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Joe Hill – „Strange Weather“

Sonntag, 14. August 2022

(Festa, 652 S., HC) 
Der 1972 als Sohn von Bestseller-Horror-Autor Stephen King und dessen Frau Tabitha geborene Joseph Hillström King hat unter seinem Pseudonym Joe Hill bereits die auch hierzulande erfolgreichen Romane „Blind“, „Teufelszeug“, „Christmasland“ und „Fireman“ veröffentlicht, doch ebenso wie sein übermächtiger Vater hat Hill auch Gefallen an kürzeren Erzählformen wie der Kurzgeschichte und der Novelle gefunden. Da fällt der Apfel eben nicht weit vom Stamm. Mit „Black Box“ ist bei Heyne bereits 2008 eine erste Kurzgeschichten-Sammlung von Joe Hill erschienen, mit „Vollgas“ legte Festa 2021 eine weitere Kollektion vor. Zuvor erschien mit „Strange Weather“ eine Sammlung von vier Novellen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. 
Mit „Schnappschuss“ begleiten wir Joe Hill auf eine kleine Zeitreise in die 1980er Jahre, als die Sofortbildkamera Polaroid der letzte Schrei gewesen ist. Hier lernen wir einen dreizehnjährigen Jungen namens Michael Figlione kennen, der sich in dem kleinen Ort Golden Orchards im Norden Cupertinos ein wenig um die zunehmend demente Nachbarin Shelly Beukes kümmert, die sich bis 1982 noch um den Haushalt der Familie des Jungen gekümmert hatte. Sie warnt ihn, dass er sich vor dem Polaroid-Mann in Acht nehmen sollte. Als Michael an der Tankstelle tatsächlich dem Mann mit der Kamera begegnet, geschehen merkwürdige Dinge, denn mit jedem Bild, das mit der Kamera geschossen wird, scheint eine Erinnerung des Portraitierten gelöscht zu werden… 
In „Geladen“ hadert Randall Kellaway mit seinem Schicksal. Nach seinem Einsatz im Irak hatte sich Kellaway sowohl bei der State Police, der örtlichen Polizei, dem Sheriff’s Office und dem FBI beworben, doch beim FBI hat er den psychologischen Aufnahmetest nicht bestanden, bei all den anderen Behörden kam es nicht mal zum Vorstellungsgespräch. Nun schiebt er als Sicherheitsbeamter in einem Einkaufszentrum Dienst und ist verärgert darüber, dass seine Ex-Frau Holly eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt hat, dass er ihr und ihrem gemeinsamen Sohn George gegenüber einen Abstand von mindestens 300 Metern einhalten muss. Sein einziger Freund Jim Hirst sitzt zwar im Rollstuhl und leidet darunter, dass seine Frau fremdgeht, dafür nennt er eine ansehnliche Waffensammlung sein eigen. Davon profitiert schließlich auch Kellaway, als er eines Tages im Einkaufszentrum in den Juwelierladen „Devotion Diamonds“ von Roger Lewis stürmt, um ein Massaker zu verhindern. Rog hatte nämlich gerade mit seiner 20-jährigen Angestellten und Geliebten Becki Schluss gemacht, die ihn daraufhin mit einer .357er erschoss. Als Kellaway in den Laden stürmt, schaltet er allerdings nicht nur die Schützin aus, sondern auch eine muslimische Frau mit ihrem Baby und einen fettleibigen Zeugen. Von der Presse wird Kellaway als Held gefeiert, doch die Reporterin Aisha Lanternglass kommt nach und nach den wahren Ereignissen auf die Spur… Nachdem die 23-jährige June Morris vom Krebs dahingerafft worden ist, haben sich ihre beiden Brüder Brad und Ronnie, ihre beste Freundin Harriet Cornell und Aubrey dazu entschlossen, zu ihrem Gedenken einen Fallschirmsprung zu absolvieren. Während Junes Brüder jedoch schon Erfahrungen mit dem Springen gemacht haben, ist es für Aubrey und Harriet das erste Mal. 
