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Henning Mankell – „Der Verrückte“

Sonntag, 24. Dezember 2023

(Zsolnay, 506 S., HC) 
Als 1993 mit „Mörder ohne Gesicht“ und „Hunde von Riga“ hierzulande die ersten beiden Krimis um den schwedischen Kriminalkommissar Kurt Wallander von Henning Mankell veröffentlicht wurden, brach schnell ein regelrechtes Skandinavien-Krimi-Fieber aus, in dessen Sog Autoren die Karrieren von Autoren wie Håkan Nesser, Stieg Larsson, Jussi Adler-Olsen, Arne Dahl und Jo Nesbø beflügelt wurden. Neben den vielfach verfilmten Romanen um den sympathischen Kurt Wallander machte Mankell auch mit seinen Afrika-Romanen („Das Auge des Leoparden“, „Der Chronist der Winde“) Furore, doch nach Mankells Tod im Jahr 2015 ebbten die Veröffentlichungen des schwedischen Bestseller-Autors naturgemäß ab. Umso erstaunlicher wirken Mankells Frühwerke aus den 1970er Jahren, die erst jetzt ins Deutsche übersetzt wurden. Nach den Kurzromanen „Der Sprengmeister“ und „Der Sandmaler“ widmet sich Mankell in dem 1977 im Original veröffentlichten Roman „Der Verrückte“ einem äußerst dunklen Kapitel der schwedischen Geschichte. 
Der Mittdreißiger Bertil Kras hat kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs genug von Stockholm, wo er bei einem Botendienst beschäftigt war, und landet im September 1947 in der kleinen Ortschaft in Norrland, wo er sich in der Pension des Witwers Helmer Gustafson für „eine Zeit lang“ ein Zimmer nimmt und als überzeugter Kommunist bald von Gleichgesinnten erfährt, dass es im Wald ein Lager, eine „Arbeitskompanie“ gegeben habe, in der in den letzten Kriegsjahren Kommunisten und andere politische Oppositionelle interniert waren. Nachdem das Lager abgefackelt worden war, haben sich zwar Fichten auf der Brandstelle ausgebreitet, doch in den Felsspalten sind immer noch Müllreste von kaputten Spaten, Ölfässern, Stiefeln und Konservendosen zu sehen. 
Zu den im Oktober 1940 von Polizeikommissar Lönngren und seinen Kollegen festgenommenen und internierten Kommunisten zählten Svante Eriksson, der nach seiner Freilassung mit seinen Genossen auf Wiedergutmachung drängt. Kras, der schnell Arbeit in dem örtlichen Sägewerk findet und sich in die alleinerziehende Kellnerin Margot verliebt, unterstützt das Anliegen seiner Genossen, in einem offenen Brief an das Lokalblatt auf das Vorgehen der Nazi-Sympathisanten hinzuweisen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Der Brief sorgt schließlich für Unruhe in dem Dorf. Als das Sägewerk abbrennt und Direktor Rader tot aufgefunden wird, gerät Kras unter Verdacht. Auch wenn es dafür keine Beweise gibt, geraten Kras und Margot zunehmend unter Druck… 
„Sie erlauben es ihrer Beziehung nicht zu wachsen, sich nach innen zu öffnen. Sie essen zusammen, kümmern sich zusammen um Rubinchen, schlafen zusammen, unternehmen zusammen Sonntagsausflüge. Nur ganz selten sprechen sie über Gedanken und Gefühle. Ich weiß ja nicht einmal, wovon sie träumt, denkt er. Mit einem Mal merkt er, dass ihm Margot fremd ist, dass er sich kaum an ihr Gesicht erinnern kann, obwohl er erst vor einer Viertelstunde bei ihr war. Und er fragt sich, ob das für sie genauso ist.“ (S. 263) 
Nicht mal dreißig Jahre war Henning Mankell alt, als er seinen ersten großen Spannungsroman veröffentlichte. Mit „Der Verrückte“ erweist sich der spätere Bestseller-Autor als analytischer Beobachter der schwedischen Nachkriegs-Gesellschaft, dessen öffentliches Leben von etlichen Nazi-Sympathisanten bestimmt worden ist. Auch hier versuchen die einflussreichen Geschäftsleute, die mit den Nazis kooperiert haben, den Schaden, den der veröffentlichte Brief der Kommunisten in der Gemeinde verursacht hat, auf ein Minimum zu reduzieren. 
Wer am Ende das Sägewerk in Brand gesteckt und den Direktor umgebracht hat, wird nicht aufgelöst, ist für den Roman aber auch nicht wichtig. Viel wichtiger sind die minutiösen Milieubeschreibungen von einfachen Menschen, die ihre Arbeit verrichten und ein wenig Glück in der Familie finden wollen. Der Brand und seine Folgen dienen letztlich dazu, die verdächtigen, unerwünschten Personen auszugrenzen, bis sie aufgeben und abziehen oder – wie hier – Amok laufen. 
„Der Verrückte“ ist so mehr ein Gesellschafts- als ein Spannungsroman, der Licht in ein dunkles, hierzulande kaum bekanntes Kapitel der schwedischen Nachkriegsgeschichte beleuchtet und so Bezüge zu den bedenklichen Entwicklungen zunehmend autoritär regierter Länder in Europa in der heutigen Zeit herstellt.  

