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Douglas Coupland – „Generation A“

Mittwoch, 30. Juni 2021

(Blumenbar, 333 S., HC)
In einer Zeit, die unserer Gegenwart nur wenig voraus zu sein scheint, leben die Menschen ohne Bienen und Liebe, verfetten angesichts hochdosierter Fruktosesirupe, die aus Mais gewonnen werden, und befinden sich im seligen Entschleunigungsrausch, den ihnen die Droge Solon verschafft. Doch dann werden plötzlich fünf Menschen an ganz unterschiedlichen Orten der Welt jeweils von einer Biene gestochen: der auf Sri Lanka für Abercrombie & Fitch arbeitende Call-Center-Agent Harj, der im Mahaska County, Iowa, lebende Nacktmähdrescher-Fahrer Zack, der einen vier Hektar großen Schwanz mit Eiern in ein Maisfeld mäht, die Neuseeländerin Samantha, deren Eltern ihr gerade verkünden, dass sie an nichts mehr glauben, der in Paris lebende Julien, der den Verlust seiner World-Of-Warcraft-Identität betrauert, und die vierunddreißigjährige, am Tourette-Syndrom leidende kanadische Zahnhygienikerin Diana.
Natürlich entwickeln sich die Opfer der Bienenstiche zu einer viralen Attraktion. Um herauszufinden, warum nach fünf Jahren, in denen keine Biene mehr gesichtet worden ist, ausgerechnet diese fünf Menschen von Bienen gestochen wurden, werden Harj, Zack, Samantha, Julien und Diana in den Research Triangle Park nach North Carolina verfrachtet und in absoluter Abgeschiedenheit gründlich untersucht. Nach ihrer Entlassung beginnen die plötzlich berühmten Bienenstichopfer sich füreinander zu interessieren, um herauszufinden, ob sie etwas gemeinsam hatten, das den Wissenschaftlern entgangen war.
„Ich sah, dass jeder von uns auf seine Weise ein völlig isoliertes Leben führte. Ich glaube, dass die moderne Welt die Menschen voneinander trennt – dazu ist sie da -, aber es gibt zahllose Möglichkeiten, aus der Gesellschaft herauszufallen, das Leben jedes Einzelnen von uns jedoch wies im Moment des Gestochenwerdens eines auffällige Gemeinsamkeit mit dem der anderen auf: Es war ein Augenblick, in dem wir mit dem gesamten Planeten in Beziehung traten.“ (S. 150) 
Vor über fünfundzwanzig Jahren schrieb der in Vancouver lebende Douglas Coupland Geschichten über die Generation der 20- bis 30-Jährigen und ihrem Wunsch, ein interessantes Leben jenseits der Arbeitswelt zu führen, wobei sie für die ökologischen und ökonomischen Sünden ihrer Eltern büßen müssen, und nannte sie „Generation X“. Als Kurt Vonnegut 1994 bei einer Rede vor Absolventen der Syracruse University die Generation A als Anfang einer Reihe von spektakulären Errungenschaften und Reinfälle bezeichnete, fühlte sich Coupland inspiriert, einen Neuanfang zu wagen, aber auch mit dem Thema der Generationenbildung abzuschließen. 
Am Anfang seines Romans „Generation A“ steht allerdings das große Bienensterben, mit dem ein ökologischer Kollaps einhergeht, dem die Weltbevölkerung nur mit Eskapismus begegnen kann. Die mit hohem Suchtpotenzial ausgestattete Droge Solon nimmt den Konsumenten die Angst und lässt Einsamkeit als Ideal erscheinen. Auf einer einsamen kanadischen Insel kommen die fünf Bienenstichopfer schließlich zusammen, um sich selbst erdachte Geschichten zu erzählen, in denen Außerirdische Menschen züchten, die umso schmackhafter sind, je mehr Bücher sie gelesen haben, aber es geht vor allem um den Verlust von Sprache, um Menschen, die ihre Seelen, Geschichten und das Gefühl der Liebe verlieren. 
Gerade durch das Erzählen ihrer Geschichten einer merkwürdigen Welt bilden die fünf unterschiedlichen Individuen eine neue Gemeinschaft und so den Hoffnungsschimmer für eine neue Welt. Coupland erweist sich in „Generation A“ einmal mehr als visionärer Erzähler mit soziologischem Gespür und beißendem Humor. Bei allem Pessimismus, den Coupland einer Welt entgegenbringt, die sich eher in virtuellen Welten als in der richtigen bewegt, verliert er aber nicht die Hoffnung, dass die Menschen sich auf ihre ureigenen Qualitäten besinnen.  
Nachdem der Klett-Cotta-Imprint Tropen den Titel bereits 2010 veröffentlicht hatte, ist das im Original 2009 erschienene Buch nun bei Blumenbar wieder als Hardcover verfügbar gemacht worden.


