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Lee Child – (Jack Reacher: 25) „Der Sündenbock“

Mittwoch, 26. Juli 2023

(Blanvalet, 416 S., HC) 
Allein die Tatsache, dass bereits zwei von Lee Childs Jack-Reacher-Romanen mit Hollywood-Superstar Tom Cruise in der Hauptrolle erfolgreich verfilmt worden sind, untermauert die Sonderstellung, die der in England geborene Lee Child in den literarischen Kreisen der Thriller-Liebhaber genießt. Seit er 1997 mit „Killing Floor“ (dt. „Größenwahn“) sein preisgekröntes Schriftsteller-Debüt und den ersten Band seiner Reihe um den ehemaligen Militärpolizisten veröffentlicht hat, der nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst meist per Anhalter und mit leichtem Gepäck durch die USA reist, legt Child im zuverlässigen Jahrestakt einen neuen Band seiner Erfolgsreihe vor. 
„Der Sündenbock“ ist dabei nicht nur das bereits 25. Abenteuer von Jack Reacher, sondern auch das erste, das Lee Child (der mit bürgerlichem Namen James Dover Grant heißt) mit seinem jüngeren Bruder Andrew Child verfasst hat, der wiederum unter seinem richtigen Namen Andrew Grant bereits eigenständige Romane veröffentlichte. 
Jack Reacher hat in einer Bar in Nashville gerade (unter angemessener Gewaltanwendung) dafür gesorgt, dass eine Band, die dort gespielt hat, auch ihr mit dem Besitzer ausgehandeltes Honorar erhält, lässt er sich von einem Versicherungsvertreter im Auto in eine Kleinstadt bei Pleasentville mitnehmen, wo er auf der Suche nach einem Coffeeshop beobachtet, wie mehrere Typen versuchen, einen jungen Mann in ihre Gewalt zu bringen. 
Reacher entschärft die Situation auf gewohnte Weise und erfährt, dass es sich bei dem Mann, dem er aus der Klemme geholfen hat, um Rusty Rutherford handelt, einen bei der Stadt angestellten IT-Experten, den man fristlos entlassen hat, weil er dafür verantwortlich gemacht wird, dass die komplette Infrastruktur der Stadt lahmgelegt werden konnte und Hacker ein millionenschweres Lösegeld fordern. Doch Reacher merkt sehr schnell, dass mehr hinter der Sache steckt. 
Detective Goodyear will Reacher sofort aus der Stadt haben, nachdem er in zwei Prügeleien verwickelt gewesen ist. Doch Reacher hat andere Pläne. Zusammen mit Rutherford und seiner Freundin Sarah Sands, mit der ein Programm entwickelt hat, das solche Hackerangreife abwehren soll, versucht Reacher herauszufinden, nach welchen Dokumenten die Erpresser suchen, die sich offensichtlich auf den Servern der Stadt befunden haben. Dabei stoßen sie auf einen Mann namens Klostermann, der im Zusammenhang mit dem Tod der Journalistin Toni Garza steht… 
„… an der Sache mit der Familiengeschichte war etwas faul. Dass er sie für seinen Sohn aufschreiben wollte. Ihm mit einer goldenen Schleife überreichen. Nein. Viel wahrscheinlicher war, dass die Familie eine Leiche im Keller hatte. Etwas Illegales. Etwas Peinliches. Etwas, das Klostermann begraben wollte. Oder umdeuten. Etwas, das zehntausend Dollar wert war, bloß damit er’s sehen durfte. War es auch Toni Garzas Leben wert? Oder das von Rutherford?“ (S. 216) 
Wenn man sich erst einmal mit der Prämisse angefreundet hat, dass Jack-Reacher-Romane stets damit beginnen, dass der hünenhafte Ex-Militärpolizist entweder per Anhalter oder per Bus irgendwo strandet, wo er instinktiv in eine so problematische Situation hineinmanövriert wird, dass nur seine profunden Erfahrungen als Ermittler zur Bereinigung des Problems führen, bekommt Lee Childs liebevoll als „Reacher Creatures“ bezeichnetes Publikum die gewohnte Mischung aus effizient inszenierter Action und sorgfältiger Ermittlungsarbeit geboten, die diesmal zwar die mittlerweile vertraute Hacker-Thematik als Ausgangspunkt aufweist, sich dann aber mit fortlaufender Handlung als Mischung aus Agenten-Hatz und Vertuschungsmanövern erweist. 
Viel Raum für ausgefeilte Charakterisierungen der Figuren bleibt bei dem handlungsgetriebenen Plot nicht, doch das Spannungslevel wird auf konstant hohem Niveau gehalten, wie es die Reacher-Fans lieben. Allerdings weist die Thriller-Reihe erste Ermüdungserscheinungen auf, was auch ein Grund dafür sein dürfte, dass Lee Child seinen jüngeren Bruder nicht nur als Co-Autoren ins Boot geholt hat, sondern ihm mittelfristig auch ganz das Zepter für die Fortsetzungen übergeben will. 

Lee Child – (Jack Reacher: 24) „Die Hyänen“

Donnerstag, 4. August 2022

(Blanvalet, 414 S., HC) 
Der ehemalige Elite-Militärpolizist Jack Reacher ist mal wieder mit dem Greyhound-Bus unterwegs, diesmal auf der Interstate, gut siebzig Kilometer von einer namenlosen Stadt mit ungefähr einer halben Million Einwohnern entfernt. Vor ihm bemerkt Reacher einen ca. siebzig Jahren alten Mann, der auf seinem Sitz schläft und aus dessen Jacke ein Umschlag mit Bargeld ragt, auf den es offensichtlich ein junger schlaksiger Kerl direkt vor Reacher abgesehen hat. 
Als der alte Mann aus dem Bus steigt, behält Reacher ihn im Auge und kann im letzten Moment verhindern, dass der gebrechliche alte Mann um sein Geld gebracht wird. Er erfährt, dass der Mann namens Aaron Shevick bis um 12 Uhr in einer Bar 22.500 Dollar abliefern muss, die er und seine Frau Maria sich für die Behandlung ihrer krebskranken Tochter Meg bei einem örtlichen Kredithai geliehen hatten. Doch der Mann, dem Shevick das Geld übergeben soll, lässt sich durch den Barkeeper auf 18 Uhr vertrösten. 
Reacher begleitet Shevick erst nach Hause und kehrt mit ihm um 18 Uhr zur Bar zurück, wo allerdings ein anderer Mann an dem üblichen Tisch sitzt. Reacher gibt sich für Shevick aus, bezahlt dem neuen Mann nur einen Bruchteil der Summe, die die Shevicks den Albanern geschuldet haben, und gerät unversehens zwischen die Fronten von zwei Mafia-Clans aus Albanien und der Ukraine. Gregory, der Boss der ukrainischen Mafia, hat seinen albanischen Kollegen Dino darüber informiert, dass sein Spitzel bei der örtlichen Polizei auf eine Liste gestoßen sei, auf der vier vertrauenswürdige Informanten des Police Departments aufgeführt seien, jeweils zwei aus albanischen und ukrainischen Reihen. Gregory habe seine beiden Leute bereits liquidiert. Doch als Reacher in einer Bar auf die falschen Leute trifft, gerät das Machtgleichgewicht zwischen den Clans ins Wanken. Mit Hilfe der taffen Bedienung Abby findet Reacher für die Nacht einen Unterschlupf, doch als er den Shevicks zu einem weiteren Kredit verhilft, muss er zwangsläufig die Reihen beider Clans lichten, die zunächst vermuten, dass die Russen das Revier übernehmen wollen… 
„Das hatte er schon früher getan. Alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen. Auch nach zehntausend Generationen funktionierte sein Instinkt noch immer zuverlässig. Er hatte alles riskiert und war lebend davongekommen. Außerdem sah er die Sache relativ gleichmütig. Niemand lebte ewig. Aber war er bereit, auch Abbys Leben zu verwetten?“ (S. 275) 
Nahezu pünktlich wie ein Uhrwerk liefert Lee Child seit 1997 jedes Jahr einen neuen Roman um seinen Protagonisten Jack Reacher, einen hünenhaften, kräftig gebauten Mann, der nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst, den er überall auf der Welt abgeleistet hatte, heimatlos durch die USA streift, meist nur mit einer Zahnbürste im Gepäck. 
In seinem bereits 24. Abenteuer verschlägt es Reacher also in eine namenlose Stadt, die klar abgegrenzt von zwei Mafia-Clans beherrscht wird. Das Setting ist wieder außergewöhnlich. Reacher eilt einem hilflosen Mann zur Hilfe, legt sich mit beiden Mafia-Clans an, und während er sukzessive seinen Häschern einen Schritt voraus ist, haben weder die Albaner noch die Ukrainer eine Ahnung, wer da in ihren Machenschaften herumpfuscht. Lee Child fokussiert die Story ganz auf die Konfrontation zwischen den beiden Mafia-Clans einerseits und Reachers Vorgehen gegen die Kriminellen andererseits. Das wirkt zunächst wie ein Planspiel, bei dem die normale Welt völlig ausgeblendet wird. Als Außenstehende kommen nur noch Abbys Musikerfreunde Hogan und Barton sowie der mit osteuropäischen Sprachen vertraute Vantresca ins Spiel, was die ungleiche Ausgangslage etwas glaubwürdiger gestaltet. 
Der Plot ist wie bei Child gewohnt schön knackig und spannend inszeniert, wobei seine klar strukturierte Sprache mit kurzen Sätzen das Tempo entsprechend unterstützt. Die Sympathien sind natürlich schnell verteilt, so dass die Leser gar nicht umhin können, Reacher und seinen Helfern die Daumen zu drücken. Da die Action so stark im Vordergrund steht, nimmt sich Child allerdings wenig Zeit für die Figurenzeichnung. Gerade die Beziehung zwischen Reacher und Abby, aber auch die Familiengeschichte der Shevicks hätte mehr Raum zur Ausgestaltung verdient gehabt. 
Wer allerdings straff inszenierte Action ohne große Überraschungen und Wendepunkte zu schätzen weiß, ist mit diesem Action-Thriller bestens bedient.  