Vor allem Aubrey hat „Hoch oben“ große Angst vor dem Absprung, doch als der Motor des Flugzeugs ausfällt, bleibt ihm letztlich nichts anderes übrig, als auch zu springen. Zu seiner Überraschung landet er dabei auf einer festen Wolke, auf der Dinge entstehen, die Aubrey kurz zuvor noch gedacht hatte. Seine Zeit verbringt Aubrey dabei vor allem mit den Erinnerungen daran, wie er Harriet kennen und lieben gelernt hat. 
Mit „Regen“ hat Hill schließlich sein eigenes Weltuntergangsszenario geschaffen. Bei einem Gewitter über Boulder, Colorado, regnet es nämlich keine Wassertropfen, sondern nadelspitze Metallsplitter, die ein Meer der Verwüstung hinterlassen. Was zunächst als terroristischer Anschlag betrachtet wird, scheint sich allerdings als natürliches, wenn auch seltenes Phänomen zu entpuppen, bei dem durch Blitze eine Form des Kristalls Fulgurit entsteht. Die 23-jährige Honeysuckle Speck verliert durch den Nadelregen ihre Geliebte Yolanda und macht sich zu Fuß auf den Weg ins dreißig Kilometer entfernte Denver, um Yolandas Vater über den Tod seiner Tochter zu unterrichten… 
„Novellen sind Killer, keine Füller, sie kommen auf den Punkt, wo Romane ausschweifend werden. Sie haben die Ökonomie von Kurzgeschichten, sind aber aufgrund ihrer Länge in der Lage, eine Charakterisierung zu erreichen, die wir üblicherweise bei Romanen erwarten“, fasst Hill im Nachwort von „Strange Weather“ die Eigenschaften der Novelle zusammen. Besonders originell sind die hier vier vereinten Geschichten zwar nicht gelungen, dafür versteht der Autor es ähnlich wie sein Vater hervorragend, den Plot einer Geschichte mit Kommentaren zur Gesellschaft zu versehen. 
Während „Schnappschuss“ vor allem als Coming-of-Age-Story mit einem vertrauten übernatürlichen Element überzeugt, stellt „Geladen“ natürlich einen bissigen Kommentar auf die schwer nachvollziehbare Liebe der Amerikaner zu ihren Waffen dar. „Hoch oben“ gefällt weniger durch das sicher interessante Setting als durch Aubreys Charakterisierung, wie sie durch seine Erinnerungen und seine Liebe zu Harriet zum Ausdruck kommt. Und bei „Regen“ ist es die lesbische Liebesgeschichte, die im Vordergrund steht, aber auch traditionelle Werte wie Familie und Hilfsbereitschaft kommen bei dem dystopischen Szenario nicht zu kurz, auch wenn Plünderungen, Morde und überzogene Reaktionen auf die Katastrophe das beherrschende Thema zu sein scheinen. 
Die beiden bei Festa erschienenen Sammlungen von Joe Hill sind sicher keine Must-Reads, nicht mal für Joe-Hill-Fans, doch ebenso wie „Vollgas“ bietet auch „Strange Weather“ einige nette Ideen, einen flüssigen Schreibstil, eine Art von Humor, wie man sie bereits von Stephen King her kennt, und ausgefeilte Figurenzeichnungen, die zu den bemerkenswertesten Stärken des Autors und seiner Geschichten zählen.

