Posts mit dem Label Benedict Wells werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Benedict Wells werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Benedict Wells – „Hard Land“

Freitag, 26. Februar 2021

(Diogenes, 346 S., HC) 
Eigentlich haben seine Eltern geplant, den 15-jährigen Sam über den Sommer im Jahr 1985 zu Tante Eileen und seinen beiden verhassten Cousins nach Kansas zu schicken, doch um diesem Schicksal zu entgehen, nimmt der Teenager in seiner kleinen Heimatstadt Grady, Missouri, lieber einen Job in dem alten Kino „Metropolis“ an, das Ende des Jahres schließen soll. Zwar hat der zurückhaltende Sam bei seinen älteren Kollegen Cameron, Hightower und Kirstie zunächst einen schweren Stand, aber da sie gerade ihren Abschluss gemacht haben, werden sie im Herbst ohnehin aus Grady wegziehen. 
Die Stadt ist eigentlich nur für zwei Dinge bekannt: für die ominösen 49 Geheimnisse, die Gradys Besucher zu entdecken animiert werden, und den 1893 veröffentlichten Gedicht-Zyklus „Hard Land“, der für jede Junior-Klasse zum Pflichtprogramm bei „Inspector“ Mr. Parker gehört, der die Schüler den Jahresaufsatz über die „Geschichte des Jungen, der den See überquerte und als Mann wiederkam“ schreiben ließ. Hartnäckige Gerüchte besagen, dass es in all den Jahren bisher nur eine Eins für den Aufsatz gegeben habe. 
Während Sam allmählich beginnt, zu Cameron und Hightower eine freundschaftliche Beziehung aufzubauen und sich in Kirstie zu verlieben, fühlt er sich in familiärer Hinsicht nach wie vor allein gelassen. Am meisten bedrückt ihn die Krebserkrankung seiner Mutter, die einen kleinen Buchladen führt, aber durch die Therapie immer wieder sehr geschwächt ist. Sein Vater ist arbeitslos und wirkt meist sehr verschlossen, seine Schwester Jean war vor Jahren schon nach Los Angeles gezogen, um für eine Fernsehserie Drehbücher zu schreiben. Sam liebt es, mit seinen neuen Freunden über Filme und Musik zu philosophieren und mit ihnen abzuhängen, und er kann kaum seinen 16. Geburtstag abwarten, weil er dann endlich in Larrys Bar gehen darf. Doch dann hat Sam in diesem so verheißungsvoll begonnenen Sommer eine Katastrophe nach der anderen zu überstehen … 
„Jeder hatte seine Geschichte, aber es ging weiter, es kam trotzdem wieder der Sommer, und ich betrachtete die Kinder, die diskutierend auf ihren Tretrollern an mir vorbeifuhren, die alte Frau, die ihren Hund spazieren führte, und das Spinnennetz an der Bushaltestelle, das sich sanft im Wind auf und ab bewegte … Auf einmal vermischten sich all meine Erinnerungen und Gedanken zu einem einzigen Gefühl, zu einem: Es ist okay, zumindest für diesen Moment.“ (S. 317) 
Für seinen neuen Roman ließ sich der 1984 geborene Benedict Wells durch Filme inspirieren, die zur Zeit seiner Geburt großen Erfolg hatten, vor allem die Coming-of-Age-Filme von John Hughes („Das darf man nur als Erwachsener“, „The Breakfast Club“, „Pretty in Pink“, „Ist sie nicht wunderbar?“). In diesem leichten Ton, den Drehbuchautor/Regisseur/Produzent Hughes in seinen Filmen angeschlagen hat, erzählt Wells auch die Geschichte eines bemerkenswerten Sommers, den sein 15-jähriger Protagonist erlebt hat und in dem er von einem Jungen zum Mann wurde. Dazu gehört vor allem die erste große Liebe und das Fachsimpeln mit Freunden über Filme und Musik, aber auch das Verarbeiten des Verlusts von geliebten Menschen.  
Wells schreibt über eine Zeit, in der das gesellschaftliche Leben in einer US-amerikanischen Kleinstadt vor einem fundamentalen Wandel steht. Die Fabriken, die einst für Arbeit und Wohlstand gesorgt haben, sind längst geschlossen, die Menschen weggezogen oder arbeitslos, Kinos und Kneipen stehen vor dem Aus. Zwar bemüht Wells typische Filme wie George Lucas‘ „American Graffiti“ und Robert Zemeckis‘ „Zurück in die Zukunft“, webt vertraute Acts wie Billy Idol, INXS, Simple Minds und a-ha in den Plot (die er zu einer Playlist für den „Hard Land“-Soundtrack auch auf den vertrauten Musik-Streaming-Diensten zur Verfügung stellt), aber wirken diese filmischen wie musikalischen Zitate eher wie Dekoration, um der Ära, in der die Geschichte spielt, ein passendes Ambiente zu verleihen. 
Als weitaus wirkungsvoller erweisen sich die Elemente, die der Autor eigenständig in die Geschichte einfließen lässt, nämlich die „49 Geheimnisse“ (die zufälligerweise auch in der Anzahl der Kapitel widergespiegelt werden) und der an Allegorien reiche Gedicht-Zyklus, der „Hard Land“ seinen Namen verdankt. In der wiederkehrenden Auseinandersetzung sowohl mit den allmählich entschlüsselten „Geheimnissen“ als auch mit dem Gedicht-Zyklus entwickelt sich der besondere Ton der Geschichte, die an sich wenig spektakulär ist, schließlich hat jeder Jugendliche mehr oder weniger schwierige Erfahrungen mit der ersten großen Liebe, Enttäuschungen und Verlusten zu machen, deren Bewältigung zum Erwachsenwerden dazugehören. 
„Hard Land“ präsentiert sich so als absolut typische Coming-of-Age-Geschichte ohne große Überraschungen, aber mit ein paar schönen Einfällen wie die Prüfungen, die Kirstie Sam zu seinem Geburtstag aufgibt.  
Wells‘ neuer Roman ist nicht der ganz große Wurf geworden, wie der Autor nach seinen vorangegangenen Werken wie „Fast genial“ und „Vom Ende der Einsamkeit“ hoffen ließ, aber es ist wenigstens eine ebenso vergnügliche, manchmal verzaubernde wie nachdenkliche Geschichte über das Erwachsenwerden.  