Lee Child – (Jack Reacher: 23) „Der Spezialist“

Montag, 16. August 2021

(Blanvalet, 446 S., HC) 
Seit seinem Roman- und damit gleichzeitig auch seinem Jack-Reacher-Debüt „Größenwahn“ hat sich der Brite Lee Child bereits Ende der 1990er als Bestseller-Autor etabliert. Auch nach über 20 Jahren und ebenso vielen Fällen gelingt es Child auf bemerkenswerte Weise, immer neue Plots aus dem Hut zu zaubern, die das Herz eines jeden Thriller-Fans und vor allem der Jack-Reacher-Fans höher schlagen lassen. Dabei beginnt sein 23. Abenteuer auf allzu vertraute Weise: Von einer kleinen Küstenstadt in Maine will Reacher per Anhalter eine diagonale Route nach Südwesten einschlagen, die ihn eventuell über Cincinnati, St. Louis und Albuquerque bis hinunter nach San Diego führt. Doch als er zu Beginn seines Trips auf den Wegweiser nach Laconia, New Hampshire, stößt, treibt ihn die Neugier dort hin, denn der Name ist Reacher von allen möglichen Dokumenten seiner Familiengeschichte bekannt. 
Es soll der Geburtsort seines längst verstorbenen Vaters Stan Reacher gewesen sein, der mit siebzehn zum Marine Corps gegangen war. Um mehr über seine familiären Wurzeln zu erfahren, lässt sich Reacher in einem kleinen Hotel nieder und versucht über das Archiv der Stadtverwaltung, nähere Informationen zu seinem Anliegen zu erhalten. So schnell er feststellen muss, dass sich die gewünschten Aufzeichnungen nicht so ohne weiteres einsehen lassen, gerät er auch in Schwierigkeiten. Als er nämlich eines Nachts um drei Uhr aufwacht wegen ungewöhnlicher Geräusche aufwacht und einer in Bedrängnis geratenen jungen Frau vor einem Rowdy rettet, den Reacher kurzerhand krankenhausreif schlägt, muss er mit Vergeltungsmaßnahmen rechnen, die der in zwielichtigen Kreisen agierende Vater des Jungen aus Boston bestellt. 
Währenddessen führen Reachers Recherchen zu einem Ort namens Ryantown, einer Ruine mitten in den Wäldern, die auch Schauplatz weitere außergewöhnlicher Ereignisse ist. Hier haben Jack Reachers entfernter Verwandter Mark und seine Freunde ein Motel so hergerichtet, dass es den Startpunkt für ein ebenso exklusives wie mörderisches Abenteuer bildet. Mark und seine Crew halten nämlich das aus Kanada stammende Pärchen Patty Sundstrom und Shorty Fleck in Zimmer 10 gefangen, bis sechs Männer aus allen Teilen des Landes eingetroffen sind, um sich mit den beiden auf perfide Art zu vergnügen. 
„Die sechs Männer starrten sie weiter an. Offen, freimütig, gänzlich ohne Hemmungen. Von ihr zu ihm, von ihm zu ihr. Sie wogen ab, bewerteten und schätzten ein. Sie gelangten zu Schlussfolgerungen. Ein kleines Verziehen der Miene, das Befriedigung ausdrückte. Langsames Nicken bewies Anerkennung und Zustimmung. Aufblitzende Augen bewiesen Enthusiasmus.“ (S. 340) 
Interessant ist der Thriller „Der Spezialist“, der im Original treffender „Past Tense“ betitelt ist, vor allem wegen Reacher Spurensuche in eigener Sache. Wie der ehemalige Militärpolizist langsam, aber zielgerichtet seine eigene Familiengeschichte entschleiert, liest sich an sich schon wie ein Krimi, bei dem Reacher viele sympathische Kontakte knüpft. Nur wirkt der Zusammenstoß mit dem Sohn eines Gangsters in einer beschaulichen Kleinstadt wie Laconia doch arg unglaubwürdig, erhöht aber natürlich die Spannung und das Action-Level. 
Es vergeht ungewöhnlich viel Zeit, bis sich die parallel erzählte Geschichte von Patty und Shorty mit der von Reacher kreuzt. Hier zieht die Action noch mal ordentlich an, doch wirken die Ereignisse in dem abgelegenen Motel auch hanebüchen. Ärgerlich ist hier Childs Fortsetzung der analytischen Prozesse, die die Leser bislang ausschließlich von dem ehemaligen Ermittler bei der Militärpolizei kennen und die letztlich das Alleinstellungsmerkmal der Reacher-Romane darstellen. Doch mitten im Wald sind die Sägewerksangestellte und der Kartoffelbauer ebenso mit außergewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten ausgestattet, mit denen sie ihren Peinigern ordentlich zusetzen. 
So bietet „Der Spezialist“ zwar kurzweilige Thriller-Kost mit ungewöhnlichem Plot und interessanten Einblicken in Reachers Familiengeschichte, doch liegt der Roman eher im unteren Mittelfeld aller Reache-Romane.  

Lee Child – (Jack Reacher: 14) „61 Stunden“

Montag, 10. Mai 2021

(Blanvalet, 443 S., HC) 
Jack Reacher ist mal wieder unterwegs. An einer Raststätte zwischen Little Town on the Prairie und dem Dakotaland-Museum steigt er einem Bus zu, der eine Senioren-Reisegruppe aus Seattle auf Kulturreise zu Nationalparks, Prärien und Museen bis zum Mount Rushmore führen sollte. Doch in der Nähe der Kleinstadt Bolton, South Dakota, kommt der Bus von der verschneiten Fahrbahn ab, die Passagiere werden von der Polizei schließlich bei Privatleuten in Bolton untergebracht. 
Reacher erfährt, dass Bolton mit seinen über 12.000 Einwohnern deshalb größer ist als auf der Landkarte, weil es ein nagelneues Bundesgefängnis bekommen hat, an das das neue Staatsgefängnis angegliedert worden ist, so dass viele neue Jobs und Motels für die Besucher entstanden sind. 
Reacher kommt aber nicht dazu, die Zeit bis zur Weiterreise auszuspannen, sondern wird gleich vom überfordert wirkenden Polizeichef Holland eingespannt, nachdem er sich über dessen Hintergrund bei der Militärpolizei informiert hat. Die Polizei hat nämlich nicht nur den Mord an einem Anwalt aufzuklären, sondern auch die Kronzeugin im Prozess gegen den kleinwüchsigen mexikanischen Drogenboss Plato, die frühere Lehrerin und Bibliothekarin Janet Salter, zu beschützen. Holland und sein Stellvertreter, Andrew Peterson, rechnen damit, dass Plato jemanden nach Bolton entsandt hat, um die Kronzeugin auszuschalten, was durch einen Aufstand im Gefängnis ein leichtes Unterfangen wäre, denn der Notfallplan sieht vor, dass ausnahmslos alle Polizeikräfte beim Ertönen der Gefängnissirene dorthin auszurücken haben. 
Während Reacher zunächst die Gastfreundschaft von Peterson annimmt, zieht er am nächsten Tag ins gemütliche Haus der Kronzeugin um und versucht über seine Nachfolgerin beim 110th Special Unit in Rock Creek, Virginia, Susan „Amanda“ Turner, herauszufinden, was es mit der im Kalten Krieg erbauten und nun aufgegebenen Militäranlage auf sich hat, die überwiegend von Bikern benutzt wird. In den Tiefen dieser Anlage scheint das Geheimnis verborgen zu sein, warum es Plato nach Bolton zieht … 
„Vor Reachers Augen stand ein verrücktes Diagramm, das dreidimensional explodierte: Raum, Zeit und Entfernung. Überall in der Stadt waren Cops unterwegs, bewegten sich willkürlich nach Norden, Süden, Osten, Westen, fuhren auf Hollands Anweisung zur Polizeistation, hörten alle die Sirene, änderten sofort ihre Richtung, auch Salters sieben Bewacher stürzten in die Nacht hinaus, verstärkten die allgemeine Verwirrung, rasten in Richtung Gefängnis davon und ließen Janet Salter schutzlos zurück.“ (S. 351) 
Es ist immer wieder erstaunlich, wie Lee Child seinen mittlerweile auch im Film durch Tom Cruise verkörperten Protagonisten Jack Reacher aus der mittlerweile allzu vertrauten Grundsituation des ohne Gepäck reisenden Anhalters in ständig neue Ausnahmesituationen gerät, die er mit militärischer Präzision aufzulösen versteht. 
In seinem bereits 14. Abenteuer bietet die unter eisigen Temperaturen leidende Kleinstadt Bolton eine ungewöhnliche Kulisse für die Probleme, die Reacher zusammen mit Holland und dessen mutmaßlichen Nachfolger Peterson zu lösen hat, wobei der immer wieder von 61 Stunden runtergezählte Countdown unnötigerweise das Tempo vorgibt, bis Plato seine Operation nahe der stillgelegten Militäranlage vollendet. Ein überschaubares Ensemble, die Suche nach einem Verräter in den eigenen Reihen, die sogar leicht sinnlich aufgeladenen Telefonate zwischen Reacher und seiner Nachfolgerin und Platos Organisation reichen aus, um einen temporeichen, allerdings auch arg vorhersehbaren Plot zu kreieren, der einen immer wieder sensiblen, verletzlichen Reacher zeigt, der allerdings im richtigen Moment zu alter Durchschlagskraft zurückfindet. 
Am interessantesten gestaltet sich dabei die rein telefonische Kommunikation zwischen Reacher und Susan Turner, die auch sehr persönliche Aspekte zur Sprache bringt und in späteren Reacher-Romanen zum Glück ihre Fortsetzung findet.  

