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Lawrence Block (Hrsg.) – „Das Mädchen mit dem Fächer“

Montag, 5. November 2018

(Droemer, 352 S., HC)
Vor zwei Jahren veröffentlichte der US-amerikanische Krimi-Autor Lawrence Block mit „Nighthawks“ eine international erfolgreiche Sammlung mit Kurzgeschichten, die Bestseller-Autoren wie Lee Child, Michael Connelly, Stephen King, Jeffery Deaver, Joyce Carol Oates und Joe R. Lansdale zu Gemälden von Edward Hopper geschrieben haben. Eine Fortsetzung des bemerkenswerten Konzepts schien da nur folgerichtig. Allerdings schien ein Band mit Stories, die von Edward Hoppers Kunst inspiriert worden sind, genug, andere Künstler drängten sich dem Herausgeber nicht auf, also weitete Block das Konzept aus und ließ die eingeladenen Autoren ihre Geschichten zu einem Kunstwerk ihrer Wahl schreiben.
So begegnen dem Leser in „Das Mädchen mit dem Fächer“ zwar eine Vielzahl der Autoren wieder, die bereits in „Nighthawks“ vertreten gewesen sind, aber dafür eine breitere Palette nicht nur an Kunstrichtungen der Malerei, sondern auch die berühmten Skulpturen „Der Denker“ von Auguste Rodin und Michelangelos „David“. Dass zwei der siebzehn hier versammelten Stories bereits in anderen Kontexten bereits früher veröffentlicht wurden, dürfte gerade der deutschsprachigen Leserschaft nicht viel ausmachen, Hauptsache, sie passen ins Konzept!
Der Auftakt liest sich vielversprechend: Jill D. Block hat sich von Art Frahms „Sicherheitsregeln“ zu einer Story inspirieren lassen, in der die Ich-Erzählerin in einem Geschworenenprozess die Möglichkeit sieht, das Unrecht wiedergutzumachen, das ihrer besten Freundin Micheline widerfahren ist, als das kleine Mädchen aus dem Bett entführt, ermordet und in den See geworfen und erst nach drei Tagen dort herausgefischt worden war. Die Geschichte beginnt gerade an Fahrt aufzunehmen, als sie leider viel zu abrupt endet. Lee Child hat Renoirs „Vase mit Chrysanthemen“ als Ausgangspunkt für die Geschichte eines Mannes genommen, der nach einem knapp überlebten Herzanfall im Jahre 1928 auf eine Bekanntschaft zurückblickt, die er Ende 1919 gemacht hatte, kurz nachdem Renoir verstorben war. Für den reichen Sprössling eines Stahl-Tycoons aus Pittsburgh sollte er nach Paris reisen, um möglichst günstig noch verfügbare Renoir-Gemälde zu erstehen, wo er mit Lucien Mignon einen Künstler kennenlernte, der nicht nur mit Renoir befreundet war, sondern auch genauso malte.
Jeffery Deaver ließ sich für seinen Beitrag „Ein bedeutender Fund“ von den Höhlenmalereien von Lascaux zu einer Geschichte über Ehrgeiz und Missgunst unter Archäologen inspirieren, während Joe R. Lansdale auf Norman Rockwells „Der Haarschnitt“ basierend eine packende Story über den Überfall auf den Friseursalon von Charlie Richards und seiner hübschen Tochter Millie verfasst hat. Die Kunsthistorikerin Gail Levin schreibt in „Georgia O’Keeffes Blumen“ über den Versuch einer Journalistin, ein Interview mit O’Keeffe zu bekommen und sich ihr über eine feministische Perspektive zu nähern. Besonders gelungen ist vor allem Sarah Weinmans Geschichte „Die große Stadt“, in der eine junge Frau ein Portrait ihrer nackten Mutter Clothilde entdeckt und die Geschichte seiner Entstehung nachspürt.
„Die Portraits der Frau machten sie nervös. Sie übermittelten Eindrücke, von denen sie nicht sicher war, ob sie ihr gefielen. Eine scharfe Sicht auf die Welt. Ungebeten enthüllte Geheimnisse. Clothilde hatte das Gefühl, ihre Geheimnisse würden verraten werden, wenn die Frau sie malte.“ (S. 320) 
Aber auch die Geschichten, die Michael Connelly (zum rechten Innenflügel von Hieronymus Boschs „Der Garten der Lüste“), David Morrell (zu van Goghs „Zypressen“) und S. J. Rozan (zu Hokusais „Die große Welle von Kanagawa“) zur Sammlung beigesteuert haben, demonstrieren eindrucksvoll, wie die Wirkung einzelner Kunstwerke ganz eigenständige Geschichten hervorbringen können. Ich hoffe sehr, dass Lawrence Block mit diesem einzigartigen Konzept auch in Zukunft noch den einen oder anderen wunderbar hochwertig gestalteten Band mit auf Kunstwerken basierenden Erzählungen herausbringt.

