Posts mit dem Label Michael Connelly (Harry Bosch) werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Michael Connelly (Harry Bosch) werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Michael Connelly – (Renée Ballard: 4, Harry Bosch: 23) „Dunkle Stunden“

Dienstag, 12. September 2023

(Kampa, 432 S., HC) 
Wenn man wie Michael Connelly in dreißig Jahren einen Protagonisten mit über 20 Romanen zu einer Kultfigur der Kriminalliteratur am Leben erhalten und dabei auf eine über mehrere Staffeln erfolgreiche Fernsehserie mitinitiiert hat, ist es mit Sicherheit nicht leicht, die Romanreihe auf einem qualitativ konstant hohen Niveau zu halten. Also hat der ehemalige Polizeireporter für die Los Angeles Times über die Jahre seine Aufmerksamkeit auch anderen Figuren gewidmet wie Boschs Halbbruder Mickey Haller oder dem Reporter Jack McEvoy. Connellys letzte literarische Erfindung ist die Figur des weiblichen Detective Renée Ballard, die vor einigen Jahren zur Nachtschicht beim LAPD strafversetzt worden ist, wo sich Ballard aber sehr wohl fühlt. Nach ihrem Einstieg mit „Late Show“ ermittelt sie seit dem zweiten Fall „Night Team“ allerdings mit dem mittlerweile pensionierten Detective Harry Bosch zusammen, der auch im mittlerweile vierten Abenteuer die prominenteste Nebenrolle einnimmt. 
Silvester in Los Angeles. Für die Cops bedeutet der Jahreswechsel, dass alle Polizisten zum Dienst in Uniform in Zwölf-Stunden-Schichten verdonnert sind. Um sich vor dem unvermeidlichen Bleihagel zu schützen, hat sich Renée Ballard mit ihrer Kollegin Lisa Moore, die eigentlich in der Tagschicht in der Einheit Sexualdelikte der Hollywood Division eingesetzt wird, mit dem Wagen unter der Cahuenga-Überführung verkrochen. Dabei hoffen sie, Hinweise auf die sogenannten „Midnight Men“ zu bekommen, ein männliches Paar von Sexualstraftätern, das in den vergangenen fünf Wochen jeweils gegen Mitternacht zwei Frauen vergewaltigt hat. 
Als Ballard und Moore nach einer Schießerei zu einem Tatort gerufen werden, finden sie Javier Raffa, den Inhaber einer Autowerkstatt, mit einer tödlichen Kopfwunde vor. Bei der ersten Untersuchung der Leiche stellt Ballard schnell fest, dass der Täter das mitternächtliche Geballere ausgenutzt hat, um Raffa aus nächster Nähe zu erschießen. Während sich Moore an dem Wochenende mit ihrem Freund vergnügt, ermittelt Ballard auf eigene Faust weiter und findet heraus, dass Raffa sich mit 25.000 Dollar aus der berüchtigten Las-Palmas-Bande freigekauft hatte. 
Die zur Tat passende Hülse einer Remington .22 führt zu einem fast zehn Jahre alten Raubüberfall, in dem Harry Bosch der leitende Ermittler gewesen war. Gemeinsam mit dem pensionierten Detective entdeckt Ballard außer der Waffe noch eine weitere Verbindung zwischen den beiden Morden, die bis ins Revier des LAPD reicht, was Ballard vor eine schwierige Entscheidung stellt. 
Aber auch die Jagd nach den Midnight Men entwickelt sich zu einem heiklen Balanceakt, da die Polizei die Medien nicht informiert, um die Täter nicht abzuschrecken, dass sie ihren Modus Operandi ändern. Ballard bringt sich durch ihre eigenmächtige Handlungsweise so sehr in die Bredouille, dass sie ihren Job zu verlieren droht. Doch mit dem Gedanken, alles hinzuschmeißen, hat sie ohnehin schon gespielt… 
Michael Connellys vierter Ballard- und sogar schon 23. Bosch-Band spielt vor dem Hintergrund der Pandemie, die nicht nur mit Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen verbunden gewesen ist, sondern auch zu einem Aufweichen der Arbeitsmoral bei den Cops im LAPD geführt hat. Für diese bedauernswerte Entwicklung steht Ballards Silvesterdienst-Partnerin Lisa Moore, die kein schlechtes Gewissen verspürt, Ballard das Wochenende allein Dienst schieben zu lassen und es sich selbst mit ihrem Freund gutgehen zu lassen. 
„Dunkle Stunden“ fesselt mit zwei unterschiedlichen Fällen, bei denen der Polizeiapparat keine gute Figur macht und Ballard sogar aus dem Spiel zu nehmen droht. Ebenso wie ihr Mentor Harry Bosch ist ihre Einstellung aber nicht korrumpiert, so dass sie sich nicht um die Konsequenzen ihres Handelns schert, wenn es doch der richtigen Sache dient. Connelly erweist sich einmal mehr als kundiger Kenner der Polizeiarbeit. Akribisch beschreibt er die einzelnen Schritte der Ermittlungsarbeit, die allerdings so viel Raum einnimmt, dass die persönlichen Elemente etwas arg kurz kommen und dem Roman eine sehr akademische, sachliche Note verleihen. Dazu sind auch die Spannungs- und Überraschungsmomente sehr moderat ausgefallen. „Dunkle Stunden“ ist zwar kein echtes Highlight in Connellys umfangreicher Werksbiografie, aber doch ein durchweg überzeugender Krimi, der keine Langeweile aufkommen lässt. 