Lee Child – (Jack Reacher: 13) „Underground“

Mittwoch, 25. November 2020

(Blanvalet, 446 S., HC) 
Jack Reacher, ehemaliger Militärpolizist in der 110th Investigative Unit der US-Army, ist in New York mit dem 6 Train um zwei Uhr morgens stadtauswärts unterwegs, als er gewohnheitsmäßig die übrigen Passagiere in Wagen 7622 abscannt und bei einer weißen Frau in den Vierzigern die 12-Punkte Liste zum Erkennen von Selbstmordattentätern durchgeht, die einst die israelische Spionageabwehr entwickelt hat. Reacher macht einige der relevanten Punkte bei der in Schwarz gekleideten Frau aus und entschließt sich, sie anzusprechen, sie zu bitten, die Hände aus den Taschen zu nehmen, worauf sie allerdings eine Waffe zieht und sich in den Kopf schießt. Bei den anschließenden Ermittlungen ist nicht nur das NYPD, sondern vor allem der Geheimdienst im Spiel. Der geht davon aus, dass die Frau, die als Susan Ward identifiziert wird und als Zivilangestellte in der Personalabteilung der United States Army gearbeitet hat. Bei dem Verhör, das sich Reacher durch den nicht näher definierten Geheimdienst unterziehen muss, fallen verschiedene Namen wie Lila Hoth und John Samson. 
Der Kongressabgeordnete aus North Carolina will Senator werden und hat eine glänzende Karriere bei den Special Forces hinter sich. Reacher gibt sich in jeder Hinsicht unwissend, vor allem gegenüber der ausgesprochenen Vermutung, dass Susan Mark ihm etwas übergeben haben muss, einen USB-Stick zum Beispiel. Reacher macht sich schließlich selbst auf die Suche nach dem Motiv, das Susan Mark in den Selbstmord getrieben hat, und macht nicht nur Bekanntschaft mit dem angehenden Senator, sondern auch mit der auffallend schönen Lila Hoth und ihrer angeblichen Mutter Swetlana, die Reacher Pässe aus der Ukraine vorlegen und ihm eine Geschichte auftischen, die mit dem Einsatz der Sowjets in Afghanistan und der Beteiligung von Samson zu tun hat. 
Mit Unterstützung der engagierten NYPD-Beamten Theresa Lee deckt Reacher nach und nach die wahren Hintergründe eines Einsatzes auf, das in Form eines Fotos auf dem gesuchten USB-Stick eine explosive Wirkung nach sich ziehen würde … 
„Ich erinnerte mich an alles, was sie gesagt hatten, wie ein Schreiner mit der Handfläche über gehobeltes Holz fährt, um raue Stellen auszumachen. Es gab ein paar. Es gab seltsame Halbkommentare, eigenartige Nuancen, nicht weiter erklärte Andeutungen. Ich konnte nichts mit ihnen anfangen. Noch nicht. Aber allein die Tatsache, dass ich von ihrer Existenz wusste, war bereits nützlich.“ (S. 233) 
Mit dem ehemaligen hochdekorierten Militärpolizisten Jack Reacher hat Lee Child einen charismatischen Ermittler erschaffen, der nach dreizehn Jahren im Dienst der Army ohne festen Wohnsitz und nur mit den Sachen, die er am Leib trägt wahllos durch die Staaten zieht und dabei regelmäßig in Situationen gerät, bei denen seine ausgeprägte Beobachtungsgabe und analytischen Fähigkeiten seine Intervention für die gute Sache erfordern. 
In dem 2009 veröffentlichten 13. Reacher-Roman „Gone Tomorrow“, der drei Jahre später auch hierzulande mit dem passenden Titel „Underground“ erschien, wird die allgegenwärtige Gefahr durch den Terrorismus zum grundlegenden Thema, um das sich herum Politiker, Polizisten, Geheimdienste und - natürlich – Jack Reacher auf die Suche nach einem geheimnisvollen USB-Stick machen, der sowohl dem ambitionierten Kongressabgeordneten als auch fundamentalistischen Kräften Schaden zufügen konnte. So packend die Story um die Selbstmordattentäterin beginnt, verliert der Plot allerdings mit den sich in die Länge ziehenden Verhören und Streitigkeiten zwischen NYPD und Geheimdiensten, Reachers mühselig gewonnenen Erkenntnissen an Reiz zu verlieren. 
Lee Child hat sich stets als Meister der detaillierten Beschreibung und Analyse erwiesen, mit denen sein imponierend aussehender Held seine Umgebung erfasst, allerdings schießt er dabei in „Underground“ etwas übers Ziel hinaus. Erst zum Finale hin, wenn Reacher sich als Einzelkämpfer gegen eine ganze Truppe bewaffneter Terroristen durchpflügt und dem wahren Kern der ganzen Lügengeschichten näherkommt, findet Child zu gewohnter Stärke zurück. Nichtsdestotrotz bleiben sowohl die Story selbst als auch die nur rudimentär charakterisierten Personen im Vergleich zu anderen Reacher-Romanen sehr blass. 

Lee Child – (Jack Reacher: 22) „Der Bluthund“

Donnerstag, 6. August 2020

(Blanvalet, 447 S., HC) 
Nach drei gemeinsamen Tagen in Milwaukee trennen sich die Wege von Jack Reacher und Michelle Chang. Während Chang, die sich mit Reachers langjährigem Nomadentum nicht anfreunden kann, zurück nach Seattle fährt, schnappt sich der ehemalige Top-Ermittler der Militärpolizei seine Zahnbürste und nimmt den nächstbesten Bus, der ihn in Richtung Nordwesten bringen würde. Bei einer Pinkelpause in der trübseligen Kleinstadt Rapid City entdeckt Reacher im Schaufenster eines Leihhauses den auffällig kleinen Ring einer West-Point-Absolventin des Jahres 2005. 
Reacher ist sich sicher, dass dieser Ring nur aus der Not heraus in diese Pfandleihe gelangt ist, legt vierzig Bucks auf den Tisch und macht sich auf die Suche nach der Geschichte hinter diesem Ring. Der einzige Anhaltspunkt sind die in den Ring eingravierten Initialen S.R.S. Vom Pfandleiher erfährt der hünenhafte Hobby-Ermittler, dass er den Ring vor ein paar Wochen mit anderen Schmuckstücken von einem Mann namens Jimmy Rat gekauft hat. 
Eine Schlägerei mit sieben Bikern später hat Reacher auch dessen Kontaktmann ausfindig gemacht: Arthur Scorpio. Hinter dem sind die Cops bereits einige Zeit her. Auch Detective Gloria Nakamura ist mit der Überwachung des Dealers betraut, nur konnte dem Mann, der in der Stadt einen Waschsalon betreibt, bislang nichts nachgewiesen werden. 
Vom Superintendenten in West Point erfährt Reacher, dass sich hinter den Initialen der Name Serena Rose Sanderson verbirgt, die nach fünf Kampfeinsätzen im Irak und in Afghanistan offensichtlich verletzt worden ist und nun nicht mehr auffindbar ist. Ihre wohlhabende Zwillingsschwester Tiffany Jane Mackenzie hat den ehemaligen FBI-Agenten Terrence Bramall, der sich als Privatdetektiv auf das Aufspüren vermisster Personen spezialisiert ist, engagiert. Mit vereinten Kräften machen sich Reacher, Bramall und Mackenzie auf die Suche nach Serena Rose und stoßen mit ihren Ermittlungen in ein Wespennest einer nahezu perfekten Organisation, die mit Betäubungsmitteln handelt und alles daran setzt, sich von Reacher und seinen Leuten nicht die Suppe versalzen zu lassen … 
„Reacher war kein abergläubischer Mann. Er hielt auch nichts von geistigen Höhenflügen oder plötzlichen Vorahnungen oder Existenzängsten jeglicher Art. Aber er wachte bei Tagesanbruch auf und blieb noch im Bett. Er hatte keine Lust, sich zu bewegen. Er stützte sich auf einen Ellbogen und betrachtete seinen Schatten in dem Spiegel an der Wand gegenüber. Eine entfernte Gestalt. Einer dieser Tage. Nicht nur eine militärische Sache. Auch viele andere Berufe kannten dieses Gefühl. Manchmal wachte man auf und wusste bestimmt – geschichtlich bedingt, aus Erfahrung und resignierter Intuition -, dass der eben angebrochene Tag überhaupt nichts Gutes bringen würde.“ (S. 274) 
Seit 1997 liefert Lee Child eigentlich jedes Jahr einen neuen Roman um seinen beliebten Helden Jack Reacher, den Hollywood-Star Tom Cruise bereits zweimal auf der Leinwand verkörpern durfte. So ungewöhnlich Reachers Karriere beim 110th MP verlief, bildet seine Entscheidung, nach seiner ehrenhaften Entlassung keiner geregelten Arbeit nachzugehen und ohne festen Wohnsitz und sonstige Besitztümer einfach durch quer die Staaten zu trampen oder mit Bus und Zug zu reisen, die Grundlage für seine privaten Engagements. In dem mittlerweile 22. Band der Bestseller-Reihe zieht also ein West-Point-Ring und die offensichtlich tragische Geschichte hinter seinem Weg in die Pfandleihe seine Aufmerksamkeit auf sich. Nach der fast schon obligatorischen kämpferischen Auseinandersetzung mit zahlenmäßig überlegenen, Reacher aber in jeder anderen Hinsicht nicht gewachsenen Kleinganoven entwickelt Lee Child einen ebenso packenden wie komplexen Plot, in dem Reacher ausnahmsweise mal nicht im Alleingang oder mit Unterstützung einer ebenso taffen wie hübschen Frau den bösen Jungs auf der Spur ist, sondern sich gleich auf mehrere durchaus kompetente Begleiter verlassen kann. Vor allem die taktischen und strategischen Überlegungen, die er mit dem Ex-FBI-Agenten Bramall anstellt, machen in knackigen Dialogen deutlich, wie die routinierten Ermittler gegen das raffiniert organisierte Netz von Dealern vorgehen und sich der eigentlichen Besitzerin des West-Point-Ringes annähern. Dabei rückt schließlich das Verhältnis zwischen den beiden Zwillingsschwestern zunehmend in den Vordergrund und verleiht „Der Bluthund“ eine für Childs Verhältnisse ungewöhnlich menschliche Note. Überhaupt zeigt sich der frühere Produzent von Fernsehserien wie „Brideshead Revisited“, „The Jewel in the Crown“ und „Prime Suspect“ in seinem neuen Roman wieder auf der Höhe seines Schaffens, nachdem hin und wieder schon Ermüdungserscheinungen in seinen letzten Werken auszumachen gewesen sind. 
Zwar macht es Child zum Finale hin etwas arg kompliziert, aber „Der Bluthund“ zählt nicht nur fraglos zu den spannendsten und vielschichtigsten Romanen der Reihe, sondern thematisiert auch die fragwürdige Art und Weise, wie in den USA mit schwer verletzten Kriegsveteranen umgegangen wird. 