Lawrence Block (Hrsg.) – „Nighthawks – Stories nach Gemälden von Edward Hopper“

Freitag, 10. November 2017

(Droemer, 320 S., HC)
Der amerikanische Maler Edward Hopper (1882-1967) wird gern und sicher zurecht als Chronist der amerikanischen Zivilisation bezeichnet, in der vor allem die Isolation des modernen Menschen thematisiert wird. So sitzen in seinem wohl berühmtesten Gemälde „Nighthawks“, das Titel und Cover der vorliegenden Anthologie ziert, drei Gäste in einer Bar, die scheinbar nicht miteinander kommunizieren und in ihre eigenen Gedanken versunken sind, flankiert von einem beschäftigten Barkeeper. Dieses und 16 weitere Gemälde Hoppers dienten den Schriftstellern, die Lawrence Block für seinen Sammelband begeistern konnte, als Inspiration für die Geschichten, die eigentlich in Hoppers Werken zu finden sind, aber bislang nicht erzählt wurden.
Block, der selbst mit seinen Krimis um den Buchhändler und Einbrecher Bernie Rhodenbarr, den Auftragsmörder Keller und den alkoholkranken Privatdetektiv Matthew Scudder ein gefeierter Autor ist und zu Hoppers „Automat“ (1927) eine Geschichte beigesteuert hat, beschreibt in seinem Vorwort:
Hopper war weder Illustrator noch narrativer Künstler. Seine Bilder erzählen keine Geschichten. Stattdessen vermitteln sie – kraftvoll und unwiderstehlich – den Eindruck, dass sich darin Geschichten verbergen, die nur darauf warten, erzählt zu werden. Er zeigt uns einen Moment, auf die Leinwand gebannt; eindeutig hat dieser Vergangenheit und Zukunft, doch es ist an uns, sie zu entdecken.“ (S. 10) 
Die Auswahl der Bilder für ihre Geschichten blieb den Autoren vorbehalten. Manchmal wird der Bezug zum ausgewählten Gemälde gleich in den ersten Sätzen deutlich, manchmal ist es nur eine Stimmung, die das Gemälde für den Schriftsteller ausstrahlt und eine Geschichte in Bewegung setzt. So erzählt Jill D. Block in „Die Geschichte von Caroline“ die Begegnung zwischen der bei Pflegeeltern aufgewachsenen Hannah und ihrer leiblichen Mutter Grace, die sie als Pflegekraft für ihren im Sterben liegenden Mann Richard engagiert hat, während auf dem dazugehörigen Bild „Summer Evening“ (1947) ein junger Mann und eine junge Frau nachts auf der Veranda an der Mauer lehnen. Robert Olen Butler hat dagegen in seiner Story „Abenddämmerung“ sehr konkret die Figurenkonstellation auf dem Bild „Soir Bleu“ (1914) mit einem Clown auf der Veranda, zwei Männern, die ihm am Tisch gegenübersitzen, und einer dabeistehenden Frau als Ausgangspunkt für eine Geschichte über die Erinnerung des Ich-Erzählers über seine Begegnung mit einem Pierrot in jungen Jahren genommen.
Und Michael Connelly lässt den Helden seiner Romanreihe um Detective Bosch auch in „Nachtfalken“ auftreten, wobei Bosch als Privatermittler den Hintergrund einer jungen Frau erforschen soll, die zur Inspiration für ihre Ambitionen als Schriftstellerin ins Museum geht, um Hoppers Gemälde „Nighthawks“ zu studieren.
Zwar sind in Deutschland nicht alle hier versammelten Autoren bekannt, aber auch die neben den Thriller-/Krimi-/Horror-Autoren Lee Child, Joyce Carol Oates, Jeffery Deaver, Joe R. Lansdale und Stephen King hierzulande nicht bekannten Schriftsteller tragen zur äußerst gelungenen Anthologie bei, die über verschiedene literarische Genres hinweg doch immer eindringlich die melancholisch-lakonische Stimmung in Hoppers Gemälden einfängt. Dazu lädt die wunderschöne Gestaltung des Hardcover-Hochglanz-Buches einfach auch dazu ein, sich selbst von den den einzelnen Geschichten vorangestellten Abbildungen inspirieren zu lassen.
Leseprobe Lawrence Block - "Nighthawks"