr sich vor allem die Ich-Erzählerin Lena und ihr als Security-Chef auf einer Bohrinsel arbeitende Mann Jo seit dem Umzug von Hamburg nach Schottland einander entfremdet haben und ihre erotischen Bedürfnisse auf andere potentielle Partnern projizieren. Während Lena den Ehebruch aber schon praktisch vollzogen hat, beschränkt sich das Fremdgehen ihres Mannes Jo noch auf eine Schwärmerei, die allerdings auch ihre Probleme bereithält.
Etwas abseits kämpft Eric in Edinburgh mit ganz eigenen, ebenso handfesten Schwierigkeiten, stößt aber ebenso wie Lenas Mutter später zu den tragischen Geschehnissen rund um sein altes Zuhause. Da das Figuren-Ensemble sehr übersichtlich bleibt, kann sich der Autor ausgiebig mit den Befindlichkeiten der einzelnen Kastor-Familienmitglieder widmen, wobei er ein großes psychologisches Einfühlungsvermögen demonstriert. Geschickt führt er die einzelnen Fäden der Handlung am Ende zusammen, bereichert den an sich wenig spektakulären Plot um den Hauch eines weiteren geheimnisvollen Todesfalls und sorgt nicht zuletzt mit lebendigen Dialogen und authentisch wirkenden Settings, die durch das stimmungsvolle Buchcover wunderbar abgebildet werden, für durchgehend spannende, für einen Thriller überzeugend tiefgründige Unterhaltung.

John Williams – „Nichts als die Nacht“

Montag, 23. Oktober 2017

(dtv, 157 S., HC)
Da der 24-jährige Arthur Maxley wöchentlich einen Scheck von dem Anwalt seines Vaters bekommt, kann er sich in San Francisco ganz dem Müßiggang und den Partys widmen. Statt sich auf das Studium zu konzentrieren, trinkt der junge Mann abends regelmäßig einen über den Durst. Der überraschende Besuch seines Vaters in der Stadt wühlt allerdings alte Wunden auf. Vor drei Jahren besuchte Arthur noch das College in Boston, bis ein tragischer Vorfall in der Familie den Vater durch die Welt, nach Australien und Südamerika ziehen ließ, nächste Station Bombay. Die Zeit bis zur Abreise will er gern nutzen, um das unterkühlte Verhältnis zu seinem Sohn zu verbessern, indem er beispielsweise seine Kontakte nutzen könnte, um Arthur einen Studienplatz zu verschaffen. Doch Arthur vermag sich aus seiner Lethargie nicht zu lösen, und als er die junge weibliche Begleitung seines Vaters kennenlernt, ist jeder weitere Versuch einer Annäherung endgültig zum Scheitern verurteilt.
Stattdessen zieht der junge Mann weiter ziellos durch die Straßen und Bars, muss einen Kommilitonen in die Schranken weisen, der den solventen Arthur um ein Darlehen anbettelt, lernt eine junge Frau kennen, für die er zunächst eine tiefe Zuneigung entwickelt, doch dann brechen die Erinnerungen an seine Mutter überraschend an die Oberfläche seines Bewusstseins und führen zu einem erschütternden Gewaltexzess.
