Posts mit dem Label David Guterson werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label David Guterson werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

David Guterson – „Schnee, der auf Zedern fällt“

Samstag, 10. Januar 2015

(Hoffmann und Campe, 512 S., HC)
Im Dezember 1954 wird dem Lachsfischer Kabuo Miyamoto im County-Gericht auf der kleinen Insel San Piedro der Prozess gemacht. Der Amerikaner japanischer Herkunft ist angeklagt, Carl Heine, seinen Kollegen und früheren Freund aus Kindertagen, bei dichtem Nebel in den pazifischen Gewässern im US-amerikanischen Nordosten kaltblütig ermordet zu haben. Staatsanwalt Alvin Hooks ist mit dem Motiv schnell zur Hand: Bevor die Japaner Pearl Harbor bombardierten, hatten die Väter von Kabuo und Carl einen Vertrag geschlossen, der den Miyamotos ermöglichte, sieben Morgen Land für die Erdbeerzucht zu erwerben. Doch bevor die letzten beiden Raten gezahlt werden konnten, wurden alle Japaner 1942 aus San Piedro deportiert.
In der Zwischenzeit ist Carl Heine Senior verstorben, seine Frau Etta konnte das Land nicht mehr bewirtschaften und verkaufte es an Ole Jurgensen. Als Kabuo Miyamoto aus dem Krieg zurückkehrte, in dem er für die Amerikaner gegen die Deutschen kämpfte, hat er zunächst vergeblich versucht, das Land seiner Familie zurückzubekommen, und schließlich mit seinem alten Freund Carl neu verhandelt. Über den Prozess im vom unerbittlichen Schneesturm umklammerten Gerichtssaal berichtet auch Ishmael Chambers, der mit Kabuos Frau Hatsue einst seine erste Liebe erfahren durfte, deren tragisches Ende er noch immer nicht verwunden hat. Nach den Zeugenaussagen wird es immer wahrscheinlicher, dass die Geschworenen den stolzen wie unergründlichen Miyamoto für schuldig befinden. Da gelangt Ishmael an eine Information, die dem Prozess die entscheidende Wende bringen könnte.
„Er stand da und betrachtete die Zerstörung im Hafen und wusste, dass er etwas Unverletzliches in sich trug, von dem andere Männer nichts ahnten, und zugleich hatte er nichts. Zwölf Jahre lang hatte er gewartet, das wusste er. Er hatte gewartet, ohne es zu merken, und das Warten hatte sich in etwas Tieferes verwandelt. Er hatte zwölf lange Jahre gewartet. Die Wahrheit lag nun in Ishmaels Tasche, und er wusste nicht, was er mit ihr anfangen sollte, und die Leichtfertigkeit, mit der er auf alles reagierte, war ihm so fremd wie die Schaumkronen der Brecher, die über die verschneiten Boote und die Anlegedalben am überschwemmten Hafen von Amity Harbour hinwegrollten. Nirgendwo war eine Antwort zu finden, weder in den auf der Seite liegenden Booten, noch in der vom Schnee niedergeworfenen Weißtanne, noch in den abgebrochenen Ästen der Zedern. Er empfand nichts als die kühle Leichtfertigkeit, die ihn überfallen hatte.“ (S. 471f.) 
Gleich mit seinem 1994 veröffentlichten Romandebüt „Schnee, der auf Zedern fällt“ ist dem amerikanischen Schriftsteller David Guterson („Der Andere“, „Ed King“) der internationale Durchbruch gelungen. Meisterhaft verbindet der Autor in diesem epischen Werk die unglückliche Jugendliebe zwischen Hatsue und Ishmael, einen außergewöhnlichen Gerichtsprozess, in dem vor allem der verborgene Rassismus zwischen Amerikanern und Japanern zum Tragen kommt, und eine Milieustudie über das Leben von Lachsfischern auf einer kleinen Insel.
Indem Guterson seine Geschichte aus verschiedenen Perspektiven und Zeitebenen erzählt, wird vor allem die unglücklich verlaufene Liebesgeschichte zwischen Hatsue und Ishmael mit all ihren zugrundeliegenden kulturellen Differenzen schön ausgearbeitet, aber auch die wechselhafte Entwicklung der Beziehung zwischen den Heines und Miyamotos sowie Ishmaels Schwierigkeiten, sich aus dem übermächtigen Schatten seines geschätzten Vaters zu lösen, bilden Schwerpunkte in der dramaturgisch geschickt erzählten und wunderbar atmosphärisch dichten Geschichte, die 1999 von Scott Hicks („Shine – Der Weg ans Licht“, „Hearts In Atlantis“) kongenial mit Ethan Hawke, Sam Shepard und Max von Sydow kongenial verfilmt worden ist.
Leseprobe: David Guterson – „Schnee, der auf Zedern fällt“