Joe Hill – „Vollgas“

Sonntag, 29. Mai 2022

(Festa, 478 S., eBook) 
Um sich von dem Namen seines übermächtigen Vaters, Horror-Ikone Stephen King, zu emanzipieren, schreibt Joseph Hillström King seit jeher unter dem Pseudonym Joe Hill, hat sich aber mit Romanen wie „Blind“, „Teufelszeug“ und „Christmasland“ längst aus dem Schatten des Mannes lösen können, der wie kein Zweiter die moderne Horror-Literatur geprägt hat. Während sein Vater mit Joe Hills jüngeren Bruder Owen King schon den epischen Roman „Sleeping Beauties“ zusammen geschrieben hat, ist es bei Joe Hill und Stephen King bislang nur bei Kurzgeschichten zu einer Zusammenarbeit gekommen, die sich in dem von Festa herausgegebenen Band „Vollgas“ in Form zweier eindrucksvoller Geschichten wiederfindet. Die übrigen elf Geschichten können das hohe Niveau der beiden Gemeinschaftsarbeiten allerdings nicht immer halten. 
Mit der gemeinsam geschriebenen Geschichte „Vollgas“, die von HBO verfilmt werden soll, nimmt die Sammlung immerhin gleich ordentlich Fahrt auf. Nach einem unerfreulichen Zwischenfall, bei dem ein junges Mädchen und Roy Klowes auf brutale Weise getötet wurden, befindet sich die Bikergang The Tribe von Vince Adamson und seinem rebellischen Sohn Race auf der Fahrt nach Vegas und macht im Painted Desert Halt, wo sich die Truppe über ihr weiteres Vorgehen abstimmen muss. Dean Clarke hatte vor, mit einem Startkapital von 60.000 Dollar mit Race ein Meth-Labor in Smith Lake aufzubauen, wozu ihm Vince mit zwanzig Riesen aushalf, doch das Labor brannte bereits am ersten Betriebstag aus. Nun will sich Race die 60 Riesen von Clarkes Schwester in Show Low zurückholen. Nachdem ein Truckfahrer die Unterhaltung mitverfolgt hat, macht er sich mit seinem Truck zunächst vom Acker. Als der Tribe eine Stunde später wieder auf den Truck stößt, macht der Fahrer nach und nach kurzen Prozess mit den Gang-Mitgliedern… 
Im Nachwort macht Joe Hill keinen Hehl daraus, dass „Vollgas“ von Richard Mathesons fabelhafter Geschichte inspiriert wurde, die der junge Steven Spielberg als „Duell“ verfilmt hat. Auch wenn „Vollgas“ wenig originell wirkt, hat sie doch das nötige Tempo und den Nervenkitzel, um überzeugen zu können. 
In „Das Karussell“ besucht der 18-jährige Paul mit seiner Freundin Geri, ihrem Bruder Jake und dessen Freundin Nancy das am Ende des Cape Maggie Piers gelegene Karussell „Wild Wheel“, dessen Tiere eine verstörende Kollektion grotesker Wesen darstellen. Der Karussellmann hat zu jedem der ungewöhnlich aussehenden Tiere eine exklusive Geschichte parat. Nach ein paar Runden auf dem Karussell lassen sich die vier Freunde weiter durch den Freizeitpark treiben, bis Nancy feststellt, dass ihr ein nagelneuer Fünfziger abhandengekommen ist. Kaum spricht Paul die Vermutung aus, dass der Karussellmann dafür verantwortlich gewesen sein könnte, als er Nancy auf das Pferd half, nimmt Jake dem mittlerweile seinen Rausch ausschlafenden Karussellbetreiber zwei Zwanziger ab, doch wenig später entwickeln die Tiere des Wild Wheel ein furchterregendes Eigenleben… 