„Warum war er an diesen Ort gekommen? Dies war keine Zuflucht, und er hatte das auch geahnt. Welch sinnloser Umstand hatte ihn weiter und weiter geführt, tiefer und immer tiefer hinein in etwas, das ihm nun wie ein verschlungenes Labyrinth vorkam, das frei von jeglicher Ordnung und Bedeutung schien?
Dann aber glaubte er plötzlich, dass ihm nie ein Vorwurf für das gemacht werden konnte, was immer ihm auch im Laufe seines Lebens widerfuhr.“ (S. 90) 
Nicht mal einen Tag im Leben von Arthur Maxley, des Protagonisten in John Williams‘ Schriftsteller-Debüt aus dem Jahre 1948, deckt die Geschichte in „Nichts als die Nacht“ ab, aber die kurze Zeitspanne aus dem Leben des jungen Tunichtguts reicht vollkommen aus, die Tragödie abzubilden, die vor drei Jahren ihren Lauf nahm, die Maxley-Familie brutal auseinanderreißen sollte und den Sohn traumatisiert und ohne Ambitionen im Leben zurückließ.
Was damals genau geschah, erfährt der Leser erst zum Ende der verstörenden Novelle – bis dahin muss er sich mit einer aus Andeutungen und Erinnerungsfetzen gespeisten Ahnung begnügen und dem ziellosen Treiben des Maxley-Jungen folgen, das sich auf Spaziergänge, Partys, Alkoholexzesse und Nachtclubs zu beschränken scheint. Dass „Nichts als die Nacht“ wie ein von Edgar Allan Poe, Nathaniel Hawthorne und Ambrose Bierce inspirierte Schauergeschichte wirkt und an die Existentialisten Albert Camus und Jean-Paul Sartre denken lässt, ist vor allem der düsteren Entstehungsgeschichte geschuldet.
Williams trat Anfang der 1940er Jahre dem Army Air Corps bei und schrieb das Stück, als er mit Anfang 20 nach einem Flugzeugabsturz schwer verletzt wochenlang im burmesischen Dschungel festsaß. Da kann es kaum verwundern, dass die Erzählung von Einsamkeit, Verlust, Paranoia und Gewalt geprägt ist, von Orientierungs- und Ziellosigkeit, von Traumata und Delirien.
Für einen jungen Debütanten ist die Geschichte zunächst nur oberflächlich interessant, schließlich bieten die Reflexionen eines gelangweilten jungen Müßiggängers wenig Neues. Doch wie in sehr kurzer Zeit die gesellschaftlichen Konventionen durch Arthur Maxley aufgebrochen werden und er in einen bizarrer werdenden Strudel aus Gewalt gerät, ist sprachlich sehr ausdrucksstark inszeniert worden und vermag auch gut siebzig Jahre nach der Entstehung durch seine unmittelbare Intensität zu fesseln.
In seinen späteren Meisterwerken „Stoner“ und „Butcher’s Crossing“ verfeinerte Williams seine Erzählkunst, doch als Dokument seiner frühen schriftstellerischen Begabung und Berufung ist „Nichts als die Nacht“ von unschätzbarem Wert.
 Leseprobe John Williams - "Nichts als die Nacht"

