Posts mit dem Label Jim Thompson werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Jim Thompson werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Jim Thompson – „Der King-Clan“

Donnerstag, 25. Mai 2023

(Diogenes, 272 S., Tb.) 
Obwohl James Myers „Jim“ Thompson bereits 1942 seinen ersten, hierzulande erst 2011 unter dem Titel „Jetzt und auf Erden“ erschienenen Roman veröffentlichte, zumindest in Literaturkreisen einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangen und in Hollywood auch als Drehbuchautor (für Stanley Kubricks „Wege zum Ruhm“ und „Die Rechnung ging nicht auf“) arbeiten konnte, wurde er erst posthum auch international für seine rabenschwarzen Noir-Romane geschätzt. Als Sam Peckinpah 1972 mit „Getaway“ die erste Verfilmung eines Thompson-Romans vorlegte, stand der aus Oklahoma stammende Autor bereits am Ende seiner Karriere und veröffentlichte 1973 mit „King Blood“ seinen letzten Roman, bevor er verarmt, von Alkoholsucht und diversen Schlaganfällen dahingerafft, 1977 verstarb. 
Critchfield „Critch“ King hat vor dreizehn Jahren mit seiner Mutter die Ranch seines Vaters Isaac „Ike“ King verlassen und wurde von Raymond Chance, dem Liebhaber seiner Mutter, in die Welt des Betrugs und Verrats eingeweiht. Doch da es an der Zeit ist, dass der alte Ike einen Erben für seine riesigen Ländereien in Oklahoma sucht, ist es für Critch an der Zeit, nicht nur nach Hause zurückzukehren, sondern auch einen so guten Eindruck bei seinem Dad zu hinterlassen, dass dieser nur ihn als rechtmäßigen Erben bestimmen kann. Doch dazu benötigt Critch noch etwas mehr Geld, als er dem Anwalt Dying Horse abgenommen hatte. 
Um seine beiden älteren Brüder Arlington („Arlie“) und Bosworth („Boz“) auszustechen, die auf der Ranch King’s Junction lebten und arbeiteten, muss Critch schon ein anderes Kaliber auffahren. Da kommt ihm die Bekanntschaft einer allein reisenden Frau im Bahnhof von Tulsa gerade recht. Durch einen Trick nimmt er ihr, als sie seinem Vorschlag nachkommt, sich auf der Toilette frisch zu machen, die beiden Koffer ab und versetzt sie beim Pfandleiher. 
Wie sich herausstellt, kommt Critch so in den Besitz von zweiundsiebzigtausend Dollar. Er weiß allerdings nicht, dass die Dame, die er um ihr Geld erleichtert hat, die professionelle Mörderin Anne-Emma ist, die mit ihrer Schwester mehr als vierzig gutbetuchte Männer auf ihrem Gewissen hat. Auf der Ranch angekommen, sieht sich Critch im Nu als Teil eines durchaus blutigen Wettkampfs zwischen den Brüdern, bei denen auch Arlies und Boz‘ Indianer-Frauen Joshie und Kay munter mitmischen… 
„Vorläufig musste er sich zurückhalten. Musste Arlie Zeit lassen, damit dessen Wachsamkeit nachließ und er unvorsichtig wurde; musste sich bei Old Ike noch mehr einschmeicheln; musste sich jeden zum Freund machen, der ihm später vielleicht nützlich sein konnte. Er brauchte nichts weiter zu tun als das, was er die ganze Zeit getan hatte. Arbeiten – und auf eine günstige Gelegenheit warten. Und für zweiundsiebzigtausend Dollar war er bereit, unbegrenzt zu warten.“ (S. 147) 
Mit seinem letzten Roman holt Thompson noch einmal zum großen Schlag aus und präsentiert eine bunte Schar an Dieben, Betrügern, Verrätern und Mördern, wobei er kein Blatt vor den Mund nimmt. Ausgiebig lässt der Autor seine durchweg unsympathischen Protagonisten über ihre kriminellen Pläne und Gewaltfantasien schwadronieren. Vor seinem eigenen biografischen Hintergrund entfesselt Thompson eine wilde Odyssee, bei der nicht nur die drei King-Brüder sich für das anstehende Erbe ihres Vaters in die beste Ausgangsposition manövrieren wollen, sondern die beiden Killer-Schwestern auch die von Critch gestohlenen zweiundsiebzigtausend Dollar zurückholen wollen. 
Beim Sex geht es dabei ebenso derb und unverblümt zu wie bei den immer mal wieder tödlichen oder doch zumindest blutigen Auseinandersetzungen. Im Gegensatz zu den eher subtil agierenden Femmes fatale des Noir-Genres sind Thompsons Weibsbilder in „Der King-Clan“ um keine Anmache und brutalen Attacken verlegen, sie stehen den Männern in nichts nach. Wer also auf bitterbösen, derben und kompromisslosen Thriller-Klamauk steht, ist mit „Der King-Clan“ gut bedient.


Jim Thompson – „Muttersöhnchen“

Samstag, 22. April 2023

(Diogenes, 230 S., Tb.) 
Seit seinem 1942 erschienenen Debütroman „Now and on Earth“, der erst 2011 in deutscher Übersetzung als „Jetzt und auf Erden“ in der Heyne-Hardcore-Reihe erschienen ist, hat sich Jim Thompson zu einem der renommiertesten Noir-Autoren entwickelt, dem aber trotz seiner Arbeit in Hollywood, wo er in den 1950er Jahren die Drehbücher für Stanley Kubricks „Wege zum Ruhm“ und „Die Rechnung ging nicht auf“ ablieferte, und der 1972 einsetzenden Verfilmung seiner Romane (beginnend mit Sam Peckinpahs Klassiker „Getaway“) der verdiente Erfolg versagt geblieben ist. 
Nach mehreren, durch seinen exzessiven Alkoholkonsum verursachten Schlaganfällen starb Thompson verarmt und verbittert 1977 in Hollywood. Sein 1963, vier Jahre nach „The Getaway“ veröffentlichter Roman „The Grifters“ wurde zwar 1990 unter der Regie von Stephen Frears mit Anjelica Huston, John Cusack und Annette Bening verfilmt, zählt aber zu den eher schwächeren Romanen des längst zum Kult-Autor avancierten Thompson
Roy Dillon verdient sich seinen Lebensunterhalt als kleiner Trickbetrüger in Los Angeles, wo in einer Suite im Hotel Grosvenor-Carlton lebt. Seine Freundin Moira Langtry, eine geschiedene Frau in den Dreißigern, drängt darauf, dass er sich beruflich weiterentwickelt, um mit ihr ein gemeinsames Leben aufbauen zu können, doch Roys Mutter Lilly, die gerade mal vierzehn Jahre älter als ihr Sohn ist und mehr als nur mütterliche Gefühle für ihn zu hegen scheint und selbst in der Betrugsbranche für den Buchmacher Bobo Justus tätig ist, verfolgt andere Pläne für ihren Liebling, zumal sie selbst langsam zu alt für das Geschäft wird. 
Nachdem sie einen Einsatz auf der Rennbahn La Jolla verpasst hat und ihrem Chef so ein dickes Loch in der Kasse beschert hat, revanchiert er sich mit der Verbrennung ihrer Hand durch eine Zigarette. Als Roy ebenfalls bei einem Betrugsversuch erwischt und verprügelt wird, lässt Lilly ihren Sohn im Krankenhaus durch die Krankenschwester Carol aufpeppeln und sorgt dafür, dass die ihr verhasste Moira Roy nicht zu sehen bekommt. Obwohl Roy nach einigen Woche wieder genesen ist, lässt Lilly ihren Sohn in ihr Apartment am Sunset Strip östlich der Stadtgrenze von Beverly Hills verfrachten und verlängert die Fürsorge durch Carol, in die sich Roy – wie von Lilly geplant - schließlich verliebt. Doch als Moira versucht, die Dreieinigkeit zwischen Carol, Roy und Lilly zu zerstören, kommt es zur Katastrophe… 
„Vielleicht hatte sie ihn zu hart angefasst; kein Mann ließ sich gern herumkommandieren. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, sich so sehr für Lilly Dillon zu interessieren; jeder Mann war empfindlich, wenn es um seine Mutter ging. Aber wie auch immer, ihr Vorschlag war richtig und vernünftig. Sie würden beide davon profitieren. Es musste einfach so sein. Und wehe, wenn er nicht…!“ (S. 189) 
Nachdem „The Grifters“ zunächst in der Übersetzung von Jürgen Behrens 1983 bei Ullstein unter dem Titel „Die Abzocker“ veröffentlicht und dann in der gleichen Übersetzung zur Verfilmung des Romans als „Grfiters“ neu aufgelegt worden ist, erschien der Titel 1995 bei Diogenes als „Muttersöhnchen“ – diesmal von André Simonoviescz übersetzt. 
Wieder einmal stammen Thompsons Protagonisten aus eher ärmlichen Verhältnissen, die sich durch Betrügereien über Wasser halten. Insofern bietet „Muttersöhnchen“ wenig Neues. Interessant ist vor allem die Viererkonstellation, in der sich der intelligente, aber wenig ehrgeizige Roy Dillon durch die Hingabe gleich dreier Frauen manövrieren muss, wobei diese teilweise nicht die geringsten Skrupel besitzen, ihre Ansprüche an Roy und seine Ersparnisse durchzusetzen. Im Gegensatz zu Thompsons besseren Werken fehlt es bei diesem Werk an dem psychologischen Einfühlungsvermögen. Dass sich in „Muttersöhnchen“ einmal mehr keine wirklichen Sympathieträger ausmachen lassen, verwundert nicht, aber die überraschungsarme Dramaturgie der Story schon. 

