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Jeffery Deaver – (Lincoln Rhyme: 15) „Der Eindringling“

Dienstag, 28. November 2023

(Blanvalet, 496 S., HC) 
Zwar hat Jeffery Deaver bereits 1988 seine ersten Romane veröffentlicht, doch erst mit dem ersten, später von Philip Noyce mit Denzel Washington und Angelina Jolie in den Hauptrollen verfilmten ersten Band um den Kriminalist Lincoln Rhyme, „Der Knochenjäger“, gelang ihm der internationale Durchbruch. Zwischenzeitlich hat Deaver auch weitere Thriller-Reihen um die Protagonisten Kathryn Dance und Colter Shaw ins Leben gerufen, doch sein Fokus liegt nach wie vor auf der Lincoln-Rhyme-Reihe, in der nun mit „Der Eindringling“ bereits der 15. Band erscheint. 
Der in New York lebende und arbeitende und nach einem Unfall querschnittsgelähmte Kriminalist Lincoln Rhyme sagt am New York Supreme Court als Sachverständiger in der Mordanklage gegen Viktor Buryak aus, doch lässt seine Aussage seine Tätigkeit als forensischer Berater das NYPD so schlecht aussehen, dass ihm untersagt wird, weiter als Berater für die New Yorker Polizei tätig zu werden. Schließlich ist das NYPD in letzter Zeit immer öfter wegen verpfuschter Ermittlungen oder unfähiger Staatsanwälte in die Kritik geraten, was ein Verschwörungstheoretiker namens Verum in seinen Posts immer wieder betont und auf eine verschwörerische Gemeinschaft der Verborgenen verweist. 
Doch dann wird er mit dem Fall eines ungewöhnlichen Einbruchs konfrontiert. In der Wohnung der 27-jährigen Influencerin Annabelle Talese hat der Täter nicht nur einige Sachen umgeräumt, sondern auch eine Botschaft auf einer Seite aus dem Revolverblatt Daily Herald hinterlassen und sie mit „Der Schlosser“ unterzeichnet. Bei seinen Einbrüchen geht der Schlosser immer skrupelloser vor, so dass den Ermittlern die Zeit davonrinnt, denn womöglich wird der Eindringling auch vor Mord nicht mehr zurückschrecken. Währenddessen sinnt Buryak, der durch den Handel mit Informationen schwerreich geworden ist, auf Rache. Dass Rhyme ihm einen Mord anhängen wollte, will er der skrupellose Geschäftsmann nicht ungesühnt lassen. 
Durch die Mithilfe des Kriegsveteranen und Ex-Cops Lyle P. Spencer, der mittlerweile als Sicherheitschef der Whittaker Media Group, des Verlags des Daily Herald, arbeitet, kommen Rhyme und sein Team, darunter Rhymes beim NYPD arbeitende Frau Amelia Sachs, der Operationsbasis des Schlossers immer näher. Doch der scheint den Ermittlern immer noch so weit voraus zu sein, dass Rhyme sich an einen früheren Widersacher erinnert fühlt… 
„Die Vorgehensweise des Schlossers und seine Versessenheit auf komplexe Mechanismen erinnerten stark ab den Uhrmacher. War der Mann in die Stadt zurückgekehrt, um sich Rhyme vorzuknöpfen? Doch bei Licht betrachtet schien das unwahrscheinlich zu sein. Die Vorliebe von Rhymes persönlichem Gegner waren Uhren und es war kaum vorstellbar, dass jemand sich so spät in seiner Laufbahn plötzlich mit ähnlicher Intensität dem Thema Schlösser widmete. Rhyme fragte sich, ob das auch für den Schlosser galt. Was ging hier in Wahrheit vor sich?“ (S. 69) 
Jeffery Deaver hat bereits in seinen früheren Lincoln-Rhyme-Romanen interessante Verbrecher-Typen auftreten lassen, die alle Fertigkeiten des prominenten Kriminalisten herausforderten, um die hochintelligenten Täter dingfest machen zu können. In dieser Hinsicht reiht sich der Schlosser souverän ein, ohne besonders hervorzustechen. Nicht umsonst wird der Vergleich zum Uhrmacher herangezogen. So interessant die Suche nach dem Täter und seiner Identität auch ist, folgt Deaver eher konventionellen Mustern und bricht diese durch immer neue, am Ende etwas unglaubwürdige Wendungen auf, die ihre Wirkung aber zunehmend verfehlen. Dafür hätte sich der Autor anderen Themen intensiver widmen können, die ebenfalls Thema von „Der Eindringling“ sind, die Korruption innerhalb der Polizei, politische Ränkespiele, die negativen Begleiterscheinungen der Meinungs- und Pressefreiheit in Form gefährlicher Verschwörungstheorien. 
Während der Schlosser immer wieder als Ich-Erzähler auftritt und so ein wenig Kontur gewinnt, bleiben die übrigen Protagonisten übrigens enttäuschend flach. Dafür setzt „Der Eindringling“ einfach zu sehr auf Action und knallharte Wendungen. Nach einer starken ersten Hälfte flacht der Thriller deshalb im zweiten Durchgang signifikant ab, bietet aber alles in allem noch überdurchschnittliche Spannung.

Jeffery Deaver – (Colter Shaw: 3) „Vatermörder“

Donnerstag, 6. Juli 2023

(Blanvalet, 478 S., HC) 
Mit seiner 1997 initiierten Reihe um den querschnittsgelähmten Forensik-Experten Lincoln Rhyme und seiner Assistentin, der jungen Polizistin Amelia Sachs, hat Jeffery Deaver längst ein internationales Publikum in den Bann gezogen, zog eine Kinoadaption mit Denzel Washington und Angelina Jolie in den Hauptrollen ebenso nach sich wie eine zehnteilige Fernsehserie, die allerdings nach einer Staffel abgesetzt worden ist. Ähnlich wie sein Kollege David Baldacci hat Deaver aber längst weitere Romanreihen entwickelt und schreibt davon unabhängige Werke. 
Nach „Der Todesspieler“ und „Der böse Hirte“ legt der US-amerikanische Bestseller-Autor nun mit „Vatermörder“ den dritten Band um Colter Shaw vor, dessen Profession darin besteht, vermisste Personen aufzuspüren. 
Colter Shaw will die Mission seines ermordeten Vaters Ashton fortführen. Also legt er mit seiner Yamaha eine weite Reise bis zum Mission District von San Francisco zurück, wo sich in der Alvarez Street das Versteck des ehemaligen Fachmanns fürs Überleben befindet. Colters Vater hatte als Professor und Amateurhistoriker ein immenses Misstrauen gegenüber einflussreichen Konzernen, Unternehmern, Politikern und Institutionen entwickelt, die die Grauzone zwischen Legalität und Illegalität ausnutzen, um ihre ganz eigenen Interessen durchzusetzen. 
Im Kampf gegen diese Art der Korruption war Ashton Shaw mit einigen Freunden und Kollegen auf die BlackBridge Corporate Solutions gestoßen, die nicht nur im Bereich der Wirtschaftsspionage tätig ist, sondern auch einen besonders schmutzigen „urbanen Image-Plan“ verfolgt, bei dem ganze Stadtviertel mit kostenlosen Drogen überschwemmt werden, um die Kriminalitätsrate in die Höhe und die Grundstückspreise in den Keller schießen zu lassen, worauf die Bauunternehmen die begehrten Objekte zu Spottpreisen aufkaufen können. Wie Colter bei seinen weiteren Recherchen erfährt, ist BlackBridge hinter einem Dokument her, das Amos Gahl, ein ebenfalls getöteter Freund von Colters Vater, in einer BlackBridge-Kuriertasche entwenden konnte. 
Während BlackBridge nichts unversucht lässt, um an dieses Dokument zu gelangen, bekommt Colter unerwartete Schützenhilfe von seinem Bruder Russell, den er immer verantwortlich für den Mord an Ashton Shaw gehalten hat. Gemeinsam machen sie sich auf eine ungewöhnliche Schnitzeljagd. 
„Bevor sein Vater zum Anwesen zurückgekehrt und wenig später ums Leben gekommen war, hatte er sich ein letztes Mal in San Francisco aufgehalten. Womöglich hatte er genau in diesem Sessel die Hinweise zusammengetragen, die jemanden – seinen Sohn, wie sich herausstellt – dazu bringen sollten, seine Mission fortzuführen und BlackBridge Corporate Solutions zu Fall zu bringen, sofern Ashton keinen Erfolg haben würde.“ (S. 370) 
Mit dem dritten Band um den Vermissten-Aufspürer und Spurenexperten Colter Shaw präsentiert Jeffery Deaver nicht nur einen gewohnt spannenden Thriller-Plot, sondern taucht auch tiefer ein in die bislang kaum entschlüsselte Familiengeschichte. Auch in „Vatermörder“ erinnert sich der Serienheld an das Überlebenstraining, das Ashton Shaw seinen beiden Söhnen und deren Schwester angedeihen ließ, aber vor allem rückt das schwierige Verhältnis zwischen Colter und seinem älteren Bruder Russell, der mittlerweile seine eigenen Wege geht und für eine geheime Regierungsorganisation arbeitet, in den Fokus. Allerdings geht Deaver dabei nicht besonders in die Tiefe. Da die beiden Brüder kaum ein Wort miteinander reden, gewinnt ihre Beziehung noch kein tiefes Profil, bietet aber Raum für Entwicklung in den nachfolgenden Romanen. 
Die Thriller-Handlung rund um BlackBridge ist zwar actionreich und spannend, folgt aber durchweg konventionellen Pfaden und bietet kaum Überraschungen. Dass Colter nebenbei noch versucht, das Leben einer ganzen Familie zu retten, für die ein Tötungsbefehl existiert, sorgt zwar für Abwechslung, zerfasert aber auch die dramaturgische Stringenz. 
An die Klasse der ersten beiden Colter-Shaw-Bände kann „Vatermörder“ nicht ganz anknüpfen, doch bewegt sich der Thriller leicht über dem Genre-Durchschnitt.  