Irvine Welsh – „Kurzer Abstecher“

Freitag, 20. Oktober 2017

(Heyne, 272 S., Pb.)
Jim Francis hat sich in Kalifornien mit seiner Frau, der Kunsttherapeutin Melanie, und den beiden gemeinsamen Töchtern Grace und Eve als erfolgreicher Künstler ein komfortables Leben eingerichtet. Als er einen Anruf seiner Schwester Elspeth erhält, die ihn zur Beerdigung seines – aus der Beziehung mit June stammenden - Sohnes Sean einlädt, wird er mit einem Mal an seine weniger ruhmreiche Vergangenheit erinnert, als er unter seinem bürgerlichen Namen Francis James Begbie in Edinburghs Viertel Leith mit seinen Kumpels auf die schiefe Bahn geraten war und er für einige Jahre in den Bau wanderte.
Da Sean Opfer eines Gewaltverbrechens wurde, macht sich Francis in seiner alten Heimat auf die Suche nach dem Täter und bekommt von David „Tyrone“ Power den Namen des Gangsters Anton Miller zugeflüstert, mit dem sich Sean eingelassen haben soll.
Gegen jeden gutgemeinten Ratschlag setzt Francis sein bürgerliches Leben aufs Spiel und räumt in den Straßen und an der Werft ordentlich auf.
„Frank Begbie betritt vertrautes Terrain. Es ist die Sorte von Dominanz, die er immer schon besonders verführerisch fand. Das erhebende Gefühl, anderen harten Kerlen ihre Macht und ihr Selbstvertrauen zu rauben. Tief in seinem Inneren flammt erwartungsvolle Begeisterung auf. Doch es ist wichtig, sich diesem Gefühl nicht hinzugeben. Nicht seine Stimme zu erheben.“ (S. 142) 
Seit seinem internationalen Durchbruch mit dem Debütroman „Trainspotting“ ist der schottische Schriftsteller Irvine Welsh immer wieder zu seinen Helden Mark Renton, Francis Begbie, Sick Boy und Spud zurückgekehrt, hat die Geschichte in „Porno“ weitergeschrieben und in „Skagboys“ die Vorgeschichte erzählt. „Kurzer Abstecher“ stellt dagegen eine Art Spin-Off dar, konzentriert sich als ungewöhnlich kurzer Roman ganz auf die Figur von Francis Begbie/Jim Francis und seine scheinbare Verwandlung eines Soziopathen zum geläuterten Künstler.
Im Gegensatz zu früheren Werken verzichtet Welsh hier auf detaillierte Milieubeschreibungen, stellt aber durchaus immer wieder die beiden konträren Welten, in denen sich Francis bewegt, gegenüber. Welsh inszeniert mit „Kurze Abstecher“ eine rasante One-Man-Show, in der Francis von Beginn an mit seinen gewalttätigen Trieben zu kämpfen hat. Noch bevor er den besagten Anruf aus Schottland bekommt, macht er mit den beiden Kerlen, die Melanie und die Kinder am Strand belästigen, kurzen Prozess – ohne dass seine Familie etwas davon mitbekommt. In Schottland muss er weniger rücksichtsvoll agieren. In psychologischer Hinsicht ist dabei spannend, wie Francis Begbie immer wieder sich selbst die Frage beantworten muss, ob er durch seinen Rachefeldzug sein Familienglück aufs Spiel setzen will. Die Brutalität, mit der er allerdings zu Werke geht, um alle Gangster auszuschalten, die irgendwie mit dem Mord an Sean zu tun hatten oder Francis in die Enge treiben wollen, spricht eine eindeutige Sprache. Welsh macht es wie seinem Protagonisten mächtig Spaß, die gerechtfertigt erscheinende Brutalität auszukosten, mit der Francis seine Widersacher ausschaltet.
„Kurzer Abstecher“ bietet kurzweiligen Action-Thrill, der immer wieder von Welshs typisch schottischen Humor durchdrungen ist, der in den spritzigen Dialogen zum Ausdruck kommt.
Bei so viel Tempo kommt der Leser gar nicht dazu, Begbies frühere Weggefährten zu vermissen.
Leseprobe Irvine Welsh - "Kurzer Abstecher"