Henning Mankell – „Der Chinese“

Sonntag, 6. August 2023

(Zsolnay, 606 S., HC) 
Zwar begann der Schwede Henning Mankell bereits in den 1970er Jahren seine Schriftsteller-Karriere, doch erst mit den zu Beginn der 1990er Jahre initiierten Romanen um Kriminalkommissar Kurt Wallander wurde Mankell international berühmt und löste auch hierzulande eine Mankell-Mania aus, in deren Folge viele weitere skandinavische Autoren die Bestseller-Listen stürmten. Nach dem 8. Band „Die Brandmauer“ schien jedoch Schluss zu sein. Es folgten noch der Sammelband „Wallanders erster Fall und andere Erzählungen“ sowie mit „Vor dem Frost“ der angedeutete Auftakt einer neuen Reihe, in der Linda Wallander die Arbeit ihres Vaters fortsetzt.  
Mankell versuchte, sich mit den Romanen „Tiefe“ (2005), „Kennedys Hirn“ (2006) und „Die italienischen Schuhe“ (2007) auf anderen literarischen Pfaden zu etablieren, doch wiesen sie nach wie vor vertraute Krimi- und Thriller-Elemente auf, die zunächst auch Mankells 2008 veröffentlichten Roman „Der Chinese“ prägen. Doch dann verhebt sich der Autor an einer sehr persönlichen Geschichtslektion über das Reich der Mitte. 
Als der Fotograf Karsten Höglin auf der Suche nach Motiven für seine Dokumentation über verlassene Dörfer und von der Entvölkerung bedrohte Ortschaften von Hudiksvall nach Hesjövallen fährt, macht er eine grausige Entdeckung. Offenbar wurden bis auf ein Alt-Hippie-Pärchen und eine alte senile Frau alle achtzehn Bewohner des Dorfes und ein kleiner Junge auf bestialische Weise in ihren Häusern getötet. Die Polizei steht vor einem Rätsel, zumal kein Motiv zu erkennen ist. Vivi Sundberg und Erik Huddén, die die Ermittlungen leiten, stellen schnell fest, dass die Opfer den Familien Andersson, Andrén und Magnusson angehörten, die durch Heirat allesamt miteinander verwandt waren. Als die Richterin Birgitta Roslin in der Zeitung von dem Massaker liest und dabei entdeckt, dass einige der Toten den Namen Andrén trugen, ahnt sie sofort, dass ihre Adoptiveltern August und Britta Andrén unter den Mordopfern sind. 
Zwar nimmt die Polizei bald einen geständigen Mann fest, doch die Richterin ist fest davon überzeugt, dass mehr hinter dem Massaker steckt. Sie besucht mit Sundberg das Haus ihrer Adoptiveltern und nimmt aus einer Schublade Tagebücher mit und erfährt bei einer Internetrecherche, dass auch im US-Bundesstaat Nevada eine Schlosserfamilie namens Andrén brutal ermordet worden ist. 
Bei der Lektüre der Tagebücher entdeckt sie schließlich einen Zusammenhang zwischen den Morden in den USA und Schweden mit chinesischen Arbeitern, die in Mitte der 1800er Jahre in den USA das Schienennetz verlegten, das den Westen mit dem Osten des Landes verbinden sollte. Als sich der Verdächtige in seiner Zelle erhängt hat, nimmt Birgitta Roslin eigene Ermittlungen auf und reist mit ihrer Freundin Karin nach Peking… 
„Es war zu groß, dachte sie. Nicht dass ein zielbewusster Mann es nicht allein durchführen konnte. Aber ein Mann, der in Hälsingland lebt und nur ein paar Vorstrafen wegen Körperverletzung hat? Er gesteht etwas, was er nicht begangen hat. Dann zeigt er der Polizei eine selbstgeschmiedete Waffe und erhängt sich in seiner Zelle. Natürlich kann ich mich irren. Aber etwas stimmt hier nicht. Seine Festnahme verlief viel zu glatt. Und was für eine Rache konnte das sein, die er als Motiv nannte?“ (S. 316) 
Henning Mankell hat sich mit seinem Roman „Der Chinese“ viel vorgenommen. Der auf zunächst knapp 150 Seiten entwickelte Kriminalfall mit dem Abschlachten fast aller Bewohner eines kleinen Dorfes in Schweden dient nur als Auftakt für einen Exkurs, der die Ereignisse lebendig macht, die die Richterin Birgitta Roslin in den von ihren Adoptiveltern aufbewahrten Tagebüchern entdeckt. Hier steht die erschütternde Reise der drei verarmten und durch den Mord an ihren Eltern verwaisten Brüder San, Wu und Guo Si, die im Jahr 1863 aus einem abgelegenen Dorf in der chinesischen Provinz Guangxi nach Kanton fliehen, entführt und wie Tausende anderer armer chinesischer Bauern nach Amerika gebracht werden, wo sie unter der Führung eines schwedischen Vorarbeiters das Gebirge abtragen, das den Weg frei für die Eisenbahn machen soll, die durch den ganzen Kontinent führt. 
Ein weiterer Handlungsstrang eröffnet sich, als Birgitta Roslin nach China reist, wo ihr zunächst die Handtasche gestohlen wird und dann die Bekanntschaft der undurchsichtigen hohen Beamtin Hong macht. Mit der Feindschaft zwischen Hong und ihrem mächtigen Bruder Ya Ru thematisiert Mankell die enorme Herausforderung, mit der das kommunistische China die Armut im eigenen Land bekämpfen will. Ya Ru macht sich dafür stark, dass Millionen von armen Bauern nach Afrika umgesiedelt werden, um dort in fruchtbaren Flussgebieten sich eine neue Existenz aufbauen zu können. 
Die Krimihandlung gerät dabei komplett in den Hintergrund, und das rote Band, das am Tatort in Hesjövallen gefunden wird und zu einem China-Restaurant führt, verkommt zu einem Hitchcock-typischen MacGuffin. Vielmehr ist dem Autor daran gelegen, sich mit der Geschichte Chinas auseinanderzusetzen und dabei vor allem den Maoismus in den Vordergrund stellt. So interessant seine Ausführungen auch sind, nehmen sie dem Krimi-Plot die Zugkraft, und in den konstruierten Verbindungen zwischen den Schweden, Chinesen, Amerikanern und zuletzt auch Afrikanern verliert Mankell vollends den Faden. Zwar versucht er zum Ende hin, die losen Fäden wieder zusammenzufügen, doch gelingt ihm das nur sehr bedingt. Damit zählt „Der Chinese“ mit seinem überfrachteten, überambitionierten Plot und der am Ende recht eindimensionalen Analyse der chinesischen Kultur und Politik zu den schlechteren Romanen des 2015 verstorbenen Autors. 

 

Henning Mankell – (Kurt Wallander: 10) „Mord im Herbst“

Donnerstag, 27. Oktober 2022

(Zsolnay, 144 S., HC) 
Die Kurt-Wallander-Reihe des schwedischen Bestseller-Autors Henning Mankell zählt fraglos zu den großen Erfolgsgeschichten der skandinavischen Kriminalliteratur, die mittlerweile auch aus dem deutschen Buchmarkt nicht mehr wegzudenken ist. Doch nach zehn Romanen ging Wallander 2010 mit „Der Feind im Schatten“ zumindest in literarischer Hinsicht in Rente. Bis zu seinem Tod im Jahr 2015 verspürte Mankell nicht mehr den Wunsch, seinen mittlerweile international berühmten Kommissar wiederzubeleben. Dafür schob er 2013 mit „Mord im Herbst“ noch eine letzte Wallander-Geschichte nach, die ihren Ursprung in einer niederländischen Aktion hatte, wo 2004 im Monat des spannenden Buchs zu jedem gekauften Kriminalroman ein Gratis-Buch ausgegeben wurde. 
Mankell erklärte sich bereit, die Geschichte dafür zu liefern. Erst nahezu zehn Jahre später gab der Schriftsteller die Veröffentlichung auch für den schwedischen Markt frei, nachdem ihm die Verkörperung seiner Figur durch Kenneth Branagh in der Verfilmung der Geschichte durch BBC so gut gefallen hatte. 
Ende Oktober 2002 erhält Kurt Wallander an seinem freien Tag einen Anruf von seinem Kollegen Martinsson, der ihm ein Haus auf dem Land nicht weit von Löderup zur Besichtigung anbietet. Seit sein Vater gestorben ist, denkt Wallander immer wieder daran, aus der Mariagatan im Zentrum von Ystad auszuziehen und sein Leben zu verändern, indem er aufs Land zieht und sich einen Hund anschafft. Doch als sich Wallander auf dem Grundstück umsieht, stolpert er fast über eine skelettierte Hand, die leicht aus dem Boden ragt. Bei der Untersuchung des Tatort stoßen die Polizisten nicht nur auf die dazugehörige Leiche einer Frau, die zum Zeitpunkt ihres Todes gut fünfzig Jahre alt war, sondern auch auf die eines Mannes. Die Frau wurde offenbar gehängt, der Mann erschlagen. Allerdings liegen die beiden Körper seit vielen Jahren dort, was die Aufklärung des Verbrechens schwierig macht, zumal keine Personen in dem Alter als vermisst gemeldet wurden. 
Also versuchen es Wallander und seine Kollegen, darunter auch seine Tochter Linda, mit den Grundbucheinträgen und möglichen Zeitzeugen, die allerdings schwer aufzutreiben sind… 
„Wallander hatte schon vor vielen Jahren gelernt, dass Geduld mit sich selbst eine der vielen Tugenden war, über die ein Polizist verfügen sollte. Es gab immer Tage, an denen nichts geschah, an denen eine Ermittlung festgefahren war und sich weder vorwärts noch rückwärts bewegte. Dann brauchte man Geduld, um den Moment abzuwarten, in dem das Problem zu lösen war.“ (S. 97) 
Auch wenn „Mord im Herbst“ als zehnte Wallander-Erzählung gilt, lässt sie sich doch kaum mit den zehn Romanen vergleichen, mit denen Mankell in kurzer Zeit die internationale Krimi-Welt begeistert hat. Das liegt vor allem in der Kürze von gerade mal 120 Seiten, in denen nur kurz die Opfer und die an ihnen verübten Verbrechen skizziert werden und dann trotz lange fehlender Anhaltspunkte der Fall recht schnörkellos aufgeklärt wird. Da bleibt kein Raum für ausschweifende Charakterisierungen, philosophische und sozialkritische Betrachtungen und die alltäglichen Hürden minutiöser Polizeiarbeit. Einzig Wallanders Wunsch nach einem Haus auf dem Land und die nicht immer leichte Beziehung zu seiner Tochter, mit der er zusammenlebt, bringen eine persönliche Note in die Geschichte, ansonsten reduziert Mankell die Geschichte wirklich auf das Nötigste. 
Das mag als literarische Übung interessant erscheinen, lässt allerdings jegliche Spannung vermissen. Weit informativer ist das Nachwort des Autors, der die Gelegenheit wahrnimmt, um zu rekapitulieren, wie er die Figur Kurt Wallander erfand, über welche Eigenschaften er verfügen sollte und wie er zu einer sehr menschlichen Identifikationsfigur wurde, die sich vor allem immer wieder über die offensichtliche Zerrüttung der Sitten und Moral in Schweden beklagte. 
Für Wallander-Fans ist „Mord im Herbst“ schon wegen des Nachworts ein Muss, auch wenn das Vergnügen sehr kurz bemessen ist. 