 

Jim Thompson – „Zwölfhundertachtzig schwarze Seelen“

Mittwoch, 5. April 2023

(Diogenes, 268 S., Tb.) 
Die Karriere von Jim Thompson kam erst spät in Gang. Obwohl er seine ersten Romane bereits in den 1940er Jahren veröffentlicht und vergeblich versucht hatte, in Hollywood Fuß zu fassen, blieb er in der Literaturszene ein Geheimtipp und bekam kaum noch seine Alkoholprobleme in den Griff, bevor er in den 1950er Jahren nicht nur eine Flut von Romanen schrieb, sondern auch von Stanley Kubrick beauftragt wurde, die Drehbücher zu seinen beiden Filmen „Die Rechnung ging nicht auf“ (1956) und „Wege zum Ruhm“ (1957) zu schreiben. Doch erst in den 1970er Jahren wurde Thompson so richtig bekannt, als erst Sam Peckinpah „Getaway“ (1972) verfilmte und dann andere Filmemacher nachzogen. So nahm sich der französische Regisseur Bertrand Tavernier 1981 mit „Der Saustall“ des 1964 erschienenen Romans „Zwölfhundertachtzig schwarze Seelen“ an, der zu den witzigsten Werken des 1977 verstorbenen Autors zählt. 
Nick Corey ist Sheriff im Potts County und lebt mit seiner anstrengenden, ewig schimpfenden und respektlosen Frau Myra und ihrem leicht debilen Bruder Lennie im 1280-Seelen-Kaff Pottsville. Für seine zweitausend Dollar im Jahr macht Nick eigentlich nichts, außer den Status quo zu erhalten, allerdings beschleicht ihn vor der anstehenden Wahl das mulmige Gefühl, dass die Bürger in dem Bezirk nicht mehr so zufrieden mit ihm sein könnten. 
Wenn er wirkliche Probleme zu lösen hat – wie zum Beispiel die Beseitigung eines öffentlichen Aborts oder die Eliminierung zweier unbequemer Zuhälter -, reist Nick in den Nachbarbezirk zu seinem Kollegen Ken Lacey, der ihm stets mit Rat und Tat zur Seite steht. Doch die wahren Probleme bereiten ihm die Frauen, denn neben seiner pöbelnden Ehefrau haben auch Rose Hauks und die Prostituierte Amy Mason Ansprüche auf den Sheriff angemeldet. Um sich durch diese kniffligen Herausforderungen zu manövrieren, lässt Corey nicht nur Amys Zuhälter und Roses prügelnden Ehemann Tom über die Klinge springen, sondern lenkt die Ermittlungen in den Mordfällen geschickt in die von ihm gewünschte Richtung, so dass andere Verdächtige in den Fokus rücken… 
„Ich war fast soweit gewesen, hatte fast einen Plan gehabt, wie ich mit einem Schlag nicht nur Rose loswerden konnte, ohne sie mehr als einmal zu sehen, sondern auch gleichzeitig noch das Problem mit Myra und Lennie lösen würde. Und dann hatte Amy gesprochen, und Teile des Plans waren in alle Himmelsrichtungen verweht worden. Ich wusste, dass es mir verdammt schwerfallen würde, sie alle wieder zusammenzubringen – wenn es mir überhaupt jemals wieder gelingen würde.“ (S. 186) 
Auch wenn Jim Thompson gemeinhin dem Noir-Genre zugerechnet und mit Dashiell Hammett, Raymond Chandler und Robert B. Parker in einem Atemzug genannt wird, stechen seine Werke doch in ihrer einzigartigen Konzeption und Figurenzeichnung besonders heraus. „Zwölfhundertachtzig schwarze Seelen“ stellt dabei ein Paradebeispiel für Thompsons zutiefst schwarzen, herrlich lakonischen Humor dar. Sein Protagonist, der ebenso faule wie geile Sheriff Nick Carey, tritt als Ich-Erzähler auf und macht nie einen Hehl daraus, dass er eigentlich nur seine Ruhe haben will, dass er dabei aber alle Mühe hat, die sexuellen Avancen seiner Frauen zu befriedigen und sie glauben zu lassen, dass er ihnen allein gehöre. Zwar wirkt Carey zunächst etwas beschränkt, doch bei der Verschleierung seiner Verbrechen stellt er eine gewitzte Bauernschläue unter Beweis, die Kollegen wie Kontrahenten in arge Bedrängnis bringt. 
Bei aller humorvollen Ausrichtung präsentiert sich „1280 schwarze Seelen“ aber auch als faszinierende Milieustudie der Unterschicht im US-amerikanischen Süden zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Hier werden noch keine raffinierten Beweisführungen verlangt und auch keine rasenden Verkehrssünder zur Rechenschaft gezogen. In Pottsville geht alles seinen langsamen Weg, wird das Miteinander noch von Hörensagen und Rassismus geprägt. Identifikationsfiguren bietet der Roman natürlich nicht, dazu sind sowohl der Ich-Erzähler als auch seine Mitmenschen zu dumpfbackig, zu verdorben oder zu gerissen, aber Spaß macht es natürlich trotzdem. 
Lesenswert ist auch das ausführliche Nachwort von Wolfram Knorr, der nicht nur die eigenartige Natur von Thompsons Helden unter die Lupe nimmt, sondern auch das Werk des heute so gefeierten Schriftstellers mit seinem starken Bezug zur amerikanischen Provinz als „wütende Reflexe eigener Erfahrungen“ beschreibt. 

 

Jim Thompson – „Kein ganzer Mann“

Donnerstag, 20. Oktober 2022

(Diogenes, 282 S., Tb.) 
Jim Thompson gilt heute neben Raymond Chandler, Dashiell Hammett und Cornell Woolrich zu den bekanntesten Vertretern des Noir-Genres, wurde zu seinen Lebzeiten aber eher geringschätzenderweise der Pulp-Literatur zugeordnet. Bevor er sich mit seinen beiden Drehbüchern zu den Kubrick-Filmen „Die Rechnung ging nicht auf“ (1956) und „Wege zum Ruhm“ (1957) für kurze Zeit im Glanz Hollywood sonnen konnte und lange bevor seine Romane mit den 1970er Jahren beginnend verfilmt werden sollten („Getaway“, „After Dark, My Sweet“, „Grifters“ u.a.), veröffentlichte er 1954 auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft den Roman „The Nothing Man“, der 1989 zunächst als „Der Garnix-Mann“ bei Ullstein, 1996 dann in der Neuübersetzung von Thomas Stegers als „Kein ganzer Mann“ als deutsche Übersetzung erschienen ist. 
Clinton Brown ist einer der von Herausgeber Austin Lovelace meistgeschätzten Redakteure beim Pacific City Courier. Da Brown im Gegensatz zu seinen Kollegen Dave Randall und Tom Judge über kein nennenswertes Privatleben verfügt, sitzt er meist in der Redaktion und tippt dort an seinem unfertigen Manuskript zur Gedichtsammlung „Gedichte zum Erbrechen“. 
Als Mr. Lovelace unangekündigten Besuch von Deborah Chasen bekommt, wird Brown damit beauftragt, sie etwas in der Stadt herumzuführen, um sie abends wieder in den Zug zu setzen. Brown gefällt der Dame so gut, dass sie zu gern eine Affäre mit ihm beginnen würde, doch weiß sie nicht, dass er im Krieg beim Betreten eines Minenfelds ausgerechnet sein bestes Stück einbüßen musste. Doch nicht nur Mrs. Chasen bringt Brown in Bedrängnis, auch die Ankunft seiner Frau Ellen drüben auf der Insel beunruhigt ihn. Er hatte sich nach seinem Unglück von ihr trennen wollen, worauf sie für drei Monate aus Pacific City verschwand, um jetzt wieder unangekündigt aufzutauchen. 
Einzig Polizeichef Lem Stukey scheint von ihrer Ankunft zu wissen. Als Brown betrunken mit dem Boot zur Insel fährt und sich mit ihr streitet, schlägt er ihr eine Flasche über den Kopf und steckt ihr Bett in Brand. Als Ellens Leiche mit einem Zettel in der Hand aufgefunden wird, auf dem der Vers eines Gedichts geschrieben steht, ist Brown für Stukey natürlich der Hauptverdächtige, doch der Reporter kann die Theorie des Cops schnell entkräften. Schließlich wird Tom Judge für den Mord an Ellen Brown verhaftet, dann wird auch Deborah Chasen tot aufgefunden. Und wieder scheint der Reporter seine Hände im Spiel gehabt zu haben… 
„Es ist schwierig, eine Geschichte an einem bestimmten Punkt anzuhalten und eine genaue Analyse seiner Gefühle vorzunehmen, zu erklären, warum sie so und nicht anders sind. Ich bin eher ein Anhänger des Entwicklungsansatzes, im Gegensatz zum Erklärungsansatz. Aus dem Stegreif heraus, ohne Zusammenhang, ist er nicht sonderlich hilfreich, aber langfristig funktioniert er ausnahmslos. Betrachtet man die Handlungen eines Menschen über einen längeren Zeitraum, treten die Motive deutlicher zutage.“ (S. 140)
 
Jim Thompson stellt seinen Ich-Erzähler Clinton Brown als Mann dar, der wie der Titel bereits andeutet, „kein ganzer Mann“ ist, durch den Krieg seiner Männlichkeit beraubt. Obwohl die Frauen in seinem Leben, und davon gibt es im Verlauf des Romans doch einige, stets beteuern, dass sie ihn auch ohne das „Eine“ lieben würden, hat sein Selbstbewusstsein natürlich schweren Schaden erlitten.  
Thompson beschreibt eindringlich, wie sich der Redakteur und Möchtegern-Dichter stattdessen in die Arbeit stürzt und sich einen Spaß daraus macht, seine Kollegen gegeneinander auszuspielen und vor allem vor dem Hintergrund der sogenannten „Spottlustmorde“ auf diabolische Weise in den Fokus der Ermittlungen des korrupten und unsicheren Polizeichefs Lem Stukey schubst. 
Unterhaltsam ist aber nicht nur das gemeine Spiel, das Brown mit seinen Mitmenschen spielt, sondern auch die allgemeine Atmosphäre der Verruchtheit und Verderbtheit in Pacific City. Fast scheint es, als hätten die Frauen ihr Schicksal durch ihr aufdringliches Verhalten herausgefordert, doch am Ende kann der dem Alkohol mehr als nur zugeneigte Protagonist nicht mal mit Sicherheit sagen, ob er die Frauen tatsächlich ermordet hat oder „nur“ die vorbereitenden Maßnahmen traf und ein anderer für ihren Tod verantwortlich gewesen ist. 
Thompson kreiert mit „Kein ganzer Mann“ eine typische Noir-Stimmung, mit einem Ich-Erzähler, der im Rückblick die Ereignisse zu rekapitulieren versucht und seine eigene Rolle dabei nicht genau zu definieren vermag, sehr wohl aber die niederen Triebe seiner Mitmenschen. Zwar präsentiert Thompson, der selbst schwer dem Alkohol zugetan war, schon früh einen Nervenzusammenbruch erlitt und später an den Folgen eines Schlaganfalls in verarmten Verhältnissen starb, auf der einen Seite einen klassischen Whodunit-Plot, doch erweist sich „Kein ganzer Mann“ vor allem als psychologische Studie eines nicht nur körperlich kastrierten Mannes und seiner schäbigen Umwelt. 