David Lagercrantz (nach Stieg Larsson) – (Millennium: 5) „Verfolgung“

Montag, 16. Oktober 2017

(Heyne, 480 S, HC)
Nachdem Lisbeth Salander sich in das Drama um die Ermordung eines Professors eingemischt, daraufhin einen achtjährigen autistischen Jungen bei sich versteckt und schließlich die Zusammenarbeit mit der Polizei verweigert hatte, wurde sie zu zwei Monaten Haft im Gefängnis von Flodberga verurteilt. Dort hat selbst der Leiter des Sicherheitstrakts, Alvar Olsen, Angst vor der herrischen Gefangenen Benito Andersson, die es mit ihrer Gang vor allem auf die junge Muslimin Faria Kazi abgesehen hat. Doch erst als Benito ihrem Opfer lebensbedrohlich nahekommt, greift Lisbeth ein und weist die skrupellose Benito ebenso brutal in die Schranken.
Durch diesen Zwischenfall gelingt es ihr, an den Computer des eingeschüchterten Olsen zu kommen und Nachforschungen in eigener Sache zu betreiben: Bei einem seiner seltenen Besuche im Krankenhaus hat Lisbeths alter Mentor, der mittlerweile schwerkranke Holger Palmgren, Unterlagen erwähnt, die darauf hindeuten, dass Lisbeth in ihrer Kindheit Opfer des Missbrauchs durch die Behörden geworden ist.
Zusammen mit Mikael Blomkvist, der durch seine Story über die Verbindung der NSA-Führungsebene mit dem organisierten Verbrechen in Russland die „Millennium“-Zeitschrift wieder populär gemacht hat, versucht sie herauszufinden, welche Verbindung zwischen ihr und dem erfolgreichen Finanzanalysten Leo Mannheimer besteht. Das geplante freie Wochenende vor dem Druck der neuen „Millennium“-Ausgabe fällt für Blomkvist also aus, doch zwischen seinen nur langsam vorankommenden Nachforschungen findet er immerhin noch Zeit, sich mit seiner alten Geliebten Malin Frode zu treffen, die ebenso wie Mannheimer bei der Investmentgesellschaft von Alfred Ögren gearbeitet hatte und nun Pressesprecherin im Außenministerium ist.
„Er war hin- und hergerissen und wusste nicht, was er als Nächstes tun sollte. Lisbeth eine verschlüsselte Nachricht schicken? Ihr berichten, worauf er gestoßen war? Leo Mannheimer konfrontieren, um herauszufinden, ob er auf der richtigen Spur war?
Er trank noch einen Espresso und fühlte plötzlich, wie sehr er Malin vermisste. Wie eine Naturgewalt war sie in null Komma nichts in sein Leben gewirbelt.“ (S. 265) 
Mit seiner auch sehr erfolgreich verfilmten, posthum ab 2005 veröffentlichten „Millennium“-Trilogie hat der schwedische, 2004 an einem Herzinfarkt verstorbene Schriftsteller Stieg Larsson die skandinavische Krimi-Szene ordentlich aufgemischt. Dass von den immerhin zehn geplanten Bänden letztlich nur ein knappes Drittel erscheinen konnte, nahm sich David Lagercrantz der Herausforderung an, die „Millennium“-Reihe fortzusetzen. Zwar konnte der 2015 veröffentlichte vierte Band „Verschwörung“ kaum an das Niveau von Larssons packenden Erzählungen heranreichen, aber doch die dem Publikum ans Herz gewachsenen Figuren von Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist mit glaubwürdigem Leben erfüllen.
Im nunmehr fünften Band „Verfolgung“ verknüpft Lagercrantz wieder verschiedene Erzählstränge. Es geht um eine Jagdgesellschaft bei Alfred Ögren, bei der der Psychologe Carl Seger ums Leben gekommen ist, um die Trennung von eineiigen Zwillingen, die zu Forschungszwecken bei gänzlich verschiedenen Adoptiveltern aufwuchsen, um die Qualen, die Faria Kazi in ihrer Familie erleiden musste, weil sie sich mit einem Jungen verabredet hatte, und natürlich um Lisbeths Kindheit, deren Geheimnis nun aufgeklärt wird.
Zwar springt der Autor mit Rückblicken immer mal wieder anderthalb Jahre zurück und schlägt überhaupt recht viele Haken in seinem vielschichtigen Plot, doch bleibt die Spannung dabei stets auf einem hohen Niveau. Leider bleiben bei so vielen Erzählsträngen die Figuren etwas blass. Sowohl Lisbeth Salander als auch Mikael Blomkvist sind immer irgendwie beschäftigt, ihre emotionalen Tiefen werden dabei kaum ausgelotet. Dennoch bietet „Verfolgung“ packenden Thrill, der das „Millennium“-Erbe durchaus würdig fortführt. 
Leseprobe David Lagercrantz - "Verfolgung"

