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Larry Brown – „Joe“

Sonntag, 11. November 2018

(Heyne, 346 S., HC)
Ohne Ziel laufen der nichtsnutzige, alkoholabhängige Wade Jones, seine Frau, ihr ungefähr fünfzehnjähriger Sohn Gary und dessen beiden Schwestern Dorothy und die hochschwangere Fay eine wenig befahrene Straße entlang. Die drei verbeulten Dosen Budweiser, die der Vater im Graben findet, sind im Nu geleert, übernachtet wird an tristen Orten irgendwo in Mississippi, bis sie eine seit Jahren verlassene Blockhütte beziehen. Im Gegensatz zu seinem Vater will der für sein Alter etwas zu klein geratene Gary aus seinem Leben etwas machen und arbeiten. Für den ehemaligen Zuchthaus-Insassen Joe Ransom fängt Gary im Mai an, flächendeckend Bäume zu vergiften, damit dort Babykiefern gepflanzt werden können, doch sein Vater ist stets hinter dem Lohn her, den er nach Hause bringt, um Lebensmittel und vor allem Alkohol kaufen zu können.
Als Gary aber angeboten bekommt, Joes alten Pick-up für zweihundert Dollar zu kaufen, versteckt der Junge das Geld vor seinem Vater, der seine Wut auf Joe kaum noch zurückhalten kann. Aber ebenso wie Wade ist auch Joe von gewalttätiger Persönlichkeit, verfügt im Gegensatz zu dem Alten aber über ein gutes Herz. Er hängt mit Connie zusammen, die mit seiner Tochter zusammen zur Schule gegangen ist, und bemüht sich um ein gutes Verhältnis zu seiner Ex-Frau Charlotte, aber in Beziehungssachen lässt sich Joe einfach treiben.
Gary hängt immer öfter mit seinem Chef zusammen und hofft so, seinen Traum von einem besseren Leben verwirklichen zu können.
„Er hatte schon festgestellt, wie gut das kühle Bier schmeckte. Er begriff jetzt, worauf der Alte in all den Nächten, an den Wochenenden und manchmal auch wochentags aus war, worauf es ihm ankam und was er spüren wollte. Nichts spielte jetzt eine Rolle, das wusste er beim ersten Mal, als er damit Bekanntschaft machte.“ (S. 256) 
Der in Oxford, Mississippi, geborene Larry Brown (1951-2004) hat erst spät angefangen zu schreiben, wollte seinem Vorbild Stephen King nacheifern, kam aber zunächst über einige kaum beachtete Kurzgeschichten nicht hinaus. Erst mit seiner ersten Kurzgeschichten-Sammlung „Facing The Music“ (1988) konnte der Feuerwehrmann anfangen, von seiner Schreiberei zu leben, und veröffentlichte bis zu seinem plötzlichen Tod im Jahre 2004 leider nur fünf Romane, die nun endlich sukzessive ins Deutsche übersetzt werden.
Nachdem der Heyne Verlag im vergangenen Jahr Larry Browns vierten und erfolgreichsten Roman „Fay“ als deutsche Erstveröffentlichung präsentierte, folgt mit „Joe“ nun dessen zweites Werk, das vor allem von den beiden eindringlich charakterisierten Figuren Gary und Joe geprägt wird, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch so eng miteinander verbandelt sind.
Joe ist als kleiner Unternehmer zwar sein eigener Herr und weiß sich gegen seine Arbeiter souverän zu behaupten, dabei hilft ihm aber auch sein Ruf als trinksüchtiger Raufbold, was ihm bereits eine längere Gefängnisstrafe eingebrockt hat. Davon abgesehen ist er eigentlich ein liebevoller Kerl, der sich um eine Annäherung zu seiner Ex-Frau und seiner Tochter bemüht, dem Geld so unwichtig ist, dass er es gern mal verspielt, und der auch sehr lockere Beziehungen zu den Frauen unterhält, denen er begegnet. Dagegen muss sich Gary erst einmal wie seine ältere Schwester Fay, der Larry Brown später seinen erfolgreichsten Roman widmet, von der völlig verkorksten Familie lösen, die unter der Fuchtel des ebenso brutalen wie alkoholsüchtigen Wade steht, der auch die einzige durch und durch unsympathische Figur im Roman verkörpert.
Dem Jungen ist durchaus bewusst, dass er nur durch harte Arbeit zu Anerkennung kommen kann, und so legt er sich nicht nur bei Joe, sondern später auch bei einem Farmer mächtig ins Zeug. In der Ausgestaltung der Beziehung zwischen Joe und Gary demonstriert der Autor seine wahre Meisterschaft, authentische Figuren am äußersten Rand der Gesellschaft im Süden der Vereinigten Staaten zu zeichnen und ihren schweren Kampf um einen Platz im Leben zu beschreiben. Nach fast 340 Seiten sind Gary und Joe dem Leser so ans Herz gewachsen, dass man das Ende der Geschichte nur noch hinauszögern möchte.
Leseprobe Larry Brown - "Joe"

