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John Updike – „Sucht mein Angesicht“

Montag, 1. April 2013

(Rowohlt, 316 S., HC)
Als die junge Kunsthistorikerin Kathryn aus New York eines Tages im Jahr 2001 das abgelegene Anwesen der Malerin Hope Chafetz für ein Interview aufsucht, eröffnet sie das Gespräch mit einem Zitat der Künstlerin, das diese fünf Jahre zuvor im Katalog zu ihrer letzten Ausstellung von sich gegeben hat, über den offensichtlich gelungenen Versuch, aus dem Schatten ihres ersten Mannes herauszutreten. Über den ganzen Tag hinweg unterhalten sich die beiden Frauen über Hopes bewegtes Leben.
Auch wenn der Artikel in erster Linie Hope gewidmet sein soll, sind es vor allem die Beziehungen zu ihren Männern, die Kathryns Fragenkatalog prägen. Und so erzählt Hope nach dem Abhaken ihrer Kindheit über das Leben mit Zack in den 40er Jahren, wo er mit seinen Drippings zum Kern des Abstrakten Expressionismus vorstieß. Hope erinnert sich auf sehr lebendige Weise an seine außergewöhnliche Art, Kunstwerke zu gestalten, und lässt ihre Interviewerin wie den Leser noch einmal teilhaben an dem künstlerischen Schaffensprozess.
„In Los Angeles hat er die entscheidenden High-School-Jahre erlebt und die ersten Kunstlehrer, die so was wie einen inspirierenden Einfluss auf ihn hatten. Aber, doch, ja, sowie er die Leinwand mit Klebeband am Scheunenboden befestigt hatte, konnte er von allen Seiten attackieren, so hat’s angefangen mit dem Dripping. Wenn man die Farbe nicht bloß tropfen ließ, sondern sie verspritzte, kam man bis in die Mitte der Leinwand. Im frühen Werk gibt es natürlich auch schon ein Klecksen mit Farben – lange vor dem Krieg hat er ja schon direkt mit der Tube gemalt -, und die Surrealisten hatten mit Farbe gespielt, indem sie sie ausgossen, sie schütteten, wegen des automatischen Effekts. Matta, Masson, Sie wissen schon. Aber Zack bestand immer darauf, dass es nichts Zufälliges an seinem Dripping gebe, dass alles bis ins Kleinste von ihm beabsichtigt sei. Schon wahr, er lernte gerade, wie er die Farbe verdünnen musste und welche Werkzeuge – Stöcke, eingetrocknete Pinsel, diese langen Glasröhren, mit denen man den Truthahn im Ofen begießt – er zu was benutzen konnte. Vor ihm hatte noch niemand solche Fähigkeiten beherrschen müssen; es war wunderbar, ihm zuzusehen, er bewegte sich mit so viel Grazie und mit einer Selbstsicherheit, die er sonst nie hatte. Ich glaube, dass es das war, dies Kraftvolle, das ihm so viel Publicity eintrug und so anziehend auf die breite Masse wirkte: solche Männer kannte man sonst nur vom Kino.“ (S. 109) 
Nachdem Zack bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, heiratete Hope den Pop-Art-Künstler Guy und schließlich, nachdem er sie wegen einer jüngeren Pferdepflegerin verlassen hatte, den wohlhabenden wie unkomplizierten Kunstsammler Jerry. Über die jeweils ganz andersartigen Beziehungen zu ihren Männern und deren Kunst, ihren Kindern und Verhaltensweisen lässt sich Hope vor der jungen Frau vollkommen aus, wobei sie sich immer näher kommen, aber auch wieder voneinander entfernen, wie Mütter und Töchter, Geliebte und Rivalinnen es wohl tun.
John Updike gelingt das Kunststück, mit diesem einen Interview ohne Unterbrechung in Kapiteln über dreihundert Seiten zu füllen. Dabei kommt ihm zugute, dass er selbst bildende Kunst an der Ruskin School of Drawing and Fine Arts in London studiert hat. Durch die ungewöhnliche Form eines Interviews rekapituliert Updike die Geschichte der amerikanischen Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg und taucht dabei tief ein in die Seelen der Künstler, das Gehabe der Galeristen und Kritiker, das Partyleben und die Affären. Zacks Figur ist dabei an Jackson Pollock angelehnt, und einige Statements der fiktiven Künstler in „Sucht mein Angesicht“ sind der Anthologie „Abstract Expressionism: Creators and Critics“ von Clifford Ross entnommen. So entsteht ein höchst lebendiges, aufschlussreiches Bild amerikanischer Nachkriegskunst, wie sie nur ein John Updike mit seiner ausschweifenden Lust am Fabulieren malen kann.
Leseprobe John Updike "Sucht mein Angesicht"