 

Jim Thompson – „Kill-off“

Donnerstag, 9. Juni 2022

(Diogenes, 282 S., Tb.) 
In seinen überaus produktiven 1950er Jahren schrieb der US-amerikanische Autor Jim Thompson viele seiner besten Werke. Während er selbst die Drehbücher zu Stanley Kubricks Frühwerken „Wege zum Ruhm“ und „Die Rechnung ging nicht auf“ verfasste, wurden seine eigenen Romane wie „Der Mörder in mir“, „Ein Satansweib“, „Getaway“ und „After Dark, My Sweet“ - wenn auch viel später - von Regisseuren wie Alain Corneau, James Foley und Sam Peckinpah verfilmt. Das trifft auch auf den 1957 entstandenen Roman „The Kill-Off“ zu, den Maggie Greenwald 1989 für die große Leinwand adaptierte. Dabei zählt der hierzulande zunächst bei Ullstein als „Das Abtöten“ veröffentlichte, dann bei Diogenes in neuer Übersetzung unter dem Titel „Kill-off“ herausgegebene Werk nicht zu Thompsons besten Arbeiten. 
In dem heruntergekommenen Seebad Manduwoc hat sich die einst schöne, nun über sechzigjährige Luane Devore durch ihre bösartige Zunge eine Menge Feinde gemacht. Als sie zwei Tage vor Beginn der Sommersaison ihren Anwalt Kossmeyer anruft und auf ihre gewohnt hysterische Art behauptet, dass sie umgebracht werden soll, nimmt er sie nicht allzu ernst. Schließlich ist es auch schon Jahre her, dass er für seine Dienste auf dem Devore-Anwesen honoriert worden ist. Ihr Mann Ralph hat sich jahrelang mit Gelegenheitsjob über Wasser gehalten und für seine Frau nicht mehr allzu viel übrig. Dafür hat es ihm die Sängerin Danny Lee von Rags McGuires Musikgruppe sehr angetan. Als ihm nicht nur der Hausmeisterjob in der Schule flöten geht, sondern von Mr. Brockton auch noch erfahren muss, dass Doktor Ashton dafür gesorgt hat, dass der Job des Rasenmähens an dessen Sohn Bobbie übergegangen ist, steht Ralph Devor auf einmal ohne Einkommen dar. 
Doc Ashton wiederum, der sich nach dem Tod seiner Frau im Kindbett mit der jungen wie hübschen schwarzen Haushälterin Hattie vor siebzehn Jahren in der Stadt niedergelassen hat, sorgt sich darum, dass sein dunkles Geheimnis um die Beziehung zu Hattie gelüftet wird. Der Staatsanwalt Williams hat ebenso kein Interesse daran, dass bekannt wird, dass seine Schwester ein Baby von ihm erwartet… 
„Das musste man der verdammten Luane schon zugestehen: Sie hatte ein teuflisches Talent, mit dem Gerüchtemesser so zuzustoßen, dass sie immer die richtige Stelle traf und dauernd mächtig Staub aufwirbelte. Henry Clay Williams zum Beispiel war ein Junggeselle. Er hatte immer mit seiner unverheirateten Schwester zusammengelebt. Und diese Schwester hatte jetzt einen Unterleibstumor… der eine Schwellung verursachte, wie es normalerweise nur eine andere Art von Wachstum tut.“ (S. 89)
Jim Thompson hat sich seinen Lebensunterhalt nach seinem Abschluss an der University of Nebraska zunächst mit dem Schreiben von True-Crime-Stories verdient, was ihn – wenn nicht schon vorher – zu der Überzeugung kommen lassen musste, dass die Menschen ein gewalttätiger, habgieriger Haufen sind. Wirklich sympathische, moralisch integre Charaktere finden sich in seinen Büchern eher selten. Der Aufbau von „Kill-off“ ist insofern geschickt, als die einzelnen Kapitel jeweils aus der Sicht einzelner Bewohner von Manduwoc geschrieben sind. Nachdem der Anwalt Kossmeyer im ersten Kapitel durch sein Telefonat mit Luane Devore bereits eine erste Charakterisierung des zukünftigen Mordopfers abgibt und den Lesern einen groben Überblick über die Beziehungen und Zustände in der Stadt verschafft hat, kommen auch Luanes Mann Ralph, Doc Ashton und sein verzogener Sohn Bobbie und Hattie, der Bauunternehmer Pete Pavlov, der Musiker Rags McGuire, der Staatsanwalt Henry Clay Williams und auch Luane Devor selbst zu Wort. Nachdem Luane erwartungsgemäß zu Tode gekommen ist, stellt sich schließlich ab der Mitte des Romans die Frage nach dem Täter. 
Leider versäumt es Thompson, in dieser Hinsicht die Spannung aufrechtzuerhalten. Die nach dem Mord in Stellung gebrachten Ich-Erzähler bringen kaum noch erhellende Informationen zu dem Fall bei, sondern lamentieren eher vor sich hin, so dass man als Leser zunehmend das Interesse an der Geschichte verliert. Mit dem letzten zu Wort kommenden Beteiligten versucht Thompson dann das obligatorische Überraschungsmoment zu setzen und sein Publikum wieder wachzurütteln, doch wirklich überzeugend ist ihm dieser Kniff hier nicht gelungen. 

 

Jim Thompson – „Ein Satansweib“

Dienstag, 7. Juni 2022

(Diogenes, 226 S., Tb.) 
Jim Thompson hat sich nicht nur als Drehbuchautor für Stanley Kubricks Meisterwerke „Wege zum Ruhm“ und „Die Rechnung ging nicht auf“ einen Namen gemacht, sondern vor allem als Autor gnadenloser Hard-boiled-Krimis, die nichts für schwache Gemüter sind. Dabei verwendet er zwar die Konventionen des Noir-Genres, verleiht ihnen aber stets einen eigenen Dreh und unterläuft so geschickt die Erwartungshaltung des Lesers. Der 1954 am Ende seiner produktivsten Phase entstandene Roman „A Hell of a Woman“, der 1988 zunächst unter dem Titel „Höllenweib“ bei Ullstein erschienen war, wurde 1996 in neuer Übersetzung als „Ein Satansweib“ durch Diogenes wiederveröffentlicht. 
Als Handelsvertreter für die Pay-E-Zee-Kette tingelt Frank „Dolly“ Dillon mit seinem Musterkoffer von Haustür zu Haustür und versucht seinen potentiellen Kunden überteuerten Ramsch anzudrehen, den sie sich oft genug nur per Ratenzahlung leisten können. Dillon ist nicht nur von dem Job und seinem Chef Staples angeödet, sondern auch von seiner Frau Joyce, die er für eine nichtsnutzige Schlampe hält. Als er einem säumigen Zahler namens Pete Hendrickson auf der Spur ist, lernt er eine alte, hässliche Vettel kennen, die sich für einen Kasten mit Silberbesteck interessiert und Dillon als Bezahlung die Dienste ihrer hübschen Nichte Mona anbietet. 
Dillon ist sofort hingerissen von dem scheuen Geschöpf und denkt gar nicht daran, das bereits nackte Mädchen zu verführen, was ihn allerdings noch mehr für sie attraktiv macht. Als Dillon wegen seiner Mauscheleien verhaftet wird, ist es tatsächlich Mona, die ihn mit einer Zahlung von dreihundert Dollar auslöst, worauf sie ihm mitteilt, dass ihre Tante noch auf hunderttausend Dollar sitzt. Offenbar hat die geizige Alte einst Mona entführt und die wohlhabenden Eltern um diese Summe erpresst, aber selbst nach dem Tod der Eltern nie etwas von dem Geld angerührt. 
Nachdem Joyce bereits Mann und Haus verlassen hat, sieht Dillon nun die Möglichkeit, mit Mona ein ganz neues Leben anzufangen, doch die Art und Weise, wie die Alte aus dem Weg geräumt werden kann, ohne dass der Verdacht auf Dillon und Mona fällt, will gut überlegt sein. Kompliziert wird es für Dillon, als Joyce wieder in sein Leben zurückkehrt und Staples ihm immer näher auf die Pelle rückt… 
„Er konnte einfach nichts wissen. Die Bullen wussten nichts, wie sollte er etwas wissen? Also worüber zum Teufel regte ich mich auf? Irgendwie war ihm aufgefallen, dass mir ein wenig unbehaglich zumute war. Hatte es bemerkt und sofort angefangen darauf herumzuhacken und versucht, die Wahrheit aus mir herauszusticheln. Er schlug wild um sich, in jede Richtung, in der Hoffnung, dass die blinden Schläge irgendwie treffen würden.“ (S. 168) 
Schon mit dem Titel „A Hell of a Woman“ führt Thompson seine Leser in die Irre, suggeriert er doch die für den Noir so typische Konstellation, dass ein zunächst unbescholtener Mann durch eine Femme fatale zu einer folgenschweren Dummheit verführt wird. Tatsächlich ist die Ausgangssituation hier ähnlich gelagert. Der Ich-Erzähler Dillon gerät aber nicht erst durch die Kenntnis der hunderttausend Dollar auf die schiefe Bahn, auf denen die alte Vettel sitzt, die keine Skrupel besitzt, ihre vermeintliche Nichte für sich zu prostituieren. Dillon ist nämlich kein sympathischer Zeitgenosse, der einfach nur Pech in seinem Leben hatte. Er macht keinen Hehl daraus, dass ihm seine Arbeit keinen Spaß macht, dass ihm seine Frau auf die Nerven geht, dass sein Leben eigentlich nicht lebenswert ist. Durch die Aussicht, bald ein reicher Mann sein zu können, wird das kriminelle Element seiner Natur nur zusätzlich motiviert. 
Thompson macht es seinem Protagonisten auch nicht leicht. Sowohl Joyce als auch Mona entpuppen sich nicht als Traumfrauen, die ewigen Betrügereien drohen Dillon irgendwann das Genick zu brechen, und sein Vorgesetzter Staples hängt wie eine nervige Klette an ihm. Thompson gelingt es immer wieder, dem Plot eine interessante Wendung zu verleihen, doch ist die Geschichte des Losers Dillon nicht so packend gelungen wie viele andere von Thompsons Werken. Das liegt nicht nur an der Sprache, die der Autor seinem Ich-Erzähler angepasst hat, sondern auch der am Ende arg konstruiert wirkenden Aufösung. 