Lee Child – (Jack Reacher: 12) „Outlaw“

Sonntag, 17. Mai 2020

(Blanvalet, 447 S., HC)
Seit seiner ehrenhaften Entlassung aus dem Militärdienst hat Jack Reacher es sich zur Aufgabe gemacht, nur mit den Sachen, die er am Leib trägt, durch die Vereinigten Staaten zu ziehen. Da er weder über einen festen Wohnsitz noch über einen fahrbaren Untersatz verfügt, ist er meist mit dem Bus oder zu Fuß per Anhalter unterwegs. Momentan hat er es sich in den Kopf gesetzt, den nordamerikanischen Kontinent von Calais, Maine, diagonal bis nach San Diego in Kalifornien zu durchqueren. Als er etwas vom Kurs abkommt, landet er auf einer Straße, die die beiden Gemeinden Hope und Despair – Hoffnung und Verzweiflung – voneinander trennt.
Reacher entscheidet sich, ins Zentrum von Despair zu marschieren, wird aber alles andere als herzlich empfangen. Er will in dem einzigen Restaurant der Stadt nur einen Kaffee trinken, wird aber von vier Männern sehr bestimmt dazu aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Als er sich weigert, wird er wegen Landstreicherei angezeigt und muss mit dreißig Tagen Haft rechnen, sollte er nicht aus Despair verschwinden. Doch Reacher geht nicht nur seine Freiheit über alles, sondern folgt auch stets seinem Instinkt, der ihm sagt, dass hier etwas faul ist. Auf dem Weg nach Hope wird Reacher von Vaughan, einer Polizistin vom Hope Police Department, aufgegriffen und erfährt von ihr nähere Einzelheiten zu seiner bestätigten Vermutung, dass Despair eine Firmenstadt ist, die ganz in der Hand des Industriellen und Laienpredigers Thurman liegt. Er unterhält eine riesige Metallrecyclinganlage, die aber mehr als nur Metallschrott zu verarbeiten scheint.
Die außergewöhnlichen Sicherheitsvorkehrungen in der Anlage, der nahe gelegene Militärstützpunkt und das Auftauchen und Verschwinden junger weißer Männer bestärken Reacher in dem Gefühl, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht. Zusammen mit der attraktiven, allerdings verheirateten Polizistin wirbelt Reacher mächtig Staub in Despair auf und kommt nicht nur gefährlichen Endzeit-Phantasien auf die Spur, sondern auch einem Umschlagspunkt für desertierte Soldaten auf dem Weg nach Kanada. Obwohl Reacher als Ermittler bei der Militärpolizei auch dafür zuständig gewesen war, Deserteure zur Rechenschaft zu ziehen, hat er mittlerweile großes Verständnis für sie.
„Ich habe alles getan, was von mir verlangt wurde, und gesehen, wie Zehntausende von Kerlen das Gleiche getan haben. Und wir haben es im Grunde unseres Herzens gern getan. Ich meine, wir haben genörgelt und gemeckert und geschimpft, wie es Soldaten immer tun, aber wir waren mit dem Deal einverstanden. Weil Pflichterfüllung ein Geschäft auf Gegenseitigkeit ist, Vaughan. Keine Einbahnstraße. Wir schulden ihnen etwas, sie schulden uns etwas. Und was sie uns schuldig sind, ist ein feierliches Versprechen, unser Leben und unsere Unversehrtheit nur aus verdammt guten Gründen aufs Spiel zu setzen. Meist beurteilen sie die Lage ohnehin falsch, aber wir möchten das Gefühl haben, es geschehe in gutem Glauben. Wir möchten ihnen wenigstens ein bisschen vertrauen können. Und das alles hat sich jetzt verflüchtigt. Jetzt geht’s nur noch um politische Eitelkeiten und Stimmenwerbung.“ (S. 387) 
Lee Childs 12. Roman um seinen mittlerweile durch Hollywood-Star Tom Cruise auch verfilmten Protagonisten Jack Reacher entstand 2008, als sich die zweite Amtszeit des US-Präsidenten George W. Bush ihrem Ende neigte. Schließlich hat Bush nicht nur nach den Terroranschlägen vom 11.09.2001 den Krieg gegen Afghanistan, sondern auch den höchst umstrittenen Irakkrieg ins Leben gerufen, der fast 5000 getötete und über 40.000 verletzte US-Soldaten nach sich zog. Reacher macht durch sein für ihn ungewöhnlich flammendes Plädoyer mehr als deutlich, was er von der politischen Führung seines Landes hält, und weiht deshalb Vaughan nicht immer in seine Vorhaben ein. Schließlich hat sie ihre eigenen Erfahrungen mit dem Irakkrieg machen müssen und leidet nach wie vor unter den Folgen.
Doch Lee Child setzt sich nicht nur mit den Folgen des Irakkriegs auseinander, die vor seinen Augen die Form von Metallverarbeitung von zerschossenen Militärfahrzeugen aus dem Irak annehmen, sondern auch mit den damit zusammenhängenden Desertationen junger Soldaten und religiösen Wahnvorstellungen. Dabei kommt „Nothing to lose“ – so der weitaus treffender Titel der Originalausgabe – ungewöhnlich schwer in Gang und präsentiert die typischen Versatzstücke aus Jack-Reacher-Romanen nur in leicht abgewandelten Konstellationen. Dazu zählen verschiedene Situationen, in denen sich Reacher gegen zahlenmäßig überlegene Feinde im Kampf bewähren muss und mit seiner weiblichen Begleitung eine kurze Affäre beginnt. Allerdings bekommen die Figuren dabei kaum ein erkennbares Profil, wirkt der Plot zu stark konstruiert und wenig glaubwürdig.
Erst zum Finale hin nimmt „Outlaw“ an Fahrt auf, dokumentiert, warum Reacher so ein begnadeter Ermittler mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn ist, und endet mit einem riesigen Knall.
Selbst eingeschworene Reacher-Fans dürften diesem kruden Mix wenig abgewinnen können.
Leseprobe Lee Child - "Outlaw"

Lee Child – (Jack Reacher: 21) „Der Ermittler“

Sonntag, 8. Dezember 2019

(Blanvalet, 413 S., HC)
Nach seinem Einsatz auf dem Balkon, wo er zwei Männer, die militärische Geheimnisse hätten verraten können, aufgespürt und mit einem Kopfschuss liquidiert hatte, wird Jack Reacher „für außergewöhnlich verdienstvolles Verhalten zum Vorteil der Vereinigten Staaten in wichtiger, verantwortlicher Position“ mit seiner zweiten Legion of Merit ausgezeichnet. Sein nächster Auftrag gestaltet sich aber weitaus schwieriger, wie der Major mit zwölf Jahren Diensterfahrung von seinem Vorgesetzten General Garber erfährt. Zusammen mit Casey Waterman vom FBI und John White von der CIA wird der Ermittler der Militärpolizei vom Nationalen Sicherheitsberater Alfred Ratcliffe auf eine Mission vorbereitet, die Reacher nach Hamburg führt, wo drei Saudis und ein Iraner seit einem Jahr eine Schläferzelle bilden. Der Iraner fungiert dabei als Spitzel, der von der CIA aus dem amerikanischen Generalkonsulat in Hamburg geführt wird. Der Besuch eines weiteren Saudis sorgt für Unruhe, denn sein Ausgangsstatement, dass der Amerikaner hundert Millionen Dollar will, deutet zweifellos darauf hin, dass mit diesem Geld ein Terroranschlag von ungeheuren Ausmaßen finanziert werden soll.
Reacher nimmt mit der besten Ermittlerin, die er kennt, Sergeant Frances Neagley, in Hamburg die Spurensuche auf, wenig später folgt ihnen auch Ratcliffes attraktive Stellvertreterin Dr. Marian Sinclair. Sie hoffen, dass sie etwas Zeit haben, um herauszufinden, wer diese unvorstellbar hohe Summer verlangt und was er dafür den Käufern bietet. Mit der Unterstützung vom Hamburger Kripochef Griesmann können die Amerikaner schließlich einen einfachen amerikanischen Soldaten als Verkäufer identifizieren sowie ein mächtiges Netzwerk Deutschnationaler, die ihr Land den Deutschen zurückzugeben beabsichtigen.
Dass deren Beziehungen bis in die obersten deutschen Polizeikreise reichen, macht die Arbeit für Reacher und seine Kollegen nicht einfacher, und körperliche Auseinandersetzungen lassen sich ab einem bestimmten Punkt der Ermittlungen nicht mehr vermeiden.
„Er durfte gehen, und sie würden ihm folgen. Was bedeutete, dass der Kampf draußen stattfand. Falls es zu einer Schlägerei kam, was nicht sicher war. Was Alter und Gewicht betraf, lagen die meisten dieser Leute über dem Durchschnitt. Da waren Herzanfälle vorprogrammiert. Für die meisten war Zurückhaltung wohl besser als Tapferkeit. Die wenigen Ausnahmen machten Reacher keine Sorgen. Sie wären jünger und etwas besser in Form, aber letztlich doch harmlose Büroangestellte. Reacher war ein guter Straßenkämpfer. Vor allem auch, weil er Spaß daran hatte.“ (S. 221) 
Um etwas Abwechslung in die mittlerweile doch arg in die Jahre gekommene Serie um den charismatischen Ermittler der Militärpolizei der United States Army zu bringen, nimmt uns Autor Lee Child zurück in Reachers aktive Laufbahn, als der Mittdreißiger auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn steht und im Jahr 1996 nach Deutschland geschickt wird, um ein internationales Terrornetzwerk auffliegen zu lassen. Natürlich hat Child dabei die Umstände aufgegriffen, dass in Deutschland einige Attentäter von 9/11 vor ihrem Einsatz in Deutschland verweilten. Dazu hat er Hamburg als außergewöhnlichen Handlungsort ausgewählt, beschreibt die Hansestadt als Tor zur Welt, als Zentrum neonazistischer Tendenzen und sexueller Perversionen. So spannend der Autor die Jagd nach dem amerikanischen Verräter und dessen Handelsobjekt inszeniert, so klischeebehaftet stellt er die Deutschen als tumbe Neonazis dar, die ihre eigenen, missgeleiteten Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg ziehen und an einer neuen Weltordnung wirken.
Immerhin stellt Child seinem Helden mit Kripochef Griesmann einen kompetenten Mann zur Seite, davon abgesehen bleibt das Figurenensemble recht eindimensional. Dass Reacher mit seiner Vorgesetzten eine Affäre beginnt, trägt nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit des Plots bei. Von diesen Ärgernissen abgesehen, bietet „Der Ermittler“ aber gewohnt souverän inszenierte Thriller-Spannung, die sich zwar nicht mit den besten Reacher-Romanen messen kann, aber die Fangemeinde doch kurzweilig zu unterhalten versteht.
Leseprobe Lee Child - "Der Ermittler"