 

Henning Mankell – (Kurt Wallander: 7) „Mittsommermord“

Montag, 22. Februar 2021

(Zsolnay, 603 S., HC) 
Am 22. Juni 1996 feiern drei junge Freunde an einem geheimen Ort im Naturreservat ihr ganz privates Mittsommerfest, wobei sie sich in die Zeit des Rokokopoeten Bellman hineinversetzen, sich entsprechend verkleiden und verschiedene Aufnahmen von „Fredmans Episteln“ hören. Allerdings kehren Astrid Hillström, Martin Boge und Lena Norman nicht nach Hause zurück. Stattdessen scheinen sich die drei jungen Leute unbemerkt auf eine spontane Europareise begeben zu haben, doch Eva Hillström glaubt nicht, dass die Postkarten aus Hamburg, Paris und Wien nicht von ihrer Tochter geschrieben worden seien. Als sie ihren Verdacht im Polizeipräsidium von Ystad zu Protokoll gibt, ist Kriminalkommissar Kurt Wallander gerade damit beschäftigt, das Haus seines vor zwei Jahren verstorbenen Vaters zu verkaufen und sich um seinen gerade diagnostizierten Diabetes zu kümmern. 
Als sein Kollege Svedberg erschossen in seiner Wohnung aufgefunden wird, wird bald ein Zusammenhang mit den drei Jugendlichen deutlich, die kurz darauf tot im Naturreservat bei Ystad gefunden werden. Offenbar hat Svedberg während seines Urlaubs auf eigene Faust das Verschwinden der Jugendlichen untersucht und wurde wahrscheinlich vom selben Täter erschossen wie die verkleideten Jugendlichen. Wallander muss während der Ermittlungen feststellen, dass er Svedberg nicht gut kannte, während der getötete Kollege Wallander offenbar als seinen besten Freund bezeichnet hatte. 
Das Motiv des Täters bleibt unklar. Weder Svedbergs nächsten Verwandten, seine Schwester Ylva Brink und sein Cousin Sture Björklund, noch der pensionierte Bankdirektor Bror Sundelius, mit dem Svedberg zusammen die Sterne betrachtete, bringen die Ermittlungen wesentlich voran. Zu denken gibt Wallander, dass Svedberg eine Frau namens Louise getroffen haben soll, die allerdings spurlos verschwunden bzw. unbekannt zu sein scheint. 
„Wallander war ratlos. Doch im Grunde genommen war er noch nicht wieder imstande zu denken. Das Geschehene lähmte ihn. Wer konnte drei Jugendliche töten, die sich verkleidet hatten, um zusammen Mittsommer zu feiern? Es war die grauenhafte Tat eines Wahnsinnigen. Und im Umfeld dieser Wahnsinnstat, entweder an ihrem Rand oder in der Nähe ihres Zentrums, hatte sich ein weiterer Mensch befunden, der jetzt ebenfalls tot war. 
Svedberg. Was hatte er damit zu tun? Auf welche Weise war er in die Sache verwickelt?“ (S. 193) 
Als dann noch ein Mädchen ermordet wird, das die drei getöteten Jugendlichen beim Mittsommerfest eigentlich begleiten sollte, wegen einer Magenverstimmung aber zuhause bleiben musste, dann noch ein frisch vermähltes Hochzeitspaar und ihr Fotograf am Strand erschossen werden, bekommen Wallander & Co. zunehmend das Gefühl, es mit einem Serienmörder zu tun zu haben, der das Glück anderer Leute schwer ertragen kann … 
Mit seinem siebten Band um den charismatischen, wenn auch übergewichtigen Kommissar Kurt Wallander hat der schwedische Bestseller-Autor Henning Mankell seinen bis dahin vielleicht besten Thriller abgeliefert. Das liegt vor allem an dem raffiniert konstruierten Plot, bei dem zwar schnell deutlich wird, dass der Mord an den drei Jugendlichen zum Mittsommerfest und die Ermordung von Wallanders Kollegen Svedberg irgendwie zusammenhängen, aber die Verbindung lässt sich lange Zeit nur erahnen und kristallisiert sich nur sukzessive durch einzelne Puzzlestücke heraus. 
Mankell nutzt die grausamen Taten einmal mehr dazu, seinen Protagonisten über die Verrohung der schwedischen Gesellschaft und die Budgetkürzungen bei der Polizei lamentieren zu lassen, doch die betrüblichen Umstände lassen Wallander letztlich doch wacker weiter seinen Dienst tun, um deutlich Flagge zu zeigen im Kampf gegen das Verbrechen. Privates bleibt im immerhin 600-seitigen Thriller weitgehend außen vor, im Mittelpunkt steht hier vor allem Wallanders Kampf gegen den Diabetes. Während Mankell ausführlich die schwierige Ermittlungsarbeit von Wallander und seiner Mannschaft beschreibt, rückt er gelegentlich auch die Perspektive des Täters in die Handlung ein, doch sind die polizeilichen Aktivitäten weit packender inszeniert und machen „Mittsommermord“ zu einem echten Pageturner.  