Jeffery Deaver – (Colter Shaw: 2) „Der böse Hirte“

Montag, 21. März 2022

(Blanvalet, 512 S., HC) 
Bevor Jeffery Deaver 1997 mit „The Bone Collector“ den ersten und später erfolgreich mit Denzel Washington und Angelina Jolie verfilmten Roman seiner Lincoln-Rhyme-Reihe veröffentlichte, hatte er bereits einige andere Werke veröffentlicht, aber bis heute ist er vor allem für seine bislang schon vierzehn Romane um den querschnittsgelähmten Ermittler bekannt. Der Erfolg dieser Reihe hat Deaver allerdings nicht davon abgehalten, über die Jahre auch andere Reihen zu entwickeln, wobei sich seit 2007 die Reihe um die Verhörspezialistin Kathryn Dance etabliert hat. Mittlerweile ist mit Colter Shaw eine weitere Figur auf den Plan getreten. Nach „Der Todesspieler“ ist nun mit „Der böse Hirte“ der zweite Teil um Shaw erschienen, dessen Profession darin besteht, vermisste Personen aufzuspüren. 
Colter Shaw wird damit beauftragt, den 27-jährigen Adam Harper aus Tacoma und seinen 20-jährigen Freund Erick Young aus Gig Harbor zu finden, die in Verbindung mit einem Hassverbrechen gesucht werden. Den beiden jungen Männern wird vorgeworfen, neben Schmierereien auf Synagogen und Kirchen in überwiegend schwarzen Gemeinden auch auf einen Prediger und Hausmeister geschossen zu haben. Allein die vom Pierce County ausgesetzte Prämie von 50.000 Dollar lockt auch Colters ungemütlichen Konkurrenten Dalton Crowe an. Bei dem Besuch der Eltern findet Shaw heraus, dass Erick nach dem Tod seines jüngeren Bruders Mark vor sechzehn Monaten eine schwere Zeit durchmachte. Offenbar hat Erick beim Besuch des Grabes seines Bruders auf dem Friedhof Adam kennengelernt, der seine Mutter verloren hatte. 
Unterwegs erhält Shaw die Nachricht, dass die Polizei die Spur der beiden Flüchtigen aufgenommen hat. Als sich Shaw der Verfolgung anschließt, beobachtet er mit Schrecken, wie sich Adam mit glückseligem Ausdruck im Gesicht die Klippen hinunterstürzt. Durch seine Assistentin Mack erhält Shaw Hinweise auf eine Art Selbsthilfegruppe, die Osiris-Stiftung. Shaw schleicht sich unter falschem Namen in die Stiftung ein, deren Anwesen sehr abgeschieden in den Bergen liegt und strengsten Sicherheitsvorkehrungen unterliegt. Da er tatsächlich auch einen Bruder verloren hat, fällt ihm das erste Gespräch bei der Aufnahme nicht schwer. 
„Hier, in diesem kleinen Raum, im Gespräch mit einem einfühlsamen, klugen und sympathischen Mann, hatte die Tarnung schlichtweg versagt. Shaw, nicht Skye, saß hier als Gefährte der Stiftung und litt tatsächlich unter dem tragischen Verlust seines Bruders. Er nahm wirklich an der erste Phase des Prozesses teil, weil er sich erneuern wollte. Er wünschte sich im Ernst, zum Auszubildenden aufzusteigen und dann ein Geselle und Angehöriger des Inneren Kreises zu werden und das begehrte silberne Amulett zu erhalten.“ (S. 228) 
Shaw spielt seine Rolle so gut, dass er von Meister Eli für ein beschleunigtes Förderprogramm auserwählt wird, doch was er im Laufe seines Aufenthalts dort erlebt, lässt ihn am gesunden Menschenverstand zweifeln … 
Wie die ausführliche Bibliographie am Ende des Buches dokumentiert, hat Deaver ausgiebig zum Thema Sekten recherchiert und seine daraus gewonnenen Erkenntnisse in seinem neuen Colter-Shaw-Roman verarbeitet. Die Suche nach zwei mutmaßlichen jungen Straftätern führt den Prämienjäger direkt ins Herz einer Organisation, die nichts dem Zufall überlässt, kaum Spuren im Internet aufweist und ganz auf das Charisma des Stiftungsgründers Eli aufbaut, dem seine Jünger größtenteils völlig verfallen sind. 
Deaver beschreibt die inneren Prozesse der Osiris-Stiftung sehr anschaulich und würzt den Plot immer wieder mit ein paar Action-Einlagen, Verfolgungsjagden, Nahkämpfen, unterbricht zum Finale hin aber den Spannungsbogen, um auf Shaws ursprüngliche Mission zurückzukommen, ein offenbar gefährliches Geheimnis um seinen verstorbenen Vater zu lüften. Schließlich brachte es Shaw fast eine tödliche Auseinandersetzung mit dem Killer Ebbitt Droon ein. 
„Der böse Hirte“ liest sich flüssiger als Deavers Lincoln-Rhyme-Romane, ist weniger komplex aufgebaut und geschrieben, behandelt die Sekten-Thematik auf einem weitgehend oberflächlichen Niveau, das letztlich den Rahmen für einen spannenden Plot bildet, aber wenig Raum für psychologisch ausgefeilte Figuren bietet. Der zweite Colter-Shaw-Roman bietet routiniert inszenierte Spannung vor dem Hintergrund eines nicht mehr ganz so populären Themas, kann aber mit der Klasse von Deavers Reihen und Lincoln Rhyme und Kathryn Dance nicht ganz mithalten.  

Jeffery Deaver – (Colter Shaw: 1) „Der Todesspieler“

Montag, 9. November 2020

(Blanvalet, 510 S., HC) 
Colter Shaw hat gerade einen unbekannten Mann in die Flucht geschlagen, der es offensichtlich auf sein Wohnmobil im Oak View Wohnmobilpark in der Bay Area abgesehen hatte, als er von seinen Nachbarn, die sein Haus in Florida hüteten, einen neuen Auftrag übermittelt bekommt. Colter ist nämlich Prämienjäger, der vor allem vermisste Personen aufspürt und dafür die ausgesetzten Belohnungen kassiert. Obwohl er gerade in privater Mission unterwegs ist, interessiert ihn der Fall eines vermissten Mädchens im Silicon Valley. Die neunzehnjährige Studentin Sophie „Fee“ Mulliner lebte mit ihrem Vater und dem Pudel Luka zusammen, den sie nie zurücklassen würde, wie Colter von ihrem Vater erfährt, der eine Belohnung von 10.000 Dollar für Hinweise auf den Verbleib seiner Tochter ausgesetzt hat. 
Die örtliche Polizei war bislang weitgehend untätig gewesen, da kein Hinweis auf ein Verbrechen vorliegt und keine Lösegeldforderung eingetroffen ist. Colter knöpft sich zunächst Sophies Ex-Freund Kyle Butler vor, der aber aufrichtig erschüttert über Sophies Verschwinden wirkt. Im Quick Byte Café in Mountain View stößt Colter auf einen ersten Hinweis. Bei der Sichtung der Videoüberwachung entdeckt er einen Mann, der womöglich einen Peilsender bei Sophie angebracht haben könnte. Als er Sophies möglichen Weg mit ihrem Fahrrad zu rekonstruieren versucht, findet er tatsächlich an einer Böschung ihr Handy und Spuren, die auf einen Unfall mit ihrem Fahrrad hindeuten. Doch nach wie vor steckt die Polizei nicht viel Energie in die Sache. Im Quick Byte Café lernt Colter schließlich die attraktive Gamerin Maddie Poole kennen, die ihn in die Welt der Computerspiele einführt und ihm die nächste heiße Spur liefert: Nachdem Sophie von Colter nämlich in einem Fabrikgebäude gerettet werden konnte, scheinen sich die Hinweise zu verdichten, dass der Täter ein psychopathischer Spieler sein könnte, der nach dem Muster eines Spiels namens „Der flüsternde Mann“ vorgeht. 
Tatsächlich verschwindet kurz darauf mit dem homosexuellen Blogger Henry Thompson eine weitere Person. Zusammen mit Maddie versucht Colter, in der hart umkämpften Welt des Computerspiele-Markt die entscheidende Spur zu finden, denn mit den steigenden Levels wird es für die Opfer schwieriger, sich aus ihren prekären Situationen auch zu befreien … 
„Der Spieler folgte lediglich der vorgegebenen Handlung. Er war an den Schauplatz von Sophie Mulliners Gefangenschaft zurückgekehrt, um das Mädchen zu jagen. Hier hatte er das Gleiche getan. Er war eine Weile auf Abstand geblieben, damit Henry Thompson sein Signalfeuer entzünden könnte – genau wie Sophie eine Chance zum Ausbruch aus dem Raum erhalten hatte. Dann war er zurückgekommen, um das Spiel zu beenden.“ (S. 304) 
Seine Thriller-Reihe um den querschnittsgelähmten Ermittler Lincoln Rhyme hat Jeffery Deaver weltberühmt gemacht. Nun startet er mit „Der Todesspieler“ eine neue Serie um einen charismatischen Protagonisten, der einen höchst interessanten Hintergrund aufweist und seit zehn Jahren gegen Belohnung vermisste Personen aufspürt, womit er sich ganz bewusst von Kopfgeldjägern abgrenzt. Deaver startet seinen Roman gleich mit einer satten Portion Action und Spannung, führt den ebenso im Computerspiel unbewanderten Colter zusammen mit seiner Leserschaft immer tiefer in die Welt der virtuellen Abenteuer. Deaver erweist sich als Meister darin, die Spannungsschreibe konstant, aber langsam anzuziehen. Immer wieder erweist sich Colter dabei als cleverer als die Polizei. Erst mit dem lesbischen Detective Standish, die den zuvor tatenlosen Wiley abgelöst hat, erhält er kompetente Unterstützung, die ihm zuvor nur die Profi-Gamerin Maddie gewähren konnte. Bis sie den wahren Täter endlich identifizieren, nimmt der Plot allerdings etliche Wendungen, die nicht immer überzeugend wirken und die Geschichte unnötig in die Länge ziehen, aber dieses Spiel beherrscht Deaver virtuos. Das Computerspiel-Thema wird hier nicht nur vom wirtschaftlichen Aspekt her betrachtet, sondern bekommt hier im Zusammenhang mit dem Geschäft um gesammelte persönliche Informationen und auch Fake-News und Meinungsbildung eine beunruhigende Bedeutung. Seinen Protagonisten stellt er quasi nebenbei vor, immer wieder sorgen Colters Erinnerungen an seine Kindheit dafür, seinen familiären Hintergrund zu erhellen. So erfahren wir, dass Colter im Alter von vier Jahren mit seiner Familie aufs Land gezogen ist, auf ein riesiges Anwesen in den Ausläufern der Sierra Nevada, wo seine Eltern Ashton und Mary Dove ihn und seine Brüder Russell und Dorion in die Regeln des Spurenlesens, Jagens und Überlebens in der Wildnis einführten. Zusammen mit seinem erfolgreich absolvierten Jura-Studium hat Colter also die besten Voraussetzungen, um der Polizei beim Aufspüren der vermissten Personen zu helfen. Aber auch die private Mission, zu der Colter am Anfang aufgebrochen ist, hat es in sich und wird ihn und die gespannten Leser auch in den hoffentlich bald folgenden Fortsetzungen gut unterhalten. 