 

Jim Thompson – „Eine klasse Frau“

Sonntag, 5. Juni 2022

(Diogenes, 242 S., Tb.) 
Nach schleppenden Beginn seiner Schriftstellerkarriere, die zwischen 1942 und 1949 nur drei Romane hervorgebracht hatte, erlebte Jim Thompson zu Beginn der 1950er Jahre einen wahren Schub an Produktivität, der Noir-Leckerbissen wie „Der Mörder in mir“, „Liebe ist kein Alibi“, „Revanche“, „In die finstere Nacht“, „Ein Satansweib“ und eben auch „Eine klasse Frau“ hervorbrachte. Der Neuübersetzung durch André Simonoviescz bei Diogenes im Jahr 1994 ging 1986 die Erstveröffentlichung unter dem Titel „Ein süßes Kind“ bei Ullstein voraus. 
Nach dem Tod seiner Mutter und der Entlassung seines Vaters durch die Schulbehörde ist Dusty Rhodes gezwungen gewesen, das College aufzugeben und für den Lebensunterhalt für sich und seinen Vater zu sorgen, mit dem er zusammen in einer kleinen Wohnung lebt. Um mehr Geld zu verdienen, hat er sich für die Nachtschicht als Page in dem etwas exklusiveren Manton Hotel entschieden, wo er mit seinem Vorgesetzten Mr. Bascom allerdings mehr schlecht als recht auskommt. 
Während der Nachtportier den jungen Mann dazu drängt, wieder zum College zurückzukehren, sieht Dusty keinen anderen Ausweg, als weiterhin den gut bezahlten Job als Page auszuüben, weil er sonst hinten und vorne nicht über die Runden kommt. Zwar sieht er seinen Vater kaum, da er nach dem Ende der Nachtschicht schlafen muss, aber er versucht ihm, all das zu besorgen, was er braucht, auch wenn er keine Ahnung hat, was sein Vater mit all dem Geld macht, das er ihm ständig zusteckt. Neben den Medikamenten gegen die Depressionen muss Dusty auch für den Anwalt Kossmeyer aufkommen, der seit einiger Zeit – erfolglos – versucht, auf eine Wiedereinstellung seines Vaters zu drängen. 
So richtig Bewegung in seine Alltagsroutine kommt allerdings, als die wunderschöne Marcia Hillis eines Nachts eincheckt. Sie stellt für Dusty die Verkörperung all seiner Träume dar. Als er eines Nachts gebeten wird, ihr Briefpapier zu bringen, gerät Dusty in eine Situation, die eine versuchte Vergewaltigung vortäuschen soll. Allein dem beherzten Eingreifen des großzügigen Tug Trowbridge und seiner zweier Gehilfen, die Marcia Hillis aus dem Hotel schaffen, hat es Dusty zu verdanken, nicht in größere Schwierigkeiten zu geraten, doch Trowbridge handelte alles andere als uneigennützig. 
Als Gegenleistung verlangt dieser, dass Dusty ihm zum Start der Rennsaison, der viele gutbetuchte Gäste ins Hotel bringt, dabei zu helfen, die abschließbaren Postfächer zu leeren und so über zweihunderttausend Dollar zu erbeuten. Dusty bleibt nichts anderes übrig, als bei diesem Coup mitzuspielen, aber er sieht auch die Chance, mit seinem Anteil ein neues Leben mit seiner Traumfrau beginnen zu können… 
„Er würde sie besitzen. Er konnte sich einfach nichts anderes vorstellen. In Gedanken hatte er schon längst von ihr Besitz ergriffen, dort waren sie schon zusammen, er und Marcia Hillis waren entzückt voneinander, entzückten den anderen. Und in diesen Vorstellungen gab es für seinen Vater keinen Platz. Sein Vater verbot diese Gedanken geradezu.“ (S. 171) 
Thompson scheint mit „Eine klasse Frau“ eine klassische Noir-Geschichte zu erzählen, in der ein hart arbeitender, fürsorglicher junger Mann durch die Obsession für eine attraktive Frau vom rechten Weg abkommt. Doch der Autor spielt sehr geschickt mit den Konventionen des Genres, um die Erwartungshaltung des Lesers später immer krasser zu unterlaufen und mit unermüdlichen Wendungen schließlich das Bild zu zerstören, das er von seinem Protagonisten aufgebaut hat. 
Während die seinen Kopf verdrehende Marcia Hillis die meiste Zeit kaum eine Rolle spielt, wird Dusty Rhodes als hart arbeitender und verantwortungsbewusster Mann portraitiert, der sich alle Mühe gibt, für seinen kranken Vater zu sorgen. Erste Risse bekommt der gute Charakter aber durch die Rückblenden, in denen geschildert wird, dass Dusty als nicht mehr ganz so kleiner Junge eine unsittliche Beziehung mit seiner Stiefmutter unterhielt und letztlich auch für die Entlassung seines Vaters verantwortlich gewesen ist, als er eine Petition mit dem Namen seines Vaters unterschrieben hatte. Doch erst die Nachwirkungen des erfolgreichen Überfalls auf die Geldreserven der Hotelgäste bringen das ganze Ausmaß einer komplexen Persönlichkeit zum Ausdruck, der anfangs noch alle Sympathien des Lesers gehörten. 
Thompson erweist sich als wahrer Meister in der Schilderung unmöglicher Situationen und vertrackter Komplizenschaften, bis man nicht mehr weiß, welchem Szenario man glauben schenken soll. 

 

Jim Thompson – „Getaway“

Samstag, 4. Juni 2022

(Diogenes, 220 S., Tb.) 
Obwohl Jim Thompson (1906-1977) bereits Anfang der 1940er Jahre einen Haufen Romane zu veröffentlichen begann (allein zwölf in den Jahren 1952-54), war dem alkoholkranken Schriftsteller lange Zeit kaum Erfolg beschieden. Das änderte sich erst mit seinen beiden Drehbüchern zu den Stanley-Kubrick-Filmen „Wege zum Ruhm“ und „Die Rechnung ging nicht auf“ sowie dem 1959 veröffentlichten und 1972 von Sam Peckinpah mit Steve McQueen und Ali McGraw verfilmten Roman „Getaway“
 Dank des korrupten Vorsitzenden des Begnadigungsausschusses, Benyon, wird der vierzigjährige Carter „Doc“ McCoy frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen, schuldet dem korrupten Lokalpolitiker allerdings 15.000 Dollar, die er durch einen wohlüberlegten Überfall auf eine kleine Bank in Beacon City besorgen will. Die ist nicht der Bundeszentralbank angeschlossen, so dass die Bankräuber nichts ins Visier des FBI geraten. Bei dem Coup sind McCoy nicht nur seine vierzehn Jahre jüngere Frau Carol, sondern auch der paranoide und gerissene Gangster Rudy Torrento und dessen nervöser Gehilfe Jackson mit an Bord. Torrento bringt Jackson noch während des Überfalls um – je weniger Beteiligte sich die Beute teilen müssen, desto besser. Nachdem der erfolgreiche Überfall hundertvierzigtausend Dollar in bar und weitere zweihunderttausend in Papieren eingebracht hat, kommt es auch zwischen Doc und Torrento zu einer nahezu tödlichen Auseinandersetzung. Der totgeglaubte Torrento lässt sich von einem Veterinär zusammenflicken, nimmt ihn und dessen Frau als Geiseln und macht sich auf die Jagd nach McCoy. Der wiederum will zunächst seine Schulden bei Benyon begleichen und dann nach Mexiko fliehen. Durch einen verhängnisvollen Fehler seiner Frau muss McCoy die Flucht aber neu organisieren, was vermehrt zu Spannungen und Misstrauen zwischen dem Paar führt. Mittlerweile hängt ihnen nicht nur Torrento, sondern auch die Polizei an den Fersen… 
„Doc hatte das Gefühl, sich haltlos im Kreis zu drehen. Sosehr es ihn auch drängte, Carol zu glauben – die Zweifel wollten sich nicht ausräumen lassen. Er gestand sich, dass dieser fast krankhafte Argwohn Teil seines Wesens war. Als Berufsverbrecher konnte er es sich einfach nicht leisten, jemandem völlig zu vertrauen. Und Untreue grenzte in seiner Vorstellung an Verrat und war entweder ein Zeichen für eine gefährliche Charakterschwäche oder für einen Treuebruch, was nicht minder gefährlich war. Jedenfalls bildete die Frau ein Risiko in einem Spiel, das kein Risiko duldete.“ (S. 86) 
In erster Linie scheint Jim Thompson, der als kurzweiliges Mitglied der kommunistischen Partei unter der McCarthy-Ära zu leiden hatte und als Alkoholschmuggler seine eigenen Erfahrungen mit einem Leben am Rande der Legalität sammelte, in „Getaway“ die Flucht eines Ehepaars zu beschreiben, das sich in den vier Jahren, die Doc McCoy im Zuchthaus verbrachte, nicht nur entfremdet hat, sondern sich während der Flucht und des Carols nahezu unverzeihliches Missgeschick die Beute zwischenzeitlich an einen Betrüger aus den Augen verloren zu haben, immer wieder versichern muss, dass die Beziehung noch funktioniert, dass man einander vertraut und liebt, folglich unentbehrlich für einander ist. 
Doch Thompson nutzt seine Gangster-Ballade auch dazu, ein äußerst düsteres Bild eines Staates zu zeichnen, in dem sich die meisten Menschen in öden Jobs abrackern müssen, um halbwegs über die Runden zu kommen. Wie konträr sich die hart arbeitende Bevölkerung und die Gangster gegenüberstehen, macht Thompson schon zu Beginn deutlich, wenn er Doc McCoy unter falschem Namen im Beacon City Hotel charmant mit großzügigen Trinkgeldern um sich werfen lässt, während ihm die Hotelangestellten unterwürfig jeden Wunsch von den Lippen abzulesen versuchen. 
Die Vorbereitung und die Durchführung des Banküberfalls nimmt in gebührender Kürze geschildet und bildet für Thompson nur die Ausgangssituation, nach der sich nicht nur McCoy und Torrento misstrauisch beäugen, sondern vor allem McCoy und Carol den Stand ihrer Ehe auf den Prüfstein stellen. Indem der Autor immer wieder geschickt die Perspektiven wechselt, macht er deutlich, aus welch unterschiedlichen Welten die beiden stammen. Carol wird beispielsweise als ehemalige Bibliothekarin beschrieben, die bei ihren spießigen Eltern in einem leblosen Zuhause lebte, einem leblosen Job nachging und in ihrem altjüngferlichen Dasein einigelte. McCoy ist dagegen durch und durch ein Verbrecher mit Leib und Seele. 
Die Spannung des gerade mal 220-seitigen Romans ergibt sich fast schon weniger aus der Frage, ob dem Paar die Flucht nach Mexiko gelingt, sondern ob die beiden das Ziel wohl gemeinsam erreichen oder ob einer der beiden lieber eigene Wege geht. Bemerkenswert ist zudem, wie Thompson das Verbrecher-Milieu mit dem des Arbeiter-Milieus vergleicht, mit einer ausgeprägten Arbeitsmoral, nach der Dinge einfach getan werden müssen, und einem Ehrenkodex, nach dem man Freunde nicht im Stich lässt. Dass das Verbrechertum allerdings auch nicht ein unbeschwertes Leben garantiert, müssen Thompsons Protagonisten auf die harte, oft tödlich endende Tour erfahren.