Lee Child – (Jack Reacher: 10) „Way Out“

Samstag, 10. August 2019

(Blanvalet, 448 S., HC)
Jack Reacher, ehemals hochdekorierter Ermittler bei der Militärpolizei ohne festen Wohnsitz, fahrbaren Untersatz und mit gerade soviel Kleidung ausgestattet, wie er am Leib tragen kann, weiß guten Kaffee zu schätzen. Aus diesem Grund bricht er mit seiner eigenen Regel, sich innerhalb von 24 Stunden niemals am selben Ort blicken zu lassen, und genießt an zwei aufeinanderfolgenden Abenden einen wunderbaren Espresso in einem Café auf der Westseite der Sixth Avenue in New York City. Am ersten Abend bemerkt er einen Mann, der zielstrebig auf eine viertürige Mercedes-Limousine im Parkverbot zugeht, in den Wagen hineinsteigt und davonfährt. Als am darauffolgenden Abend ein Ex-SAS-Agent namens John Gregory auf ihn zukommt und sich nach Reachers Beobachtungen erkundigt, lernt Reacher wenig später Edward Lane kennen, Geschäftsführer von Operational Security Consultants. Von ihm erfährt Reacher, dass seine Frau Kate und ihre Tochter Jade vor über 24 Stunden entführt worden ist und Reacher die Abholung des Lösegeldes in Höhe von einer Million Dollar beobachtet habe.
Lane ist von Reachers Beobachtungsgabe und offensichtlichen Ermittler-Qualitäten beeindruckt und engagiert ihn, vor allem die Entführten und natürlich die Entführer aufzuspüren. Wie Reacher erfährt, ist bereits Lanes erste Frau Anne vor fünf Jahren entführt und getötet worden. Reacher soll eine Million Dollar als Erfolgsprämie erhalten, doch nimmt er den Job weniger wegen Lane oder der Belohnung an, sondern wegen der wunderschönen Frau und dem Mädchen, die er auf einem eindrucksvollen Portrait gesehen hat. Als Reacher mit seiner Arbeit beginnt, lernt er die Schwester der verstorbenen Anne Lane kennen, Patti Joseph, die Reacher gegenüber behauptet, dass Lane Anne ermorden ließ, dafür aber keine Beweise habe, weshalb sie mit dem Polizisten Brewer und der Privatdetektivin Laura Pauling Lane beobachtet.
Pauling war als FBI-Agentin damals mit der Entführung Anne Lanes befasst und gibt sich nach wie vor die Schuld für den Tod der Frau. Als Reacher mit Pauling die Suche nach Kate Lane und ihrer Tochter beginnt, kommen sie sehr schnell dahinter, dass es sich bei den Entführern um einen Insider handeln muss. Doch Reacher und Pauling sind sich unsicher, ob Lane nicht auch diesmal eine Entführung vortäuscht, um seine Frau ermorden zu lassen …
„Er mochte Termine. Er mochte es, ein Problem kurzfristig lösen zu müssen. Er mochte es, in ruhiger Umgebung arbeiten zu können. Und er mochte es, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der wie er dachte. Deshalb bezweifelte er anfangs nicht im Geringsten, dass Pauling und er es schaffen würden, den Fall bis zum nächsten Morgen zu lösen.
Dieses Gefühl hielt ungefähr eine halbe Stunde lang an.“ (S. 261) 
Es ist ein längst bewährtes Konzept, mit Lee Child seinen Helden Jack Reacher quasi zufällig in brisante Situationen manövriert, in die kein normal Sterblicher geraten würde. Seit dem Ende seiner Militärzeit vor sieben Jahren lässt sich Reacher einfach durch die USA treiben, und der Leser erfährt weder, wie Reacher zu Beginn einer Romanhandlung da gelandet ist, wo die Probleme, die nur Reacher lösen kann, ihren Anfang nehmen, noch wohin er nach Erledigung seiner Mission verschwindet. Der Autor, der während seiner langjährigen Zeit beim Fernsehen gelernt hat, kurz und prägnant zu schreiben, lässt Reacher und der Leserschaft nicht viel Zeit für eine Einführung. Stattdessen wird der hochintelligente Ex-Militärcop gleich in einen Entführungsfall verwickelt, der durch seine Verbindung zum Söldner-Milieu schnell eine eigene Dynamik entwickelt und bei dem nichts so zu sein scheint, wie Entführungen normalerweise verlaufen. Schließlich lernt Reacher während seiner Ermittlungen einige Leute kennen, die ihn auf die besonderen Umstände hinweisen, die bei der Entführung von Lanes erster Frau zu deren Tod geführt haben, so dass Reacher die berechtigte Sorge umtreibt, dass auch Kate und Jade ein solches Schicksal beschieden sein könnte. Lee Child gelingt es, den Plot von Beginn an packenden Plot mit genügend Wendungen auszustatten, dass lange Zeit unklar bleibt, wohin die Reise geht, und selbst Reacher gelangt zu fatalen Fehlschlüssen, die er erst in einem dann doch wieder vorhersehbaren Showdown geradebiegen kann. Mit Laura Pauling bekommt Reacher auch noch eine attraktive Weggefährtin zur Seite gestellt, mit der natürlich auch ins Bett steigt und die ihm als Stichwortgeber für die weitere Vorgehensweise bei dem Fall dienen darf. Außerdem wird einerseits die Praxis thematisiert, wie das Pentagon private Sicherheitsorganisationen wie hier die OSC engagiert, um weltweit in Krisengebieten zu den gewünschten Ergebnissen zu kommen, wobei für die Söldner nur das Geld zählt, nicht die moralische Rechtfertigkeit für die Mission.
Dagegen wird Reacher nach wie vor von einem starken Gerechtigkeitsbedürfnis geleitet, weshalb es ihm hier nicht schwerfällt, die Seiten zu wechseln, sobald er erkennt, auf welcher Seite die Bösen stehen. Er macht schließlich ganz zu Anfang schon klar, dass es ihm um Kate und Jade geht, nicht um seinen Auftraggeber oder die Belohnung.
„Way Out“ zählt vielleicht nicht zu den stärksten Romanen der Reacher-Reihe, sorgt mit interessanten Wendungen und knallharter Action aber für den gewohnt kurzweiligen Spannungs-Faktor und Lesegenuss.
Leseprobe Lee Child - "Way Out"

Lee Child – (Jack Reacher: 20) „Keine Kompromisse“

Donnerstag, 18. Juli 2019

(Blanvalet, 446 S., HC)
Jack Reacher ist mal wieder unterwegs, diesmal nicht per Anhalter, zu Fuß oder mit dem Bus, sondern mit dem Zug von Oklahoma City nach Chicago. Als er auf dem Streckenplan auf den Ortsnamen Mother’s Rest stößt, hält er das für einen vielversprechenden Haltepunkt, steigt aus und ersinnt sich gleich mögliche Szenarien, die zur Namensgebung der Kleinstadt irgendwo im Mittleren Westen der USA geführt haben könnten. Auf dem Bahnsteig lernt er Michelle Chang kennen, die, wie er später bei einem gemeinsamen Essen im örtlichen Diner herausfindet, einst beim FBI gearbeitet hat und nun als Privatermittlerin tätig ist. Sie hat am Bahnhof auf ihren Kollegen Keever gewartet, der sie zur Unterstützung angefordert hat, aber nicht aufgetaucht ist.
In Reacher erwachen die während seiner Zeit bei der Militärpolizei erworbenen und perfektionierten Ermittlerinstinkte, so dass er Chang seine Unterstützung anbietet. Tatsächlich erweisen sich die Bürger der Kleinstadt alles andere als gastfreundlich und zwingen die beiden zur übereilten Abreise. Zuvor ist Reacher in Keevers Motelzimmer ein zusammengefalteter, achtlos neben dem Mülleimer liegender Notizzettel in die Hände gefallen, der sie nach einigen Umwegen zum Wissenschaftsredakteur Westwood der L.A. Times führt. Mit seiner Hilfe stoßen Chang und Reacher auf ein lukratives Geschäft mit dem Tod, das Interessierte in den verborgenen Tiefen des Deep Web abschließen können. Damit Reacher und Chang den Verantwortlichen in Mother’s Rest nicht zu nahe kommen, engagieren sie einen Profikiller, doch Reacher hat wie immer für jede körperliche Konfrontation die passende Antwort parat:
„Nahkampf setzte voraus, dass der Schusswaffengebrauch erfolglos geblieben war. Das Schlimmste war, dass die Eierköpfe nichts finden konnten, was sich vorschreiben ließ. Es gab keine brauchbaren Theorien. Kampfsportarten funktionierten in der richtigen Welt nicht. Judo und Karate waren wertlos ohne Matten und Schiedsrichter und spezielle Pyjamas. Nahkampf war im Prinzip eine Schlägerei. Wie in einer Bar. Gut war, was Erfolg hatte.“ (S. 228) 
Seit 1997 ist Lee Childs Romanfigur Jack Reacher neben James Bond, Ethan Hunt und Jason Bourne zu einer der interessantesten Action-Helden in der Literatur und auf der Leinwand avanciert. Das erfolgreiche Konzept der kurzweiligen Romanreihe setzt sich auch im bereits 20. Band fort: Egal, wo Reachers Drang, nach seiner militärischen Karriere, die ihn in alle Welt geführt hat, in Ruhe sein Heimatland zu erkunden, hinführt: Stets gerät er nach kurzer Zeit in eine außergewöhnliche Situation, die seine Fähigkeiten als Ermittler auf den Plan rufen.
Das Szenario beginnt spannend. Während der Leser schon im ersten Kapitel über Keevers Schicksal und die Skrupellosigkeit seiner Peiniger ins Bild gesetzt wird, ersinnen Chang und Reacher noch Legenden über den Ursprung des Ortsnamens Mother’s Rest. Bereits bei den ersten Begegnungen und Aufenthalten am Bahnhof, im Motel und im Diner wird einerseits die besondere Anziehungskraft zwischen Chang und Reacher herausgearbeitet, aber auch das unabdingbare Verlangen der außergewöhnlichen Miliz in Mother’s Rest, ihr dunkles Geheimnis um jeden Preis zu bewahren. Indem der Autor zwischen Reachers und Changs Ermittlungsbemühungen und den Vertuschungs- und Aufräumplänen der Mother’s-Rest-Gemeinde wechselt, forciert er die Spannung, wobei es natürlich immer wieder zu – auch für Reacher – schmerzhaften Begegnungen kommt.
Die präzise Sprache und die kurzen Hauptsätzen unterstützen das hohe Tempo der Erzählung, wobei es immer wieder faszinierend ist, an Reachers knallhart präzisen Überlegungen teilzuhaben. Die Story wirkt dagegen weniger überzeugend, die Art und Weise, wie Chang und Reacher Fortschritte bei ihren Ermittlungen machen, schon mal arg konstruiert, bis die Suche in Mother’s Rest mit einem überzogenen Showdown ihr Ende findet.
Reacher-Fans bekommen damit gewohnt schnörkellose, actionreiche Thriller-Kost mit ihrem Lieblingshelden präsentiert, wobei die anfangs geschickt eingefädelte Geschichte in der Mitte an Fahrt verliert, um zum Finale etwas übertrieben zuzulegen, so als hätte Child bereits die dritte Verfilmung seiner Romane (nach „Sniper“ und „Die Gejagten“) beim Schreiben im Hinterkopf gehabt.
Leseprobe Lee Child - "Keine Kompromisse"