Jeffery Deaver - (Lincoln Rhyme: 14) „Der Todbringer“

Dienstag, 3. Dezember 2019

(Blanvalet, 574 S., HC)
Als William Sloane und seine Verlobte Anna beim Patel Designs in der South Bronx den mit einem anderthalbkarätigen Diamanten besetzten Verlobungsring abholen wollen, tötet ein maskierter Unbekannter mit einem Teppichmesser sowohl das junge Paar als auch den indischen Diamantenschleifer Jatin Patel. Dessen junger Mitarbeiter Vimal stößt wenig später in der Werkstatt auf die Toten und flüchtet. Ein anonymer Anrufer informiert die Polizei, die gleich vor mehreren Rätseln steht, weshalb Detective Lon Sellitto vom NYPD die fast vollständig gelähmte Forensik-Koryphäe Lincoln Rhyme um Unterstützung bittet.
Der maskierte Täter, von dem dank des anonymen Informanten eine gute Personenbeschreibung vorliegt, hat zwar drei Leichen hinterlassen und den Eigentümer zuvor gefoltert, aber mehrere Hundert Diamanten im offenen Tresor liegengelassen. Rhymes Frau Amelia Sachs untersucht mit Mel Cooper den Tatort und riecht, dass auch eine Schusswaffe abgefeuert wurde. Offenbar wurde der unbekannte Zeuge des Überfalls angeschossen, konnte aber fliehen. Der sogenannte Täter 47 (wegen der Siebenundvierzigsten Straße, in der die Morde verübt worden sind) lässt weitere Opfer folgen, die mit Diamanten zu tun gehabt haben, und sendet ein Bekennerschreiben als Textnachricht an verschiedene Fernseh- und Radiosender.
Doch nicht nur die Jagd nach Täter 47, der sich selbst als „Der Versprechende“ bezeichnet, hält die Ermittler in Atem, auch geschickt inszenierte Explosionen, die Erdbeben imitieren sollen, sorgen für weitere Todesfälle. Und schließlich nimmt Lincoln Rhyme einen besonders heiklen Berater-Auftrag an. Der Anwalt des mexikanischen Drogenhändlers El Halcón vermutet, dass seinem Mandanten nach einer Schießerei, bei der Bundesbeamte getötet wurden, Beweismaterial untergeschoben wurde.
„Rhyme las die Einträge durch, prägte sie sich ein und dachte weiter darüber nach, was der mexikanische Anwalt ihm erzählt hatte. Er dachte auch an Sachs, Sellitto, Cooper und die anderen, die unermüdlich gegen Täter 47 ermittelten. Was würden sie davon halten, dass ich in Erwägung ziehe, für das Team eines Drogendealers tätig zu werden?
Es gab keine einfache Antwort auf diese Frage, also ignorierte er sie vorerst und wandte sich wieder den Beweisen zu.“ (S. 312) 
Lincoln Rhyme hat in seiner langen Karriere zunächst beim NYPD und nach seinem folgenschweren Unfall, der ihn für den Rest seines Lebens an Bett und Rollstuhl fesselte, als freier Berater vor allem für seine alte Dienststelle schon mit so manchen gewitzten Psychopathen zu tun gehabt. Doch in „Der Todbringer“ gestaltet sich die Identifizierung des Täters und die Jagd nach ihm als besonders schwierig, weil er an unterschiedlichen, schwer vorhersehbaren Fronten zuschlägt und kein eindeutiges Motiv bei seinem Vorgehen erkennen lässt.
Bestseller-Autor Jeffery Deaver präsentiert auch in seinem 14. Thriller um seinen prominenten Protagonisten Lincoln Rhyme einen akribisch recherchierten, detailreich beschriebenen und sehr komplexen Plot, bei dem drei zunächst unabhängig erscheinende Fälle auf furiose Weise zusammengeführt werden und gerade zum packenden Finale zahlreiche Wendungen aufweisen. So gekonnt Deaver die Spannungsschraube – wenn auch mit einigen Längen im Mittelteil - sukzessive anzieht und interessante Einblicke in das Geschäft mit Diamanten gewährt, so bleiben die Figuren selbst im Hintergrund. Deaver scheint bereits alles über das sympathische Ehepaar Rhyme und Sachs erzählt zu haben, denn bis auf wenige Nebensätze kommt das Privatleben der beiden nicht mehr zur Sprache. Dafür beschreibt er Vimal Lahoris Dilemma, sowohl als Zeuge von der Polizei als auch von Täter 47 gesucht zu werden, sowie den Machtkampf mit seinem Vater.
Die Mischung aus intelligent konzipierter, souverän geschriebener Thriller-Spannung und den persönlichen Geschichten der Protagonisten machen auch „Der Todbringer“ zu einem gelungenen Werk des Autors, der im Finale noch einen alten Bekannten ins Rampenlicht zurückholt.
Leseprobe Jeffery Deaver - "Der Todbringer"

Jeffery Deaver – (Lincoln Rhyme: 13) „Der Komponist“

Samstag, 22. Dezember 2018

(Blanvalet, 608 S., HC)
Als am helllichten Tag der Geschäftsmann Robert Ellis in der New Yorker Upper East Side niedergeschlagen und in den Kofferraum einer dunklen Limousine geworfen wird, ist nur die neunjährige Morgynn Zeuge des Vorfalls. Allein die Tatsache, dass das Mädchen am Tatort einen Galgenstrick in Miniaturgröße gefunden hat, ruft den weltberühmten, aber seit einem Unfall vom Hals abwärts gelähmten Forensik-Experten Lincoln Rhyme auf den Plan. Wenig später ist auf einer Streamingseite das Live-Video eines Mannes zu sehen, der mit einer Schlinge erdrosselt wird. Besonders schaurig wirkt die Übertragung durch die musikalische Untermalung, bei der ein menschliches Keuchen aufgenommen und zur Melodie von „An der schönen blauen Donau“ eingespielt worden ist. Am Ende des Videos erscheint auf dem Bildschirm eine Signatur: Der Komponist.
Mit der Unterstützung von Rhymes Verlobten Amelia Sachs, seinem ehemaligen NYPD-Partner Lon Sellitto und FBI-Special Agent Frank Dellray kann Ellis gerade noch ausfindig gemacht und gerettet werden, aber vom Komponisten fehlt jede Spur.
Als kurz darauf in Neapel ein ähnlicher Entführungsfall durch den Forstwachtmeister Ercole Benelli gemeldet wird, fliegen Rhyme und Sachs umgehend nach Italien, um die dortigen Behörden zu unterstützen. Während sich vor allem Oberstaatsanwalt Dante Spiro gegen die amerikanische Einmischung sträubt, erweist sich Benelli als sehr pfiffiger Ermittler.
Rhyme, Sachs und die italienischen Strafverfolgungsbehörden bekommen es in der Folge aber nicht nur mit Entführungen aus einem Flüchtlingslager, sondern auch mit einem sexuellen Übergriff durch einen Amerikaner und schließlich einem bislang unbekannten amerikanischen Geheimdienst zu tun. Als der Komponist erfährt, wer ihm in Italien auf der Fährte ist, ist er vor allem von Amelia Sachs besonders angetan, die er mit der griechischen Göttin Artemis vergleicht …
„Er wusste, er durfte hier nicht bleiben, lag aber trotzdem verkrümmt am Boden und zitterte vor Verzweiflung. Irgendwo in der Nähe zirpte ein Insekt, rief eine Eule, zerbrach ein großes Tier einen Zweig und ließ das trockene Gras rascheln. Doch die Geräusche brachten ihm keine Linderung …“ (S. 305) 
Seit ihm vor einigen Jahren an einem Tatort ein Balken ins Genick gefallen war und ihn querschnittsgelähmt machte, hat Lincoln Rhyme sich zu einem genialen Forensik-Experten ausgebildet, dessen Grundlagenwerk auch in Italien bekannt ist (wo es allerdings noch auf seine Übersetzung wartet). Doch die beratenen Tätigkeiten, die er in der Regel im Auftrag seines alten Partners Lon Silletto erledigt, führte er bislang - von seltenen Ausnahmen abgesehen – von zuhause aus, während Amelia Sachs die Laufarbeit übernahm.
Die besonderen Umstände führen Rhyme und Sachs in ihrem dreizehnten Abenteuer erstmals nach Italien. Immerhin kann Rhyme nach einigen operativen Eingriffen mittlerweile wieder Teile seines rechten Arms und der Hand bewegen, aber er ist nach wie vor auf die Hilfe körperlich voll funktionsfähiger Ermittler angewiesen, um die ihm angetragenen Fälle lösen zu können. Das gestaltet sich in Neapel besonders schwierig, weil der eigensinnige Staatsanwalt hier besondere Befugnisse besitzt, aktiv an den Ermittlungen teilzunehmen und Befugnisse einzugrenzen. Doch Rhyme & Co. wird während der Jagd nach dem Komponisten klar, dass der Fall viel komplexer liegt, als zunächst angenommen.
Jeffery Deaver erweist sich einmal mehr als versierter Spannungsautor, der einen komplexen Fall zu konstruieren versteht. Dabei wechselt er gelegentlich die Erzählperspektive von Rhyme und Benelli zu der des Komponisten, der aber bis auf wenige Momente ebenso blass bleibt wie die Hauptfiguren Rhyme und Sachs. Außer der Tatsache, dass Rhyme mit seinem Pfleger Thom Reston mögliche Ziele für seine Hochzeitsreise diskutiert und italienische Spirituosen zu schätzen lernt, bleiben private Momente des außergewöhnlichen Ermittler-Duos nämlich außen vor. Die besser konturierte Figur in diesem Roman ist nämlich der Forstwachtmeister Benelli, der diesen Fall als Chance sieht, zur Staatspolizei wechseln zu können.
Zum Ende hin übertreibt es Deaver etwas mit seinen für das Genre obligatorischen Wendungen, doch bietet „Der Komponist“ nicht nur für Fans von Rhyme und Sachs unterhaltsamen Thrill vor der außergewöhnlichen Kulisse Neapels.
Leseprobe Jeffery Deaver - "Der Komponist"