David Guterson – „Zwischen Menschen“

Montag, 9. Juni 2014

(Hoffmann und Campe, 208 S., HC)
Bereits in seinem gleich zum internationalen Bestseller avancierten und erfolgreich verfilmten Romandebüt „Schnee, der auf Zedern fällt“ hat der in Seattle lebende Schriftsteller David Guterson seine Fähigkeit demonstriert, die Psychologie zwischenmenschlicher Beziehungen auszuloten. Diese Stärke kommt auch in seinem neuen Erzählungsband „Zwischen Menschen“ zum Tragen, in dem Guterson sechs bereist in verschiedenen Zeitungen erschienene und vier bislang unveröffentlichte Geschichten zusammenfasst, in denen es jeweils um ganz konkrete menschliche Schicksale und ihre Beziehungen zu ihrer menschlichen Umwelt geht.
So macht sich in der Eröffnungsgeschichte „Mieterin“ ein Wohnungsbesitzer Gedanken über die neue Mieterin, Lydia Williams mit Namen und wegen ihrer Referenzen und des herausragenden Bonitätsratings erste Wahl des Maklers. Für den Vermieter ist Lydia Williams eine „geheimnisvolle Nichtexistenz, bislang ungreifbar, weil er sie noch nie gesehen hatte, aber Garantin, so hoffte er, beständiger Mieteinnahmen“. Er beginnt, diese Nichtexistenz mit Vorstellungen zu füllen, doch das fällt ihm so schwer, dass er sich dazu entschließt, per Email Kontakt zu ihr aufzunehmen und sie schließlich unter dem Vorwand, ein Ventil überprüfen zu wollen, in ihrer Wohnung zu besuchen. Das Zusammentreffen desillusioniert den Mann, schließlich stammen er und sie aus unterschiedlichen Generationen und Kulturen.
Diese Unterschiede zwischen den Menschen prägen auch die folgenden Geschichten. In „Paradise“ treffen sich zwei Menschen, die sich über Match.com kennengelernt haben, eine Soziologin, die an der Seattle University über soziale Netzwerke forscht, und ein Handelsrechtler, der auf Wertpapierbetrug spezialisiert ist. Doch nach einigen Dates wird sie immer noch von Erinnerungen an ihren Exfreund Clifton heimgesucht, der auf tragische Weise ums Leben kam.
In „Still“ bietet sich eine junge Frau namens Vivian Lee dem alternden Lou Calhoun als Hundesitterin an und übernimmt auch bald einige Besorgungen für ihn, bis er in ein Hospiz muss, während „Foto“ die Geschichte des Ehepaars Hutchinson erzählt, das ihren Sohn an Bord der „Fearless“ verloren hat und nun Besuch vom Kapitän des Schiffes bekommt, der den Hutchinsons die näheren Umstände des Unglücks erzählt.
Schließlich spielt „Krasawize“ in Berlin und handelt von einem alten Mann, der ein Dreivierteljahrhundert nach seiner Geburt als jüdisches Kind mit seinem Sohn nach Berlin zurückkehrt und sich dort von der hübschen Erika Wolf die Sehenswürdigkeiten zeigen lässt.
David Guterson begleitet in seinen zehn Geschichten seine meist älteren Protagonisten, die bereits einiges erlebt, oft schon persönlich mit dem Tod zu tun gehabt und ihre ganz eigene Sicht auf die Welt haben, in ganz konkreten Situationen, in denen Erfahrungen, Vorurteile und Missverständnisse die geschilderten Ereignisse prägen und selten ein versöhnliches Ende nehmen. Guterson schlägt dabei einen lakonischen, oft melancholischen Ton an, der im Gegensatz zu der distanzierten Sachlichkeit steht, mit dem der Autor seinen Figuren über die Schulter blickt. Für Guterson-Fans und Freunde der gepflegten amerikanischen Short Story ist „Zwischen Menschen“ ein Muss!
Leseprobe David Guterson – „Zwischen Menschen“