 

Jim Thompson – „Revanche“

Montag, 28. Februar 2022

(Diogenes, 208 S., Tb.) 
Patrick „Pat“ Cosgrove ist gerade mal dreiunddreißig Jahre alt und hat bereits fünfzehn Jahre seines Lebens im Zuchthaus von Sandstone wegen eines gescheiterten Bankraubs abgesessen. Da seine Eltern mittlerweile verstorben sind und seine Schwester nichts mehr mit ihm zu tun haben will, konnte Cosgrove vor fünf Jahren nicht die erste Gelegenheit für ein Berufungsverfahren nutzen, und sucht nun per Brief jemanden, der sich vor dem Berufungsausschuss für ihn einsetzt. 
Der Psychiater Dr. Roland Luther aus Capitol City setzt sich nicht nur für den jungen Mann ein, sondern besorgt ihm auch eine Unterkunft, teure Kleidung und einen leichten Job beim Straßenbauamt. Wie Cosgrove sofort vom Doc erfährt, praktiziert er seit Jahren nicht mehr, unterhält seine psychiatrische Klinik nur als Tarnung für seine krummen Geschäfte. Bereits die Gespräche, die Luther mit Senator Burkman und Myrtle Briscoe, der staatlichen Beauftragten für den Strafvollzug, führt, lassen bei dem ehemaligen Bankräuber das Gefühl aufkommen, dass Luther seinen Schützling für eine Mission braucht, über die er allerdings kein Wort verlauten lässt. 
Die Sache wird für Cosgrove aber vor allem in dem Moment brenzlig, als er sich sowohl mit Luthers attraktiver Sekretärin Madeline Flournoy als auch Luthers promiskuitiver Frau Lila einlässt und den Detektiv E.A. Eggleston tot an seinem Schreibtisch entdeckt und die Leiche verschwinden lassen muss, um nicht als Täter ins Visier zu gelangen … 
„Mein ganzes Leben war versaut worden. Das Beste, worauf ich jetzt hoffen konnte, war, dass ich meine Bewährung nicht verlor. Madeline war genauso verdorben und verbrecherisch wie der Rest, und sie würde genauso für alles bestraft werden. Aber … Ich wünschte mir, ich könnte aufhören, an sie zu denken.“ (S. 192)
Jim Thompson (1906-1977) zählt wie seine weit prominenteren Kollegen Raymond Chandler und Dashiell Hammett zu den wichtigsten Vertretern des Noir-Krimi-Genres, wurde als Drehbuchautor für Stanley Kubricks Frühwerke „Die Rechnung ging nicht auf“ und „Wege zum Ruhm“ bekannt, erlebte aber kaum noch mit, dass seine Romane „The Getaway“, „The Killer Inside Me“, „A Hell of a Woman“, „Pop. 1280“, „The Kill-Off“, „After Dark, My Sweet“ und „Grifters“ teilweise sehr erfolgreich von Regisseuren wie Sam Peckinpah, James Foley und Stephen Frears verfilmt wurden. Sein sechster Roman „Recoil“ entstand inmitten seiner produktivsten Zeit. 1953 erschienen neben diesem Roman noch drei weitere. Dabei bedient sich Thompson eines fast schon klassischen Noir-Plots: Ein völlig unbedarfter junger Mann kommt dank der Großzügigkeit eines einflussreichen Mannes zwar aus dem Gefängnis frei, begibt sich aber in eine schwer zu fassende Abhängigkeit, bei der gleich zwei Femmes fatale eine tragende Rolle spielen, aber natürlich auch die üblichen Verdächtigen in Form von korrupten Politikern und gierigen Detektiven und Anwälten. 
Die Geschichte wirkt aber unnötig kompliziert aufgebaut, lässt so die Motive der Beteiligten bis zum Ende nicht so recht erkennen, so dass der meist als Ich-Erzähler eingesetzte Cosgrove nur ahnen kann, was mit ihm geplant wird, denn keiner der Leute, die ihm vermeintlich Gutes tun, rückt mit der Sprache raus, bis Cosgrove eines Abends überraschend vor einer Leiche im Büro eines Detektivs steht. „Revanche“ ist sicher nicht der beste Roman von Thompson, fasziniert aber durch seine undurchsichtigen Figuren, die über dem ganzen Setting schwebende unheilschwangere Atmosphäre und einen Hoch knisternder erotischer Spannung. 

 

Jim Thompson – „Texas an der Kehle“

Samstag, 26. Februar 2022

(Ullstein, 144 S., Tb.) 
Als Sohn eines Verlegers von Sonderbeilagen hat es Mitch Corey nicht leicht gehabt und schon gar kein Gefühl dafür entwickelt, dass es die Menschen nicht gut mit ihm meinen könnten. Nach dem Tod seines Vaters verdiente sich Mitch seine Brötchen als Hotelpage und lernte dort Teddy kennen, die als Bilanzbuchhalterin einer Erdölgesellschaft gutes Geld verdiente. Teddy drängte ihn zur Heirat, wurde schnell schwanger und erklärte ihrem Mann, dass er sich um das Baby zu kümmern habe, während sie sich um den Lebensunterhalt kümmern würde. Doch als Mitch herausfand, dass seine verrückte Frau als Prostituierte arbeitete, war es mit der Liebe vorbei. 
Der gemeinsame Sohn Sam wuchs in einem Internat auf. Mittlerweile hat Mitch eine Karriere als Berufsspieler eingeschlagen und lernt Red kennen, die ihn so sehr liebt, dass sie ihm beim Abzocken von Würfelspielern hilft und ihn auch heiraten will. 
Das ist zwar auch ganz in Mitchs Sinne, doch ist er nach wie vor mit Teddy verheiratet, die sich ihr Stillschweigen über das Arrangement gut bezahlen lässt. So schrumpft das Vermögen, das sich Mitch und Red erspielt haben, auf dramatische Weise. Um wieder flüssig zu werden, erhält Mitch die Gelegenheit, eine Aktienoption bei dem Ölbaron Zearsdale wahrzunehmen, doch dafür fehlt ihm wieder das nötige Kapital. Nun muss er sich schnell eine lukrative Einnahmequelle erschließen, ohne dass Red davon etwas erfährt … 
„Er brauchte Texas mit der Rastlosigkeit, der Ungeduld und dem Selbstvertrauen seiner Menschen, deren Verhältnis zum Geld von der Freude am Risiko geprägt war. Hier musste er einsteigen. Wo die Menschen nicht wie in anderen Gegenden schlapp und ängstlich das Geld eingemottet auf der Bank alt werden ließen und lieber zu Bridgekarten griffen! Er hatte nur diese Chance.“ (S. 47) 
Mehr als zwanzig Jahre nach seinem Erstlings-Roman „Now and on Earth“ aus dem Jahre 1942 (2011 als „Jetzt und auf Erden“ in deutscher Erstveröffentlichung bei Heyne erschienen) hat Jim Thompson 1965 mit „Texas by the Tail“ einen humorvollen Noir veröffentlicht, der hierzulande erst als „Kalte Füße auf heißem Boden“ bei König (1973) und 1988 in gleicher Übersetzung als „Texas an der Kehle“ in der Krimi-Reihe von Ullstein erschien. Thompson hatte zuvor seine später erfolgreich verfilmten Romane „After Dark, My Sweet“, „The Getaway“, „The Grifters“ und „1280 schwarze Seelen“ geschrieben und einen Schlaganfall hinter sich.  
„Texas an der Kehle“ wartet zwar mit einigen Noir-Elementen auf, spielt aber geschickt und ironisch mit ihnen. So verkörpert Teddy die obligatorische Femme fatale, allerdings wird ihr eher eine Nebenrolle zugedacht, die vor allem in den häufig eingestreuten Rückblenden auftaucht, aber immerhin noch so großen Einfluss auf den Protagonisten ausübt, dass sich dieser auf gefährliche Missionen begibt, um zu kaschieren, dass das für die Hochzeit mit Red angesparte Kapital für unliebsame Erpressungszahlungen verwendet worden ist. Thompson beschreibt auf vergnügliche Art und Weise, wie Mitch und Red in Texas von Geld und Gier korrumpiert von einem Schlamassel ins nächste stolpern. Dabei webt der Autor in Rückblenden regelmäßig verschiedene Biografien ein und würzt seinen von spritzigen Dialogen geprägten Plot mit sinnlichen Anekdoten, die Mitch mit seinen beiden Frauen erlebt hat. Im Gegensatz zu Thompsons früheren Werken überwiegt hier die heitere Note und führt Mitch und Red nach einer abenteuerlichen Odyssee zu einem für einen Noir ungewöhnlichen Ende. 

 