Benedict Wells – „Die Wahrheit über das Lügen“

Freitag, 14. September 2018

(Diogenes, 244 S., HC)
Um mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen, hat sich der erfolgreiche Geschäftsmann Henry M. ein Ferienhaus in den Bergen gekauft, weitab vom Stress der Stadt, doch auch in der Naturidylle hängt der Familienvater mit den Gedanken beim gerade abgeschlossenen Zurbriggen-Deal und feiert den Erfolg lieber mit einer einsamen Wanderung zur Bergspitze und schafft es nicht rechtzeitig zur Geburtstagsfeier seines achtjährigen, migränekranken Sohnes zurück. Tatsächlich findet der Mann in nach seiner Rückkehr ein anderes Leben vor. „Die Wanderung“ ist eine von insgesamt zehn Geschichten, die Bestseller-Autor Benedict Wells nach den vier Romanen „Becks letzter Sommer“, „Spinner“, „Fast genial“ und „Vom Ende der Einsamkeit“ in „Die Wahrheit über das Lügen“ versammelt.
Die Geschichten haben etwas Märchenhaftes, Verträumtes und Phantastisches. So muss die verzweifelte neunundzwanzigjährige Schriftstellerin Margo Brodie zwischen der Liebe zu ihrer männlichen Muse und dem Abschließen ihres erfolgsversprechenden Romans entscheiden, spielen zwei unter ungeklärten Umständen in einem Raum eingesperrte Männer beim Tischtennis um ihr Leben, trauert eine einsame Frau um ihren Kater Richard.
Das Herzstück der Sammlung bildet allerdings die 70-seitige Titelgeschichte, in der der Filmemacher Adrian Brooks seinem Interviewer die abenteuerliche Geschichte erzählt, wie er als Pizzabote einst in den Fahrstuhl einer Krawattenfabrik stieg und sich per Knopfdruck ins Jahr 1973 katapultierte, wo er den waghalsigen Plan fasste, George Lucas die Idee zu „Star Wars“ zu stehlen.
„Jeder Kreative, nicht nur George Lucas, braucht Inspiration und stiehlt hier und da bei anderen. Das ist völlig okay, denn für den wahren Künstler steht seine eigene Schöpfung im Zentrum. Ich dagegen stahl Schöpfungen. Ich war nur ein gerissener, mieser Dieb, nichts weiter.“ (S. 176) 
In dieser gut recherchierten, wendungsreichen und atmosphärisch dichten Story führt Wells dem Leser das Kino des New Hollywood äußerst lebendig vor Augen und lässt das Schaffen von Steven Spielberg, George Lucas und Francis Ford Coppola den Rahmen für seine eigene wunderbare Geschichte bilden.
Abgerundet wird die Story-Sammlung durch zwei Geschichten, die aus dem Umfeld von Wells‘ letzten Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ stammen, wobei „Die Nacht der Bücher“ auch losgelöst von der Romanhandlung auf märchenhafte Weise unterhält, „Die Entstehung der Angst“ aber einen ganz konkreten Bezug zum Roman aufweist.
Abgerundet wird „Die Wahrheit über das Lügen“ von der nostalgieschwangeren Geschichte „Das Grundschulheim“, Wells‘ Beitrag zur Anthologie „Unbehauste“, deren Erlöse an die Flüchtlingshilfe gingen, und den einfühlsamen Storys „Die Fliege“ und „Hunderttausend“, mit denen der Autor eindrucksvoll unterstreicht, warum er zu den wichtigsten jungen Autoren der deutschen Gegenwartskultur zählt.
Leseprobe Benedict Wells - "Die Wahrheit über das Lügen"