Lawrence Block (Hrsg.) – „Das Mädchen mit dem Fächer“

Montag, 5. November 2018

(Droemer, 352 S., HC)
Vor zwei Jahren veröffentlichte der US-amerikanische Krimi-Autor Lawrence Block mit „Nighthawks“ eine international erfolgreiche Sammlung mit Kurzgeschichten, die Bestseller-Autoren wie Lee Child, Michael Connelly, Stephen King, Jeffery Deaver, Joyce Carol Oates und Joe R. Lansdale zu Gemälden von Edward Hopper geschrieben haben. Eine Fortsetzung des bemerkenswerten Konzepts schien da nur folgerichtig. Allerdings schien ein Band mit Stories, die von Edward Hoppers Kunst inspiriert worden sind, genug, andere Künstler drängten sich dem Herausgeber nicht auf, also weitete Block das Konzept aus und ließ die eingeladenen Autoren ihre Geschichten zu einem Kunstwerk ihrer Wahl schreiben.
So begegnen dem Leser in „Das Mädchen mit dem Fächer“ zwar eine Vielzahl der Autoren wieder, die bereits in „Nighthawks“ vertreten gewesen sind, aber dafür eine breitere Palette nicht nur an Kunstrichtungen der Malerei, sondern auch die berühmten Skulpturen „Der Denker“ von Auguste Rodin und Michelangelos „David“. Dass zwei der siebzehn hier versammelten Stories bereits in anderen Kontexten bereits früher veröffentlicht wurden, dürfte gerade der deutschsprachigen Leserschaft nicht viel ausmachen, Hauptsache, sie passen ins Konzept!
Der Auftakt liest sich vielversprechend: Jill D. Block hat sich von Art Frahms „Sicherheitsregeln“ zu einer Story inspirieren lassen, in der die Ich-Erzählerin in einem Geschworenenprozess die Möglichkeit sieht, das Unrecht wiedergutzumachen, das ihrer besten Freundin Micheline widerfahren ist, als das kleine Mädchen aus dem Bett entführt, ermordet und in den See geworfen und erst nach drei Tagen dort herausgefischt worden war. Die Geschichte beginnt gerade an Fahrt aufzunehmen, als sie leider viel zu abrupt endet. Lee Child hat Renoirs „Vase mit Chrysanthemen“ als Ausgangspunkt für die Geschichte eines Mannes genommen, der nach einem knapp überlebten Herzanfall im Jahre 1928 auf eine Bekanntschaft zurückblickt, die er Ende 1919 gemacht hatte, kurz nachdem Renoir verstorben war. Für den reichen Sprössling eines Stahl-Tycoons aus Pittsburgh sollte er nach Paris reisen, um möglichst günstig noch verfügbare Renoir-Gemälde zu erstehen, wo er mit Lucien Mignon einen Künstler kennenlernte, der nicht nur mit Renoir befreundet war, sondern auch genauso malte.
Jeffery Deaver ließ sich für seinen Beitrag „Ein bedeutender Fund“ von den Höhlenmalereien von Lascaux zu einer Geschichte über Ehrgeiz und Missgunst unter Archäologen inspirieren, während Joe R. Lansdale auf Norman Rockwells „Der Haarschnitt“ basierend eine packende Story über den Überfall auf den Friseursalon von Charlie Richards und seiner hübschen Tochter Millie verfasst hat. Die Kunsthistorikerin Gail Levin schreibt in „Georgia O’Keeffes Blumen“ über den Versuch einer Journalistin, ein Interview mit O’Keeffe zu bekommen und sich ihr über eine feministische Perspektive zu nähern. Besonders gelungen ist vor allem Sarah Weinmans Geschichte „Die große Stadt“, in der eine junge Frau ein Portrait ihrer nackten Mutter Clothilde entdeckt und die Geschichte seiner Entstehung nachspürt.
„Die Portraits der Frau machten sie nervös. Sie übermittelten Eindrücke, von denen sie nicht sicher war, ob sie ihr gefielen. Eine scharfe Sicht auf die Welt. Ungebeten enthüllte Geheimnisse. Clothilde hatte das Gefühl, ihre Geheimnisse würden verraten werden, wenn die Frau sie malte.“ (S. 320) 
Aber auch die Geschichten, die Michael Connelly (zum rechten Innenflügel von Hieronymus Boschs „Der Garten der Lüste“), David Morrell (zu van Goghs „Zypressen“) und S. J. Rozan (zu Hokusais „Die große Welle von Kanagawa“) zur Sammlung beigesteuert haben, demonstrieren eindrucksvoll, wie die Wirkung einzelner Kunstwerke ganz eigenständige Geschichten hervorbringen können. Ich hoffe sehr, dass Lawrence Block mit diesem einzigartigen Konzept auch in Zukunft noch den einen oder anderen wunderbar hochwertig gestalteten Band mit auf Kunstwerken basierenden Erzählungen herausbringt.

Jeffery Deaver – (Lincoln Rhyme: 12) „Der talentierte Mörder“

Dienstag, 12. Dezember 2017

(Blanvalet, 639 S., HC)
Eher zufällig wird Detective Amelia Sachs auf den mutmaßlichen Raubmörder aufmerksam, dem das NYDP seit zwei Wochen auf der Spur ist, und verfolgt ihn in das Einkaufszentrum an der Henry Street. Doch gerade in dem Moment, als Sachs sich den großen wie dürren Verdächtigen schnappen will, öffnet sich an der Rolltreppe eine Metallplatte, Sachs versucht dem in die Öffnung gefallenen Mann zu helfen, doch das Opfer wird durch den nach wie vor laufenden Antrieb grausam zerquetscht.
Lincoln Rhyme lässt sich vom Anwalt der Hinterbliebenen des Opfers als Berater engagieren, um Beweise im Prozess wegen fahrlässiger Tötung zusammenzustellen. Der querschnittsgelähmte Star-Forensiker gab seine Beratertätigkeit für das NYPD auf, nachdem er sich für den Tod eines scheinbar unschuldigen Mannes gefühlt hatte. Nun leitet er zwei Forensik-Seminare an der John Marshall School for Criminal Justice und nimmt die an den Rollstuhl gefesselte, sehr clevere Studentin Juliette Archer als Praktikantin an.
Sachs, die die Entscheidung ihres Arbeitskollegen und Lebensgefährten Lincoln Rhyme nicht versteht, dass er seine Beratertätigkeit aufgegeben hat, reagiert empört, als Rhyme ihr mit Mel Cooper auch noch den besten Kriminaltechniker der Stadt entführt hat, der ihr nun bei der Aufklärung des Raubmordes fehlt.
Als jedoch weitere Fälle bekannt werden, bei denen Menschen durch Geräte getötet werden, in denen ein sogenannter DataWise5000-Controller verbaut worden ist, stellen die Ermittler fest, dass die beiden Fälle, mit denen Rhyme und Sachs zu tun haben, zusammengehören. Die Zeit drängt, denn es sieht ganz so aus, als würde der sogenannte Täter 40 zunehmend Gefallen an seinen ausgetüftelten Tötungsmechanismen finden.
„Seitdem feststand, dass der Hüter des Volkes, ihr Täter 40, ein Serientäter war, mussten sie davon ausgehen, dass er bald wieder zuschlagen würde. Das war bei solchen Kriminalfällen oft der Fall. Was auch immer sie motivierte, ob sexuelle Lust oder terroristischer Hass, derartig intensive Gefühle führten meistens zu einer gesteigerten Häufigkeit der Taten.“ (S. 453) 
Seit „Der Knochenjäger“, dem ersten Fall von Lincoln Rhyme und Amelia Sachs, ist Jeffery Deaver zu einem der erfolgreichsten Thriller-Autoren der Welt avanciert. Mit Hilfe der umfassenden Datenbank, die der geniale Forensiker Lincoln Rhyme seit seiner in Ausübung des Dienstes erlittenen Querschnittslähmung aufgebaut hat, und feingliedrigen Untersuchungsmethoden ist es dem im Arbeitsleben wie als Lebenspartner mit dem ehemaligen Mannequin Amelia Sachs zusammengeschweißten Kriminalisten gelungen, auch den gerissensten Verbrechern das Handwerk zu legen.
Auch in seinem neuen Rhyme-Roman verwendet Deaver viel Zeit darauf, dem Leser die akribischen Arbeitsmethoden in Rhymes Privatlabor vorzuführen. Rhyme und seine ebenfalls behinderte Praktikantin erweisen sich dabei als kongeniales Team, während Sachs nicht nur damit beschäftigt ist, sich um ihre kranke Mutter Rose zu kümmern, der eine Herz-OP bevorsteht, sondern auch ihren Ex-Freund Nick Carelli abzuwimmeln, der gerade aus dem Knast entlassen worden ist und nun behauptet, dass er die ihm vorgeworfenen Taten gar nicht begangen, sondern sich für seinen mittlerweile verstorbenen Bruder geopfert habe.
Deaver gelingt es einmal mehr, die penible Suche nach und Auswertung von noch so winzigsten Spuren als spannende Detektiv-Arbeit zu beschreiben und seine Leser mit gut recherchierten Analysen zu fesseln. Allerdings vergeht so auch viel Zeit, ehe die beiden Fälle, die Rhyme und Sachs jeweils unabhängig voneinander bearbeiten, an Schwung aufnehmen und schließlich zusammenführen. Zwischenzeitlich kommt der „talentierte Mörder“ als Ich-Erzähler auch immer wieder selbst zu Wort und sieht sich als moralisierender „Hüter des Volkes“, der die Menschen von ihrer Konsumsucht zu befreien gedenkt.
Bei der Suche nach Täter 40 (benannt nach dem Club, an dem das erste Mordopfer mit einem Kugelhammer erschlagen wurde) finden Rhyme und Archer auch mal Zeit für Rätselspiele und eine Partie Blindschach (die der Autor unnötigerweise über zwei Seiten auch bebildert nachstellt), während Sachs sich scheinbar über ihre Gefühle für ihren Ex-Lover klarwerden muss.
Und als sei das nicht schon Stoff genug für drei Thriller, jagt Sachs‘ Partner Ron Pulaski auf eigene Faust einem Drogendealer namens Oden hinterher und bringt sich damit in Teufels Küche.
„Der talentierte Mörder“ überzeugt als clever konstruierter Cop- und Psycho-Thriller mit einem außergewöhnlichen Ermittler-Duo, dessen zwischenmenschliche Beziehungen trotz der deutlich auftretenden Differenzen allerdings kaum thematisiert werden. Natürlich nimmt der Thriller zum Ende hin einige „überraschende“ Wendungen, die auf ihre konstruiert wirkende Weise dem bis dahin so klug aufgebauten Plot etwas die Plausibilität nehmen. Doch von diesem genretypischen Schwächen abgesehen bietet „Der talentierte Mörder“ gewohnt packende Thriller-Spannung von einem Meister des Genres. 
Leseprobe Jeffery Deaver - "Der talentierte Mörder"