Jim Thompson – „Der Verbrecher“

Sonntag, 20. Februar 2022

(Ullstein, 124 S., Tb.) 
Jim Thompson (1906-1977) gehört leider zu jenen Schriftstellern, die Zeit ihres Lebens längst nicht die Beachtung erfahren haben, die sie verdienten. Dass er bereits im Alter von 19 Jahren dem Alkohol verfallen war, einen Nervenzusammenbruch erlitt und 1935 für drei Jahre Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen ist, wirkte sich in der McCarthy-Ära nicht gerade förderlich für seine Karriere aus. Nachdem er seinen Lebensunterhalt mit True-Crime-Stories verdient hatte und erste Versuche scheiterten, in Hollywood Fuß zu fassen, veröffentlichte er Anfang der 1940er Jahre seine ersten Romane und hatte seine Blütezeit in den 1950er Jahren. Da schrieb er nicht nur die Drehbücher für Stanley Kubricks Frühwerke „Wege zum Ruhm“ und „Die Rechnung ging nicht auf“, sondern auch die Werke, die zumeist nach Thompsons Tod verfilmt wurden (u.a. „Getaway“, „Grifters“, „After Dark, My Sweet“). Zu den weniger bekannten Werken zählt der 1953 veröffentlichte Roman „The Criminal“, der bislang nur in der 1990 veröffentlichten Übersetzung von Olaf Krämer im Ullstein Verlag vorliegt. 
Der fünfzehnjährige Robert „Bob“ Talbert wird beschuldigt, die ein Jahr jüngere Nachbarstochter Josie Eddleman umgebracht zu haben. Als noch keine weiteren Grundstücke zwischen den Häusern der Talberts und Eddlemans bebaut waren, spielten die Kinder viel miteinander, doch kühlte das Verhältnis zwischen den Nachbarn merklich ab, als im Canyon Drive weitere Häuser entstanden. Während Jack Eddleman Karriere im Immobiliengeschäft gemacht hat, kommt Allen Talbert in Henleys Fliesenfirma nicht so recht voran. Der körperlich gut entwickelten Josie gefällt es, Jungen und Männern schöne Augen zu machen, und letztlich kann sich auch Bob nicht gegen Josies forsches Vorgehen wehren. 
Bob war auf dem Weg zum Golfplatz, um als Caddy etwas Geld zu verdienen und seinem Vater ein Geschenk kaufen zu können, als ihm Josie aufgelauert hat. Die Nachricht von ihrem Tod ist der Zeitung nur acht Zeilen wert, was den Chefredakteur aus der Haut fahren lässt. Er setzt seinen Reporter Donald Skysmith darauf an, die Geschichte auszuschlachten, während der bekannte Rechtsanwalt I. Kossmeyer versucht, den Jungen freizubekommen. Doch die öffentliche Meinung hat bereits ein Urteil gefällt … 
„Ich ging die Story noch mal durch. Und dieses Mal setzten die Zweifel ein, der Verdacht, den ich am Morgen hatte, begann zuzunehmen. Diese Menschen dachten, der Junge sei schuldig. Die, die ihn am besten kannten, seine eigenen Eltern, dachten, er sei schuldig. Wenn man versuchte, es auf den Punkt zu bringen, gab es keinen wirklichen Beweis.“ (S. 72) 
„Der Verbrecher“ liest sich fast wie eine der True-Crime-Stories, die Thompson zu Beginn seiner Karriere verfasst hat, wobei er die Geschichte aus der Perspektive verschiedener Beteiligter erzählt, beginnend mit dem Vater, der von dem nachbarschaftlichen Verhältnis zu den Eddlemans, seiner Arbeit in der Fliesenfirma und einem gemeinsamen Familienausflug berichtet, aber auch von einem Zwischenfall, bei dem Bob und Josie zusammen im Waschkeller der Talberts erwischt wurden. Thompson beschwört eine Atmosphäre von Neid, Gier und Verrat herauf, in der jeder der Beteiligten auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist und kein gutes Haar an möglichen Konkurrenten und Nebenbuhlern lässt. 
So wird der Mord an dem vierzehnjährigen Mädchen vor allem durch die Presse mächtig aufgebauscht, und Thompson nimmt sich entsprechend viel Zeit, um die Verhöre, die der mit der Situation völlig überforderte Angeklagte mit den Reportern und seinem Anwalt führt, zu schildern. Thompson selbst lässt allein seine Figuren zu Wort kommen und enthält sich jeder bewertenden Aussage. So entsteht das düstere Szenario eines Verbrechens, das von der Justiz nicht aufgeklärt werden kann, durch die Hetzkampagne in den Medien aber so stark manipuliert wird, dass der Junge letztlich keine Chance hat. Damit präsentierte der Autor bereits in den 1950er Jahren, über welch meinungsprägende Macht die Medien verfügen. 

 

Jim Thompson – „Liebe ist kein Alibi“

Freitag, 18. Februar 2022

(Heyne, 128 S., Tb.) 
Tommy Carver ist ein guter Student, aber als adoptierter Sohn eines bettelarmen Farmers sieht er sich eines Tages sogar gezwungen, ein angebissenes Brot aus dem Papierkorb der Englischlehrerin Miss Trumbull zu fischen, für die er seit vier Jahren Korrekturen an der Highschool von Burdock County, Oklahoma, liest. Der an sich harmlose Vorfall bleibt allerdings nicht ohne Folgen. Der für seine langen Finger weitaus berüchtigter Hausmeister Abe Toolate beobachtet die Szene und berichtet dem Schulleiter Mr. Redbird davon, der den Jungen auf unbestimmte Zeit beurlaubt. Tommys Probleme werden größer, als sein Vater es mit einem Mann von der Öl-Gesellschaft zu tun bekommt, der ihm ein großzügiges Angebot unterbreitet, dass Mr. Carver allerdings nicht annehmen kann, denn die fünfzehn Morgen der Carvers nützen der Öl-Gesellschaft wenig, wenn sie nicht auch das fünftausend Morgen umfassende Umland für sich gewinnen können, das wie das von den Carvers bewirtschaftete Land Matthew Ontime gehört, der nicht das geringste Interesse daran hat, Versuchsbohrungen auf den Ackerflächen zuzulassen. 
Als Matthew Ontime, mit dessen Tochter Donna ein heimliches Liebesverhältnis hat, eines Morgens tot im Pferch seines eigenen Schweinestalls aufgefunden wird, gerät Tommy in Verdacht, da der Mann mit Tommys Messer ermordet wurde. Weder sein Pa noch die ebenfalls adoptierte Mary wollen Tommy ein Alibi geben, was Tommy wenig verwundert, schließlich unterhält sein Dad ein verbotenes Verhältnis mit Mary, die wiederum auch schon Tommy verführt hat. Mr. Redbird und Miss Trumbull besorgen Tommy einen Anwalt aus Oklahoma City, doch selbst der bissig auftretende Kossmeyer kann nicht verhindern, dass der Junge zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt wird … 
„Sein Gedankenapparat arbeitete ganz anders als meiner. Ich könnte nie so denken wie er. Aber als ich jetzt den Ausdruck in seinen Augen sah, da wusste ich, dass alles, was er getan hatte, ebenso schwer für ihn gewesen war wie für mich. Schwerer vielleicht, weil er nämlich nicht um sein Leben, sondern um meines gekämpft hatte. Und ich wusste jetzt, dass er es nicht des Geldes wegen getan hatte.“ (S. 110) 
Mit seinem fünften, 1952 veröffentlichten und 1972 erstmals ins Deutsche übersetzten Roman „Cropper’s Cabin“ erzählt der mittlerweile kultig verehrte Jim Thompson weit mehr als nur eine einfache Kriminalgeschichte. Thompson, dessen Romane wie „Getaway“, „After Dark, My Sweet“, „Grifters“ und „Der Mörder in mir“ verfilmt wurden und der die Drehbücher zu den beiden Stanley-Kubrick-Filmen „Wege zum Ruhm“ und „Die Rechnung ging nicht auf“ schrieb, zeichnet in dem dünnen Büchlein das Bild einer Gesellschaft, die allein als Folge staatlicher Willkür tief zerrissen erscheint. So lässt Thompson seinen Ich-Erzähler erklären, dass die in Oklahoma häufig anzutreffenden Namen Toolate und Ontime darauf zurückzuführen sind, dass das Stammeseigentum der fünf zivilisierten Indianerstämme vor der Bildung des Staates Oklahoma verteilt werden musste. Jedes vor dem dann bestimmten Zeitpunkt geborene Kind bekam ein Anteil von dem Stammesbesitz, jedes danach geborene bekam nichts und war zu einem Leben als einfacher, armer Indianer verdammt. Während das Mordopfer Matthew Ontime von dieser Regelung profitierte und als Besitzer von fast achttausend Morgen einer der reichsten Männer im Staat gewesen wäre, wenn er sein Land für Ölbohrungen verpachtet hätte, muss Abe Toolate seinen Lebensunterhalt als Hausmeister in einer Highschool verdienen. 
Thompson gewährt darüber hinaus auch Einblicke in die Bewirtschaftung des Ackerlandes und die Schwierigkeiten der Pächter, mit den Erträgen ihrer harten Arbeit über die Runden zu kommen. Aber auch Tommys schwierige Beziehungen zur wohlhabenden Ontime-Tochter Donna und der ehemaligen Prostituierten Mary, die sein Vater adoptiert hatte, damit sie sich um Tommy kümmern konnte, spielen eine Rolle in einem Roman, der eine recht unspektakuläre Geschichte erzählt, aber durch die atmosphärische Dichte gefällt. „Liebe ist kein Alibi“ erschien dann 1988 bei Goldmann Verlag erstmals in vollständiger Übersetzung und wurde leider nicht wie die meisten anderen bei Heyne oder Ullstein veröffentlichten Thompson-Werke neu von Diogenes aufgelegt. 

 

Jim Thompson – „After Dark, My Sweet“

Mittwoch, 15. September 2021

(Diogenes, 220 S., Tb.) 
Seit seinem Debütroman „Now and on Earth“ (2011 als „Jetzt und auf Erden“ erstmals in deutscher Übersetzung erschienen) hat sich Jim Thompson, der seinen Lebensunterhalt teilweise als Alkoholschmuggler für Al Capone verdiente, schon mit 19 Jahren Alkoholiker war und zunächst True-Crime-Stories veröffentlichte, als Noir-Schriftsteller etabliert, der auch in Hollywood Fuß fassen konnte und beispielsweise die Drehbücher für Stanley Kubricks „Die Rechnung ging nicht auf“ und „Wege zum Ruhm“ schrieb. Die Veröffentlichung von „After Dark, My Sweet“ im Jahr 1955 fiel in seine produktivste Phase. 
William ,Kid‘ Collins hat bereits eine Boxer-Karriere und vier Aufenthalte in Heilanstalten hinter sich, als er am Stadtrand in einer Bar einkehrt und seine letzten Tage bei einem Bier Revue passieren lässt: Nachdem er die letzte Heilanstalt „verlassen“ hatte, nahm er einem Typen siebzig Dollar ab, überquerte die Staatsgrenze und ist seitdem nur auf Achse, mit nur noch vier Dollar in der Tasche. 
Er kommt mit dem Barkeeper Bert ins Gespräch und lernt die durchaus ansehnliche Fay Anderson kennen, die Collins mit zu sich nach Hause nimmt, wo sich schnell herausstellt, dass Collins‘ Gastgeberin nicht nur Witwe, sondern auch Alkoholikerin ist. Wie Collins ebenfalls bald erfahren muss, hat sie sich seiner nicht nur aus purer Nächstenliebe angenommen, sondern plant mit ihm und ihrem Komplizen ,Onkel‘ Bud die Entführung von Charles Vanderventer III, den Sohn einer mehr als wohlhabenden Familie. Zwischenzeitlich bekommt Collins zwar die Möglichkeit, durch die Unterstützung von Dr. Goldman wieder ein geordnetes Leben zu führen, doch entscheidet er sich für Fay, deren alkoholinduzierte Launen er erträgt, weil sie im ,normalen‘ Zustand auch sehr liebenswert sein kann. 
Bei der Entführung soll Collins die Rolle des Chauffeurs übernehmen, der das Entführungsopfer normalerweise von der Schule abholt, worauf Onkel Bud der Familie 72 Stunden Zeit für die Zahlung des Lösegeldes einräumt. Zwar erwischt Collins das falsche Vanderventer-Kind, doch ansonsten scheint der Plan aufzugehen – bis sich herausstellt, dass das Opfer unter Diabetes leidet und seinen Entführern unter den Händen wegzusterben droht … 
„Ich war so verwirrt und durcheinander, dass mir nichts mehr logisch erschien, jede Kleinigkeit war für mich ein neuer Grund für meinen Verdacht. Alles und nichts. Wenn sich die Sache in die falsche Richtung entwickelte, gefiel es mir nicht, aber wenn sie sich in die andere entwickelte, gefiel es mir auch nicht. Und – und ich musste damit aufhören! Wenn ich nicht aufhören würde, wenn die Leute mir weiterhin Schwierigkeiten machten, mich weiterhin einkreisten, mich an die Wand drückten und mir die Luft abschnitten und …“ (S. 143) 
Thompson hat sich in den über zehn Romanen vor „After Dark, My Sweet“ bereits eine gewisse Routine erarbeitet, was die stets verhängnisvollen Beziehungen seiner Protagonisten angeht. Auch in diesem Roman taumelt der Ich-Erzähler mit bewegter Vergangenheit von einer schwierigen Situation in die nächste, lässt sich auf die falschen Leute ein und hofft doch nur, mit Fay – trotz ihrer Fehler und Schwächen – ein neues Leben beginnen zu können. 
Der Autor erweist sich als guter Beobachter menschlichen Verhaltens, charakterisiert seine Figuren durchaus tiefgründig, treibt die Handlung temporeich und mit vielen Wendungen voran, würzt den Plot mit gewohnt pointierten Dialogen und wartet mit einem überraschenden Finale auf. 
Auch wenn „After Dark, My Sweet“ nicht den allerbesten Noir aus Thompsons Feder darstellt, unterhält der Roman von Anfang bis Ende auf hohem und wurde 1990 von James Foley mit Rachel Ward, Jason Patric und Bruce Dern in den Hauptrollen verfilmt. 