Konstantin Sacher – „Und erlöse mich“

Samstag, 14. Oktober 2017

(Tempo, 233 S., HC)
Ein junger Ich-Erzähler, der anonym bleiben und deshalb auch nicht preisgeben will, wo er lebt, wendet sich hilfesuchend an seine Leser. Antworten wünscht er sich von ihnen, vor allem auf die Fragen: „Was soll ich von mir halten? Bin ich so sehr Egoist, dass ich nur noch mich selbst sehe?“ Um dies beurteilen zu können, berichtet der Autor von den letzten zwei Jahren seines Lebens, von seiner großen Liebe Sarah, aber auch von den Beziehungen davor und danach, wie er nach der gescheiterten Beziehung mit Sarah, die später bei einem Wohnungsbrand umgekommen ist, keinen normalen Sex mehr mit Frauen haben konnte, nur in den Po und ohne Kondom – normaler Sex hat ihn nicht mehr genug erregt. Und dann ist da noch die Sache mit der Religion. Noch bevor der Erzähler in die Details seiner ständig wechselnden Sex-Beziehungen geht, thematisiert er seinen christlichen Glauben, der zu einer Grundidee in seinem Leben zählt.
Doch bevor er sich intensiver mit seinem Glauben auseinandersetzt und seine Gedanken diesbezüglich seinen Lesern mitteilt, berichtet der Erzähler von seinem bisherigen Leben, der Kindheit in wohlhabenden Verhältnissen in einer Kleinstadt und seiner Babysitterin Jennifer, die „einen wunderbaren Hintern und tolle, große Brüste“ hatte.
Es folgen Erinnerungen über Ausflüge mit seinen Jungs zu wilden Partys und in den Puff, über One-Night-Stands und verschiedene Sex-Praktiken. Er spürt, dass ihn das wahllose Gerammel seelisch aushöhlt, doch selbst in festen Beziehungen kann er nicht von anderen Frauen ablassen. Um mit sich ins Reine zu kommen, sich selbst zu finden, folgt er dem Aufruf einer Hippie-Kommune auf einer spanischen Insel und besucht auch in der Woche Gottesdienste, freundet sich mit Pater Sebastian an und hilft ihm bei der Betreuung von Obdachlosen. Doch keinen dieser Selbstfindungstrips zieht er bis durch, sein Straucheln und seine Suche führen ihn nur zur nächsten Frau und schließlich doch wieder zum Glauben …
„Die Liebe, die einem genommen wurde, und die eigene Liebe, die ins Leere läuft, sind schlimmer als alles andere. Wenn mir die Liebe entzogen wurde, dann hilft nur noch der Glaube daran, dass sie zurückkommt, und die Hoffnung, dass der Glaube stimmt.
Es bleiben nur Glaube, Hoffnung und Liebe; und die Liebe ist garantiert nicht die größte unter ihnen!“ (S. 211) 
„Und erlöse mich“ ist der Debütroman des bei Frankfurt am Main lebenden evangelischen Theologen Konstantin Sacher und wirkt zunächst wie eine oberflächliche Schilderung wahllos aneinandergereihter sexueller Begegnungen, bei denen kein tiefes Gefühl im Spiel ist, nur fleischliche Lust und ihre Befriedigung. Die schnörkellose Prosa erinnert ein wenig an den Horror-Porn-Stil des US-amerikanischen Schriftsteller Richard Laymon („Der Keller“, „Die Jagd“), nur fehlt bei Sacher sowohl eine dramaturgische Spannung als auch die Möglichkeit zur Identifikation mit dem Erzähler, dem man im wirklichen Leben bestimmt nicht begegnen möchte.
Leider bekommt Sacher zum Ende hin auch nicht die Kurve zu einer überzeugenden Selbstreflexion. Zwar ist dem Erzähler bewusst, wie oberflächlich und moralisch verwerflich sein Verhalten gewesen ist, aber die dann doch etwas abrupt einsetzende und ausschweifende Darlegung seines Glaubens wirkt wie ein konstruierter Bruch und nicht wie die konsequente Folge einer konstruktiven Auseinandersetzung mit seinem bisherigen Lebenswandel.