Lawrence Block (Hrsg.) – „Nighthawks – Stories nach Gemälden von Edward Hopper“

Freitag, 10. November 2017

(Droemer, 320 S., HC)
Der amerikanische Maler Edward Hopper (1882-1967) wird gern und sicher zurecht als Chronist der amerikanischen Zivilisation bezeichnet, in der vor allem die Isolation des modernen Menschen thematisiert wird. So sitzen in seinem wohl berühmtesten Gemälde „Nighthawks“, das Titel und Cover der vorliegenden Anthologie ziert, drei Gäste in einer Bar, die scheinbar nicht miteinander kommunizieren und in ihre eigenen Gedanken versunken sind, flankiert von einem beschäftigten Barkeeper. Dieses und 16 weitere Gemälde Hoppers dienten den Schriftstellern, die Lawrence Block für seinen Sammelband begeistern konnte, als Inspiration für die Geschichten, die eigentlich in Hoppers Werken zu finden sind, aber bislang nicht erzählt wurden.
Block, der selbst mit seinen Krimis um den Buchhändler und Einbrecher Bernie Rhodenbarr, den Auftragsmörder Keller und den alkoholkranken Privatdetektiv Matthew Scudder ein gefeierter Autor ist und zu Hoppers „Automat“ (1927) eine Geschichte beigesteuert hat, beschreibt in seinem Vorwort:
Hopper war weder Illustrator noch narrativer Künstler. Seine Bilder erzählen keine Geschichten. Stattdessen vermitteln sie – kraftvoll und unwiderstehlich – den Eindruck, dass sich darin Geschichten verbergen, die nur darauf warten, erzählt zu werden. Er zeigt uns einen Moment, auf die Leinwand gebannt; eindeutig hat dieser Vergangenheit und Zukunft, doch es ist an uns, sie zu entdecken.“ (S. 10) 
Die Auswahl der Bilder für ihre Geschichten blieb den Autoren vorbehalten. Manchmal wird der Bezug zum ausgewählten Gemälde gleich in den ersten Sätzen deutlich, manchmal ist es nur eine Stimmung, die das Gemälde für den Schriftsteller ausstrahlt und eine Geschichte in Bewegung setzt. So erzählt Jill D. Block in „Die Geschichte von Caroline“ die Begegnung zwischen der bei Pflegeeltern aufgewachsenen Hannah und ihrer leiblichen Mutter Grace, die sie als Pflegekraft für ihren im Sterben liegenden Mann Richard engagiert hat, während auf dem dazugehörigen Bild „Summer Evening“ (1947) ein junger Mann und eine junge Frau nachts auf der Veranda an der Mauer lehnen. Robert Olen Butler hat dagegen in seiner Story „Abenddämmerung“ sehr konkret die Figurenkonstellation auf dem Bild „Soir Bleu“ (1914) mit einem Clown auf der Veranda, zwei Männern, die ihm am Tisch gegenübersitzen, und einer dabeistehenden Frau als Ausgangspunkt für eine Geschichte über die Erinnerung des Ich-Erzählers über seine Begegnung mit einem Pierrot in jungen Jahren genommen.
Und Michael Connelly lässt den Helden seiner Romanreihe um Detective Bosch auch in „Nachtfalken“ auftreten, wobei Bosch als Privatermittler den Hintergrund einer jungen Frau erforschen soll, die zur Inspiration für ihre Ambitionen als Schriftstellerin ins Museum geht, um Hoppers Gemälde „Nighthawks“ zu studieren.
Zwar sind in Deutschland nicht alle hier versammelten Autoren bekannt, aber auch die neben den Thriller-/Krimi-/Horror-Autoren Lee Child, Joyce Carol Oates, Jeffery Deaver, Joe R. Lansdale und Stephen King hierzulande nicht bekannten Schriftsteller tragen zur äußerst gelungenen Anthologie bei, die über verschiedene literarische Genres hinweg doch immer eindringlich die melancholisch-lakonische Stimmung in Hoppers Gemälden einfängt. Dazu lädt die wunderschöne Gestaltung des Hardcover-Hochglanz-Buches einfach auch dazu ein, sich selbst von den den einzelnen Geschichten vorangestellten Abbildungen inspirieren zu lassen.
Leseprobe Lawrence Block - "Nighthawks"

Jeffery Deaver – (Lincoln Rhyme: 2) „Letzter Tanz“

Samstag, 26. November 2016

(Goldmann, 448 S., Tb.)
Lincoln Rhyme unterstützt FBI-Agent Fred Dellray gerade dabei, einen von seinen vermissten Agenten aufzuspüren, als er von den beiden Detectives Lon Sellitto und Jerry Banks auf einen dringenderen Fall angesetzt wird. Seit Monaten versuchen sie in gemeinsamer Sache mit der Army, dem erfolgreichen Geschäftsmann Phillip Hansen nachzuweisen, dass er nicht wie von ihm behauptet gebrauchte Armeeausrüstung verkaufte, sondern meist aus Armeebeständen gestohlene oder aus dem Ausland eingeschmuggelte Waffen. Nun scheint er einen berüchtigten Auftragsmörder, den sogenannten Totentänzer, auf die drei Belastungszeugen angesetzt zu haben.
Den 45-jährigen Edward Carney, Teilhaber der kleinen Fluglinie Hudson Air Charter, hat er bereits mit seinem Privatjet während des Landeanflugs auf den O’Hare Flughafen von Chicago mit einer Bombe aus dem Verkehr gezogen. Nun müssen noch seine ehemalige Partnerin und Mitgesellschafterin Percey Rachel Clay und Brit Hale bis zu ihrer Aussage vor der Grand Jury in Sicherheit gebracht werden. Rhyme soll nun herausfinden, wo die Sporttaschen abgeblieben sind, die Hansen vor seiner Festnahme hat verschwinden lassen. Dabei versucht Rhyme mit seiner Assistentin Amelia Sachs zunächst, die Identität des Totentänzers zu bestimmen, der seinen Namen einer Tätowierung auf dem Oberarm verdankt, bei der der Sensenmann mit einer Frau vor einem Sarg tanzt.
Doch während die beiden vor allem die Beweismittel vom Absturzort von Carneys Flugzeug untersuchen, stellen sie fest, dass der Killer bereits die Spur von Clay und Hale aufgenommen hat und ein Meister der Ablenkungsmanöver ist.
„Es gab keinen Verbrecher, den Rhyme mehr hasste als den Totentänzer, keinen, den er so brennend gern fassen wollte, um ihm einen Spieß durchs Herz zu jagen. Trotzdem, Rhyme war mehr als alles andere Kriminalist, und insgeheim hegte er Bewunderung für die Brillanz dieses Mannes.“ (S. 292)
Wie Jeffery Deaver in „Der Knochenjäger“, dem Auftakt seiner bis heute extrem erfolgreichen Reihe um Lincoln Rhyme, bereits ausführlich beschrieb, ist sein Protagonist alles andere als ein gewöhnlicher Ermittler. Der ehemalige Detective beim New Yorker Police Department ist nach einem Unfall während einer Tatortbesichtigung querschnittsgelähmt, wird aber wegen seiner Brillanz auf dem Gebiet der Forensik nach wie vor um Unterstützung von seinen ehemaligen Kollegen bei heiklen Fällen gebeten. Da Rhyme seine Expertisen vom Bett aus erstellen muss, hat er in der Polizistin Amelia Sachs eine fähige Assistentin gefunden, die für ihn die Laufarbeit und Beweismittelaufnahme an den Tatorten übernimmt.
Mit dem Totentänzer haben die beiden Ermittler einen besonders raffinierten Killer zu finden, der ihnen mit seinen wohldurchdachten Finten immer einen Schritt voraus ist und seinem Ziel, die beiden verbliebenen Zeugen auszuschalten, konsequent näherkommt.
Was Deaver auch in seinem zweiten Band um das charismatische Ermittlerpaar hervorragend gelingt, ist die Beschreibung der faszinierenden forensischen Arbeit, die der querschnittsgelähmte Rhyme nur noch von seinem Bett aus erledigen kann. Zwar kommen sich Rhyme und Sachs auch persönlich etwas näher, doch wird die Beziehung vorerst durch die weitaus weniger attraktive, aber nichtsdestotrotz willensstarke Percey gestört. Der nicht unerhebliche Schwachpunkt von „Letzter Tanz“ besteht allerdings in der wenig überzeugenden Charakterisierung des Totentänzers, dem man seine äußerst effektiven Täuschungsmanöver nicht so recht abnehmen will. Hinzu kommt, dass Deaver bei seinem Bemühen, gerade im Schlussdrittel noch einige „spannende“ Wendungen aus dem Hut zu zaubern, den Bogen überspannt und das Finale so arg überkonstruiert wirkt.