 

Jim Thompson – „Der Mörder in mir“

Dienstag, 3. August 2021

(Diogenes, 234 S., Tb.) 
Lou Ford ist ein junger Deputy Sheriff in der texanischen Kleinstadt Central City, wo er allein in dem Haus seines verstorbenen Vaters, einem Arzt, lebt. Nach außen hin wirkt der umgängliche Ford wie die Verkörperung guter Manieren und wird von seinem Vorgesetzten, Sheriff Bob Maples, wegen seiner empathischen Art gern für Verhöre von Verdächtigen eingesetzt, um ihnen ein Geständnis zu entlocken. Niemand weiß allerdings, dass er sich als Vierzehnjähriger mit dem Hausmädchen vergnügt hatte, was sein Vater zwar mitbekam, stattdessen aber Lous zwei Jahre älteren, nichtsnutzigen Ziehbruder Mike für die Schandtat büßen ließ. 
Jahre später verunglückte Mike auf einer Baustelle der Firma von Chester Conway, weshalb Lous Vater vor Gram starb und in Lou einen unbändigen Hass auf den mächtigen Bauunternehmer entflammen ließ. Nach fünfzehn Jahren überkommt Ford ein ähnliches Verlangen, als er die Prostituierte Joyce Lakeland kennenlernt und sie nach einer kurzen Liaison mit ihr ins Koma prügelt. Doch sie bleibt nicht sein einziges Opfer. Aus Rache an Conway lässt Lou Ford auch dessen Sohn Elmer über die Klinge springen, und Lous Freundin, die attraktive Lehrerin Amy, geht dem jungen Deputy Sheriff mit ihrem Heiratsgeschwätz so auf die Nerven, dass auch sie mit ihrem Leben spielt. Doch mit seiner lockeren Art kommt Lou scheinbar überall durch, auch wenn einige mächtige Leute wie Staatsanwalt Howard Hendricks oder der mächtige Gewerkschaftsboss Joe Rothman schon einen Verdacht hegen, dass hinter den ganzen Unglücksfällen in der Stadt mehr steckt, als jedermann ahnt … 
„Die dummen Sprüche passten zu dem etwas vertrottelten, gutmütigen Typ, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Rothman hatte selbst gesagt, dass, ganz egal wie verrückt das Ganze schien, die Vorstellung, ich sei der Mörder, noch verrückter wäre. Und meine Sprüche waren einfach ein Teil von mir – das heißt ein Teil von dem Mann, der sie alle in die Irre geführt hatte. Was würden die Leute denken, wenn ich auf einmal Schluss mit dem Sprücheklopfen machte?“ (S. 92) 
Mit seinem vierten Roman hat der 1906 geborene und 1977 völlig verarmt verstorbene Schriftsteller Jim Thompson 1952 ein Highlight des Noir-Genres abgeliefert. Mit dem nicht mal dreißigjährigen Lou Ford hat Thompson einen Ich-Erzähler etabliert, der nicht von ungefähr zwei Seelen in sich trägt – die des charmanten, höflichen und rechtschaffenen Gesetzeshüters und die des raffinierten Killers -, denn laut eigenen Studien anhand der Bücher seines Vaters leidet Lou Ford an paranoider Schizophrenie. Angetrieben von dem Trauma aus seiner Kindheit, dem daraus resultierenden Kontrollzwang seines Vaters und dem Hass auf den skrupellosen Baulöwen Conway beseitigt Lou Ford nicht nur systematisch alle Menschen, mit denen er auf welch verschrobene Weise auch immer über Kreuz liegt, sondern lässt dafür auch noch Unschuldige die Suppe auslöffeln. 
Es ist Thompsons klarer Sprache und seinem schnörkellos krassen Stil zu verdanken, dass der Leser gebannt den brutalen Verbrechen des Ich-Erzählers folgt, der überhaupt keine Gewissensbisse verspürt. Doch Lou Ford ist bei weitem nicht die einzige Figur mit fragwürdigen Moralvorstellungen. Gerade die Männer in Machtpositionen, die mit dem jungen Gesetzeshüter ihre Spielchen treiben wollen, kommen noch weniger sympathisch rüber als der skrupellose Killer, der ungerührt von seinen Taten berichtet und seine verqueren Motive so überzeugend darlegt, dass man ihn als Beobachter eigentlich nur beipflichten kann und so schon fast zum Komplizen wird. 

 

Jim Thompson – „Gefährliche Stadt“

Freitag, 30. Juli 2021

(Diogenes, 240 S., Tb.) 
Ragtown ist eines dieser öden ehemaligen Viehtreiberkaffs im tiefsten Westen von Texas, wo einst Mike Hanlon mit seiner klapprigen Bohrausrüstung auf Öl gestoßen und zu Reichtum gekommen war. Mittlerweile sitzt der Ölbaron nach einem Unfall im Rollstuhl und ist Besitzer des vierzehnstöckigen Hanlon Hotels, zudem mit der attraktiven Joyce verheiratet, die er damals eigentlich als Empfangsdame einstellen wollte und der er gestattete, ihre Bedürfnisse auch anderweitig zu befriedigen, wenn es denn diskret vonstattengehe. Trotz des großzügigen Arrangements wird Hanlon den Verdacht nicht los, dass Joyce es auf mehr anlegt und ihn endgültig aus dem Weg räumen will. 
Mit seinem vagen Verdacht erreicht er bei dem vermeintlich korrupten Chief Deputy Lou Ford allerdings nicht viel. Als der mehrfach wegen Mordes und Gewalttätigkeiten verurteilte David „Bugs“ McKenna in die Stadt kommt, vermittelt Ford ihm eine Stelle als Hoteldetektiv bei Mike Hanlon, dessen Offenheit ihm sympathisch ist. Doch wie in seinem bisherigen Leben zieht McKenna auch hier die Probleme an. Er lässt sich nicht nur auf eine Affäre mit Joyce und der Hotelangestellten Rosalie Vara ein, sondern hat sich vor allem in die attraktive Lehrerin Amy Standish verguckt, die allerdings mit dem Chief Deputy liiert ist. 
Als der meist betrunkene Hotelmanager Westbrook Bugs ins Vertrauen zieht, dass er einen weiteren Hotelangestellten namens Dudley, den der Manager selbst für einen Job im Hotel empfohlen hat, verdächtigt, 5000 Dollar unterschlagen zu haben, soll Bugs dem Verdächtigen einen Besuch abstatten. Zu seinem Pech verunglückt Dudley in McKennas Anwesenheit tödlich, was den Hoteldetektiv nicht nur in Erklärungsnöte bringt, sondern auch eine Erpressung unbekannter Herkunft um gerade die 5000 vermissten Dollar. Bugs versucht, die Identität des Erpressers herauszufinden und weiß nicht, wem er noch trauen kann. Dabei hängt er trotz aller Schwierigkeiten an seinem Job … 
„Er wusste, dass es ihm schwer fallen würde, hier wieder wegzugehen. Ein Aufstieg in einen besseren Job wäre natürlich nicht schlecht, aber wenn das nicht ging, würde er sich auch nicht beklagen. Er würde ihm schon genügen, so weiterzumachen wie bisher. Und dazu war er fest entschlossen. Noch einmal würde er sich nicht unterbuttern lassen. Er würde bleiben. Irgendwie. Um jeden, wortwörtlich um jeden Preis.“ (S. 161) 
Zwei Jahre vor dem durch Sam Peckinpahs Kultverfilmung berühmt gewordenen Roman „The Getaway“ veröffentlichte Jim Thompson 1957 mit „Wild Town“ einen Krimi, in dem es ein Wiedersehen mit Sheriff Lou Ford gibt, dem Ich-Erzähler aus Thompsons vierten Roman „Der Mörder in mir“ (1952), allerdings spielt Ford hier nur eine – wenn auch undurchsichtige – Nebenrolle, die allerdings die Dinge für McKenna erst ins turbulente Rollen bringt. 
Noir-Ikone Thompson gelingt es einmal mehr, auf gerade mal 240 Seiten die Physiognomie einer Stadt zu umreißen, die durch Ölvorkommen über Nacht „einen Umfang wie eine Frau, die im achten Monat mit Drillingen schwanger geht“, bekam und allerlei zwielichtige Gestalten anzog. Von denen wimmelt es auch in „Gefährliche Stadt“. McKenna wird als Noir-typischer Antiheld eingeführt, der sein Leben lang mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist und auch kurz nach seiner Ankunft in Ragtown eingebuchtet wird, nur um von Deputy Sheriff Ford einen aussichtsreichen Job angeboten zu bekommen. 
Was die nachfolgende Handlung so spannend macht, sind die Menschen, mit denen McKenna folglich beruflich und privat zu tun bekommt. Ohne ersichtlichen Grund verdient er sich nicht nur die Gunst seines an den Rollstuhl gefesselten Bosses, sondern zieht auch ganz unterschiedliche Frauen an, doch gestaltet sich der jeweilige Umgang mit ihnen schwierig, bis McKenna nicht mehr weiß, was er von wem halten soll. Bis also die Umstände von Dudleys Tod und der verschwundenen 5000 Dollar aufgeklärt sind, tappen McKenna und mit ihm die Leser lange Zeit im sprichwörtlichen Dunkeln. Thompsons lakonischer Humor und seine präzise Sprache sorgen in diesem Wirrwarr der Gefühle und herrlich unmoralischen Fallstricken durchweg für prickelnde Unterhaltung. 