Joe R. Lansdale – (Hap & Leonard: 9) „Krasse Killer“

Sonntag, 8. Oktober 2017

(Golkonda, 380 S., Pb.)
Einen Großteil ihres Einkommens verdanken Hap Collins und Leonard Pine dem Detektivbüro von Marvin Hanson. Als dieser den Job als Polizeichef annimmt, verkauft er seinen Laden an Haps Lebensgefährtin Brett – mit Hap und Leonard als ihre Vollzeitangestellten. Bei ihrem ersten Auftrag sollen die beiden Freunde für die betagte Dame Lilly Buckner ihre Enkelin Sandy finden, die ihr einst 50.000 Dollar und Wertpapiere aus dem Safe geklaut hatte, Journalismus studierte und vor fünf Jahren spurlos verschwunden ist.
Das Ermittler-Duo sucht das Autohaus Frank’s Unique Used Cars auf, wo offensichtlich nicht nur außergewöhnliche Autos, sondern mit ihnen auch exklusive Models angeboten werden, die mit ihren wohlhabenden Kunden kostspielige Reisen unternehmen, dabei gefilmt und schließlich erpresst werden. Unwillige Kunden werden, so bringen Hap und Leonards Informanten ans Tageslicht, von einem sogenannten Knipser mit einem Draht ums Leben und ihre Eier gebracht.
Doch hinter dem ganzen Unternehmen stecken weit skrupellosere Gangster der Dixie-Mafia, denen bereits das FBI auf den Fersen ist. Mit der Verstärkung von Haps alter Bekannten Vanilla Ride und den furchtlosen Booger und Jim Bob begeben sich Hap und Leonard schließlich in die Höhle des Löwen, um nicht selbst erneut ins Visier des Mobs zu gelangen, der längst eigene Anstrengungen unternommen hat, die hartnäckigen Jungs auszuschalten …
„Auf den Regalen waren auch viele alte, billig gerahmte Fotos aufgestellt. Völlig verstaubt, zeigten sie verschiedene Leute, die sich alle ähnlich sahen. Familienfotos, abwechselnd mit eingelegten Hoden. Schöne Erinnerungen, so richtig heimelig. Ich beugte mich vor und sah mir die Fotos genauer an. Es waren Fotos von aufgebahrten Toten, Männer im Anzug, Frauen im langen weißen Kleid, vielleicht sogar immer der gleiche Anzug, das gleiche Kleid für alle. Das erinnerte mich an viktorianische Fotografien von Toten, damals hatte man den kürzlich Verstorbenen ihre Sonntagsklamotten angezogen und sie so fotografiert.“ (S. 340) 
Als hätten Hap und Leonard mit ihrem zunehmend gefährlicheren Auftrag nicht genug zu tun, wird Hap auch noch mit der Bekanntschaft des jungen Mädchens Chance konfrontiert, das behauptet, Haps Tochter zu sein …
Auch in seinem neunten Band bleibt sich Joe R. Lansdale in seiner erfolgreichen Reihe um den weißen heterosexuellen Kriegsdienstverweigerer Hap und den schwarzen, homosexuellen Vietnamveteran Leonard treu, die mittlerweile auch in einer von den Amazon Studios produzierten Fernsehserie ihr Unwesen treiben dürfen.
In „Krasse Killer“ wird die Vorgeschichte der beiden Buddys nicht weiter thematisiert, aber ihre unterschiedlichen sexuellen Neigungen bieten zwischen den beiden schlagkräftigen Spaßvögeln immer wieder witzigen Gesprächsstoff, ebenso ihr Verhältnis zur Gewaltanwendung. In ihrem neuen Abenteuer haben es Hap & Leonard nicht nur mit der obligatorischen Suche nach einer Vermissten zu tun, sondern sie legen sich zunächst mit einer Biker-Gang und schließlich mit der Dixie-Mafia an, ohne ihrem eigentlichen Ziel wirklich nahezukommen. Diesen Plot inszeniert Lansdale mit so viel Witz, Tempo und Action, dass das Buch nach einer Verfilmung nur so schreit – wenigstens in einer Staffel der dazugehörigen Amazon-Serie.
Vor allem das Finale hat es in sich und bringt dabei auch zutiefst menschliche Regungen zutage. Toll!