Jeffery Deaver – (Kathryn Dance: 4) „Wahllos“

Montag, 24. Oktober 2016

(Blanvalet, 576 S., HC)
Um gegen den Anstieg des kombinierten Waffen- und Drogenhandels anzukämpfen, haben CBI, FBI, DEA und die örtlichen Strafverfolgungsbehörden in Kaliforniern vor sechs Monaten die Operation Pipeline ins Leben gerufen, doch bislang blieben nennenswerte Erfolge aus. Erst als die innerhalb von Pipeline agierende Guzman Connection unter Leitung der Verhörexpertin Kathryn Dance durch einen Informanten an Joaquin Serrano herankommt, scheint Bewegung in die Ermittlungen zu kommen, denn Serrano könnte eine Verbindung zwischen den Mord an einem Belastungszeugen und dem psychotischen Gangster Guzman herstellen.
Doch als sich herausstellt, dass Serrano in Wirklichkeit auf Guzmans Gehaltsliste steht und Dance und ihre Kollegen an der Nase herumgeführt hat, wird Kathryn Dance in die Civil Division versetzt, wo sie keine Waffe tragen darf.
Dort wird sie mit dem Fall einer Massenpanik beauftragt, die in dem Klub Solitude Creek einige Menschenleben gefordert hat. Der Täter hat in einer Öltonne mit Motoröl und Benzin getränkte Lumpen in Brand gesteckt und den Notausgang mit einem LKW zugestellt.
„Wieso hat er den Schuppen nicht einfach niedergebrannt? Warum hat er die Leute nicht erschossen? Weil er will, dass sie sich gegenseitig umbringen. Er spielt mit ihren Wahrnehmungen, Empfindungen, ihrer Panik. Es ist egal, was die Leute sehen. Es geht darum, was sie glauben. Das ist seine Waffe, die Angst.“ (S. 234) 
Wenig später kommt es zu ähnlichen Vorfällen in einem Krankenhausfahrstuhl und einem Freizeitpark. Dance und ihre Kollegen haben es mit einem äußerst raffinierten wie kaltblütigen Täter zu tun, der sich seine Ziele sehr genau auszusuchen scheint und die Bevölkerung zunehmend verunsichert. Schließlich könnte der nächste Kino- oder Restaurantbesuch zu einer tödlichen Falle werden.
Davon abgesehen hat es die Civil Division mit einigen Hassverbrechen zu tun, mit denen auch Kathryn und ihre Familie in Berührung kommen. Überhaupt steht bei Kathryn Dance das Privatleben leicht Kopf, denn die Entscheidung, ob ihr Herz eher an dem Computer-Spezialisten Jon Boling oder an ihren Kollegen Michael O’Neil, leitender Detective des Monterey County Sheriff’s Office, hängt, fällt ihr wirklich schwer …
Nachdem Kathryn Dance erstmals als Kinesik-Expertin in dem Lincoln-Rhyme-Fall „Der gehetzte Uhrmacher“ hinzugezogen worden war, begann Jeffery Deaver 2007 ihr eine eigene Reihe zu widmen, in der nach „Die Menschenleserin“, „Allwissend“ und „Die Angebetete“ mit „Wahllos“ nun auch schon der vierte Band vorliegt. Dabei bekommt sie es mit gleich drei verschiedenen Fällen zu tun, die allerdings unterschiedlich gewichtet sind.
Die Pipeline-Operation dient zunächst nur als Aufhänger, um die Versetzung von Kathryn Dance vom California Bureau of Investigation zur Civil Division zu begründen. Der Fokus der Geschichte liegt eindeutig auf den sich häufenden Fällen, bei denen ein perfider Täter gezielt eine Massenpanik initiiert, bei der die Menschen zu einer scheinbar hirnlosen Masse verschmelzen, die sich zu Tode quetscht. Und die Hassverbrechen legen schließlich eine Spur zu Kathryns Familie.
Leider gelingt es Jeffery Deaver nicht, die drei Fälle sinnvoll und glaubwürdig zu konstruieren. Die Guzmann-Aktion beginnt durchaus interessant, wird dann aber nur noch sporadisch aufgegriffen und am Ende mit einem wendungsreichen, aber überkonstruierten Showdown gelöst. Die Hassverbrechen werden auch nur immer wieder kurz thematisiert, um eine Spur zu Kathryn und ihrer Familie zu legen, um auch hier wieder mit einer „überraschenden“ Pointe aufgelöst zu werden. Am meisten Raum nimmt Antioch March ein, der nicht nur Investoren für seine vermeintlich humanitären Projekte sucht, sondern auch immer wieder seine Strategien erläutert, wie er die nächsten Massenpaniken auslösen kann. Dabei wird allerdings nicht überzeugend herausgearbeitet, warum es March schließlich auch auf die Ermittlerin Kathryn Dance abgesehen hat.
Im Gegensatz zu den beiden überkonstruierten Auflösungen der anderen beiden Nebenstränge wirkt das Finale im zentralen Fall überraschend zahm. Während die drei Fälle, mit denen die Kinesik-Expertin zu tun hat, kaum echte Spannung generieren, könnten die Themen im Privatleben von Kathryn Dance für lesenswerten Ausgleich sorgen und zumindest auf emotionaler Ebene wieder Punkte gut machen. Doch die Frage, zu welchem Mann sich Kathryn Dance nun mehr hingezogen fühlt, wird im Verlauf der Geschichte so unbeholfen thematisiert, dass auch Kathryns Entscheidung am Ende wenig überzeugt.
„Wahllos“ ist so leider zum Programm für den vierten Kathryn-Dance-Fall geworden, denn sowohl die kriminalistischen Herausforderungen als auch die privaten Themen wirken lieblos zusammengeschustert und wenig inspiriert zum vorschnellen Abschluss geführt.
Leseprobe Jeffery Deaver - "Wahllos"

Jeffery Deaver – (Lincoln Rhyme: 1) „Der Knochenjäger“

Samstag, 17. September 2016

(Blanvalet, 576 S., Tb.)
Die Anfang dreißigjährige Streifenpolizistin Amelia Sachs wird aufgrund eines anonymen Anrufs von der Zentrale zur Siebenunddreißigsten, Nähe Eleventh Avenue, geschickt, wo sie die Suche nach Hinweisen auf das gemeldete Verbrechen schon wieder abbrechen will, als sie an den Bahngleisen eine aus dem Boden ragende Hand entdeckt. Dem Ringfinger wurde sämtliches Fleisch entfernt und dafür ein Damenring aufgesetzt. Sachs sichert weiträumig den Tatort und erweckt dadurch das Interesse des brillanten Forensikers Lincoln Rhyme, der nach einem Unfall im Einsatz vor dreieinhalb Jahren querschnittsgelähmt ist und seither nur noch Kopf, Schultern und ein wenig den Ringfinger seiner linken Hand bewegen kann.
Obwohl er nicht mehr aktiv im Dienst ist, wird er von seinen Kollegen der New Yorker Polizeibehörde immer wieder um Hilfe bei den Ermittlungen gebeten. Als Detective Lon Sellitto und sein junger Kollegen Jerry Banks den Kriminalisten mit den bisherigen Fakten vertraut machen, sträubt sich Rhyme zunächst, da er eher damit beschäftigt ist, mit Dr. Berger einen Termin zur Beendigung seines Lebens zu finden.
Doch nachdem Rhyme sich mit dem Untersuchungsbericht auseinandergesetzt hat, spürt er den intellektuellen Kitzel, den er Zeit seines Lebens bei der Tatortanalyse empfunden hat. Obwohl Sachs gerade dabei ist, ihren Dienst bei der Pressestelle anzutreten, wird sie von Rhyme zur Besichtigung des wohl nächsten Tatorts verpflichtet, wo das nächste Opfer des „Unbekannten Nummer 238“ vermutet wird. Zwar kann Sachs das Leben der entführten Frau nicht mehr retten, aber die von ihr gesicherten Spuren weisen Rhyme darauf hin, dass der Täter sich offensichtlich gut mit dem Buch „Berühmte Kriminalfälle im alten New York“ und Lincoln Rhymes eigenen Werk „Tatorte“ auskennt.
Die erzwungene Zusammenarbeit zwischen Rhyme und Sachs gestaltet sich anfangs schwierig, doch Sachs beginnt sich zunehmend für die Arbeit an Tatorten zu faszinieren.
„Sie dachte an das Locardsche Prinzip: Wenn Menschen miteinander in Berührung kommen, gibt jeder irgend etwas an den anderen weiter. Etwas Großes, oder auch nur eine Kleinigkeit. Höchstwahrscheinlich wussten die meisten nicht einmal, was.
War auch etwas vom Unbekannten Nummer 238 auf dieses Blatt gelangt? Eine Hautzelle? Ein Schweißtropfen? Es war ein faszinierender Gedanke. Atemberaubend, spannend, furchterregend, so als wäre der Mörder hier in diesem winzigen, stickigen Raum.“ (S. 279) 
Es ist ein ungewöhnliches Paar, das der amerikanische Schriftsteller Jeffery Deaver mit seinem 1997 initiierten Startschuss für die bis heute erfolgreiche Reihe um den querschnittsgelähmten Kriminalisten Lincoln Rhyme und seine junge Assistentin Amelia Sachs etabliert hat. Die ungewöhnliche Kombination eines brillanten, aber des Lebens müden Star-Forensikers, der immer wieder von seinen alten Polizeikollegen um Mithilfe bei vertrackten Fällen gebeten wird, und einer wunderschönen Streifenpolizistin, die sich wegen ihrer Arthritis zur Pressestelle hat versetzen lassen und zuvor auf eine Karriere als Mannequin verweisen kann, bietet schon auf persönlicher Ebene starkes Potenzial, das in „Der Knochenjäger“ allerdings erst angedeutet wird.
Im Mittelpunkt steht nämlich vor allem die Tatortanalyse, das systematische Absuchen des Tatorts, das sorgfältige Sammeln der Spuren und ihre Ausweitung anhand von allerlei Datenbanken, mit denen beispielsweise Bodenproben zugeordnet werden können. Die oftmals sehr detailliert beschriebenen Analysen tun der Spannung allerdings überhaupt keinen Abbruch, sondern machen deutlich, wie wichtig diese akribische Arbeit ist, um dem Täter auf die Spur zu kommen.
Die persönlichen Tragödien, die Rhyme und Sachs jeweils durchmachen mussten, werden später auch ausführlicher thematisiert, als sich die beiden ungleichen Ermittler näherkommen, und bieten so den soliden Grundstein für viele weitere Fälle, an denen das charismatische Team bis heute arbeiten darf.
Leseprobe Jeffery Deaver - "Der Knochenjäger"