 

Jim Thompson – „Es war bloß Mord“

Sonntag, 18. Juli 2021

(Diogenes, 246 S., Tb.) 
Joe Wilmot unterhält mit seiner Frau Elizabeth in der Kleinstadt Stoneville mit 7500 Einwohnern das größere von zwei Kinos, wobei ihnen auch das zweite, allerdings leerstehende Filmtheater gehört. Durch seinen geschickten, durchaus manipulativen Umgang mit seinem Vermieter Andy Taylor, den Filmverleihern, Konkurrenten und seinen Angestellten hat er das Kino zum erfolgreichsten Kleinstadtkino im ganzen Staat gemacht. Doch die Fassade eines erfolgreichen Unternehmers fängt an zu bröckeln, als Elizabeth, die Joe damals beileibe nicht aus Liebe geheiratet hat, mit der unscheinbaren Carol Farmer eine Haushaltshilfe einstellt, die eigentlich nicht notwendig ist. Gerade als Joe mit Carol eine Affäre beginnt, wird er in flagranti von seiner Frau ertappt. 
Joe kann nicht genau sagen, wann sein Leben die verkehrte Richtung einschlug, ob die Affäre mit Carol der Auslöser war oder schon die Tatsache, dass er das Kino seines Konkurrenten Bower dichtmachte oder er und Elisabeth nach der Heirat für sich je eine Versicherung über zwölftausendfünfhundert Dollar abschlossen. Möglicherweise lag die Wurzel allen Übels auch in Joes Aufenthalt in Waisenhäusern und Besserungsanstalten oder in der kriminellen Vergangenheit von Carols altem Herrn. Elizabeth will aber nicht die Scheidung, sondern schmiedet einen Plan, der ihr 25.000 Dollar einbringt, was exakt die Summe ist, die bei dem Unfalltod eines der Versicherten ausgezahlt wird. So wird ein Plan geschmiedet, bei dem Elizabeth spurlos untertaucht und ein Brand in dem Kino inszeniert wird, bei dem eine Frau von außerhalb ums Leben kommt, die für Elizabeth gehalten wird. Nach Auszahlung der Versicherungssumme würden sowohl Elizabeth als auch Joe mit Carol die Gelegenheit bekommen, ein ganz neues Leben anzufangen. 
Doch dann beginnen ihm nicht nur der Kinokettenbesitzer Sol Panzer, sondern auch sein Vermieter, der Filmverleiher Hap Chance und Appleton, der Mann von der Versicherungsgesellschaft, ordentlich zuzusetzen. Aber für Joe gibt es da schon keinen Weg mehr zurück. 
„Ich musste weitermachen. Ich musste den Wert des Barclay erhalten, damit ich mir Haps und Andys Schweigen erkaufen konnte. Wenn ich Schwein hatte, sprang am Ende doch noch was für mich raus. Wenn ich Pech hatte – nur ein klein wenig -, tja … Es war nicht gerecht. Es war verrückt. Dieser ganze Ärger, nur wegen einer Frau, die ich nicht kannte, nie gesehen hatte; einer Frau, die, wenn man’s richtig betrachtete, absolut nichts hermachte.“ (S. 130) 
James Myers „Jim“ Thompson (1906-1977) zählt heute zu den besten Noir-Krimi-Autoren, die das Erbe von Dashiell Hammett, Raymond Chandler und James M. Cain angetreten haben. Nach „Jetzt und auf Erden“ (1942) und „Fürchte den Donner“ (1946) war „Es war bloß Mord“ (1949) Thompsons dritter Roman und ein Paradebeispiel für die menschlichen Abgründe, in die sich der Autor mit seinen Romanen bewegte. 
Nicht eine Figur in „Es war bloß Mord“ erweckt beim Leser auch nur einen Hauch von Sympathie. Stattdessen darf man verfolgen, wie jeder und jede einzelne nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist und dafür auch vor Mord nicht zurückschreckt. Erpressung stellt dabei noch das geringste Vergehen dar. Mit scharfzüngigen, knackigen Dialogen, die später auch Regisseure wie Stanley Kubrick (der Thompson an den Drehbüchern zu „Die Rechnung ging nicht auf“ und „Wege zum Ruhm“ mitwirken ließ) oder Schriftsteller wie Stephen King zu schätzen lernten, kreiert der zum Ende seines Lebens völlig verarmte Autor hier eine bitterböse Atmosphäre, die die Figuren schnurstracks ins Verderben rennen lassen. 
Die feinen Beobachtungen über das Studiosystem in Hollywood der 1940er Jahre und der lakonische Schreibstil macht „Es war bloß Mord“ zu einem kurzweiligen, düster-makabren Krimi-Vergnügen, das Thompson zwar noch nicht auf der Höhe seiner Schaffenskraft zeigt, aber beweist, wie sehr Habgier, Gewalt und Korruption bei Thompson in der amerikanischen Gesellschaft verwurzelt sind. 

 

Jim Thompson – „Fürchte den Donner“

Freitag, 1. Januar 2016

(Heyne, 460 S., Tb.)
Nachdem Lincoln Fargo in die Armee der Union nur deshalb eingetreten war, weil er dafür bezahlt wurde, ist er nach seiner Entlassung als Full Sergeant zu der Überzeugung gelangt, dass ein Mann nicht mehr Freiheit bekam, als er sich selbst erarbeitete. Er zog zurück nach Ohio, lernte bei einem seiner Maurerjobs die Dienstmagd auf der Farm kennen, heiratete sie und machte mit ihren Ersparnissen sein erstes eigenes Geschäft auf. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist er der Patriarch des Fargo-Clans im ländlichen Verdon, der es durch zwielichtige Geschäfte zu tausend Morgen besten Nebraska-Tieflands gebracht hat. Doch seine Herrschaft beginnt zu bröckeln, als seine Frau Pearl das Fargo-Vermögen einem Vertreter Gottes auf Erden vermacht, sein jüngster Sohn Grant sich mit seiner Cousine Bella vergnügt und seine Tochter Edie als Lehrerin mitansehen muss, wie einer ihrer polnischen Schüler von dem Bankangestellten Alfred Courtland fast zu Tode gepeitscht wird.
Währenddessen muss Sherman Fargo die Nachricht verarbeiten, dass er für seine hundertsechzig Morgen Land, auf der nur eine kleine Hypothek liegt, keinen neuen Kredit bekommt, um sich einen Mähdrescher kaufen zu können. Schließlich überschatten Verrat, Diebstahl, Krankheit und Tod das Schicksal des Fargo-Clans. Nach einer erschütternden ärztlichen Diagnose und Bellas Tod ist Lincoln am Ende seiner Kräfte.
„Er wünschte, es gäbe einen Weg, Grant zu hängen, ohne dass der Name Fargo beschmutzt würde. Hinter dem Schatten eines Zweifels wusste er, dass sein Sohn des Mordes schuldig war. Damit war auch sein letztes bisschen Stolz gestorben, und es gab nichts, womit er sich vormachen konnte, es wäre anders. Und jetzt war nur noch sehr wenig übrig, so furchtbar wenig von dieser überbordenden Handvoll Energie, mit der sein Leben einst begonnen hatte.“ (S. 339) 
Nur der allseits beliebte Rechtsanwalt Jeff Parker scheint seinen Weg zu gehen. Aus ärmlichen Verhältnissen kommend, wurde er von Rechtsanwalt Amos Ritten in seine Praxis aufgenommen und übernahm diese, als Ritten zum Richter des County gewählt worden war. Parker lässt sich zum Senator wählen und sich – bei großzügiger Anerkennung – für die Belange der Eisenbahn einspannen …
Vier Jahre nach seinem Debütroman „Jetzt und auf Erden“ erschien 1946 mit „Fürchte den Donner“ der zweite Roman von Jim Thompson, der zehn Jahre später mit Stanley Kubrick zusammenarbeiten sollte und dessen Werke anschließend von Filmemachern wie Sam Peckinpah („The Getaway“), Burt Kennedy („The Killer Inside Me“), Bertrand Tavernier („Coup de Torchon“) und Stephen Frears („The Grifters“) adaptiert worden sind.
„Fürchte den Donner“ liest sich wie ein klassischer Depressionsroman. Er schildert die Nöte der Farmer, die Ernten und das Vieh durchzubringen, ihre Abhängigkeit von den Banken, die kläglichen Versuche der Fargo-Söhne, jenseits der Arbeit auf der Farm in den Städten zu Geld zu kommen, wo sie aber ebenso schnell ersetzt wie schlecht bezahlt werden. Thompson thematisiert aber auch die Konflikte zwischen den Amerikanern und den Siedlern. Während die Deutschen und Skandinavier hoch geachtet waren, hatten die Amerikaner nur Spott und Abscheu für die sogenannten Hunkies und Rooshans, die Polen, Böhmischen und Russen, übrig.
Er schreibt von den Verlockungen des Geldes, der Verbreitung der Eisenbahn und dem beginnenden Straßenbau, von schmutzigen Körpern, verbotenen Gelüsten, Alkoholsucht und Geschlechtskrankheiten. Seine Figuren hoffen vergeblich auf Erlösung, sterben an Krankheiten, die sie ihrer Sünden zu verdanken haben, oder für Verbrechen, die andere begangen haben.  
Thompson beschreibt die Szenen der Gewalt, des Gestanks und des Drecks so plastisch, als wolle er die Leser an dem Leid, an den Wunden und den schmutzigen Umständen seiner Figuren teilhaben lassen. In seinem klugen Nachwort beschreibt Thomas Wörtche Thompson als „Vertreter einer Fundamentalopposition zu optimistischen Menschenbildern“. James Ellroy, einer seiner glühendsten Bewunderer, der auch für das Vorwort der deutschen Erstausgabe verantwortlich ist, beschreibt „Fürchte den Donner“ als Hybrid von Ma und Pa Kettle, Dostojewski und Steinbeck.
Es ist vor allem aber eins: ein grollendes Meisterwerk durch das dunkle Kapitel der amerikanischen Modernisierungs- und Siedlungsgeschichte, das niemanden unberührt lässt.
Leseprobe Jim Thompson - "Fürchte den Donner"