Benedict Wells – „Fast genial“

Mittwoch, 15. Juni 2016

(Diogenes, 352 S., Tb.)
Seit seine Mutter Katherine Angela Dean wegen ihrer Depressionen ihren Job als Sekretärin bei einer Immobilienfirma verloren und ihr Mann Ryan Wilco sich an der Börse verspekuliert hat, lebt der 17-jährige Francis seit über zwei Jahren mit Katherine im Pine-Tree-Trailerpark am Stadtrand der Kleinstadt Claymont in Delaware. Mittlerweile sind Katherine und sein Stiefvater geschieden. Während der Rechtsanwalt mit Francis‘ Halbbruder Nicky nach New York City gezogen ist, sind Francis und seine Mutter von Jersey City nach Claymont gezogen, wo der Junge die Highschool besucht und als Küchenhilfe in einem Imbiss arbeitet.
Als seine Mutter zum dritten Mal in die psychiatrische Klinik eingeliefert werden muss, lernt Francis dort die zwei Jahre ältere Anne-May kennen, die sich umbringen wollte, weil sie als kleines Mädchen von ihrem Vater vergewaltigt worden ist. Während der Besuche bei seiner Mutter freundet sich Francis mit dem wortkargen Mädchen an. Als seine Mutter nach einem Selbstmordversuch der Magen ausgepumpt wird, entdeckt Francis einen Abschiedsbrief, in dem Katherine ihrem Sohn gesteht, dass er ein Retortenbaby sei, dessen Ursprung in der längst geschlossenen Samenbank für Genies liegt, die der Unternehmer Warren P. Monroe mit dem österreichischen Eugeniker Dr. Friedrich von Waldenfels gegründet hat.
Aus der Akte, die ein Mitarbeiter des Instituts für Katherine entwendet hat, geht hervor, dass Francis‘ Erzeuger unter dem Decknamen Donor James geführt wurde, Harvard-Absolvent gewesen ist, Cello spielte und einen IQ von 170 hatte. Zusammen mit Anne-May und seinem Freund Grover Paul Chedwick macht sich Francis auf die Suche nach seinem Vater …
„Es gab Momente im Leben, in denen alles einen Sinn bekam und in denen man von einer auf die andere Sekunde wusste, was man zu tun hatte. Francis sah die Dinge nun klar: Er musste seinen Vater finden. Alles würde sich ändern, wenn er ihn traf. Er würde aus seinem Drecksleben in Claymont ausbrechen und den Leuten endlich zeigen, dass er doch kein Versager war.“ (S. 81) 
Es beginnt eine interessante Odyssee durch elf Staaten, bei der Francis nicht nur einige schwerwiegende Entscheidungen zu treffen hat, sondern auch auf schmerzvolle Weise erfahren muss, dass die Dinge nicht so sind, wie sie zunächst scheinen …
Nach „Spinner“ und „Becks letzter Sommer“ war „Fast genial“ 2011 der dritte Roman des in München geborenen und nun in Berlin lebenden Schriftstellers Benedict Wells. Er setzt darin die Tradition vor, jugendliche Protagonisten auf eine Entdeckungsreise zum eigenen Ich zu schicken. Dabei werden zwar auch gesellschaftlich stark diskutierte Themen wie der Versuch, Genies zu „züchten“, sowie die Kluft zwischen Arm und Reich angeschnitten, doch Wells bleibt immer so dicht bei seiner Hauptfigur, dass eine tiefgründige Auseinandersetzung ausbleibt. Francis ist schließlich viel zu sehr damit beschäftigt, seinen biologischen Vater zu finden und seinem Leben eine neue Wendung zu geben. Das ist vor allem kurzweilig und vergnüglich zu lesen, auch wenn die Zusammensetzung des Road-Trip-Trios etwas konstruiert wirkt.
Leseprobe Benedict Wells - "Fast genial"