Jo Nesbø – (Harry Hole: 11) „Durst“

Freitag, 6. Oktober 2017

(Ullstein, 624 S., HC/eBook)
Um mehr Zeit für seine Familie zu haben, hat sich Spezialfahnder Harry Hole aus dem aktiven Dienst zurückgezogen und einen Job als Dozent an der Polizeihochschule Oslo angenommen, wo er als prominenter Spezialist für Serienmorde den Polizeinachwuchs in seinen Vorlesungen und Seminaren an die Ermittlungsarbeit heranführt. Doch dann wird Holes Jagdinstinkt geweckt, als er von den Vampiristenmorden erfährt, die schnell die nationalen, dann auch internationalen Schlagzeilen bestimmen.
Der Täter scheint seine weiblichen Opfer über die Dating-Plattform Tinder kennenzulernen und sie mit Hilfe eines Metallgebisses nicht nur tödlich zu verletzen, sondern auch ihr Blut zu trinken. Unter den Opfern befindet sich auch die Kellnerin Marte Ruud aus Harry Holes Stammkneipe.
Da Polizeichef Mikael Bellman kurz davor steht, Justizminister zu werden, will er den Fall schnell gelöst haben und lässt er eine Sondereinheit gründen, die unter Leitung von Harry Hole parallel zu der Truppe von Kriminalkommissarin Katrine Bratt ermitteln soll. Vor allem der in Akademikerkreisen belächelte Vampiristen-Experte Hallstein Smith entwickelt sich zu einer großen Hilfe bei der Jagd auf den Killer, dessen Vorgehen Hole an Valentin Gjertsen erinnert, der vor vier Jahren auf spektakuläre Weise aus dem Gefängnis ausgebrochen war und sich diversen plastischen Operationen unterzogen hatte, weshalb er bis heute untertauchen konnte.
„‚Ich glaube nicht, dass es nicht Valentin Gjertsen ist. Obwohl mir dieser Gedanke tatsächlich auch schon gekommen ist. Ein Mörder begeht zwei Morde, ohne auch nur eine Spur zu hinterlassen. Das erfordert Planung und einen kühlen Kopf. Und dann überfällt er plötzlich jemanden und verteilt wie nichts Spuren und Beweise? Das ist auffällig, als legte der Betreffende es darauf an, seine Identität preiszugeben. Und das weckt dann natürlich den Verdacht, dass uns da jemand manipulieren und auf eine falsche Fährte führen will.‘“ (Pos. 3557) 
Auch in dem elften Band seiner populären Reihe um den charismatischen Spezialermittler Harry Hole gelingt es dem norwegischen Bestseller-Autor Jo Nesbø, den Leser von Beginn an mit einem faszinierenden Fall zu fesseln, der mit ungewöhnlicher Prämisse ausgestattet ist. Durch den Vampiristen-Experten Hallstein Smith erhalten wir einen kurzen Abriss über die Vampir-Mythologie und die psychische Disposition von Vampiristen, darüber hinaus bekommen wir Einblicke in das komplexe Beziehungsgeflecht, in das Hole mit seiner Frau Rakel, ihrem Sohn Oleg, der nun auch an der Polizeihochschule studiert, und seiner Kollegin Katrine Bratt vertrickt ist, die sich gerade von ihrem Kollegen, den Kriminaltechniker Bjørn Holm, getrennt hat.
Die Ermittlungen nehmen mit jedem weiteren Mord an Fahrt auf. Dabei verdichten sich die Hinweise, dass die Polizei und die Sondereinheit an der Nase herumgeführt werden. Zum Ende hin schlägt der Plot einige schon irrwitzig anmutende Kapriolen, die sicher für dramaturgische Spannung sorgen, aber auch zu konstruiert wirken, um wirklich überzeugen zu können.
Was „Durst“ neben dem an sich interessanten Thema besonders auszeichnet, sind eher die persönlichen Aspekte, die allerdings oft nur angerissen werden, aber im Vergleich zu anderen Reihen im Thriller-Genre sind Nesbøs Figuren gut gezeichnet und verleihen dem Werk eine angenehme psychologische Tiefe.
Leseprobe Jo Nesbø - "Durst"