Michael Connelly – (Harry Bosch: 20) „Zwei Wahrheiten“

Dienstag, 9. Mai 2023

(Kampa, 432 S., Klappenbroschur) 
Der ehemalige Kriminal- und Polizeireporter Michael Connelly zählt nicht von ungefähr zu den beliebtesten Krimi-Autoren, schließlich haben Amazon Studios die 1992 begonnene Reihe um den LAPD-Detective Hieronymus „Harry“ Bosch“ ebenso als Serie adaptiert wie jüngst Netflix die Reihe um Boschs Halbbruder Mickey Haller, den „Lincoln Lawyer“. Mit dem bereits 2017 veröffentlichten, aber erst jetzt in deutscher Übersetzung erschienenen Band „Two Kinds of Truth“ feiert Bosch seinen zwanzigsten Einsatz, doch zeigt die Reihe langsam erste Abnutzungserscheinungen. 
Seit Harry Bosch vor drei Jahren vom LAPD zwangspensioniert worden ist, stellt er seine fachlichen Kompetenzen ehrenamtlich dem San Fernando Police Department zur Verfügung, wo er in einer umgebauten alten Gefängniszelle alte ungelöste Fälle bearbeitet. 
Bevor er sich aber mit dem Fall der seit fünfzehn Jahren vermissten Esme Tavares befassen kann, bekommt Bosch unangekündigten Besuch von der Conviction Integrity Unit, die sich um die Überprüfung nachträglich angefochtener Urteile befasst. Staatsanwalt Alex Kennedy, Boschs frühere Partnerin Lucia Soto und ihr neuer Kollege Bob Tapscott informieren Bosch darüber, dass der zum Tode verurteilte Sexualstraftäter Preston Borders kurz vor seiner Freilassung steht, nachdem Bosch ihn vor dreißig Jahren durch seine Ermittlungen zur Strecke gebracht hatte. Durch die neuen Möglichkeiten, DNA-Spuren zu analysieren, ist auf einem Pyjama des Mordopfers Danielle Skyler ein winziger Spermafleck nun einem anderen, allerdings bereits verstorbenen verurteilten Vergewaltiger zugeordnet worden, Lucas John Olmer. Da Borders behauptet, ein anderes Beweisstück, das zu seiner Verurteilung geführt hatte, sei ihm von Bosch untergeschoben worden, steht nun die Reputation des ehemaligen LAPD-Detectives auf dem Spiel. Bosch beauftragt seinen Halbbruder Mickey Haller damit, herauszufinden, wie der Spermafleck auf den Pyjama in der versiegelten Beweismittelkiste gekommen sein kann. 
Er selbst muss sich allerdings um einen aktuellen Fall kümmern. Mit seiner Partnerin Bella Lourdes wird Bosch zum Tatort eines Doppelmordes in einer Apotheke gerufen. Offenbar sind Vater und Sohn Opfer eines gezielten Attentats geworden. Die ersten Ermittlungen führen zu einer kriminellen Vereinigung, die im großen Stil opiumsüchtige Obdachlose dafür einsetzt, immense Mengen an Oxycodon auf Rezept zu organisieren. Um den Drahtziehern auf die Schliche zu kommen, verschafft sich Bosch in einem riskanten Undercover-Einsatz als Opiumsüchtiger Zugang zur Klinik, in der von einem mit der Drogenmafia zusammenarbeitender Arzt die entsprechenden Rezepte ausstellt. Interessanter entwickelt sich jedoch die Geschichte mit Borders und seinen Mitverschwörern. 
„Er wusste, dass es auf dieser Welt zwei Arten von Wahrheit gab. Die Wahrheit, die das unerschütterliche Fundament des Lebens und der Mission eines Menschen war. Und die andere, formbare Wahrheit, die Wahrheit von Politikern, Scharlatanen, korrupten Anwälten und ihren Mandanten, die Wahrheit, die sich für eigene Zwecke verdrehen und verfälschen ließ.“ (S. 139) 
Ähnlich wie viele seiner Kollegen nutzt auch Michael Connelly in „Zwei Wahrheiten“ ein Setting, in dem zwei unabhängig voneinander thematisierte Fälle durch Wechsel zwischen den Personen, Orten und Sachbezügen Tempo erzeugt wird, was allerdings oft auf Kosten psychologischer Tiefe und der Homogenität in der Dramaturgie geht. Auf der einen Seite ermittelt Bosch recht souverän in dem Doppelmord an den beiden Apothekern, wobei er auch seinen ehemaligen LAPD-Partner Jerry Edgar wiedertrifft, der nun beim Medical Board arbeitet, sich aber wieder nach der Action im Polizeidienst sehnt. In diesem Teil des Romans schildert Connelly recht anschaulich das tatsächlich gravierende Problem der kriminellen Beschaffung von Opiaten auf Rezept, doch verläuft Boschs Undercover-Einsatz trotz seiner Enttarnung unglaubwürdig schnörkellos. 
Da Boschs Kampf um seine eigene Reputation sehr viel Raum einnimmt, bleibt allerdings auch nicht viel Raum, um hier spannende Wendungen einzubauen. Die Zusammenarbeit mit seinem Halbbruder Mickey Haller an dem Preston-Fall bildet auch das eigentliche Prunkstück des Romans, denn gerade das im Gerichtssaal stattfindende Finale erinnert an die besten John-Grisham-Fälle. Zu guter Letzt kehren Connelly und Bosch auch noch zu dem eigentlich dritten Fall, dem Verschwinden von Esme Tavares zurück, aber auch hier verläuft alles zu glatt und zu komprimiert, um überzeugen zu können. 
„Zwei Wahrheiten“ beschert dem Leser neben dem Wiedersehen mit alten Bosch-Vertrauten wie Jerry Edgar, Mickey Haller und dessen Ermittler Cisco kurzweilige, aber weitgehend konventionelle Krimi-Unterhaltung, die immerhin mit einem grandiosen Finale aufwartet, aber sicher nicht zu Connellys besten Werken zählt. 