Henning Mankell – (Kurt Wallander: 6) „Die fünfte Frau“

Montag, 16. November 2020

(Zsolnay, 544 S., HC) 
Der achtundsiebzigjährige ehemalige erfolgreiche Autoverkäufer Holger Eriksson lebt allein auf seinem abgelegenen Hof und verbringt seine Zeit mit dem Schreiben von Gedichten über Vögel. Als er in einer Septembernacht des Jahres 1994 sein Haus verlässt, um draußen die Vogelzüge in den Süden zu verfolgen, bricht die an sich stabile Planke, die er über einen Graben gelegt hatte, und er wird von Bambusstangen im Graben aufgespießt. Ein Mann, der Eriksson zu einem verabredeten Termin Öl liefern sollte, berichtet das Polizeipräsidium in Ystad von seinem Verdacht, dass da etwas nicht stimme. Währenddessen denkt Kommissar Kurt Wallander an die Romreise mit seinem demenzkranken Vater zurück, die sie einander wieder nähergebracht hatte. Doch kurz nach seiner Rückkehr verstirbt sein Vater an einem Schlaganfall in seinem Atelier. 
Mit seiner aufgeweckten Kollegin Ann-Britt Höglund kümmert sich Wallander um einen Einbruch in einem Blumenladen, wo offensichtlich nichts gestohlen wurde, aber Blutflecken auf dem Boden entdeckt werden. Der Eigentümer, Gösta Runfeldt, wollte eine Reise nach Nairobi antreten, um Orchideen zu fotografieren, doch hat er nicht mal die Fähre in Kastrup erreicht. Drei Wochen später wird der Mann mit Seilen an einen Baum gebunden und erwürgt aufgefunden. Und schließlich wird ein Forscher gegen Milcheiweißallergien in einem Sack ertrunken im See gefunden. Zunächst scheint es überhaupt keinen Zusammenhang zwischen diesen äußerst brutal ausgeführten Morden zu geben, doch mit der Zeit finden Wallander und seine Leute heraus, dass die Männer Frauen misshandelten, teilweise wahrscheinlich sogar umbrachten. Obwohl die Brutalität der Verbrechen eher auf einen Mann als Täter hindeutet, gelangen Wallander & Co. zunehmend zur Überzeugung, dass eine Frau sich für die an ihrem Geschlecht verübten Verbrechen rächt. Eine erste Spur führt dabei auf die Entbindungsstation eines Krankenhauses, wo eine Frau in Schwesterntracht bemerkt wird, die offensichtlich nicht zum Kollegium gehört. 
„Ihm war auf einmal klar, dass das Motiv nichts anderes sein konnte als Rache. Doch dies hier überstieg alle fassbaren Proportionen. Was rächte der Täter? Was war der Hintergrund? Etwas so Ungeheuerliches, dass es nicht ausreichte, einfach zu töten, sondern dass denen, die starben, auch bewusst werden sollte, was mit ihnen geschah. 
Dahinter verbergen sich keine Zufälle, dachte Wallander. Alles ist genau ausgedacht – und ausgewählt.“ (S. 335) 
Mit seinem sechsten Wallander-Roman knüpfte der schwedische Bestseller-Autor Henning Mankell thematisch an den vorangegangenen Krimi „Die falsche Fährte“ an, denn auch hier ist Rache für Verbrechen an Menschen, die dem Täter auf irgendeine persönliche Art nahestehen, das Motiv, aus dem sich die wiederum sehr brutalen Taten erklären. Dabei stehen die einzelnen Mordarten in direktem Zusammenhang mit den Verbrechen, die die Männer an Frauen begangen haben, und folgen somit einer alttestamentarischen Vergeltungsphilosophie. Die unvorstellbare Brutalität der Verbrechen macht die Ermittler nahezu fassungslos. 
Mankell verweist dabei aber auch immer wieder auf die Verrohung der schwedischen Gesellschaft, die Kürzungen im Polizeiapparat, so dass sich immer mehr Bürgerwehren formieren, um das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen. Darunter muss sogar Wallanders Kollege Martinsson leiden, dessen Tochter in der Schule misshandelt worden ist, nur weil ihr Vater Polizist ist. Wallanders private Baustellen kommen bei dem umfassend beschriebenen Gewalt-Thema leider etwas kurz, vor allem die Fernbeziehung mit Baiba, die noch unschlüssig scheint, ob sie zu ihrem Geliebten nach Schweden ziehen soll. Aber auch der plötzliche Tod seines Vaters und die Beziehung zu seiner Tochter Linda werden nur am Rande angerissen. Auf jeden Fall ist Mankell mit „Die fünfte Frau“ ein komplexer Krimi gelungen, bei dem er sein Publikum sehr detailliert an den Ermittlungen und Überlegungen teilhaben lässt. Dazu regt die drastisch inszenierte Gewalt, die sich über die zunächst im Zentrum stehenden Morde bis zu den Bürgerwehren erstreckt, nach wie vor zum Nachdenken über die Ausbreitung von Gewalt in der modernen, zivilisierten Welt an.


Henning Mankell – (Kurt Wallander: 5) „Die falsche Fährte“

Samstag, 18. Juli 2020

(Zsolnay, 494 S., HC)
Hauptkommissar Kurt Wallander verabschiedet mit einer Rede den bisherigen Polizeipräsidenten Björk, der in Malmö seine neue Anstellung als Chef des Ausländerkommissariats der Provinzverwaltung antritt, und würde dabei am liebsten seiner Besorgnis um die geplanten Kürzungen und Umstrukturierungen bei der Polizei Ausdruck verleihen, doch letztlich freut er sich viel zu sehr auf seinen bevorstehenden, dringend benötigten Urlaub in ein paar Wochen. Doch als er einem merkwürdigen Anruf nachgeht, der von einem Hof in der Nähe von Marvinsholm erfolgte und auf eine sonderbar auftretende Frau in einem Rapsfeld hinwies, wird Wallander Zeuge, wie sich das Mädchen vor ihm plötzlich mit Benzin übergießt und sich selbst verbrennt. Einen Hinweis auf die Identität des Mädchens gibt nur ein Madonnenbild mit den Initialen D.M.S.
Bevor sich Wallander jedoch eingehender mit dem traurigen Schicksal des Mädchens beschäftigen kann, wird er mit einem Fall konfrontiert, der seine Urlaubsplanung mit seiner in Riga lebenden Freundin Baiba ernsthaft gefährdet. Am Strand bei Sandskogen wird die Leiche des ehemaligen Justizministers Gustaf Wetterstedt gefunden. Sei unter einem umgekehrten Boot in der Nähe seines Hauses sichergestellter Körper weist tödlich durchtrenntes Rückgrat und eine Kopfwunde, die darauf hinweist, dass dem Toten die Haare von Schädel gerissen wurden. Ein Motiv lässt sich zunächst nicht erkennen. Erst als Wallander den ehemaligen, alkoholsüchtigen „Expressen“-Journalisten Lars Magnusson aufsucht, bekommen die vagen Gerüchte um Wetterstedt mehr Kontur.
Offensichtlich hegte Wetterstedt eine Vorliebe für junge Mädchen, die er sich regelmäßig von seinen Assistenten kommen ließ und die er auch misshandelte, doch eine gegen ihn gerichtete Anzeige wurde schließlich zurückgezogen. Auf diesen ersten ritualistisch anmutenden Mord folgen schließlich weitere: Der wohlhabende Kunsthändler Arne Carlman wird auf dem von ihm ausgerichteten Mittsommerfest auf seinem Hof ebenso bestialisch ermordet. Als Berührungspunkt zwischen den beiden Opfern offenbart sich ein Gefängnisaufenthalt Carlmans Ende der 1960er Jahre, als Wetterstedt Justizminister gewesen war und die beiden sich nach Carlmans Freilassung getroffen hatten. Doch diese beiden grauenerregenden Fälle stellen nur den Anfang einer Reihe von weiteren Morden dar, die an einem kleinen Hehler und einem Finanzmagnaten verübt werden. Nun fällt es Wallanders Leuten auch in Zusammenarbeit mit den Leuten in Malmö immer schwerer, Zusammenhänge zwischen den Opfern zu erkennen.
Währenddessen meldet Interpol, dass es sich bei dem Mädchen, das sich vor Wallanders Augen im Rapsfeld verbrannt hat, um Dolores Maria Santana aus der Dominikanischen Republik handelt, die über Madrid nach Schweden eingeschleust worden ist, um wahrscheinlich als Prostituierte auf den Strich geschickt zu werden …
„Er stellte sich die trostlose Frage, was das eigentlich für eine Welt war, in der er lebte. In der junge Menschen sich selbst verbrannten oder auf andere Art und Weise versuchten, sich das Leben zu nehmen. Er kam zu dem Ergebnis, dass sie mitten in einer Epoche lebten, die man die Zeit des Scheiterns nennen konnte. Sie hatten an etwas geglaubt und es aufgebaut, doch es erwies sich als weniger haltbar, als sie erwartet hatten. Sie hatten gemeint, ein Haus zu bauen, während sie in Wirklichkeit mit der Errichtung eines Denkmals beschäftigt waren für etwas, das bereits vergangen und fast vergessen war.“ (S. 262) 
Obwohl es ein wunderschöner Sommer im schwedischen Schonen ist, kommt Kriminalhauptkommissar Kurt Wallander überhaupt nicht dazu, ihn zu genießen. Stattdessen wird er mit ungeheuerlichen Verbrechen konfrontiert, die ihm schmerzlich vor Augen führen, wohin die einst hehren Träume von einer besseren Welt verschwunden und einer zunehmend brutaleren, von egoistischen Interessen nach Macht und Reichtum geprägten Zeit gewichen sind. Der fünfte Band in der Reihe um Kurt Wallander des 2015 verstorbenen schwedischen Bestseller-Autoren Henning Mankell erweist sich als bis dahin bester, atmosphärisch dichtester und auch bedrückendster Roman. Das Geschehen schildert er sowohl aus der Ermittler-Perspektive als auch des namentlich nicht genannten und somit lange Zeit für den Leser unbekannten Täters, aber von Beginn an liegt das Missbrauchsthema in der Luft, das sich mit dem Selbstmord des Mädchens vor Wallanders Augen zunächst nur andeutet, mit den Gerüchten um die Vorlieben der brutal getöteten Männer aber zunehmend offensichtlicher wird. Dieses Missbrauchsthema hängt Mankell zwar vor allem an der Zwangsprostitution und dem Menschenhandel auf, doch bettet er diese beklagenswerten Zustände in eine umfassendere pessimistische Weltsicht ein, in der die ausgebildeten Polizisten immer weniger Befugnisse haben, moralische Verwerfungen und kriminelle Handlungen nicht mehr in der angebrachten Schärfe geahndet werden und Korruption und Machtmissbrauch an der Tagesordnung stehen.
Mankell widmet aber auch seinem Protagonisten viel Raum zur Entwicklung. So steht ihm nicht nur seine erwachsen gewordene Tochter Linda näher, die sich klarzuwerden versucht, was sie aus ihrem Leben machen will, auch sein an Demenz erkrankter Vater, der mit seinem Sohn einmal nach Italien reisen will, und die noch nicht klar definierte Fernbeziehung zu Baiba beschäftigen Wallander so stark, dass er gar nicht merkt, dass er selbst zur Zielscheibe des Axtmörders werden könnte.
Mankell erweist sich als Meister des gesellschaftskritischen Krimis und findet in der Beschreibung der furchterregenden Morde und der beängstigenden Zustände der schwedischen Gesellschaft stets die richtigen Worte, um den Leser zu fesseln.
Leseprobe Henning Mankell - "Die falsche Fährte"