In „Wolverton Station“ begegnen uns während einer Zugfahrt Wölfe in Menschengestalt, „An den silbernen Wassern des Lake Champlain“ bekommen wir eine Variation des Ungeheuers von Loch Ness vorgesetzt, in „Faun“ trifft sich eine exklusive Großwild-Jäger-Truppe. Nach diesen wenig inspirierenden Geschichten taucht mit „Überfällig“ wieder ein echtes Highlight auf. 
Nachdem sich seine Eltern gemeinsam in dem Auto bei laufendem Motor in ihrer Garage aus dem Leben geschieden sind, hat John Davies seinen Job als Fahrer bei einer Spedition verloren und bekommt zufällig die Möglichkeit, in der Bücherei, in die er das längst überfälliges Buch „Eine wunderbare Geschichte“ seiner Mutter zurückbringen wollte, den Büchereibus zu fahren. Doch seine Kunden scheinen oft aus einer anderen Zeit zu kommen…
 „Die Möglichkeit, dass jemand aus den 60er Jahren aufgetaucht sein könnte, um ein überfälliges Buch zurückzugeben und vielleicht neuen Lesestoff auszuleihen, hatte nicht die Wirkung auf mich, die man vielleicht erwarten würde. Ich hatte keine Angst, zu keinem Zeitpunkt. Ich war nicht beunruhigt. Eher verspürte ich so etwas wie Dankbarkeit und auch eine gewisse mild amüsierte Verwirrung.“ (S. 203) 
Mit „Meine Welt dreht sich nur um dich“ präsentiert Hill eine unterhaltsame Science-Fiction-Geschichte über ein Mädchen, das zu seinem Geburtstag von seinem Vater eine Kristallkugel mit einer hässlichen Meerjungfrau geschenkt bekommt, zur Feier des Tages aber einen Münz-Freund mietet, der ihr eine Stunde lang wie Aladins Flaschengeist nahezu alle Wünsche zu erfüllen verspricht. Gemeinsam machen sie sich zur Spitze der Speiche auf, um einen echten Sonnenuntergang zu erleben. Doch damit ist das Abenteuer noch längst nicht vorbei… „Tweets aus dem Zirkus der Toten“ verbindet auf intelligente, satirisch angehauchte Weise klassischen Horror mit den Tücken moderner Kommunikationskanäle, in „Mums“ wird die Leiche der beerdigten Mutter von Jack durch eine ungewöhnliche Samen-Mischung zu unnatürlichen Leben wiedererweckt. 
Die wiederum mit Stephen King verfasste Geschichte „Im hohen Gras“ erzählt von der Fahrt, die Cal DeMuth mit seiner im sechsten Monat schwangeren Schwester Becky von Portsmouth zu Onkel Jim und Tante Anne nach San Diego unternehmen und dabei auf dem Parkplatz einer Kirche aus dem nahegelegenen Feld den Hilferuf eines Jungen vernehmen. Doch als Becky und Cal dem Ruf in das hohe Gras folgen, erwartet sie das pure Grauen… 
Ebenso interessant wie die besten Geschichten in diesem Band sind das Vorwort und die Anmerkungen zum Schluss, in denen Joe Hill davon schreibt, wie er als Sohn eines so berühmten Vaters seine ersten eigenen Versuche, Schriftsteller zu werden, bewerkstelligte und welche Personen, Schriftsteller und Geschichten ihn selbst inspiriert haben. Die Geschichten sind in einem Zeitraum von über einem Jahrzehnt entstanden und decken ein breites Spektrum an Themen ab, sind dabei aber unterschiedlich in Spannungsaufbau, Atmosphäre und Auflösung. Da mindestens die Hälfte der Geschichten großartig unterhalten, sind die weniger interessanten durchaus zu verschmerzen.  