Andrea De Carlo – „Ein fast perfektes Wunder“

Sonntag, 1. Oktober 2017

(Diogenes, 400 S., HC)
Als ein Blackout, der den öffentlichen Verkehr, die Telekommunikation, Sicherheitssysteme und Computernetzwerke und die Stromversorgung im gesamten Stadtgebiet von Fayence in der Provence-Alpes-Côte d‘Azur lahmlegt, droht Milena Migliari auf ihren Eiskreationen sitzenzubleiben. Nachdem sie eher vergeblich versucht hat, das Eis an Passanten zu verschenken, kommt ihr der unerwartete Auftrag mehr als gelegen, zehn Kilo mit all ihren Eissorten nach Callian zu bringen. Dort versucht der Rockmusiker Nick Cruickshank, sich mit seiner Band Bebonkers auf ein Benefiz-Konzert im Aerodrom und seine Hochzeit mit der Anti-Leder-Designerin Aileen vorzubereiten, begleitet von Journalisten, einem Kameramann und einem Fotografen des „Star Life“-Magazins.
Als er von Milenas Eis kostet, ist er hin und weg, wenig später sucht der Bebonkers-Frontmann, der auf zwei gescheiterte Ehen und fünf Kinder zurückblickt, Milena in ihrer Eisdiele „La Merveille Imparfaite“.
Was in den wenigen Momenten der kurzen Begegnungen auf Nicks Anwesen in Les Vieux Oliviers und in Milenas Eisdiele mit ihnen geschieht, ist beiden Beteiligten ein Rätsel. Schließlich bereitet sich Milena mit ihrer Lebensgefährtin Viviane gerade auf die künstliche Befruchtung vor, doch ein Baby auszutragen kommt Milena momentan wenig erstrebenswert vor. Auch Nick ist sich im Unklaren über die Beziehung mit der selbstbewussten Aileen, die alles, was mit der Band zu tun hat, im Griff zu haben scheint. Überrascht von der merkwürdig intensiven Anziehung, die Milena und Nick füreinander empfinden, lassen sie sich auf etwas ein, das ihnen ebenso fremd wie selbstverständlich, aufregend und vertraut erscheint.
„Was war dieser Kuss? Ein Fluchtversuch? Ein Überrumpelungsversuch? Eine Verzweiflungstat? Er war jedenfalls etwas absolut Unerwartetes: Ihm schien, als erkenne er sie von wer weiß welchem Punkt in Zeit und Raum und erkenne auch sich selbst oder einen Teil von sich, den er verloren hatte. Oder längst nicht mehr suchte.“ (S. 304) 
Andrea De Carlo („Zwei von zwei“, „Creamtrain“) bringt in seinem neuen Roman „Ein fast perfektes Wunder“ zwei außergewöhnlich kreative Menschen zusammen, die jeder für sich in ihrem ganz eigenen Kosmos leben - Nick in der schimmernd-glitzernden Welt der Rockmusik, die ihm nicht nur viel Geld, sondern auch die Anbetung durch unzählige Fans beschert hat; Milena in ihrer Eisdiele, die sie nach ihrer Flucht vor enttäuschten Liebesbeziehungen aus Italien in die französische Provinz gegründet hat, wo sie so außergewöhnliche Eissorten wie Kaki und Brustbeere kreiert.
Minutiös schildert er abwechselnd aus Nicks und Milenas Perspektive, wie sie mit ihrem Alltag, ihren Mitmenschen und Herausforderungen umgehen, wie das Zusammentreffen zwischen ihnen etliche Fragen darüber aufwirft, ob die gegenwärtigen Lebens- und Liebesumstände so aufrechterhalten sollten.
Sprachlich präsentiert sich De Carlo einmal mehr als großer Fabulierkünstler, vor allem in der Beschreibung der Geschmacksempfindungen bei der Verkostung von Milenas Eis, aber auch in der Kartierung der Gefühlswelten und der Fragestellungen, die die Beziehung zwischen Nick und Milena begleiten. So manch ein Leser wird sich mit Freuden oder Stirnrunzeln selbst und sein (Gefühls-) Leben hinterfragen wollen. Ein größeres Lob kann man einem Autor kaum zollen. 
Leseprobe Andrea De Carlo - "Ein fast perfektes Wunder"