Lee Child – (Jack Reacher: 9) „Sniper“

Dienstag, 22. Januar 2019

(Blanvalet, 478 S., HC)
An einem Freitagnachmittag in einer Kleinstadt in Indiana eröffnet ein Scharfschütze vom Parkhaus aus das Feuer auf eine Menschenmenge auf der Plaza der Fußgängerzone. Fünf Menschen sterben. Emerson, Chef des Dezernats Schwerverbrechen, übernimmt die Ermittlungen in einem Fall, der nach Auswertung aller Spuren absolut wasserdicht scheint. Als Täter kommt nur der 41-jährige James Barr in Frage, ein vor vierzehn Jahren ehrenhaft entlassener Scharfschütze der U.S. Army. Sein Minivan wird neunzig Sekunden nach Eingang des ersten 911-Notrufs auf den Überwachungskameras beim Verlassen des Parkhauses gefilmt, seine Fingerabdrücke werden auf einer Patronenhülse, auf dem Markierungskegel am Tatort und einem Quarter festgestellt, den er in die Parkuhr geworfen hat. Als ein SWAT-Team sein Haus stürmt, werden auch seine Waffe und die am Tatort verwendeten Schuhe sichergestellt.
Als Staatsanwalt Alex Rodin Anklage erhebt, verlangt James Barr nach Jack Reacher, der durch eine Fernsehübertragung von Barrs Festnahme erfährt. Reacher ist Barr Anfang der 1990er in seiner Funktion als Offizier der Militärpolizei bei einem Vorfall in Kuwait City begegnet, als Barr von einem Parkhaus vier amerikanische Unteroffiziere erschossen hat. Da sich diese im Nachhinein als Räuber und Vergewaltiger herausgestellt haben, wurde der Vorfall unter Verschluss gehalten, aber Reacher nahm Barr das Versprechen ab, ihn zu erledigen, sollte er sich jemals wieder zu seiner Tat hinreißen lassen. Doch bevor Reacher mit Barr sprechen kann, wird der Gefangene von Mithäftlingen ins Koma geprügelt.
„Reacher beschloss, noch vierundzwanzig Stunden zu bleiben. Vielleicht gab es bis dahin eine klare Prognose, was Barrs Zustand betraf. Vielleicht konnte er irgendwie bei Emerson vorbeischauen und sich einen besseren Überblick über das Beweismaterial verschaffen. Vielleicht hatte er dann keine Bedenken mehr, den Fall Alex Rodins Dienststelle – gewissermaßen mit eingeschaltetem forensischem Autopiloten – zu überlassen.“ (S. 94) 
Tatsächlich erscheinen Reacher die sichergestellten Beweise zu gut. Zusammen mit Barrs Schwester Rosemary, und seiner Anwältin Helen Rodin, die erst am Anfang in ihrer Karriere steht und sich gleich mit ihrem Vater als Gegner anlegt, und dem Ermittler Franklin macht sich Reacher auf die Suche nach den Hintermännern und zieht damit unerwünschte Aufmerksamkeit skrupelloser russischer Verbrecher auf sich, die Reacher aber erst recht davon überzeugen, dass Barr ein weiteres Opfer in dieser Verschwörung darstellt …
Bereits die ersten acht Bände um Jack Reacher, den ehemaligen erstklassigen Ermittler der Militärpolizei, hätten das Potenzial für eine Verfilmung gehabt, doch erst mit dem 2005 erschienenen und drei Jahre später auch in deutscher Sprache erhältlichen Roman „Sniper“ wurde daraus Wirklichkeit, als Star-Schauspieler Tom Cruise in die Rolle des notorischen, unauffindbaren und ziellos durch Amerika ziehenden Einzelgängers schlüpfte. „Sniper“ präsentiert den charismatischen wie intelligenten und schlagkräftigen Ermittler auch in Höchstform.
Lee Child gelingt es, von Beginn an ein packendes Setting zu etablieren und einen Verdächtigen einzuführen, an dessen Schuld es wenig zu rütteln gibt. Doch die Russen um den ehemaligen Gulag-Inhaftierten „der Zec“ mischen sich für Reachers Geschmack zu sehr in die Ermittlungen ein, machen ihm selbst das Leben schwer, als dass sich der Ex-Militärpolizist mit den vordergründig stichfesten Beweisen begnügen würde. Der Autor hat Reachers Spurensuche so spannend in kurzen, klaren Sätzen beschrieben, dass das Erzähltempo locker mit der Handlung mithält, die immer wieder durch einzelne Nahkampf-Aktionen akzentuiert wird und auf ein furios inszeniertes Finale hinausläuft. Viel besser hat man Jack Reacher seither kaum erleben dürfen!
Leseprobe Lee Child - "Sniper"

Lee Child – „Der Einzelgänger“

Mittwoch, 12. Dezember 2018

(Blanvalet, 448 S., HC)
Jack Reacher ist neben James Bond, Jason Bourne und John McClane mit Sicherheit der coolste Actionheld der Film-, aber vor allem der Literaturgeschichte. Seit 1997 legt Lee Child alljährlich ein neues Abenteuer des hochdekorierten Veteranen der Militärpolizei vor, der nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst meist per Anhalter oder Bus das Land erkundet, von dem er dank seiner militärischen Familiengeschichte bislang wenig zu sehen bekam. Dabei gerät er immer wieder in Situationen, in denen seine Fähigkeiten als begnadeter Ermittler gefragt sind.
Seit 2011 hat Lee Child neben den Jack-Reacher-Romanen auch immer wieder mal eine Kurzgeschichte zu seinem charismatischen Helden verfasst, die dann in Magazinen oder Anthologien wie „Esquire“, „Manhattan Mayhem“, „Country Life“ oder „Stylist“ bzw. als e-only veröffentlicht wurden.
Mit „Der Einzelgänger“ werden diese elf Einzelstorys erstmals zusammengefasst und um die bislang unveröffentlichte Eröffnungsgeschichte „Zu viel Zeit“ ergänzt. Darin wird Reacher in einer Kleinstadt in Maine Zeuge, wie in einer sehr belebten Fußgängerzone ein Junge auf eine etwa zwanzigjährige Frau zuläuft, ihr die Stofftasche von der Schulter reißt und mit der Beute flüchtet – genau auf Reacher zu. Der bringt den Jungen souverän zu Fall. Während die junge Frau überraschenderweise flüchtet, wurde die Szene auch von zwei Cops in Zivil beobachtet, die sich bei Reacher für seine Hilfe bedanken und ihn zur Aufnahme seiner Aussage ins Revier bitten. Doch aus den veranschlagten zehn Minuten wird plötzlich eine Anklage, die Reacher eine Beteiligung an dem Coup vorwirft. Die unerfahrene Pflichtverteidigerin ist ihm keine große Hilfe, aber Reacher weiß sich natürlich auch diesmal aus der Klemme zu befreien.
 Mit „Der zweite Sohn“ lernen wir Reacher als jungen Burschen kennen, der 1974 als dreizehnjähriger Sohn eines Verbindungsoffiziers beim Marine Corps zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Joe nach Okinawa gehen muss, wo die beiden Jungen erstmals in ihrer abwechslungsreichen Schulkarriere einen Einstufungstest ablegen müssen. Während Joe versucht, in der Schule an die Fragen zu kommen, bekommt Reacher Ärger mit einem Nachbarsjungen und freundet sich mit Helen an, die auch erst seit einer Woche in Okinawa ist. Den fetten Jungen mit dem Geschwür am Hals besiegt Reacher leicht, schwerer wiegt das Problem, dass seinem Vater das Codebuch gestohlen wurde …
Drei Jahre später begibt sich Reacher während der Schulferien nach New York City, wo er in eine regelrechte „Hitzewelle“ gerät und eine Auseinandersetzung zwischen einem Mann und einer Frau auf der Straße beendet. Wie sich herausstellt, hat sich Reacher diesmal mit dem Mafioso Croselli angelegt, der sich die Demütigung, von einem gerade mal fünfzehnjährigen, wenn auch hünenhaften Jungen zurechtgestutzt zu werden, nicht auf sich beruhen lassen wird. Die Frau, der Croselli gegenüber handgreiflich geworden ist, erweist sich als suspendierte FBI-Agentin, die hofft, durch Beweise für Crosellis kriminelle Machenschaften wieder Karriere beim FBI machen zu können. In den übrigen Geschichten ist Reacher allerdings als erwachsener Ermittler zu erleben, der nicht nur einen ausgeprägten Sinn für wichtige Details und die großen Zusammenhänge unter Beweis stellt, sondern in den entscheidenden Momenten auch nicht zögert, seinem Gegner bei einer Auseinandersetzung zuvorzukommen.
„Ein kluger Mann fragte: Wann ist die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen? Ein kluger Mann antwortete: vor fünfzig Jahren. Und wann ist die beste Zeit, eine Entscheidung zu treffen? Ein kluger Mann antwortete: fünf Sekunden vor dem ersten Schlag.“ (S. 248) 
Die Qualität der Geschichten fällt dabei unterschiedlich aus. So erhellend beispielsweise die Hintergründe sind, unter denen Reacher als Sohn eines Captains des United States Marine Corps in der ganzen Welt herumgekommen ist, so nimmt man ihm doch schwer ab, dass er schon in Teenagerjahren so versiert informiert und couragiert unterwegs gewesen ist, wie Lee Child ihn in „Zweiter Sohn“ oder „Hitzewelle“ beschreibt. In „James Penneys neue Identität“ taucht Reacher sogar erst am Ende in einer Nebenrolle auf. Die kürzeren Geschichten zum Ende hin – manchmal keine zehn Seiten lang – wirken wie kleine Momentaufnahmen, die leidlich unterhaltsam sind, weil sie weder Spannung noch Stimmung aufbauen können. Dagegen bieten „Zu viel Zeit“, „Tief drinnen“ und „Kleinkriege“ genau die Art von vertrackten Rätseln, die Jack-Reacher-Fans erwarten und die ihr Held natürlich am Ende geschickt aufzulösen versteht.
Auch wenn nicht alle Storys das Qualitätsniveau eines Reacher-Romans erreichen, rechtfertigen die richtig guten unter die Lektüre von „Der Einzelgänger“.
Leseprobe Lee Child - "Der Einzelganger"