Jeffery Deaver – „Die Saat des Bösen“

Mittwoch, 10. August 2016

(Blanvalet, 412 S., Tb.)
Nachdem die siebzehnjährige Megan McCall nach einem Alkoholrausch aufgefunden wurde, ist sie durch das Sozialamt zu einer Therapie verdonnert geworden. Doch nachdem sie die Fragen von Dr. James Peters beantwortet hat, entführt er sie. Ihre besorgten Eltern, der ehemalige erfolgreiche Staatsanwalt Tate Collier und seine Ex-Frau Bett McCall, finden jeweils Briefe vor, in denen Megan ihre Wut und Enttäuschung über sie zum Ausdruck bringt, doch weder Tate noch Bett glauben wirklich daran, dass Megan weggelaufen sein könnte. Also setzt Tate seinen Freund Konnie, Detective bei der State Police, darauf an, neben seiner offiziellen Tätigkeit ein wenig die Augen offen zu halten.
Tate gelingt es dank seiner außerordentlichen rhetorischen Fähigkeiten, auch Megans Ex-Freund Joshua LeFevre und ihren Englisch-Lehrer und Freund Robert Carson einzuspannen, sich ebenfalls umzuhören. Zeugenaussagen führen schließlich zu einem Lieferwagen, der offenbar in die Richtung der Berge gefahren ist, wo früher verschiedene religiöse Erweckungszentren ihren Sitz hatten. Währenddessen entdeckt vor allem Konnie, der sich nach seiner zweijährigen Zwangsversetzung nichts sehnlicher wünscht, als seine deduktiven Fähigkeiten wieder im Morddezernat unter Beweis zu stellen, zunehmend Ungereimtheiten bei den Indizien, die auf Megans Ausreißen hindeuten sollten.
Collier wird das Gefühl nicht los, dass der Entführer ihm etwas heimzahlen möchte, und er muss sich zwangsläufig mit einem Fall auseinandersetzen, der ihn den Job des Staatsanwalts aufgeben ließ.
„Colliers Qual würde sein, dass er den Rest seiner Tage mit Zweifeln leben würde. Er würde nie wissen, was mit seiner Tochter geschehen war. Er würde nichts weiter haben als den Brief eines lästigen Kindes, ihre letzten grausamen Worte an ihn, die ihn auf ewig und immer wieder fragen lassen würden: Wo ist sie? Wo ist sie? Wo ist mein Mädchen?“ (S. 169) 
Bevor der US-amerikanische preisgekrönte Bestsellerautor Jeffery Deaver 1997 mit „Die Assistentin“ bzw. „Der Knochenjäger“ den ersten Band seiner erfolgreichen Lincoln-Rhyme-Reihe veröffentlichte, der zwei Jahre später ebenso erfolgreich von Phillip Noyce mit Denzel Washington und Angelina Jolie in den Hauptrollen verfilmt wurde, hat er fast zehn Jahre lang meist unzusammenhängende Thriller geschrieben, die mittlerweile meist vergriffen sind.
Nun veröffentlicht Blanvalet nicht nur die Reihen um Lincoln Rhyme und Kathryn Dance, sondern auch die Frühwerke im Taschenbuch. „Die Saat des Bösen“ ist zwei Jahre vor „Die Assistentin“ entstanden und zählt leider zu den schwächeren Werken des ansonsten so versierten Autors. Das liegt nicht allein an dem Umstand, dass religiös motivierte Kriminelle gerade in der heutigen Zeit einfach zu abgeschmackt sind und auch in der Geschichte der Kriminalliteratur und des Films in jeder erdenklichen Variation ihren Niederschlag gefunden haben. Vor diesem Hintergrund wirkt das Gebaren von Megans Entführer in „Die Saat des Bösen“ etwas altbacken und dermaßen konstruiert, dass kaum echte Spannung aufkommt.
Die einzige überzeugende Identifikationsfigur könnte die entführte Megan darstellen, doch bekommt sie überraschend wenig Raum bei der Darstellung ihrer Situation und Gefühlslage. Am aufschlussreichsten dient noch ihr Erstgespräch in der Praxis von Dr. Peters, doch mit ihrer Entführung verlässt Deaver gleichermaßen sein Opfer ebenso wie seine Leser. Denn den Schwerpunkt seiner Geschichte legt der Autor auf die Suche der Ex-Eheleute nach Megan und die verqueren Ambitionen ihres Entführers. Da weder Tate Collier noch seine Ex-Frau Bett das Mitgefühl des Lesers wecken können, verläuft das extrem vorhersehbare Geschehen weitgehend spannungsbefreit, um im Finale noch ein paar „Überraschungen“ zu präsentieren.
Im Bücherregal macht sich die Neuausgabe von „Die Saat des Bösen“ neben den anderen in den vergangenen Jahren von Blanvalet veröffentlichten Deaver-Werken ganz gut und macht auch Sammler-Herzen glücklich, doch von seiner späteren Meisterschaft ist Deaver noch ein gutes Stück entfernt.
 Leseprobe Jeffery Deaver - "Die Saat des Bösen"

Jeffery Deaver - (Lincoln Rhyme: 11) "Der Giftzeichner"

Sonntag, 11. Oktober 2015

(Blanvalet, 573 S., HC)
Lincoln Rhyme denkt gerade über einen letzte Woche verübten Mord in Downtown nach, als er über den Tod zu sinnieren beginnt und über die Betrachtungsweisen über den Tod. Dass sein bislang schärfster Widersacher, der als „Uhrmacher“ bekannte Richard Logan, in seiner Haft an einem schweren Herzinfarkt gestorben ist, erfüllt Rhyme mit Trauer, denn nun blieb ihm die Möglichkeit verwehrt, Logans scharfen Intellekt und die präzisen Strukturen seiner Taten ergründen zu können. Doch dann wird Ryhmes Intellekt bei einem neuen Fall gebunden: Eine junge Frau wurde in einem Versorgungstunnel unterhalb des Modegeschäfts, in dem sie arbeitete, tot aufgefunden, das Wort „zweiten“ wurde ihr in ungewöhnlicher Fraktur-Schrift meisterhaft auf den Bauch tätowiert, allerdings nicht mit Tinte, sondern mit dem aus dem Wasserschierling gewonnenen Gift Cicutoxin.
Ein Motiv können Rhyme, Sachs und der ermittelnde Detective Lon Sellitto vom NYDP nicht ausmachen, aber als die nächsten Toten mit ähnlich rätselhaften wie todgiftigen Tätowierungen entdeckt werden, wird Rhyme klar, dass er persönlich von dem Täter herausgefordert wird, denn die Spuren am ersten Tatort führen zu dem kriminalsachlichen Buch „Serienstädte“, in dem Rhyme ein Kapitel gewidmet ist.
Offensichtlich scheint sich der Täter vom Knochenjäger inspiriert zu fühlen, der Rhyme und Sachs damals in die Schlagzeilen gebracht hat.
„Während Billy mit der American Eagle den überaus hübschen Bauch seines neuen Opfers bearbeitete, dachte er darüber nach, wie fasziniert er von Gottes persönlicher Leinwand war.
Haut.
Sie war auch Billys Leinwand, und er war so sehr auf sie fixiert, wie der Knochenjäger auf das Skelettsystem des Körpers fixiert gewesen war – was Billy interessiert bei der Lektüre von Serienstädte festgestellt hatte. Er respektierte die Besessenheit des Knochenjägers, aber ehrlich gesagt konnte er sie nicht ganz nachvollziehen. Haut war bei Weitem der aufschlussreichere Aspekt des menschlichen Körpers. Sehr viel zentraler. Viel wichtiger.“ (S. 243) 
Billy Haven wird mit seiner American-Eagle-Tätowiermaschine bereits im zweiten Kapitel als Täter eingeführt, erscheint im Vergleich zu früheren Serienmördern, mit denen es Lincoln Rhyme und Amelia Sachs in den zehn Fällen zuvor zu tun hatten, allerdings ziemlich blass. Das trifft leider auch auf den Plot zu, den Thriller-Bestseller-Autor Deaver auf den ersten 300 Seiten entwickelt.
Wenn der Leser Lincoln Rhyme und Amelia Sachs noch nicht aus früheren Büchern kennen sollte – was zugegebenermaßen sehr unwahrscheinlich ist -, wird er wenig über ihre Hintergründe und Geschichte erfahren. Auf der anderen Seite gibt es für langjährige Fans wenig Neues zu entdecken. Mit der Charakterisierung seiner Figuren hält sich Deaver wenig auf, stattdessen entwirft er eine routiniert strukturierte, aber wenig packende Mordserie, die einzig etwas über die Intention des Killers und die Wirkungsweisen pflanzlicher Gifte offenbart.
Seine Meisterschaft demonstriert Deaver erst im letzten Drittel von „Der Giftzeichner“, wenn sich die ach so überraschenden Wendungen förmlich überschlagen. Hier trägt Deaver dann doch etwas dick auf, wenn er die Handlung und Rhymes Schlussfolgerungen geradezu Purzelbäume schlagen lässt. Das ergibt wie gewohnt flüssig geschriebene, wendungsreiche Thriller-Unterhaltung, zählt aber mit den fast schon lieblos gezeichneten Figuren und dem arg konstruierten Finale sicher zu Deavers schwächeren Werken.
Leseprobe Jeffery Deaver - "Der Giftzeichner"