Henning Mankell – (Kurt Wallander: 4) „Der Mann, der lächelte“

Montag, 11. Mai 2020

(Zsolnay, 382 S., HC)
Seit Kommissar Kurt Wallander in Notwehr einen Menschen erschossen hat, ist er nicht mehr er selbst. Während seiner mittlerweile über ein Jahr andauernden Berufsunfähigkeit hat er seine Ohnmacht zu kurieren versucht, indem er Reisen auf die Karibischen Inseln und nach Thailand gebucht hat, doch ist er dabei stets vollkommen dem Alkohol verfallen. Erst der Aufenthalt in einer kleinen Pension in Skagen, in der er vor vielen Jahren, kurz nach der Geburt seiner Tochter Linda einige Wochen mit seiner Frau Mona verbracht hatte, bringt ihn etwas zur Ruhe. Doch gerade in dem Moment, als er beschließt, den Polizeidienst endgültig zu beenden, bekommt er Besuch von dem Anwalt Sten Torstensson, der Wallander damals bei der Scheidung von Mona vertrat. Torstensson erzählt von dem Tod seines Vaters, mit dem er zusammen die Kanzlei führte. Laut Polizeibericht soll er im Dunkeln zu schnell gefahren und von der Landstraße abgekommen sein, doch Torstensson ist überzeugt, dass sein übervorsichtiger Vater sich nie und nimmer zu Tode fahren würde. Allerdings sei er in der Zeit vor seinem Tod ungewöhnlich aufgewühlt gewesen.
Torstenssons Wunsch, die näheren Umstände des Todes seines Vaters zu betrachten, will Wallander allerdings nicht nachkommen. Sein Entschluss, seine Karriere bei der Polizei zu beenden, steht fest. Doch gerade an dem Tag, als Wallander sein Abschiedsgesuch einreichen will, erfährt er, dass Sten Torstensson in seiner Kanzlei ermordet aufgefunden wurde. Dieser Vorfall ändert alles. Auf einmal ist sich Wallander ebenso sicher, dass er die Todesfälle der beiden Anwälte aufklären und wieder seinen Dienst aufnehmen muss, wie er zuvor seinen Abschied nehmen wollte.
Zusammen mit seiner neuen, sehr aufgeweckten Kollegin Ann-Britt Höglund nimmt Wallander vor allem dem international tätigen Geschäftsmann Alfred Harderberg unter die Lupe. Gustav Torstensson war nämlich auf dem Weg von Harderbergs schwedischen Zentrale Schloss Farnholm nach Hause, als er tödlich verunglückte. Allerdings gestaltet es sich schwierig, hinter die Machenschaften des gut gebräunten und stets lächelnden Wirtschaftsbosses zu kommen, der zwar als Kunstmäzene und Wohltäter bekannt ist, allerdings auch in Verbindung mit Organhandel gebracht wird.
Bei seinen Bemühungen, hinter die Geheimnisse von Harderbergs Machenschaften zu kommen, wird Wallander an seinen Vater erinnert, der seine Bilder mit den immergleichen Landschaften mit oder ohne Auerhahn oft an gut situierte Männer in Seidenanzügen verkauft hatte.
„Immer gab es jemanden, der offen oder unausgesprochen von oben diktierte, was der unter ihm Stehende zu tun hatte. Er erinnerte sich, in seiner Kindheit Arbeiter gesehen zu haben, die mit der Mütze in der Hand stehenblieben, wenn jemand, der über ihr Leben bestimmte, vorbeiging. Er dachte daran, wie sein Vater vor den Seidenrittern gedienert hatte.
Auch ich halte eine Mütze in der Hand, dachte Wallander. Ich merke es nur manchmal nicht.“ (S. 234) 
Der schwedische Bestseller-Autor Henning Mankell (1948-2015) hat mit dem in der schwedischen Kleinstadt Ystad wirkenden Kriminalkommissar Kurt Wallander eine zutiefst menschliche Figur kreiert, die mit einem außergewöhnlichen kriminalistischen Spürsinn und Eigensinn ebenso ausgestattet ist wie mit deutlichen sozialen Defiziten.
Wallanders vierter Fall „Der Mann, der lächelte“ nimmt seinen Ausgang am absoluten Tiefpunkt in Wallanders Leben. Schließlich kann er sich nach der Tötung eines Menschen nicht mehr vorstellen, seinen Beruf auszuüben, und ertränkt seine Schuldgefühle in alkoholischen Exzessen. Die Rückkehr in den Polizeidienst vollzieht Wallander aber dann überraschend zügig und ohne großes Aufhebens. Was folgt, ist kein typischer Whodunit-Plot, denn dass der schwerreiche Geschäftsmann Harderbergs irgendwie hinter den Morden an den beiden Anwälten steckt, wird früh deutlich. So fokussiert sich Mankell in „Der Mann, der lächelte“ eher darauf, wie sich in Schweden die gesellschaftlichen Verhältnisse verändert haben, wie skrupellos die Mächtigen ihren Reichtum zu vermehren versuchen. Während die Spannung eher konventionell aufgebaut wird und ohne Überraschungen auskommt, überzeugt der Roman eher als Gesellschaftsstudie, wobei aber auch die Zusammenarbeit zwischen dem legendären Wallander und seiner jungen Kollegin besonders gelungen beschrieben wird.
Leseprobe Henning Mankell - "Der Mann, der lachelte"