David Guterson – „Der Andere“

Freitag, 23. Mai 2014

(Hoffmann und Campe, 352 S., HC)
Der 16-jährige Neil Countryman aus Seattle besucht 1972 die Roosevelt Highschool im Norden der Stadt und hat sich in der Nische der 800-Meter-Läufer eingerichtet, wo man weder schnell sein noch die Ausdauer eines Langstreckenläufers besitzen muss. Bei einem Wettkampf gegen die Eliteschule Lakeside lernt er John William Barry kennen und freundet sich mit ihm an. Obwohl sie aus verschiedenen Welten stammen, entdecken sie schnell Gemeinsamkeiten. Sie fischen Münzen aus dem Brunnenam Pacific Science Center, rauchen Dope und wandern in die Berge, wobei sie über Literatur und Philosophie diskutieren.
Aus diesen oft mehrtägigen Exkursionen wird bald mehr, zumindest für John. Während Neil als junger Erwachsener eine Karriere als Englischlehrer verfolgt und eine Familie gründet, wendet sich John von der Welt ab und zieht ins Tal des South Fork Hoh, wo er sich eine Höhle einrichtet und wie ein Eremit zu leben beginnt. Neil Countryman besucht ihn regelmäßig, versorgt seinen Freund mit Konserven und Toilettenpapier.
„In meiner Erinnerung sehe ich John William in seinem Gartenstuhl sitzen, barfuß, mit Bart, die Haare im Gesicht und vorsichtig neues Feuerholz nachlegend. Und ich erinnere mich, dass wir unsere Joints in eine Haarnadel klemmten, die ein früherer Bewohner dieser modrigen Bruchbude im Teppichflor verloren und die John William gefunden und aufbewahrt hatte. Ein College-Student, der aussteigt und barfuß in einem Wohnmobil lebt, ein vom Schicksal Begünstigter, der die Einfachheit sucht.“ (S. 154 f.) 
David Guterson, der gleich mit seinem erfolgreich verfilmten Debütroman „Schnee, der auf Zedern fällt“ international berühmt wurde, schildert in seinem neuen Roman die außergewöhnliche Freundschaft zwischen zwei ganz unterschiedlichen jungen Männern, die nicht nur aus verschiedenen Gesellschaftsschichten stammen, sondern auch ihre eigenen Lebensentwürfe verfolgen, die recht wenig gemein haben. Aber wie Guterson seinen Ich-Erzähler Neil einmal sagen lässt: „In einer Freundschaft ändert man weniger eigenständig die Bedingungen, als dass man dabei zusieht, wie die Bedingungen sich ändern.“
„Der Andere“ liest sich deshalb so faszinierend, weil die Freundschaft unter diesen starken Veränderungen, die die Männer durchleben, so unerschütterlich bleibt und bis zum Schluss immer neue Facetten der Persönlichkeiten hervorbringt. Vor allem der lange Monolog von Johns Vater zum Ende hin bringt noch einmal richtig Farbe in das zurückliegende Leben des letztlich berühmten „Einsiedlers von Hoh“. Dazu gibt es etliche literarische Exkurse und Einblicke in die Lehren der Gnosis, selbst ein kriminalistisches Element fehlt nicht, als es um die Frage geht, ob Neil Countryman den Tod seines Blutsbruders mit zu verantworten hat.