Jeffery Deaver – (Lincoln Rhyme: 10) „Todeszimmer“

Sonntag, 5. April 2015

(Blanvalet, 608 S., HC)
Kaum hat Lincoln Rhyme eines Morgens Besuch von Bill Myers, Captain der jüngst eingerichteten Special Services Division des NYPD, und der stellvertretenden Bezirksstaatsanwältin Nance Laurel erhalten, stecken er, Amelia Sachs und Lincolns ehemaliger Partner Lon Sellitto schon wieder in einem äußerst heiklen Fall: Der in Venezuela aufgewachsene US-Bürger Roberto Moreno, der sich als lautstarker Gegner der imperialen US-Wirtschaftspolitik viele Feinde in der USA gemacht hat, wurde während eines Interviews in einem Hotel auf den Bahamas erschossen, der Journalist und Morenos Leibwächter kamen bei dem Attentat ebenfalls um.
Zwar wird der Anschlag offiziell den südamerikanischen Drogenkartellen zugeschrieben, doch Laurel vermutet, dass Morenos Ermordung auf Anweisung des National Intelligence and Operation Service (NIOS) erfolgt ist, einer neuen geheimdienstähnlichen Institution, die bei der Liquidierung von Amerika-Gegnern offensichtlich auch Kollateralschäden in Kauf nimmt. Laurel hat dabei nicht nur NIOS-Chef Shreve Metzger, sondern durchaus aus höhere Regierungsvertreter im Visier.
Doch die Ermittlungen erweisen sich als schwierig, denn offensichtlich handelte der Auftragskiller nicht allein. Als Ermittlungs-Spezialist Lincoln Rhyme unter schwierigsten Bedingungen endlich den Tatort auf den Bahamas in Augenschein nehmen will, sind die wichtigsten Beweise in dem sogenannten „Todeszimmer“ längst entsorgt worden.
Erst bei der genauen Analyse der Obduktionsberichte kommt Lincoln dem eigentlichen Motiv auf die Spur. Allerdings scheinen die Täter den Ermittlern immer eine Spur voraus zu sein und das ohnehin gefährliche Leben von Lincoln und Amelia auf eine harte Probe zu stellen.
„Sachs und Rhyme lebten beide riskant – sie wegen des gefährlichen Jobs und ihrer Leidenschaft für Geschwindigkeit, er wegen seiner körperlichen Verfassung. Vielleicht, nein vermutlich wurde ihr Zusammenleben dadurch intensiver, ihre Verbindung enger. Und meistens akzeptierte sie diesen Umstand. Doch nun, da Rhyme weg war und sie einen besonders schwierigen Schauplatz untersuchte, bei dem der Täter genau über sie Bescheid wusste, konnte sie nicht anders, als sich vor Augen zu führen, dass sie immer nur einen Pistolenschuss oder einen Herzschlag davon entfernt waren, auf ewig allein zu sein.“ (S. 278f.)
Im zehnten Band der prominenten Lincoln-Rhyme/Amelia-Sachs-Reihe, deren erster Band „Der Knochenjäger“ ebenso erfolgreich 1999 von Phillip Noyce mit Denzel Washington und Angelina Jolie in den Hauptrollen verfilmt worden ist, haben es der querschnittsgelähmte Lincoln Rhyme und seine Ermittlungs- wie Lebenspartnerin Amelia Sachs wieder mit einem äußerst schwierigen Fall zu tun, bei dem die Beweislage alles andere als vielversprechend aussieht und die Ermittlungen durch eine überaus ehrgeizige Staatsanwältin und einen raffinierten Killer nicht gerade gefördert werden.
Wie Jeffery Deaver den komplexen Plot aufbaut, ist ebenso beachtenswert wie sein Talent, die Spannung auf immerhin 600 Seiten gekonnt sukzessive aufzubauen und die Spurensuche und deren Analyse immer wieder in eine neue Richtung zu lenken. Nebenbei kommt auch das Privatleben von Rhyme und Sachs etwas zur Sprache. Hier hätte Deaver allerdings etwas mehr preisgeben können als Rhymes bevorstehende Operation und die zunehmenden Probleme, die Sachs‘ Arthrose bei der Ausübung ihres Dienstes bereitet.
Davon abgesehen bietet „Todeszimmer“ aber einen gewohnt grandios inszenierten, packend geschriebenen Kriminalfall, der das gesamte Potenzial des genialen Ermittler-Duos beansprucht.
Leseprobe Jeffery Deaver - "Todeszimmer"

Jeffery Deaver – „Blinder Feind“

Sonntag, 8. März 2015

(Blanvalet, 383 S., Tb.)
An einem kühlen Sonntagabend im September ist das Leben der attraktiven Bürovorsteherin Gabriela McKenzie völlig aus den Fugen geraten. Ihr Chef Charles Prescott ist nicht nur spurlos verschwunden, sondern hat auch alle Geschäftskonten geplündert. Nun erhoffen sich nicht nur die beiden NYPD-Detectives Brad Kepler und Naresh Surani von Gabriela Hinweise auf den Verbleib ihres ehemaligen Chefs und seine unlauteren Geschäfte. Vor allem der Mann namens Joseph bereitet ihr Magenschmerzen. Er hat nicht nur ihre Tochter Sarah entführt und verlangt ein Lösegeld von 400.000 Dollar, sondern auch ein Dokument, das als „Oktoberliste“ kursiert und die meist ausländischen Namen von Prescotts über dreißig eher privaten Geschäftspartnern enthält.
Zum Glück lernt Gabriela in einer Bar den attraktiven Geschäftsmann Daniel Reardon kennen, der bereits Erfahrungen mit Verhandlungen von Kidnappern gesammelt hat, die im Ausland Geschäftsleute in ihre Gewalt gebracht haben. Doch auf der Suche nach der ominösen Liste droht den beiden die Zeit davonzulaufen. Und Joseph scheint ein echter Soziopath zu sein, der keinen Aufschub duldet …
„In Gedanken ging Joseph noch einmal das komplette Projekt durch, das er an diesem Wochenende inszenierte. Viele Bestandteile, viele Herausforderungen, viele Risiken. Aber, überlegte er in seiner nachdenklichen Stimmung, Menschen waren auf der Welt, um tätig zu sein. Es spielte keine Rolle, wie schwierig die Aufgabe war, wie schmutzig man sich die Hände dabei machte – in jeder Bedeutung des Ausdrucks. Es spielte keine Rolle, ob man Dichter war oder Zimmermann, Wissenschaftler oder was auch immer. Gott hat uns geschaffen, damit wir unsere Ärsche bewegen, in die Welt hinausgehen und etwas mit unserer Zeit anfangen. Und Joseph war nie glücklicher als dann, wenn er arbeitete. Selbst wenn der Job ein Mord war, wie er ihn in wenigen Minuten begehen würde.“ (S. 91) 
Jeffery Deaver hat nicht ohne Grund Søren Kierkegaards Ausspruch „Das Leben lässt sich nur rückwärts verstehen, doch es muss vorwärts gelebt werden“ vorangestellt, denn interessanterweise erzählt er seinen neuen Thriller auch rückwärts.
Er beginnt am Sonntagabend in einer Wohnung in Manhattan, wo Gabriela mit einem von Daniels Helfern darauf wartet, dass sich Daniel mit einem weiteren Kollegen mit Joseph trifft, um Sarah gegen die Oktoberliste einzutauschen. Doch statt Daniel taucht Joseph plötzlich in der Wohnung auf. Was bei konventionellen Thrillern als Einleitung fungieren würde, stellt in Deavers neuen Roman das Finale dar. Was folgt, dürfte zumindest Filmfans vertraut sein, wenn sie Werke wie Stanley Kubricks „Die Rechnung ging nicht auf“, Robert Zemeckis' „Zurück in die Zukunft“ oder Christopher Nolans „Memento“ zu schätzen gewusst haben.
Stück für Stück beschreibt der amerikanische Bestseller-Autor in ungewöhnlich kurzen Kapiteln, was kurz zuvor passiert ist, bis am Freitagmorgen die absolut verblüffende Ausgangssituation enthüllt wird. Deaver erweist sich einmal mehr als Meister des psychologischen Thrillers, der nicht nur interessante Figuren und Plots zu entwickeln versteht, sondern auch geschickt mit den Erwartungen seiner Leserschaft spielt.
„Blinder Feind“ ist dabei so perfide und spannend konstruiert, dass das Finale, das letztlich die Einleitung darstellt, die ganze Geschichte in ein neues Licht rückt.
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Jeffery Deaver – „Schutzlos“

Samstag, 15. Juni 2013

(Blanvalet, 509 S., Tb.)
Das FBI-Büro in Charleston, West Virginia, ist bei einer Drogenrazzia auf die Fingerabdrücke des Lifters Henry Loving gestoßen, der eigentlich vor zwei Jahren in einem abgebrannten Lagerhaus zu Tode gekommen sein soll. Lifter sind freiberufliche Vernehmungsspezialisten, die angeheuert werden, um von bestimmten Personen Informationen herauszuholen, auf welche Weise auch immer.
Nun ist Loving auf die Familie des in Washington, D.C. lebenden Polizisten Ryan Kessler angesetzt worden. Die Staatsanwaltschaft setzt den privaten Personenschützer Corte darauf an, die Kesslers in einem sicherem Haus unterzubringen, bis Loving gestellt worden und sein Auftraggeber bekannt ist. Corte hat dabei noch eine persönliche Rechnung mit Loving offen: vor sechs Jahren tötete er nämlich Cortes Mentor Abe Fallow. Zunächst scheint es, als wäre Kessler durch die zwei größeren Fälle, an denen er momentan arbeitet, in Lovings Visier gerückt, doch alle Ermittlungen von Cortes streng geheim operierender Firma in dieser Richtung führen ins Leere.
„Einer der besten Lifter war hinter Ryan Kessler her. Und zwar nicht wegen seiner beiden aktuellen großen Fälle. Und es war nicht wegen seiner Verwaltungstätigkeit. Die Spieltheorie berücksichtigt Unbekannte und Bekannte in der Gleichung. Man weiß nicht, wie der Würfel fallen wird, welche Karte man als nächste aufhebt oder bekommt. Man kennt den nächsten Zug seines Gegners nicht. Deine zitternde Hand lässt dich manchmal irrtümlich ziehen. Aber etwas, was du immer weißt, ist, wer dein Gegner ist und welches Ziel er verfolgt. Dieses Spiel war jedoch anders. Ich kannte den Gegner nicht – nur die Spielfigur, den Springer oder Turm: Henry Loving. Und ich kannte das Ziel des Spiels nicht.“ (S. 329) 
Tatsächlich scheinen auch die anderen Kesslers potenzielle Kandidaten zu sein, brisante Informationen in sich zu tragen. Doch Loving hat mit seinem Partner schon längst die Spur aufgenommen und bringt Corte und seine Mandanten in eine lebensbedrohliche Situation …
Neben seinen schon legendären Lincoln-Rhyme-Romanen schreibt der amerikanische Bestseller-Autor Jeffery Deaver immer mal wieder eigenständige Thriller, mit denen er unter Beweis stellt, dass er stets neue interessante Settings zu ersinnen versteht. In „Schutzlos“ wird die Spannung auf gleich auf mehreren Ebenen aufgebaut. Zunächst wird das Duell zwischen den beiden Todfeinden Loving und Corte ins Feld gebracht, wobei Corte als Spiel-Experten und –Sammler immer wieder passende Gedanken zur Spieltheorie in den Mund gelegt werden, um seine Strategie zu beschreiben. Auf der darüber liegenden Ebene wird Lovings Auftraggeber gesucht, der schließlich das Motiv für die Jagd auf die Kesslers besitzt. Und schließlich bleibt lange unklar, wer konkret aus der Familie eigentlich Lovings Ziel ist. Was die Motive und die Zielperson angeht, arbeitet Deaver geschickt mit immer neuen Wendungen, die auf Dauer aber auch sehr konstruiert wirken, was gerade auf die finale Identifizierung des Auftraggebers zutrifft. Aber bis dahin bietet „Schutzlos“ ein packendes Lesevergnügen mit vielschichtigen Figuren und einem sympathischen wie gewissenhaften Protagonisten, der es nicht immer leicht hat, seine Mandanten nur als solche zu sehen.
Leseprobe: Jeffery Deaver – “Schutzlos”