Henning Mankell – (Kurt Wallander: 3) „Die weiße Löwin“

Mittwoch, 8. April 2020

(Zsolnay, 560 S., HC)
Die Immobilienmaklerin Louise Åkerblom will am Freitagnachmittag noch das abgelegene Haus einer Witwe an der Abzweigung zwischen Krageholm und Vollsjö aufsuchen, bevor sie den Heimweg nach Ystad zu ihrem Mann und den beiden Kindern antritt, als ihr unterwegs bewusst wird, dass sie sich verfahren hat. Als sie sich auf einem anderen Hof nach dem Weg erkundigen will, wird sie mit einem Schuss in die Stirn getötet. Der vierundvierzigjährige Kriminalkommissar Kurt Wallander, der gerade gar nicht damit klarkommt, dass sein fast achtzigjähriger Vater seine gut dreißig Jahre jüngere Haushaltshilfe Gertrud heiraten will, übernimmt die Ermittlungen, als Louises Mann Robert am nachfolgenden Montag eine Vermisstenanzeige aufnimmt.
Die streng religiöse Methodistenfamilie scheint überhaupt keine Probleme gehabt zu haben, so dass Wallander und seinen Kollegen kein Motiv für die brutale Tat einfallen will. Als der Wagen der Toten in einem See und ihre Leiche zufällig auf dem Boden eines Brunnens entdeckt wird, führt der ebenfalls am Tatort gefundene Finger eines Schwarzen in eine ungewohnte Ermittlungsrichtung. Denn auf einmal explodiert ein Nachbarhaus. In den völlig zerstörten Mauern finden sich die Überreste einer russischen Funkanlage und einer ungewöhnlichen Pistole. Währenddessen laufen im April 1992 in Südafrika die Vorbereitungen eines Attentats auf den Präsidentschaftskandidaten Nelson Mandela auf Hochtouren. Der Bure Jan Kleyn, der dem südafrikanischen Geheimdienst angehört, hat mit einigen Verbündeten ein Komplott inszeniert, für das der südafrikanische Auftragskiller Victor Mabasha in Schweden durch den ehemaligen KGB-Agenten Konovalenko mit entsprechender Ausrüstung und Training versorgt werden soll.
Als Mabasha allerdings die unwürdige Behandlung durch seinen russischen Ausbilder nicht mehr erträgt und nicht verstehen kann, wie er die unschuldige Frau erschießen konnte, will er mit der Sache trotz der stattlichen Belohnung nichts mehr zu tun haben. Konovalenko schneidet dem Südafrikaner im Kampf einen Finger ab und verwischt durch einen Sprengsatz alle Spuren. Während er seinem Auftraggeber vorgaukelt, Mabasha getötet zu haben, schickt Kleyn mit Sikosi Tsiki den nächsten Auftragskiller nach Schweden. Als Südafrikas amtierender Präsident de Klerk von dem geplanten Attentat und seinen Hintermännern erfährt, setzt er seinen Verbündeten Scheepers mit der Aufklärung der Hintergründe zu dem Plan ein, doch die Zeit verrinnt …
„Scheepers sah durch die Scheibe und fragte sich, was mit seinem Leben geschehen würde, ob der große Plan, den de Klerk und Mandela formuliert hatten und der den Rückzug der Weißen bedeutete, gelingen konnte. Oder würde er zum Chaos führen, zu unkontrollierter Gewalt, zu einem schrecklichen Bürgerkrieg, in dem sich Positionen und Allianzen ständig änderten und schließlich nicht mehr kalkulierbar wären? Die Apokalypse, dachte er.“ (S. 488) 
Henning Mankell, der während der 68er Bewegung an Protesten gegen den Vietnamkrieg, Portugals Kolonialkrieg in Afrika und gegen das Apartheidregime in Südafrika teilgenommen hatte, schrieb mit (dem erst 2017 hierzulande veröffentlichten) „Der Sandmaler“ bereits 1974 den ersten seiner vielen Afrika-Romane und fühlte sich Zeit seines Lebens besonders innig mit diesem Kontinent verbunden. In seinem dritten Roman um den charismatischen Kriminalkommissar Kurt Wallander aus der schwedischen Kleinstadt Ystad verbindet er erstmals auf komplexe Weise einen Mordfall in seinem Zuständigkeitsbereich mit den aufrührerischen Ereignissen in Südafrika auf dem Höhepunkt der Apartheid. Immer wieder wechselt Mankell zwischen den Zeiten und Orten, nimmt sich vor allem viel Zeit, die kritischen Zustände in Südafrika zu beschreiben. Dabei lässt er in seinem Prolog die Ereignisse Revue passieren, die 1918 in Johannesburg zur Gründung des Afrikaner Broederbond geführt haben, mit dem das rassistische Apartheid-Regime seine Rechtfertigung fand. Eindringlich schildert er die Erniedrigung, unter der die Schwarzen in Südafrika leiden, ebenso wie die rassistischen Überzeugungen der Buren, die ihre Macht mit allen Mitteln zu bewahren versuchen, eben auch mit einem Geheimdienst innerhalb des Geheimdienstes.
Mankell beschreibt die ständige Angst vor Überwachung durch eigene wie durch fremde Leute. In dieser Atmosphäre der Angst, der Unsicherheit und des Hasses entwickelt sich ein Mordkomplett von komplexer Vielschichtigkeit, deren Bahnen bis nach Schweden führen. Hier hat Wallander nicht nur mit den für ihn unverständlichen Heiratsabsichten seines alten Herrn, sondern auch mit der Sorge um seine Tochter Linda und der nicht wirklich klar definierten Fernbeziehung zu der in Riga lebenden Baiba Liepa zu tun und wird schließlich mehr mit dem Mordkomplott in Südafrika verwickelt, als ihm lieb sein könnte.
Henning Mankell erweist sich in seinem dritten Wallander-Roman nicht nur als Verfechter der Aufhebung der Rassendiskriminierung in Südafrika, sondern webt aus diesem brodelnden gesellschaftspolitischen Kessel an Gewalt, Unterdrückung und Hass einen durchweg packenden Krimi-Plot, der bei den Vorgängen in Schweden etwas zu übertrieben actionlastig ausgefallen ist, was das Tempo erhöht, aber die Glaubwürdigkeit mindert.