Joe Hill – „Fireman“

Samstag, 20. Mai 2017

(Heyne, 958 S., Pb.)
Während sich weltweit eine Seuche über Sporen ausbreitet, die als Dragonscale bezeichnet wird, weil es die Haut der Infizierten mit fein gemusterten Mustern verziert, bevor die Opfer Rauch spucken und unversehens in Flammen aufgehen, versorgt die Schulkrankenschwester Harper Grayson in New Hampshire weiterhin die Wunden ihrer Schützlinge. Ein paar Monate später hat die Seuche so viele Menschen dahingerafft, dass Grayson mittlerweile achtzehn Stunden am Tag im Ganzkörperschutzanzug im örtlichen Krankenhaus aushilft, wo sie John Rookwood kennenlernt, der als Fireman offenbar über die Fähigkeit verfügt, das Feuer in seinem Körper zu kontrollieren und die Flammen gezielt wie eine Waffe einzusetzen.
Als Harper selbst mit Dragonscale infiziert wird, setzt ihr Mann Jakob alles daran, ihren Plan umzusetzen, gemeinsam friedlich aus dem Leben zu scheiden, doch mit dem ungeborenen Kind in ihrem Leib kämpft Harper mit allen Mitteln um ihr Überleben. Offenbar scheint es auf Free Wolf Island, einer siebzehn Meilen vor der Küste von Maine liegenden Insel, eine Kolonie von Überlebenden zu geben, die von der ehemaligen MTV-Moderatorin Martha Quinn angeführt wird, deren Stimme als eine der ganz wenigen noch immer aus dem Radio klingt.
Doch zunächst müssen Harper, der Fireman und ihre Leidgenossen einen Weg finden, aus dem von Carol Storey diktatorisch geführten Camp zu fliehen. Durch gemeinsame Gesänge und religiöse Durchhalteparolen war es Carol und ihrem in der Kirche predigenden Vater scheinbar gelungen, das Feuer in ihren Körpern zu kontrollieren und zum Leuchten zu bringen.
„Sie hatte sich nie für einen religiösen Menschen gehalten, aber hier in dieser Kirche in Camp Wyndham war ihr aufgegangen, dass alle Menschen religiös waren. Wer das Bedürfnis zu singen in sich trägt, hat auch das Bedürfnis nach Glauben und Erlösung.“ (S. 272) 
Bereits mit seinem letzten Roman „Christmasland“ hat Stephen Kings Sohn Joe Hill eindrucksvoll bewiesen, dass er längst dabei ist, aus den übermächtigen Fußstapfen des „King of Horror“ zu treten und als eigenständige Stimme in der Welt der dunklen Fantasy wahrgenommen zu werden. Dabei ist das jeweils geschilderte Grauen tief in der heutigen Welt verankert, entwickelt sich aus dem gewöhnlichen Alltag zu monströsen Schrecken.
In seinem neuen Roman „Fireman“ nimmt dieses Grauen erstmals apokalyptische Züge an und erinnert dabei zwangsläufig an Stephen Kings Endzeit-Epos „The Stand – Das letzte Gefecht“. Dabei geht es Hill weniger darum, das Ausmaß und die Verbreitung der Seuche in aller Welt zu schildern, sondern beschränkt sich auf ein sehr überschaubares Figuren-Ensemble ganz unterschiedlicher Charaktere. Vor allem die außergewöhnliche Beziehung zwischen der aufopferungsvoll fürsorglichen Harper und dem geheimnisvollen Fireman sorgt dafür, dem Plot eine emotional berührende Konstante zu verleihen, die sich durch die stringente Dramaturgie bis zum aufwühlenden Finale zieht.
Natürlich kommen im Verlauf des kräftezehrenden Road Trips die besten und schlechtesten Eigenschaften der menschlichen Spezies zum Vorschein, neben der vor allem durch Harper personifizierten Hilfsbereitschaft und Güte auch Missgunst und Mordlust. Hill gelingt es dabei, seine Figuren sehr lebendig und einfühlsam zu charakterisieren, sie durch eine packende Geschichte zu führen und die Apokalypse mit all ihren Schrecken auch sehr detailliert zu beschreiben. Dass Autoren wie J. K. Rowling, Ray Bradbury und nicht zuletzt sein Vater Pate für dieses Epos standen, wie Hill eingangs erwähnt, hat sich durchweg positiv auf „Fireman“ ausgewirkt, das Hill auf dem Höhepunkt seiner bis dato noch sehr jungen Karriere präsentiert.
Leseprobe Joe Hill - "Fireman"