Benedict Wells – „Spinner“

Freitag, 1. April 2016

(Diogenes, 309 S., HC)
Mit seinen zwanzig Jahren fühlt sich Jesper Lier nicht wirklich wohl in seiner Haut. Als er von München nach Berlin gezogen ist, hatte er erst zweihundert Seiten seines ambitionierten Romans „Der Leidensgenosse“ geschrieben, im vergangenen Jahr ist das Werk unter dem Einfluss von Schwindelanfällen, Alkohol und jeder Menge Schlaftabletten zu einem Monstrum von über tausend Seiten mutiert. Er verdient kein Geld, bekommt bei Frauen nichts geregelt und verlässt seine abgeranzte Wohnung am Prenzlauer Berg mit der Dusche, die exakt anderthalb Minuten lang warmes Wasser von sich gibt, nur für sein Praktikum beim „Berliner Boten“ und um sich etwas zu essen zu kaufen.
Auf dem Weg zur Uni, wo er sich regelmäßig pro forma immatrikuliert, um weiterhin Kindergeld beziehen und den öffentlichen Nahverkehr nutzen zu können, trifft er die Philosophiestudentin Miriam Schmidt und verliebt sich in sie. Während er auf der einen Seite versucht, ihr seine Liebe zu gestehen, bemühen sich seine Freunde Gustav und Frank massiv darum, Jesper die Bundeshauptstadt schmackhaft zu machen. Inmitten von beruflicher Desorientierung, Versagensängsten als Schriftsteller und unglücklicher Verliebtheit bekommt es Jesper auch noch mit zwei russischen Ganoven zu tun, die aus seinem eigenen Roman entsprungen zu sein scheinen und ihm das Leben noch schwerer machen, als es ohnehin schon ist …
„Wie einfach war alles mal gewesen, und was hatte ich nur daraus gemacht. Ich kam nicht mehr raus aus diesem Alptraum. Schon seit Jahren kam ich nicht mehr raus. Ich wollte dieses Leben hier doch gar nicht, ich wollte, dass alles wieder so fehlerlos und neu war wie früher.“ (S. 236) 
Seit seinem erfolgreich bei Diogenes im Jahre 2008 veröffentlichten und im vergangenen Jahr mit Christian Ulmen in der Hauptrolle verfilmten Debütroman „Becks letzter Sommer“ zählt der 1984 in München geborene Schriftsteller Benedict Wells zu den interessanten jungen Autoren hierzulande, so dass der Züricher Verlag Wells‘ eigentliches Debüt, „Spinner“, 2009 nachfolgen ließ.
Der Romantitel ist dabei sympathisches Programm. Mit dem Ich-Erzähler Jesper Lier hat Wells mit heftigem Augenzwinkern ein gleichaltriges Alter Ego geschaffen, das etwas überfordert scheint, sein neues Leben in einer anderen Großstadt auf die Reihe zu kriegen, worunter nicht nur die Arbeit an seinem großen Roman zählt, sondern auch zwischenmenschliche Beziehungen jeglicher Art und die zu Frauen im ganz Besonderen.
Herausgekommen ist eine luftig-leicht geschriebene Großstadt-Odyssee, in der die Angst vor dem Scheitern auf verschiedenen Ebenen den jungerwachsenen Lebensmut zu erdrücken droht und den Protagonisten aber nur von einer misslichen Lage in die nächsten katapultiert. Wells beschreibt diese durchaus verständlichen Ängste meist mit einem so erfrischenden und warmherzigen Humor, dass der Leser stets mit Jesper mitfühlt, leidet und hofft. Allerdings fällt der Ton manchmal auch etwas zu lakonisch und salopp aus, was zu dem ambitionierten Schriftsteller Jesper so gar nicht passt.
Leseprobe Benedict Wells - "Spinner"