Douglas Coupland – „Spieler Eins. Roman in 5 Stunden“

Samstag, 21. April 2018

(Tropen, 246 S., HC)
Die fast vierzigjährige Karen fliegt nach Toronto, um sich in der Cocktail-Lounge des Camelot-Hotels am Flughafen mit ihrem Blinddate Warren zu treffen. Dort wartet der als Barkeeper arbeitende trockene Alkoholiker Rick darauf, den Motivations-Guru Leslie Freemont zu treffen, ihm achttausendfünfhundert Dollar in bar in die Hand zu drücken, damit der 37-jährige, etwas niedergeschlagene Rick an dessen Power Dynamics Seminar teilnehmen kann. Luke wiederum, Pfarrer der Kirche des Neuen Glaubens, brütet bei einigen Whiskeys über seine Zukunft nach, nachdem er mit den 20.000 Dollar aus der Spendenkasse seiner Kirche das Weite gesucht hat.
Die autistische Rachel leidet darunter, dass sie zu keinen menschlichen Regungen fähig ist, keine Kunst und keinen Humor versteht. Sie ist auf der Suche nach einem Mann, der sie schwängert, weil sie hofft, als Mutter von ihrem Vater als vollwertiger Mensch akzeptiert zu werden.
Doch dann wird Karens Blinddate Warren vor der Bar von einem religiös motivierten Heckenschützen getötet, dann sorgt eine Giftgaswolke für Katastrophenstimmung, und ausgerechnet der Todesschütze Bertis verlangt Einlass in die nun hermetisch abgeriegelte Bar, in der die Besucher auf dem Fernsehbildschirm beobachten, wie der Ölpreis in die Höhe schnellt. Eingeschlossen in einer Bar, in der eigentlich niemand mehr sein möchte, beginnen Karen, Rachel, Luke, Rick und Bertis Allianzen zu schmieden und über den Sinn des Lebens zu philosophieren. So kommt der ehemaliger Pfarrer Luke zum Schluss:
„,Mit zwanzig weiß man, dass kein Rockstar mehr aus einem wird. Mit fünfundzwanzig weiß man, dass man es weder zum Zahnarzt noch zu sonst etwas Anständigem bringen wird. Und mit dreißig beginnt sich die Dunkelheit auf einen herabzusenken – man fragt sich, ob einem je ein erfülltes Leben beschieden sein wird, von Wohlstand und Erfolg ganz zu schweigen. Mit fünfunddreißig weiß man im Grunde, was man für den Rest des Lebens zu erwarten hat, und ergibt sich in sein Schicksal.“ (S. 105f.) 
Gleich mit seinem Romandebüt „Generation X“ avancierte Douglas Coupland Anfang der 1990er Jahre zum Sprachrohr für eine ganze Generation. In späteren Werken wie „Shampoo Planet“ und „Generation A“ hat es der kanadische Autor und Künstler immer wieder verstanden, das Lebensgefühl spezifischer Bevölkerungsgruppen und Generationen einzufangen, wobei er immer wieder religiöse, sexuelle, popkulturelle und virtuelle Thematiken verarbeitet.
In seinem 2010 veröffentlichten und zwei Jahre später bei Tropen/Klett-Cotta in deutscher Sprache erschienenen Roman „Spieler Eins. Roman in 5 Stunden“ entwirft Coupland einmal mehr ein postapokalyptisches Szenario, dessen Handlung einen recht überschaubaren Rahmen von fünf Stunden abdeckt und an sich wenig spektakulär erscheint.
Viel spannender als der für das Genre eher konventionelle Plot sind die ganz unterschiedlichen Figuren, die der Autor in einer Flughafenbar aufeinandertreffen lässt und ihnen eine je eigene Stimme verleiht – ergänzt durch Rachels Avatar „Spieler Eins“, der einen Blick auf die zukünftigen Ereignisse wirft und sie im weiteren Verlauf in einen Zusammenhang bringt.
Die Gespräche, die vor allem die autistische Rachel mit Fragen in Gang bringt, die sie auf ihrem Kompetenz-Seminar erlernt hat, geht die bunt zusammengewürfelte Truppe der Bedeutung des Lebens auf den Grund, wobei vor allem diskutiert wird, welche Rolle Gott darin spielt. Dabei gelingen Coupland immer wieder bemerkenswerte Aussagen, die den Leser mehr als nur inspirieren, sein eigenes Leben und das, was er daraus macht, zu reflektieren.
Leseprobe Douglas Coupland - "Spieler Eins"

Douglas Coupland - „Alle Familien sind verkorkst“

Sonntag, 1. November 2009

(Hoffmann und Campe, 335 S., HC)
Mit seinem 1991 veröffentlichten Debüt „Generation X“ hat der 1961 geborene amerikanische Autor Douglas Coupland nicht nur ein beißend ironisches Portrait der Nach-Baby-Boom-Generation der zwischen 1960 und 1970 Geborenen gezeichnet, sondern sich sogleich in den Olymp der Kult-Autoren geschrieben. Wie in seinen nachfolgenden Romanen erweist sich Coupland auch mit seinem neuesten Streich als intelligenter Beobachter der amerikanischen Mittelschicht und ihrer Träume.
Er erzählt die kuriose wie liebenswerte Geschichte der Familie Drummond, deren Mitglieder eigentlich in ganz Nordamerika verstreut sind. Doch zum Weltraumausflug der Contergan-geschädigten Tochter und Schwester Sarah finden sich alle in Cape Canaveral zusammen: Die pillensüchtige, extrem sparsame Mutter Janet, ihr bankrotter Ex-Mann Ted, ihr Sohn Wade, der irgendwie auch immer blank ist und mit dem Gesetz auf Kriegsfuß steht, ihr anderer Sohn Bryan, dessen hysterische Frau mit dem Fantasienamen Shw das gemeinsame Kind abzutreiben gedenkt. Sie alle nehmen allerlei Schwierigkeiten bei ihrer Odyssee nach Orlando auf sich und kommen sich bei aller Hass-Liebe ausgerechnet durch einen deutschen Pharma-Erben wieder näher. Coupland beschreibt diese irrwitzigen Abenteuer so lebhaft und liebenswert, dass einem die schrägen Drummond-Vögel schon nach ein paar Seiten ans Herz wachsen. Die Coen-Brüder sollten sich die Filmrechte sichern.