Larry Brown – „Fay“

Donnerstag, 10. August 2017

(Heyne, 652 S., HC)
Weil sie es zuhause mit ihrem gewalttätigen Vater nicht mehr aushält, verlässt die siebzehnjährige Fay Jones ihre Geschwister und das ärmliche Leben, das sie in den Wäldern Mississippis in einer Blechhütte geführt hatte, um nach Biloxi zu gehen. Am Meer erhofft sie sich dort das Glück, das ihr bislang verwehrt worden war, doch mit zwei Dollar im schäbigen BH kann der Weg bis dorthin beschwerlich werden, zumal sie durch die frühzeitig abgebrochene Schule noch wenig von dem weiß, was in der Welt so vor sich geht.
Naiv, wie sie ist, lässt sich das attraktive Mädchen von drei jungen Männern aufgabeln und wird in ihrem Trailer-Park auch gleich belästigt. Mehr Glück scheint sie mit dem State Trooper Sam zu haben, der sie mit nach Hause nimmt, das idyllisch an einem Stausee bei Oxford liegt. Sam und seine Frau Amy nehmen Fay wie eine Tochter bei sich auf. Wie Fay bald erfährt, haben die beiden ihre Tochter Karen bei einem Autounfall verloren, seitdem haben sich Sam und Amy auseinandergelebt. Wenn Fay nicht in ihrem eigenen Laden arbeitet, betrinkt sie sich auf der heimischen Veranda, Sam hält sich mit der cholerischen Alesandra eine reiche Geliebte.
Als Amy bei einem Autounfall ums Leben kommt und Fay Sams Geliebte tötet, muss sie weiterziehen. Zwar schafft sie es tatsächlich bis nach Biloxi, landet aber in einem Strip-Lokal, wo sie von dem unberechenbaren Aaron unter die Fittiche genommen wird. Allerdings wünscht sie sich nichts mehr, als dass sie zu Sam zurückkehren kann …
„Sie konnte im Handumdrehen verschwinden. In nicht mal fünf Minuten konnte sie draußen auf der Straße sein. Doch die Straße führte nur zu Orten, die sie nicht kannte. Diesen Ort kannte sie wenigstens halbwegs. Und in diesem kurzen Moment beschloss sie zu bleiben.“ (S. 409) 
Bei dem Erfolg von Südstaaten-Autoren wie James Lee Burke, Joe R. Lansdale, Donald Ray Pollock und Daniel Woodrell mutet es fast kurios an, dass der aus Oxford, Mississippi, stammende und leider schon 2004 im Alter von 53 Jahren viel zu früh verstorbene Autor Larry Brown hierzulande noch gänzlich unbekannt ist.
Sein zweiter Roman „Joe“ wurde 2013 mit Nicolas Cage in der Hauptrolle verfilmt, doch mit „Fay“, seinem vierten Roman“, erscheint bei – natürlich – Heyne Hardcore erstmals eines seiner Bücher in deutscher Sprache.
In epischer, aber nie ermüdender Länge beschreibt Brown in schnörkelloser Prosa und authentisch knappen Dialogen den harten Weg, den ein absolut ungebildetes, aber richtig hübsches Mädchen zur Selbständigkeit geht. In diesem eindringlichen Coming-of-Age-Road-Movie lernt Fay eine ganz unterschiedliche Schar von Männern kennen, junge Typen, die ihr Opfer betrunken machen und auf eine schnelle Nummer aus sind, und Vaterfiguren, zu denen sie ambivalente Gefühle entwickelt.
Mit der Zeit weiß sich Fay durchaus zu helfen und bekommt es in kurzer Zeit mit mehr toten Menschen und Schwierigkeiten zu tun, als ihr lieb sein kann. Als sie schließlich in Biloxi ankommt, erwartet sie mitnichten das erhoffte Paradies am Strand, sondern die ernüchternde Realität eines Strip-Clubs, in dem sie zum Glück nicht arbeiten muss.
Wie sie sich durchschlägt und die Männer in ihrem Leben verrückt macht, ist wunderbar einfühlsam geschrieben und lässt den Leser mit dem armen Mädchen auf jeder Seite mitfühlen. Abwechslung bringt Brown durch hin und wieder wechselnde Erzählperspektiven – beispielsweise von Sam oder Aaron – ins Spiel, aber es ist vor allem Browns Art, die Figuren und den amerikanischen Süden so lebendig zu zeichnen, dass „Fay“ so ein beeindruckendes Lesevergnügen darstellt.
Bleibt zu hoffen, dass auch Browns übrige Werk von Heyne (Hardcore) – gern in ebenso feiner Ausstattung – veröffentlicht wird. 
Leseprobe Larry Brown - "Fay"