Benedict Wells – „Vom Ende der Einsamkeit“

Mittwoch, 24. Februar 2016

(Diogenes, 346 S., HC)
Nach einem Motorradunfall im September 2014 wacht Jules aus dem Koma auf, in dem er zwei Tage gelegen hat, und rekapituliert die Stationen seines Lebens. Aufgewachsen in einem wohl behüteten Elternhaus, stehen Jules und seine beiden Geschwister Marty und Liz nach einem Autounfall schon in frühen Jahren als Waisen dar, werden in einem Internat untergebracht, wo Jules die geheimnisvolle Alva kennenlernt. Während sein älterer Bruder Marty sich mit sämtlichen Ausländern, Nerds und Klugscheißern umgibt und Liz jeder Art von jungen Männern den Kopf zu verdrehen beginnt, die Schule schmeißt und die Welt erkundet, zieht sich Jules zunehmend in seine Traumwelten zurück.
In Alva hat er eine eigenartige Vertraute, doch bevor sich mehr daraus entwickeln könnte, verschwindet Alva aus seinem Leben. Als er ihr nach Jahren wiederbegegnet, ist sie mit dem viel älteren russischen Schriftsteller Alexander N. Romanow verheiratet und lebt mit ihm in einem abgelegenen Chalet bei Luzern, wo Jules für einige Monate mit ihnen lebt.
Die Novellen, die Jules seit Jahren im Kopf herumgeistern, nehmen in Romanows Arbeitszimmer allmählich Form an, während Alvas Mann an Alzheimer erkrankt und rapide abbaut. Für Alva und Jules scheint auf einmal doch noch eine gemeinsame Zukunft greifbar …
„Ich fühlte nur, dass mit ihr alles anders verlaufen wäre. Die Jahre nach dem Internat, der Fehlgriff mit dem Jurastudium, von dem mir niemand abgeraten hatte, und schließlich mein Umzug, nein, meine Flucht von München nach Hamburg. Auf keinem dieser Bilder war Alva zu sehen, und ohne sie gab es nichts mehr, das vor der Einsamkeit bewahrte.“ (S. 121) 
Mit seinem neuen Roman hat Bestseller-Autor Benedict Wells („Becks letzter Sommer“, „Fast genial“) einen zutiefst berührenden Roman über Familie, Freundschaft, Liebe, Verlust, Hoffnung, Enttäuschungen und Erinnerungen kreiert, der einen Mann über sein extrem wechselhaftes Leben nachsinnen lässt. Zwar steht dabei seine schwierige Beziehung zu Alva im Mittelpunkt, doch lässt der Ich-Erzähler seine Gedanken auch immer wieder zu seinen eigensinnigen Geschwistern und ihren Beziehungen abschweifen und vor allem zu Romanov, der für Jules sowohl ein Förderer seines schriftstellerischen Talents als auch Konkurrent um Alvas Liebe darstellt.
All das verwebt Wells zu einem atmosphärisch dichten, psychologisch tiefgründigen und emotional berührenden Werk zusammen, das vor allem die Kraft der Liebe heraufbeschwört.
Leseprobe Benedict Wells - "Vom Ende der Einsamkeit"