Lee Child – (Jack Reacher: 19) „Im Visier“

Samstag, 11. August 2018

(Blanvalet, 414 S., HC)
Als Jack Reacher, ehemaliger Eliteermittler der Militärpolizei, im Bus nach Seattle sitzt, stößt er in der Army Times auf eine an ihn gerichtete Kleinanzeige, dass er Rick Shoemaker anrufen solle. „Man kann die Army verlassen, aber sie verlässt einen nie“, weiß der hochdekorierte Ex-Soldat, der wegen seiner Rastlosigkeit auch „Sherlock Homeless“ genannt wird. Da Reacher Shoemaker einen Gefallen schuldig ist, ruft er zurück und erfährt von General Tom O’Day die Hintergründe des versuchten Attentats, das vor zwei Tagen auf den französischen Präsidenten in Paris verübt worden war, dank des schusssicheren Panzerglases aber nicht von Erfolg gekrönt wurde.
Der mögliche Täterkreis ist allerdings überschaubar klein: Wer sich aus dreizehnhundert Metern vornimmt, ein panzerbrechendes Geschoss Kaliber .50 auf ein kopfgroßes Ziel abzufeuern, muss ein extrem gut ausgebildeter Scharfschütze sein, von denen es weltweit nur eine Handvoll gibt, darunter John Knott, den Reacher vor sechzehn Jahren festgenommen hat, der sich aber wieder auf freiem Fuß befindet.
Reacher soll mit der CIA-Agentin Casey Nice in Paris herausfinden, ob sich Knott und sein möglicher Komplize noch immer vor Ort aufhält und die nächste Möglichkeit plant, sein Ziel zu erwischen – beim G8-Gipfel in London. Dort geraten Reacher und Nice gleich in einen Bandenkrieg zwischen den Serben und den Romford Boys, die von dem bärengroßen Gangster Littley Joey angeführt werden und von dem Reacher vermutet, dass er Knott Unterschlupf gewährt. Um an Knott heranzukommen, sichert sich Reacher die Unterstützung des SAS-Agenten Bennett, doch all die brauchbaren Informationen können nicht vermeiden, dass Reacher das riesige Haus des Gangsterbosses betreten muss …
„Ich mochte Joey Green nicht. Teils aus den richtigen Gründen wie die Teenager aus Estland und Litauen und die Familienväter, die Wucherzinsen zahlen mussten. Aber auch aus anderen, primitiveren Gründen, denn bevor der Mensch zivilisiert worden war, hatte er siebenmal länger als Wilder gelebt, was Spuren hinterließ. Unterdessen gab der primitive Teil meines Gehirns den Ton an: Meine Stammesversammlung will, dass du beseitigst wirst, Kumpel. Noch dazu bist du hässlich. Und du bist ein Waschlappen.“ (S. 370f.)
Auch in seinem neunzehnten Abenteuer – von denen bereits zwei mit Tom Cruise in der Hauptrolle erfolgreich verfilmt wurden – bleiben sich Jack Reacher und vor allem sein geistiger Schöpfer Lee Child treu: Ohne festen Wohnsitz und eigenes Auto zieht der hochdekorierte Ex-Militärermittler Jack Reacher durch die Lande und gerät durch einen „vorhersehbaren“ Zufall an einen ebenso lebensgefährlichen wie lebenswichtigen Auftrag. Wie so oft erhält er dabei eine attraktive weibliche Begleitung, mit der Reacher aber ausnahmsweise mal nichts anfängt und die überhaupt erschreckend blass bleibt. Das intellektuelle Geplänkel spielt sich diesmal zwischen Reacher und seinem Kontaktmann in London ab, den undurchsichtigen, aber bestens informierten Bennett, die Action wird aber allein von Reacher entfacht.
Der Plot von „Im Visier“ folgt dabei vertrauten Mustern. Reacher macht sich detailliert mit den Umständen des versuchten Anschlags in Paris vertraut, stellt komplizierte Berechnungen und Überlegungen über den Tathergang und die Täter an, um dann seinerseits einen Plan zu entwickeln, in dessen Details er weder Nice noch Bennett einweiht. Bis es zum Showdown kommt, muss der Leser einige von Reachers wie immer erstaunlichen Analysen und somit auch einige Längen über sich ergehen lassen, denn so sehr die faszinierenden Beschreibungen Jack Reacher als grandiosen Ermittler und überlegten Kämpfer erscheinen lassen, so unrealistisch wirken manche Rückschlüsse. Da sich „Im Visier“ an der Struktur früherer Reacher-Bände orientiert, erwartet den Leser wenig Überraschendes, dafür aber gewohnt kurzweilige, knackige Unterhaltung mit pointierten Dialogen und effizienter Action. 
Leseprobe Lee Child - "Im Visier"

Lee Child – (Jack Reacher: 6) „Tödliche Absicht“

Dienstag, 17. Juli 2018

(Blanvalet, 480 S., Tb.)
Seit er als hochdekorierter Spitzenermittler der US-Militärpolizei vor Jahren freiwillig aus dem Dienst ausgeschieden ist, verfügt Jack Reacher weder über einen festen Wohnsitz noch einen Job, ist meist per Fuß oder per Anhalter unterwegs und eigentlich unauffindbar. Doch der aufgeweckten Leiterin des Personenschutzes beim Secret Service, M. E. Froelich, die mit Jacks mittlerweile verstorbenen Bruder Joe liiert gewesen ist, gelingt es trotzdem, den erfahrenen Ermittler durch eine Western-Union-Überweisung in Atlantic City aufzuspüren und ihn für einen außergewöhnlichen Job anzuheuern: Um Sicherheitslücken im Schutz des designierten Vizepräsidenten Brook Armstrong aufzudecken, soll Reacher einen Anschlag auf Armstrong vorbereiten.
Allerdings braucht Reacher nicht lange, um festzustellen, dass mehr hinter der heiklen Aufgabe steckt, die ihm die ebenso engagierte wie attraktive Froelich zugedacht hat, denn der Secret Service hat mit einer echten Bedrohung zu kämpfen, wie verschiedene Nachrichten, die abgefangen wurden, immer deutlicher machen. Als die Täter schließlich zwei beliebige Männer mit Namen Armstrong töten, wissen Reacher und Froelich, dass das Attentat auf die eigentliche Zielperson kurz bevorsteht.
„,Hier geht’s um Armstrong persönlich‘, fuhr Reacher fort. ,Es gibt keine andere Möglichkeit. Denken Sie an den Zeitrahmen, an Ursache und Wirkung. Armstrong ist erst diesen Sommer als Mitkandidat aufgetreten. Vorher war er praktisch unbekannt. Das hat Froelich mir selbst erzählt. Jetzt gehen Morddrohungen gegen ihn ein. Warum? Weil er im Wahlkampf irgendetwas getan hat, behaupte ich.‘“ (S. 339) 
Selbst wenn man noch keinen der vorherigen Jack-Reacher-Romane gelesen hat, macht es Lee Child den Lesern leicht, seinen charismatisch coolen Protagonisten kennenzulernen. Dazu gehört ein kurzer Abriss seiner imponierenden Laufbahn bei der Militärpolizei ebenso wie eine eindrucksvolle Demonstration seiner Nahkampffähigkeiten, bis er durch außergewöhnliche Umstände in einen verzwickten Fall hineingezogen wird, der seine ausgezeichneten Ermittler-Fähigkeiten erfordert.
In „Tödliche Absicht“ hat es Reacher nicht nur mit der Identifizierung der mutmaßlichen Attentäter und der Vereitelung des geplanten Anschlags auf den zukünftigen Vizepräsidenten zu tun, sondern auch mit einer überaus fähigen Secret-Service-Agentin, die die Trennung von Reachers Bruder Joe noch immer nicht verwunden hat.
Lee Child entwickelt den Plot mit langsam steigender Spannung, beschreibt dezidiert die Vorbereitungen, die der Secret Service und Reacher treffen, um die Attentäter aufzuspüren, die vor allem das mittlerweile involvierte FBI für Insider aus dem Secret Service hält. Reacher macht seinem hervorragenden Ruf wieder alle Ehre, ist bei seinen Schlussfolgerungen und Aktionen seinen Mitstreitern immer einen Schritt voraus und führt seinen Auftrag – überwiegend – erfolgreich zu Ende. Durch die Beziehung zwischen Froelich und Reachers Bruder erfahren wir weitere Details aus Reachers Vergangenheit. Interessanter als das Tête à tête zwischen Reacher und der Secret-Service-Agentin ist allerdings das Verhältnis zwischen Reacher und seiner unnahbaren Kollegin Neagley, der im Finale eine Schlüsselstellung zukommt.
Durch die sehr ausführlichen Schilderungen von Reachers Vorgehen und Analysen entstehen schon einige Längen, bis die Handlung in der zweiten Hälfte an Fahrt aufnimmt, aber dann erlebt der Leser einen REacher in Bestform. Das ist nicht mehr und nicht weniger, als man von einem Thriller dieser Reihe erwartet. 
Leseprobe Lee Child - "Tödliche Absicht"