Joe Hill – „Blind“

Sonntag, 8. Februar 2015

(Heyne, 432 S., HC)
Als Sammler von okkulten Kuriositäten ist der 54-jährige Rockstar Jude Coyne Feuer und Flamme, als er von seinem Assistenten Danny erfährt, dass eine Frau den Geist ihres kürzlich verstorbenen Stiefvaters verkauft. Tatsächlich erhält Jude bei der Auktion den Zuschlag und hält wenige Tage später eine herzförmige Schachtel in den Händen, die den Sonntagsanzug des Verstorbenen enthält. Als sich Judes Freundin Marybeth, die er nur Georgia nennt, den Finger an einer Stecknadel im Anzug verletzt, beginnt sich dieser schmerzhaft zu entzünden, dann ertönen aus dem Radio beängstigende Sprüche. Offensichtlich ist der Geist des Toten auf Rache aus.
Jude nimmt Kontakt mit der Verkäuferin auf und erfährt, dass Jessica Price die Schwester von Anna May McDermott ist. Jude war mit ihr vor Georgia zusammen und hat sie irgendwann genervt von ihrer Art rausgeschmissen. Wie Jessica ihm erzählt, hat sich Anna zuhause irgendwann in die Badewanne gelegt und sich die Pulsadern aufgeschnitten, nachdem er nicht auf ihre Briefe reagiert hatte. Und nun scheint Craddock McDermott sowohl seine Wut über Judes nachlässige Art als auch seine Profession als Hypnotiseur in die Waagschale zu werfen, um Jude das Leben zur Hölle zu machen. Jude und Georgio sehen nur einen Ausweg: Sie machen sich auf den Weg zu McDermotts verwitweter Stieftochter und wollen dem Spuk ein Ende bereiten …
„Craddock hatte den Großteil der Woche darauf verwendet, Jude dazu zu bringen, sich selbst umzubringen. Jude war so davon in Anspruch genommen gewesen, sich zu wehren, dass er sich nicht gefragt hatte, ob der Preis des Überlebens nicht vielleicht höher war, als wenn er dem toten Mann gab, was er wollte. Er würde sicher den Kürzeren ziehen, hatte er gedacht, und je länger er sich gegen Craddock wehrte, desto wahrscheinlicher war es, dass er Marybeth mit sich reißen würde. Denn die Toten ziehen die Lebenden nach unten.“ (S. 297). 
Hinter dem Namen Joe Hill verbirgt sich niemand Geringeres als Stephen Kings ältester Sohn. Allerdings wurde sein Debütroman „Blind“ im Jahre 2007 nicht mit der prominenten Beziehung beworben, was auch gar nicht nötig gewesen ist. Joe Hill erweist sich nämlich als durchaus eigenständige Stimme in der Horror-Literatur. Sein Debüt fasziniert mit einem originellen Plot und interessant gezeichneten Figuren. Judas Coyne ist nicht zwingend ein Protagonist, den man von Beginn an ins Herz schließt. Tatsächlich erscheint er dem Leser zunächst als narzisstisches Arschloch. Doch wie er schließlich alle Hebel in Bewegung setzt, um seine Freundin Georgia nicht auch zu Craddocks Opfer werden zu lassen, ringt einem schließlich doch Respekt ab. Tatsächlich zählt die Wandlung, die Jude Coyne während der abenteuerlichen Fahrt nach Jacksontown durchmacht, zu den großen Stärken eines Romans, der einem wirklich Gänsehaut verursacht.
Leseprobe Joe Hill - "Blind"