Henning Mankell – (Kurt Wallander: 2) „Hunde von Riga“

Sonntag, 2. Februar 2020

(Zsolnay, 334 S., HC)
Im Februar 1991 erhält das Polizeipräsidium von Ystad einen anonymen Hinweis, dass vor der schonischen Ostseeküste ein Rettungsboot mit zwei toten Männern an Land treiben würde, das wenig später tatsächlich von einer Frau beim Hundespaziergang bei Mossby Strand entdeckt wird. Da es sich bei den jeweils mit einem Schuss ins Herz getöteten, zuvor brutal gefolterten um Letten handelt, bittet die schwedische Polizei die lettischen Behörden um Mithilfe. Ein hinzugezogener Kapitän identifiziert das nicht gekennzeichnete Rettungsboot als ein Produkt jugoslawischer Herkunft, dessen Typ er auf einmal auf einem russischen Fischerboot gesehen habe. Der mit den Ermittlungen betraute Kommissar Kurt Wallander erfährt bei dem Treffen mit einem anonymen Zeugen, dass das Boot offensichtlich schon längere Zeit auf dem Wasser getrieben sei und aus dem Baltikum stamme. Wallanders Team bekommt nicht nur Unterstützung von zwei Kollegen aus Stockholm, sondern vom Außenministerium auch Birgitta Törn zur Beobachtung entsandt.
Über Moskau wird schließlich die lettische Polizei informiert, die mit Major Karlis Liepa einen hohen Ermittlungsbeamten aus Riga nach Ystad schickt. Doch als das Rettungsboot aus dem Keller des Präsidiums gestohlen wird, gibt es für Liepa nichts weiter zu tun. Kurz nach seiner Rückkehr nach Riga wird Liepa jedoch ermordet und Wallander von der Polizei dort eingeladen, an der Aufklärung des Mordes mitzuwirken.
Liepas Vorgesetzten, die beiden Polizei-Obersten Murniers und Putnis, scheinen den Fall schnell aufgeklärt zu haben, können sie doch einen geständigen Mann vorweisen. Doch nicht nur Wallanders Instinkt sagt ihm, dass an der Sache etwas faul sein muss, auch Liepas Witwe Baiba ist überzeugt, dass ihr Mann einer gewaltigen Verschwörung auf die Spur gekommen sein muss, in die die restaurative Sowjetpolitik, die russische Mafia und die korrupte Polizei involviert ist. Wallander wird wieder nach Schweden zurückgeschickt, verspricht Baiba, in die er sich mittlerweile verliebt zu haben glaubt, dass er mit einer gefälschten Identität zurückkommen wird, um das irgendwo versteckte Testament ihres Mannes aufzuspüren. Dazu nehmen sie die Hilfe der lettischen Untergrundbewegung in Anspruch, doch kann jede Vorsicht nicht verhindern, dass Wallanders Begegnung mit Baiba nicht unbemerkt bleibt. Wallander ist überzeugt, dass entweder Murniers oder Putnis für Major Liepas Ermordung verantwortlich gewesen sein muss …
„Ich suche nach dem Wächter, und das muss Baiba Liepa erfahren. Irgendwo verbirgt sich ein Geheimnis, das nicht verloren gehen darf. So geschickt versteckt, dass es nur von ihr gefunden und gedeutet werden kann. Denn ihr hat er vertraut, sie war in einer Welt, in der alle anderen gefallene Engel waren, der Schutzengel des Majors.“ (S. 218) 
Mit dem 1992 veröffentlichten zweiten Band um den nun 43-jährigen schwedischen Kleinstadt-Kommissar Kurt Wallander hat der schwedische Bestseller-Autor Henning Mankell die schwierige Loslösung der baltischen Sowjetrepubliken Anfang der 1990er Jahre zum Parkett für seine außergewöhnliche Story gemacht. Durch das Antreiben der zwei lettischen Leichen an der schonischen Küste wird Wallander direkt in den Kampf um die politische Vorherrschaft in Lettland hineingezogen, wo die korrupten Bewahrer des sozialistischen Systems auf die demokratisch orientierten Erneuerer treffen. Mankell gelingt es einmal mehr, seinen Protagonisten auf sympathische Weise zu charakterisieren, wozu die seltenen Treffen mit seinem Vater zählen, der es seinem Sohn nie verziehen hat, Polizist geworden zu sein, die ebenso seltenen Telefonate mit seiner Tochter Linda, die längst ihr eigenes Leben lebt, aber auch die Frage, ob er seinen Beruf nicht an den Nagel hängen und stattdessen beim Sicherheitsdienst einer großen Reifenfirma anheuern sollte. Mankell zeichnet Wallander als Menschen aus Fleisch und Blut, als einfühlsamen Polizisten, der sich in eine jüngere Frau aus einem ihm gänzlich fremden Land verliebt, weil sie ihn braucht, um das Testament ihres ermordeten Mannes zu finden und damit die von ihm aufgedeckte Verschwörung zu entlarven.
„Hunde von Riga“ besticht in der atmosphärisch stimmigen, wenn auch bedrückenden Beschreibung der schwierigen gesellschaftspolitischen Übergangssituation in Lettland, in der es schwierig zu entscheiden war, wer zu dem restriktive und wer zu dem fortschrittlichen Lager zählt – was oft den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen konnte. In dieses düstere Szenario hat Mankell einen packenden Krimi-Plot gepackt, der den Leser bis zum Epilog zu fesseln versteht.

Henning Mankell – (Kurt Wallander: 1) „Mörder ohne Gesicht“

Montag, 1. Januar 2018

(Zsolnay, 332 S., HC)
Im Januar 1990 wird ein altes Ehepaar auf einem abgelegenen Bauernhof brutal überfallen. Als der stellvertretende Polizeichef Kurt Wallander von den Nachbarn zum Tatort gerufen wird, kommt für Johannes Lövgren jede Hilfe zu spät, seine Frau Maria flüstert noch wiederholt „Ausländer“, bevor auch sie im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen erliegt. Als die Suche der Polizei von Ystad in den Reihen ausländischer Mitbürger bei den Medien durchsickert, wird der rechtsradikale Mob aktiv, verübt einen Brandanschlag auf ein Wohnheim für Asylbewerber und bringt einen Somalier um. Wallander und seine Truppe finden zwar den ausländerfeindlichen Mörder, doch die Ermittlungen im Falle des Doppelmordes an den Lövgrens ziehen sich ohne erkennbare Erfolge dahin.
Erst als Wallander auf den mutmaßlichen Sohn von Johannes Lövgren stößt, den dieser mit seiner Geliebten gezeugt hat, und feststellt, dass der alte Lövgren durch Geschäfte mit den Nazis vermögend wurde, kommt Schwung in die Ermittlungen.
Doch nebenbei leidet Wallander unter der Trennung von seiner Frau Mona, die längst einen neuen Mann geheiratet hat. Seine Tochter Linda lässt sich kaum noch blicken, sein einsamer Vater droht zunehmend senil zu werden. Zu allem Überfluss verliebt sich Wallander kurz vor seinem 43. Geburtstag noch in die neue Staatsanwältin Anette Brolin, die vertretungsweise das Amt von Per Åkesson übernommen und ihren Mann in Stockholm zurückgelassen hat.
„Die Scheidung war durch nichts wieder rückgängig zu machen. Vielleicht würden sie hin und wieder gemeinsam essen gehen, aber ihre Lebenswege verliefen unweigerlich in verschiedene Richtungen. Ihr Schweigen trog nicht.
Er begann, an Anette Brolin zu denken, und an die farbige Frau, die in seinen Träumen zu ihm kam. Die Einsamkeit hatte ihn unvorbereitet getroffen. Nun musste er sich dazu zwingen, sie anzunehmen, um dann vielleicht allmählich das neue Leben zu finden, für das niemand außer ihm selbst die Verantwortung übernehmen konnte.“ (S. 168f.) 
„Mörder ohne Gesicht“ bildete 1991 den Auftakt der heute wegweisenden Romanreihe des schwedischen Schriftstellers Henning Mankell (1948-2015) und leitete hierzulande den bis heute anhaltenden Boom skandinavischer Krimikost ein, zu dem nachfolgend Autoren wie Hakan Nesser, Arne Dahl, Jo Nesbø, Jussi Adler-Olsen und Stieg Larsson ihren wichtigen Beitrag leisteten. Zwar erschien der Auftakt der Wallander-Reihe hierzulande bei Zsolnay im Jahre 2001 erst nach den späteren und besseren Romanen wie „Die fünfte Frau“, „Die falsche Fährte“ und „Hunde von Riga“, stellte den Lesern aber den charismatischen Kommissar als eine gebrochene Figur vor, der von seinen Ermittlungen an schwierigen Mordfällen ebenso vereinnahmt wird wie von persönlichen Problemen in Familien- und Liebesdingen.
Mit dem Mord an dem alten Bauernehepaar nimmt der Plot von Beginn an ordentlich Fahrt auf, doch nimmt Mankell sehr bald das Tempo heraus, lässt die Spannung in dem Maße schleifen, in dem Wallander keine Fortschritte mehr zu machen scheint und sogar falsche Ermittlungsansätze verfolgt. Die stagnierende Polizeiarbeit nutzt der Autor, um den Lesern seine Hauptfigur näher vorzustellen, allerdings werden die einzelnen Problemfelder jeweils nur kurz angerissen. Einzig das schwierige Verhältnis zu seinem Vater nimmt hier etwas mehr Raum ein.
In späteren Werken gelingt es Mankell, die Spannung gleichmäßiger aufrechtzuerhalten und das private Umfeld seines sehr menschlichen Protagonisten sorgfältiger auszutarieren. Doch trotz der erwähnten Schwächen bietet „Mörder ohne Gesicht“ gut geschriebene Krimi-Unterhaltung mit einem Kommissar, der in der Krimiszene einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.