Benedict Wells – „Becks letzter Sommer“

Mittwoch, 4. April 2012

(Diogenes, 454 S., HC)
Robert Beck ist ein siebenunddreißiger Lehrer an einem Münchener Gymnasium und trauert noch immer seiner missratenen Musikerkarriere nach. Doch eines Tages beobachtet Beck, wie sein sonst unauffälliger litauischer Schüler Rauli im Nebenraum seiner Klasse die kostbare Fender Stratocaster umhängt und wie ein junger Gott zu spielen anfängt. Beck ist sofort Feuer und Flamme, schreibt Songs für den offensichtlich hochbegabten Gitarristen und hofft, als Manager des Jungen doch noch Karriere im Musikgeschäft zu machen.
„Beck dachte nach. Er wollte ja nie Lehrer werden! Sein Vater hatte ihn zum Studium gedrängt. Die Bandproben und Auftritte waren sein eigentliches Leben gewesen. Bis sie ihn rausgeworfen hatten und ein paar Tage darauf sein Vater gestorben war. Von diesem Doppelschlag hatte er sich nie ganz erholt. Damals hatte Beck sein Leben neu geordnet. Er hatte sich entschieden, erst einmal auf Sicherheit zu setzen, fertigzustudieren und vielleicht ein paar Jahre als Lehrer zu arbeiten. In seiner Freizeit hatte er an neuen Songs schreiben und irgendwann nur noch Musik machen wollen. Anfangs hatte er sogar einen gewissen Elan verspürt, Klassenfahrten zu Max-Goldt-Lesungen veranstaltet und das Literaturcafé gegründet. Doch als irgendwann klar war, dass es mit seinem Traum von der Musik nichts mehr werden würde, weil er über das Mittelmaß nicht hinaus kam, ließ sein Eifer nach. Vor allem, als er begriff, dass er wohl für immer Lehrer bleiben würde. Seitdem funktionierte er nur noch. Er fuhr morgens zur Arbeit, unterrichtete, ermahnte, lobte, fuhr nach Hause, korrigierte, bereitete abends die nächsten Stunden vor, trank oft, fühlte sich unwohl, wurde immer älter.“ (S. 65) 
Beck schafft es, nicht nur sieben Songs für Rauli zu schreiben, sondern zur Release-Party in der schulischen Turnhalle einen lokalen Redakteur, eine SPEX-Redakteurin und seinen alten Schulfreund einzuladen, der mittlerweile ein hohes Tier bei Sony BMG ist. Für Rauli bedeutet dieser Abend den Durchbruch. Auf einmal ist er in der Schule total beliebt und sogar mit der elfenhaften Anna Lind liiert, in die sich Beck selbst verguckt hat. Auch sonst läuft es nicht mehr rund in seinem Leben. Seine Freundin, die junge Kellnerin Lara, zieht nach Rom, wo sie an der Modeschule angenommen wurde, und Becks einziger Freund, der hypochondrische Charlie, landet im Sanatorium. Als Beck erfahren muss, dass der Sony-BMG-Deal ohne seine Beteiligung stattfinden soll, verheimlicht er diese Info seinem Schützling und begibt sich auf mit Rauli und Charlie auf eine abenteuerliche Odyssee nach Istanbul …
Mit seinem Debütroman „Becks letzter Sommer“ hat der 1984 geborene Münchner Autor und Redakteur Benedict Wells ein erfrischend leichtfüßiges Portrait eines alternden Musikers hingelegt, der seinen Traum von einer Künstlerkarriere zugunsten einer weit spannungsärmeren Lehrerlaufbahn aufgegeben hat und durch die Bekanntschaft mit einem musikalischen Naturtalent sein eigenes Leben hinterfragt. Immer wieder regen seine Weggefährten Beck zum Reflektieren über verpasste Chancen und neue Möglichkeiten an. Das ist mit viel Witz und Empathie für die Figuren geschrieben, die nie der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Und für so einen jungen Autor steckt das Debüt voller Lebensweisheiten, die den Leser selbst zum Nachdenken stimulieren, mit welcher Einstellung man dem Leben, seinen Träumen und Enttäuschungen gegenübersteht.
Lesen Sie im Buch: Benedict Wells - "Becks letzter Sommer"
Share