Joe Hill – „Christmasland“

Sonntag, 5. Januar 2014

(Heyne, 800 S., HC.)
Mit seinen ersten beiden Romanen „Blind“ und „Teufelszeug“ hat sich Joe Hill schon früh aus dem mächtigen Schatten seines Vaters Stephen King lösen und als äußerst origineller Horror-Autor etablieren können. Mit seinem neuen Werk „Christmasland“ liefert er nun sein Magnus Opus ab, eine 800-seitige Saga, in der sich gleich mehrere Themen aus dem Universum seines Vaters wiederfinden.
In den 90er Jahren hat Charles Talent Manx III Dutzende in seinem alten Rolls-Royce von Kindern entführt, um sie an einen Ort zu bringen, wo das ganze Jahr über Weihnachten herrscht. Zusammen mit seinem ebenfalls psychisch derangierten Handlanger Bing Partridge, der mit Gasmaske maskiert und aromatisierten Betäubungsgas bewaffnet die ausgesuchten Opfer ins sogenannte Christmasland brachte, ließ Manx über die Jahre in verschiedenen Bundesstaaten unter jeweils mysteriösen Umständen Kinder und ihre Mütter verschwinden, bis er eines Tages gefasst, verurteilt und ins Gefängnis gesteckt wurde, wo er allerdings 2001 ins Koma fiel.
Im Dezember 2008 kam Manx in der Dauerpflegestation im Hochsicherheitsspital des FCI Englewood allerdings unerwartet wieder zu sich, um seine Jagd nach vermeintlich unglücklichen Kindern und ihren unwürdigen Müttern fortzusetzen. Allerdings findet er in Victoria McQueen eine versierte Gegenspielerin. In ihrer Kindheit verfügte sie über die beachtliche Gabe, verlorene Dinge wiederzufinden, indem sie sich auf ihr Raleigh-Tuff-Burner-Fahrrad schwang, hinter dem Haus den Hügel hinunterratterte und über die Shorter Way Bridge auf unerklärliche Weise genau dort landete, wo das verschollene Ding zu finden war. Sie war das einzige Mädchen, das den Fängen des Weihnachtsmörders entkommen konnte, allerdings bezahlte sie dieses traumatische Erlebnis mit Wahnvorstellungen, die sie in die Nervenklinik brachten, nachdem sie ihr Haus abgebrannt hatte. Doch 2011 bekommt Vic unerwarteten Besuch von Maggie Leigh, einer stotternden Bibliothekarin, die das Mädchen damals mit seiner besonderen Gabe vertraut gemacht hatte. Als Maggie verkündet, dass die Leiche von Manx verschwunden ist, will Vic nicht wahrhaben, dass die Jagd von Neuem beginnt.
„Vics Wut drohte überzukochen, und sie wollte Maggie damit verbrennen. Nicht nur versperrte Maggie ihr den Weg zu ihrer Haustür und brachte mit ihrem irren Gerede Vics Wahrnehmung der Realität und ihre hart erkämpfte Zurechnungsfähigkeit ins Wanken. Nein, sie gönnte ihr auch nicht die Erleichterung angesichts von Manx‘ Tod. Charlie Manx, der Gott weiß wie viele Kinder entführt hatte, der Vic selbst gekidnappt, gequält und beinahe getötet hatte – Charlie Manx lag unter der Erde. Vic war ihm endlich entkommen. Aber die verdammte Margaret Leigh wollte ihn wieder zurückholen, ihn ausgraben, damit Vic sich weiter vor ihm fürchten musste.“ (S. 334) 
Als sich Vic endlich der Wahrheit stellt, lässt sie sich nicht mehr von ihrem Vorhaben abbringen, Manx endgültig zur Strecke zu bringen. Mit der Entführung ihres Sohnes in sein Christmasland hat er den Bogen nämlich deutlich überspannt…
„NOS4A2“ hat Joe Hill seinen dritten in Deutschland veröffentlichten Roman zunächst etwas kryptisch anmutend betitelt, aber die Bedeutung des Rolls-Royce-Nummernschilds als „Nosferatu“ beschreibt treffend, worum es in „Christmasland“ geht, denn offensichtlich zieht sich Charlie Manx sein Lebenselixier aus den Kindern, die er in sein unheimliches Christmasland bringt.
Was den epischen Roman dabei auszeichnet, ist nicht allein die moderne Variation des ewig faszinierenden Vampir-Themas, sondern der Kampf des Guten gegen das Böse. Hier tauchen Motive aus Stephen Kings „Christine“ ebenso auf wie aus seinen Romanen „Es“, „Shining“ oder „Das letzte Gefecht“, aber auch Ray Bradbury lässt mit „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“ grüßen. Dabei lebt die Geschichte von ihren faszinierenden Hauptfiguren, den bösartigen Häschern Charlie Manx und Bing Partridge auf der einen Seite und Vic „das Gör“ McQueen mit ihrer Familie auf der anderen. Über eine Zeitspanne von über 25 Jahren mit verschiedenen – nicht immer einfach nachzuvollziehenden - Rückblenden, Zeitsprüngen und Ortwechseln hinweg folgen Manx und Vic ihren Lebenswegen, um dann aufeinanderzutreffen, sich aus den Augen zu verlieren, bis sich für einen alles entscheidenden Kampf erneut ihre Wege kreuzen.
Diese wendungsreiche, spannende Geschichte entbehrt nicht einiger recht skurriler Einfälle, dokumentiert aber eindrucksvoll, dass Hill schon jetzt zu den einfallsreichsten modernen Horror-Autoren gezählt werden muss, der hoffentlich ebenso produktiv wird wie sein alter Herr.
Leseprobe Joe Hill – “Christmasland”