Henning Mankell - (Kurt Wallander: 8) „Die Brandmauer“

Dienstag, 16. Februar 2010

(Zsolnay, 576 S., HC)
Ähnlich wie Stephen King einst der Begeisterung für das Horror-Genre den Weg geebnet hat, ist es in den letzten Jahren vor allem dem schwedischen Autor Henning Mankell gelungen, ein breites Interesse an seiner liebenswerten Figur, den Polizeikommissar Kurt Wallander und seinen oft ungewöhnlich brutalen Fällen wachzurufen. Mittlerweile gesellen sich zu den oft gleichzeitig in den Bestsellerlisten befindlichen Krimis die dazu passenden Verfilmungen, wofür auch Mankells neuer Streich prädestiniert sein dürfte.
In „Die Brandmauer“ hat es der schwedische Spürhund gleich mit mehreren ungewöhnlichen Mordfällen zu tun: Ein penibler Mann wird bei einem Abendspaziergang vor einem Bankautomaten ermordet, seine Leiche aus der Pathologie gestohlen und wieder an den Tatort zurück befördert; zwei junge Mädchen überfallen einen Taxifahrer, töten ihn mit einem Küchenmesser und zeigen bei der Verhörung nicht die geringsten Schuldgefühle. Schließlich wird nach einem Stromausfall in ganz Schonen eine verkohlte Leiche in der Transformatorstation gefunden. Wallander kommt einem gewaltigen Computerverbrechen auf die Spur und erlebt dabei, wie sein zerrüttetes Privatleben ebenfalls in die Turbulenzen des schwierigen Falles hinein gezogen wird. Spannende Leseabende sind hier wie immer garantiert.

Henning Mankell - „Kennedys Hirn“

(Zsolnay, 400 S., HC)
Als die Archäologin Louise Cantor aus Griechenland zurückkehrt, um in Schweden einen Vortrag zu halten, will sie ihren 25-jährigen Sohn Henrik besuchen, findet ihn aber tot in seiner Stockholmer Wohnung vor. Doch an Selbstmord will sie trotz der Schlafmittelvergiftung nicht glauben, dazu war es in der Wohnung zu aufgeräumt, und Henrik schlief stets nackt und nicht im Schlafanzug, wie sie ihn vorfand. Für Louise beginnt eine Odyssee, die sie zunächst nach Australien führt, wo sie ihren untergetauchten Ex-Mann Aron sucht und findet.

Mit ihm gemeinsam versucht sie die Bedeutung der Unterlagen zu ergründen, die sie in Henriks Kleiderschrank zum Verschwinden von John F. Kennedys Hirn nach dessen Obduktion gefunden hat. Die Spur führt die beiden nach Barcelona, wo Henrik eine Wohnung unterhielt, dann verschwindet Aron spurlos, Louise zieht es nach Maputo in Mosambik. Da Henrik HIV-positiv war, vermutet Louise, hier die Ursache für Henriks Tod zu finden. Je mehr sie bei Henriks Freunden und Freundinnen nachfragt, umso mehr lernt sie, dass sie ihren Sohn nicht wirklich gekannt hat. Sie selbst muss aber erst einmal das Leben in Afrika und die Mentalität der armen und kranken Menschen verstehen und stößt schließlich auf ein namenloses Asyl für AIDS-Kranke …
Mankell hat, nachdem er mit den Kommissar-Wallander-Romanen abgeschlossen hat, einen packenden Roman geschrieben, der als Krimi getarnt vor allem die sozialen Probleme in Afrika beschreibt und damit auch das Versagen der Industrienationen anprangert.

 

 

Henning Mankell - „Vor dem Frost“

(Zsolnay, 544 S., HC)
Eigentlich hatte der schwedische Bestseller-Autor Henning Mankell den langjährigen Protagonisten seiner Kriminalromane, den kauzigen Kommissar Kurt Wallander, schon halbwegs „beerdigt“: nach seinem achten Fall, „Die Brandmauer“, sollte das Kapitel Kurt Wallander eigentlich abgeschlossen sein. Mankells letzter Krimi, „Die Rückkehr des Tanzlehrers“, führte bereits einen neuen Kommissar ein, den 37-jährigen Ermittler Stefan Lindman. Mit „Vor dem Frost“ schließt sich der Kreis. Kurt Wallanders Tochter Linda, die ihrem Vater am Ende von „Die Brandmauer“ erklärte, selbst Polizistin werden zu wollen, kommt nach ihrer Ausbildung als Polizeianwärterin ans Polizeipräsidium von Ystad.
Noch bevor sie ihren Dienst dort antritt, verschwindet ihre Freundin Anna, die ihr gerade noch erzählt hatte, ihren lange verschwundenen Vater in Malmö gesehen zu haben. Als Linda in Annas Wohnung nach Spuren sucht, entdeckt sie Annas Tagebuch und darin den Namen der Kulturgeographin Birgitta Medberg, deren Vespa Linda daraufhin in einem Busch versteckt auffindet. Ein Suchtrupp findet schließlich den Kopf und die in Gebetshaltung abgehackten Hände der Frau. Zu allem Überfluss fallen brennende Schwäne vom Himmel, werden eine Tierhandlung und ein Kalb in Brand gesetzt. Dass Linda auf eigene Faust ermittelt, behagt ihrem Vater dabei ebenso wenig wie die Tatsache, dass sie sich in Stefan Lindman verliebt, der aus Boras nach Ystad gekommen ist. Auf gewohnt packende und realitätsnahe Weise schildert Mankell vor dem Hintergrund eines weltweit vorhandenen religiösen Fanatismus einen komplizierten Mordfall und eine nicht minder einfache Vater-Tochter-Beziehung.

 

Henning Mankell - (Kurt Wallander: 9) „Wallanders erster Fall“

(Zsolnay, 477 S., HC)
Dem Wunsch unzähliger Leser folgend, die die Vorgeschichte des zur Zeit wohl populärsten literarischen Kommissars, Kurt Wallander, in Erfahrung bringen wollten, bevor er als bereits gestandener Kriminalist erstmals mit „Mörder ohne Gesicht“ das Licht der Öffentlichkeit erblickte, hat der schwedische Autor Henning Mankell alle Geschichten zusammengetragen, die er in den letzten Jahren immer mal wieder sporadisch über Wallanders frühen Jahre verfasst hatte.
„Wallanders erster Fall“ ist also nur der Beginn von insgesamt fünf mehr oder weniger kniffligen Fällen, die hier versammelt sind. In der eröffnenden Titelgeschichte begegnet uns Wallander als junger Polizist von 21 Jahren, der kurz davor stand, seine Freundin Mona zu heiraten, und wir lernen den bereits kauzigen Vater kennen, zu dem Wallander offensichtlich schon immer ein schwieriges Verhältnis hatte. Eines Abends wird Wallander in seiner Wohnung von einem Knall aufgeschreckt. 
Wie sich herausstellt, ist in der Nachbarswohnung der pensionierte Seemann Artur Halen erschossen worden. Während der Ermittlungen macht Wallander durch sein kriminalistisches Geschick auf sich aufmerksam, handelt aber auch unvorsichtig, was er fast mit dem Leben hätte bezahlen müssen. Die andere längere, interessante Geschichte ist „Die Pyramide“, in der Wallander den Absturz eines nicht registrierten Flugzeugs und den Tod zweier alter Frauen untersucht, die ein Handarbeitsgeschäft leiteten, offensichtlich aber auch etwas mit den Drogentransporten des Flugzeugs zu tun hatten.