John Updike – „Landleben“

Sonntag, 20. Januar 2013

(Rowohl, 414 S., HC)
Im Alter von siebzig Jahren ist Owen Mackenzie noch immer glücklich mit der fünf Jahre jüngeren Julia verheiratet, und das schon seit 25 Jahren. Manchmal wacht er morgens auf und dämmert wieder für ein, zwei Stunden in den Schlaf, um dann von einer seiner Eroberungen zu träumen, die er im Laufe seines Lebens als erfolgreicher Computeringenieur angehäuft hat. Er wuchs in den sechziger und siebziger Jahren in der Kleinstadt Middle Falls, Connecticut, auf, doch geboren wurde er 1933 in Willow, Pennsylvania. Abgesehen von einem Selbstmord ist in den zwölf Jahren der Depression und des Zweiten Weltkriegs nichts weiter von Belang geschehen.
Was Owen von früh an interessierte, war Sex, genauer gesagt: „Kleinstadt-Sex“, wie Updike episodenhaft einige seiner Kapitel betitelt. Als er Alice das erste Mal mit trockenen Lippen küsste und ihre Brillengestelle dabei aneinander klackten, war das noch unspektakulär, doch als er das Schamhaar von Doris Shanahan aus der achten Klasse erblickte, war er glücklich, weil ihm ein besonderes Wissen zuteil geworden war. Owens Lebensaufgabe bestand darin, Computer-Software zu entwickeln und zu überwachen, doch zeitgleich mit seinem Stipendium am MIT, dem Massachusetts Institute of Technology, bewies er besonderes Geschick im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht. Mit seinem beruflichen Aufstieg sind stets weitere Erkundungen weiblicher Körper einhergegangen, wovor ihn auch eine Heirat nicht schützen konnte. Zu jeder Frau konnte Owen etwas Besonderes erinnern:
„Die Lektion, die Owen von Vanessa lernte, war überraschend: Maskuline Frauen hatten großartigen Sex zu bieten. Vielleicht war es kein Zufall, dass ausgerechnet die wilde, jungenhafte Doris Shanahan ihm erlaubt hatte, an ihren Beinen hinauf in ihre Shorts zu gucken. Mit ihnen ist Sex sozusagen frontaler, direkter. Sie springen darauf an und gehen auf einen Orgasmus los, so wie ein Falke sich auf eine junge Wachtel stürzt. Obwohl Vanessa selten dabei lächelte (anders als Faye in ihrem Rausch, anders als Alissa mit ihren Grübchen), lachte sie oft, schroff, ihr dunkles, heiseres Lachen. In ihren gewöhnlichen Kleidern aus festen Stoffen, mit breit geschnittenen Schultern, wirkten ihr Arsch und ihre Brust flach, minimal; wenn sie ausgezogen war, zeigte sie Reize genug.“ (S. 309) 
John Updike erzählt mit frivoler Lust aus dem Leben eines echten Schürzenjägers, doch handelt es sich dabei nicht um eine Aneinanderreihung pornographischer Episoden eines sexgeilen Mannes, sondern vielmehr um das Portrait des ländlichen Amerika mit seinen ganz eigenen Moralvorstellungen und den Ritualen, mit denen Männer und Frauen einander umwerben und sich abseits legitimierter Verhältnisse im Geheimen miteinander vergnügen. Updike erweist sich dabei einmal mehr als glänzender Beobachter des amerikanischen Way of Life und natürlich als grandioser Stilist, der mit Worten ebenso betört wie die Frauen die Männer. Nebenbei bekommt der Leser auch eine interessante Lektion über den Beginn der Computer-Ära, doch in erster Linie berauscht der gefeierte Autor sein Publikum mit seiner wohlkomponierten Sprache und seinen vergnüglichen, unsentimentalen Schilderungen amerikanischen Kleinstadtlebens.
Leseprobe John Updike "Landleben"

John Updike - „Wie war’s wirklich“

Samstag, 5. September 2009

(Rowohlt, 252 S., HC)
Der 1932 geborene amerikanische Schriftsteller John Updike ist spätestens durch seinen wunderbar mit Jack Nicholson, Cher, Michelle Pfeiffer und Susan Sarandon verfilmten Roman „Die Hexen von Eastwick“ auch hierzulande einem breiten Publikum bekannt geworden. In seiner Heimat gilt er längst als „grand old man“ der amerikanischen Literatur und vor allem als Meister der Kurzgeschichte. Mit „Wie war’s wirklich“ legt Updike zwölf neue, meisterhafte Erzählungen vor, die von leisem Humor und nostalgischer Sehnsucht geprägt sind.
In „Die Frauen, die ihm entgangen sind“ erzählt Martin von der Selbstverständlichkeit, nach den Sechzigern Affären zu unterhalten, und während er beobachtet, wie seine Frau Jeanne bei einem Bootsausflug mit ihrem Liebhaber Frank tanzt, erinnert er sich der Mädchen, die er geliebt hat. Auch in „Mittagspause“ werden kostbare Erinnerungen aufgewärmt, als David Kern beim Klassentreffen seines Highschool-Jahrgangs Julia und Doris wieder trifft, mit denen er damals in der Mittagspause in ihren Autos auf der Suche nach dem perfekten Hamburger durch die Straßen fuhr. Und Stan, Vertreter für „stranggepresstes Nichteisenmetall“, denkt an seine Reisen nach New York zurück, wo er mit der Kunsthändlerin Jane eine Affäre hatte und der er nach zehn Jahren wieder begegnet. So begleitet der Leser die Protagonisten durch ihre von kostbaren Erinnerungen geprägten Jugend und die aufregenden Jahre des Erwachsenwerdens. Geliebte, Ehefrauen, die Eltern und das Zuhause spielen dabei naturgemäß die wichtigsten Rollen. Erstaunlich, wie leicht Updike diese wehmütig klingenden Stories aus der Feder zu schütteln scheint.