David Guterson – „Ed King“

Sonntag, 25. März 2012

(Hoffmann und Campe, 383 S., HC)
Nachdem seine Frau Lydia einen Nervenzusammenbruch hatte und ihr Psychiater meinte, dass sie eine Zeit lang von allen häuslichen Arbeiten und Pflichten entbunden werden müsste, stellt der Versicherungsstatistiker Walter Cousins 1962 das fünfzehnjährige Au-pair Diane Burroughs ein. Das britische Mädchen kümmert sich nicht nur um den Haushalt und die beiden Kinder Barry und Tina, sondern lässt sich auch auf eine Affäre mit dem Strohwitwer ein. Als Diane Walter mitteilt, dass sie schwanger ist, wird Walter zu einer monatlichen Zahlung von fünfhundert Dollar erpresst, obwohl sie das Kind zur Adoption freigibt.
Das ausgesetzte Baby wird von seinen neuen Eltern Alice und Dan King Edward Aaron getauft und macht sich neben seinem neuen Bruder Simon ganz prächtig. Diane schlägt sich derweil als Edelprostituierte durch, heiratet einen liebevollen und vermögenden, aber langweiligen Unternehmer, lässt sich scheiden und versucht als Koksdealerin zu Vermögen zu kommen. Auf schicksalhafte Weise kreuzen sich noch einmal die Wege von Ed und seinem leiblichen Vater, dessen Leben seit der Affäre völlig aus den Fugen geraten ist.
„‘Habe ich jemals etwas richtig gemacht?‘, dachte Walter. ‚Mein Sohn verachtet mich, meine Tochter hasst mich, meine Frau misstraut mir, und im Büro halten mich vermutlich alle für einen Vollidioten. Und obendrein bin ich auch noch ein notorischer Fremdgeher. Ich bin ein Dreckskerl, der mit der besten Freundin seiner Frau ins Bett gestiegen ist. Ich bin ein unverbesserlicher, mieser Lügner. Ich habe mich von einem gottverdammten Teenager auf fünfhundert Dollar im Monat erpressen lassen und werde seit … seit mehr als sechzehn Jahren bis aufs Blut ausgequetscht. Das sind, wie viel, hunderttausend Dollar? Mein Gott, was denn noch? Geht’s noch tiefer runter? Aber ja, nicht zu vergessen, ich hatte Geschlechtsverkehr mit einer Minderjährigen. Ich habe ein uneheliches Kind gezeugt, von dem ich nicht das Leiseste weiß. Das ist die wahre Geschichte meines Lebens.‘“ (S. 129) 
Dagegen macht Walters unbekannter Sohn Ed nach verschiedenen Irrungen und Wirrungen jugendlicher Selbstfindung Karriere in der Internet-Branche und versucht schließlich doch, dem Geheimnis seiner Erzeuger auf die Spur zu kommen, nachdem sein demenzkranker Großvater eine bedeutungsvolle Andeutung gemacht und der „King der Suchmaschinen“ herausgefunden hat, dass sein Bruder und er über ganz verschiedene Gene verfügen.
David Guterson, der mit seinem Debütroman „Schnee, der auf Zedern fällt“ weltbekannt geworden ist, erweist sich mit seiner Neufassung des Ödipus-Mythos als meisterhafter Erzähler verschiedener Schicksale, denen er in episodenhaften Kapiteln von den 60ern bis in die nahe Zukunft nachgeht. Dabei nimmt er sich viel Zeit für die einzelnen Figuren, die allesamt ihre eigene Vorstellung davon entwickeln, den amerikanischen Traum zu verwirklichen, aber stets die falschen Fährten einzuschlagen scheinen. Guterson folgt diesen verschlungenen Wegen mit leichter Sprache und viel Witz, ohne seine Figuren der Lächerlichkeit preiszugeben. Vielmehr zeichnet er anhand verschiedener Schicksale ein stimmiges Portrait der amerikanischen Mittelschicht quer durch die letzten Jahrzehnte und vermag dabei auch das entsprechende Zeitkolorit stimmungsvoll zu erfassen.
Lesen Sie im Buch: David Guterson – „Ed King“
Share