Lee Child – (Jack Reacher: 8) „Die Abschussliste“

Samstag, 5. August 2017

(Blanvalet, 478 S, HC)
Kaum hat Jack Reacher, Major bei der Militärpolizei, ganz nüchtern den Jahreswechsel 1989/1990 in seinem Dienstzimmer in Fort Bird verfolgt, wo er erst vor ein paar Tagen aus Panama versetzt worden war, da erhält er Meldung von dem Tod des Zweisternegenerals Kenneth Kramer. Offensichtlich ist er in dem billigen Motel, in dem er aufgefunden wurde, beim Sex mit einer Zwanzig-Dollar-Prostituierten an einem Herzinfarkt gestorben. Als Reacher Kramers Frau informieren will, ohne die näheren Begleitumstände zu erwähnen, findet er allerdings auch sie tot in ihrem Haus auf, mit einem schweren Brecheisen erschlagen, wie die Autopsie ergibt. Reacher erfährt auf Nachfrage bei seinem Kommandeur Oberst Garber, dass Kramer beim XII. Korps in Deutschland stationiert und zu einer Kommandeurstagung der Panzertruppe in Fort Irwin unterwegs war.
Doch bevor Reacher ermitteln kann, warum sich der wichtige Kommandeur fast dreihundert Meilen vom Tagungsort entfernt in einer billigen Absteige vergnügt hatte und sein Aktenkoffer gestohlen wurde, wird Garber nach Ostasien versetzt und Reacher von seinem neuen Vorgesetzten Willard von dem Fall abgezogen. Reacher und seine Partnerin, Leutnant Summer, werden das Gefühl nicht los, dass das Militär ein Komplott zu vertuschen versucht, denn wenig später werden zwei weitere Offiziere tot aufgefunden.
Um sich dem von Willard ausgestellten Haftbefehl zu entziehen, ermitteln Reacher und Summer auf eigene Faust und wühlen einiges an Staub auf …
„Frei zu sein, war ein seltsames Gefühl. Ich hatte so gut wie jede Minute meines Lebens dort verbracht, wo das Militär mich hinschickte. Jetzt kam ich mir wie ein Schulschwänzer vor. Auch hier draußen existierte eine Welt. Sie war mit ihrem eigenen Kram beschäftigt und gebärdete sich chaotisch und undiszipliniert. Ich lehnte mich zurück und beobachtete, wie sie draußen vorbeizog, bunt und stroboskopisch, Zufallsbilder, die Sonnenlicht auf einem Fluss aufblitzen.“ (S. 290) 
Eigentlich müsste „Die Abschussliste“ den Auftakt der Reihe um Jack Reacher bilden, denn zum Jahreswechsel 1989/1990, wo der tatsächlich achte Roman der Erfolgsserie zeitlich angesiedelt ist, ist Reacher noch Ermittler bei der Special Unit der Militärpolizei, wo er insgesamt dreizehn Jahre gedient hatte und als Major entlassen wurde.
Der Rückblick auf das Ende von Reachers Karriere bei der Army wartet mit vielen Hintergrundinformationen zu der US-Army auf, vor allem zu den Grabenkämpfen zwischen den verschiedenen Truppengattungen und den Strategien ihrer jeweiligen Führungskräfte, die anderen Gattungen zu diskreditieren und die eigenen Stärken in den Vordergrund zu stellen. Das wird besonders durch die auffällig vielen zeitgleichen Versetzungen von Reacher und seinen Kollegen aus anderen Stützpunkten und der offensichtlich verräterischen Tagesordnung der eingangs erwähnten Konferenz deutlich, die nicht mehr aufzufinden ist und von der andere Konferenzteilnehmer nichts wissen wollen.
Während Reachers Ermittlungen unter dem Radar lange nicht wirklich vorankommen, bleibt ihm Zeit, sich mit seinem Bruder Joe von seiner sterbenskranken Mutter in Paris zu verabschieden und dabei ein erstaunliches Geheimnis aus ihrem Leben zu erfahren. Natürlich darf Reacher mit seiner imposanten Erscheinung auch physisch wieder einige Denkzettel verpassen und seinen authentischen Charme bei Leutnant Summer wirken lassen, und natürlich kommt er nach einigen Irrwegen am Ende auch der vertrackten Auflösung der mysteriösen Todesfälle auf die Spur.
Lee Child überzeugt dabei als gnadenlos effizienter Erzähler, der nur die nötigsten Informationen in schnörkelloser Sprache und knapp formulierten Sätze packt, damit aber auch das Erzähl- und Lesetempo vorantreibt. Auch wenn für manchen Leser vielleicht etwas zu viel über die Army referiert wird, so ist „Die Abschussliste“ vor allem deshalb lesenswert, weil es deutlich macht, dass sich Reacher schon bei der Army nicht an die dort herrschenden Regeln gehalten hat, sondern seinem eigenen Gerechtigkeitssinn gefolgt ist. Das wird besonders am Ende deutlich, als sich Reacher für seine Brutalität, wegen der er angezeigt worden ist, verantworten soll.
So bietet „Die Abschussliste“ auf der einen Seite ein faszinierendes Militär-Komplott, auf der anderen Seite aber einen wertvollen Einblick in Reachers familiäre Bindungen. 
Leseprobe Lee Child - "Die Abschussliste"

Lee Child – (Jack Reacher: 5) „In letzter Sekunde“

Samstag, 22. Juli 2017

(Blanvalet, 504 S., Tb.)
Um weiteren Problemen aus dem Weg zu gehen, türmt Jack Reacher in Lubbock, Texas, aus dem Fenster seines Hotelzimmers und versucht wie gewohnt, als Anhalter seine Reise ohne bestimmtes Ziel fortzusetzen, nachdem er am Abend zuvor – ohne dessen Identität zu kennen – einen der örtlichen Cops in der Bar aufgemischt hatte. Zu seiner Überraschung wird Reacher schon nach drei Minuten von der attraktiven Carmen Greer aufgelesen, die ihn mit nach Pecos nimmt und ihn um Hilfe bittet, ihren Ehemann Sloop aus dem Verkehr zu ziehen.
Zwar sitzt er gerade wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis, wird aber in einer Woche entlassen. Offensichtlich hat er Carmen über Jahre hinweg geschlagen, aber ihr fehlen einfach die Mittel, zusammen mit ihrer Tochter Ellie ein neues Leben irgendwo anders anzufangen.
Reacher nimmt einen Job auf der Ranch ihrer im Echo County alteingesessenen Familie an und lernt nicht nur den Hass kennen, der der aus einfachen Verhältnissen stammenden Frau durch ihre Familie entgegenschlägt, sondern auch den ambitionierten Staatsanwalt Hack Walker, der sich zum Richter wählen lassen möchte. Dann überschlagen sich die Ereignisse: Sloop wird schon am Wochenende entlassen, sein Anwalt Al Eugene verschwindet spurlos, und Reacher wird das Gefühl nicht los, dass Sloops Bruder Bobby und die Arbeiter auf der Ranch ihm ans Leder wollen.
Kaum ist Sloop wieder zuhause, wird er erschossen und Carmen ins Gefängnis gebracht. Reacher engagiert die Anwältin Alice Aaron, um Carmen aus der verfahrenen Situation zu retten. Er selbst wird von Walker zum Deputy ernannt und beginnt, Ungereimtheiten in dem Fall zu entdecken.
„Dafür bin ich geschaffen. Die Spannung der Verfolgungsjagd. Ich bin ein Ermittler, Alice, bin stets einer gewesen und werde einer bleiben. Ein Jäger. Und als Walker mir diesen Stern gegeben hat, hat mein Verstand zu arbeiten begonnen.“ (S. 389) 
Auch im fünften Band bleibt Bestseller-Autor Lee Child seinem Jack-Reacher-Konzept treu: Der freiwillig aus dem Militärdienst ausgeschiedene Reacher wird anfangs in einer physisch ausgeprägten Szene eingeführt, aus der er natürlich als souveräner Sieger hervorgeht, ist dadurch aber gezwungen, einmal mehr als Anhalter weiterzuziehen, wobei er – wie es der Zufall so will - wieder sofort in einen vertrackten Fall hineingezogen wird.
Im Gegensatz zum letzten Band „Zeit der Rache“ hat der Autor sich diesmal zum Glück mehr Mühe mit der Konstruktion eines überzeugenden Plots gemacht, den er in gewohnt klarer Sprache mit feinem Gespür für die Atmosphäre auf einer texanischen Ranch beschreibt. Allerdings wäre eine feinere Charakterisierung der Greer-Familie wünschenswert gewesen, denn sowohl Carmens Schwiegermutter Rusty als auch ihr Schwager Bobby werden doch nur sehr grob skizziert.
Dafür wird die undurchsichtige Carmen sehr geschickt als Frau dargestellt, der Reacher zwar Glauben schenkt, von vielen anderen aus ihrem Umfeld aber als berechnende Lügnerin hingestellt wird.
Die Beziehung zwischen Reacher und der Anwältin Alice gefällt durch die knackigen Dialoge. Prägnante Action, ein packendes Finale und psychologisch interessant konstruierte Beziehungen machen „In letzter Sekunde“ zu einem durchweg kurzweiligen Lesevergnügen. 
Leseprobe Lee Child - "In letzter Sekunde"