Joe Hill – „Teufelszeug“

Samstag, 30. Oktober 2010

(Heyne, 543 S., HC)
Ignatius Martin Perrish wächst wohlbehütet in einer prominenten Familie auf. Sein Vater ist ein berühmter Trompeter, der mit Frank Sinatra und Dean Martin Platten aufgenommen hat. Und auch sein zwei Jahre älterer Bruder Terry hat es mit seiner eigenen TV-Show „Hothouse“ zu etwas gebracht. Mit seinem Asthma blieb Ig eine derartige Karriere verwehrt. Stattdessen wurde er angeklagt, vor einem Jahr seine Freundin Merrin Williams vergewaltigt und ermordet zu haben. Da es an Beweisen fehlte, wurde Ig freigesprochen, doch seitdem ist nichts mehr wie zuvor. Sein bester Freund Lee hat ihn im Stich gelassen, und nach dem Verlust seiner großen Liebe unterhält Ig mit Glenna eine leidenschaftslose Beziehung.
Doch dann wacht Ig nach einer durchzechten Nacht mit Teufelshörnern auf der Stirn auf. Glenna kümmert sich nicht weiter um die bizarren Auswüchse im Gesicht ihres Freundes, sondern steckt ihm frei von der Leber weg, dass sie letzte Nacht Lee in Gegenwart seiner Kumpels einen geblasen hat. Doch dieses Geständnis ist nur der Anfang. Auf einmal erfährt Ig auf unerklärliche Weise Dinge von Menschen, die sie lieber für sich behalten sollten. Vor allem wird Ig mit der Tatsache konfrontiert, dass seine ganze Familie Ig für Merrins Mörder hält. Doch Terry weiß, wer für die Tat verantwortlich gewesen ist. Mit diesem Wissen und seiner Fähigkeit, die dunkelsten Geheimnisse seiner Mitmenschen aufzudecken, macht sich Ig daran, seine Welt wieder ins Lot zu bringen …
Joseph Hillstrom King weiß als Sohn des berühmten Stephen King, wie man Horror schreibt. Mit „Teufelszeug“ legt der talentierte Horror-King-Sprössling ein faszinierendes Buch vor, das über lange Strecken gar nicht wie ein Gruselthriller wirkt, sondern erst wie eine Groteske, dann in der Rückblende wie die großartigen Szenarien jugendlichen Lebens, wie sie Stephen King in Werken wie „Atlantis“ oder „Stand By Me“ zur Perfektion gebracht hat. Die Horrormomente hat Joe Hill sehr subtil verarbeitet und kommen eher durch die Darstellung menschlicher Bösartigkeit zum Ausdruck, für die Ig mit seinen teuflischen Hörnern und seiner übersinnlichen Begabung sensibilisiert wird. Obwohl recht früh offenbart wird, wer für den Tod von Igs Freundin verantwortlich gewesen ist, bleibt die Geschichte bis zum Schluss äußerst spannend, weil es Joe Hill hervorragend versteht, die Fäden aus der Vergangenheit in der Gegenwart zusammenzuführen.