 

Michael Connelly – (Renée Ballard: 3, Harry Bosch: 22) „Glutnacht“

Montag, 8. August 2022

(Kampa, 464 S., HC) 
Nach der Beerdigung seines alten Mentors John Jack Thompson bekommt der pensionierte LAPD Detective Harry Bosch von Thompsons Witwe Margaret ein Mordbuch in die Hände, das Thompson offenbar noch vor seiner Pensionierung mit nach Hause nahm. Von seinem Lehrmeister hat Bosch das Credo übernommen, dass es keine Toten erster und zweiter Klasse gebe, dass jeder Fall persönlich genommen werden müsse. Als sich Bosch mit der entwendeten Akte auseinandersetzt, fragt er sich allerdings, was Thompson dazu bewogen haben könnte, ausgerechnet diese Akte zu entwenden und zwanzig Jahre unter Verschluss zu halten, denn Notizen zu dem Fall scheint er nicht gemacht zu haben. 
Dabei geht es um einen dreißig Jahre zurückliegenden Drogendeal, der für den mutmaßlichen Informanten John Hilton mit einer Kugel im Kopf endete. Da Bosch selbst nicht mehr im aktiven Dienst ist und darüber hinaus noch mit seinem neuen Kniegelenk Probleme beim Laufen hat, ist er auf die Unterstützung von Renée Ballard angewiesen, die in der Nachtschicht der Hollywood Division eingesetzt ist und seit einiger Zeit mit Bosch zusammen an Cold Cases arbeitet. 
Nachdem sie selbst den Tod eines Obdachlosen untersucht, der hochalkoholisiert in seinem Zelt verbrannt ist, nachdem eine Öllampe umgekippt war, teilt sie sich die Arbeit an dem Hilton-Mord mit Bosch auf. Schließlich kommen sie dem Gangster Elvin Kidd auf die Spur, der eine Zeitlang mit Hilton eine Affäre unterhielt, die er offensichtlich nicht ans Licht der Öffentlichkeit gelangen lassen wollte.
Interessanterweise gibt es durch eine Auftragskillerin eine Verbindung zu einem Fall, den Boschs Halbbruder Mickey Haller gerade bearbeitet. Er verteidigt mit Jeffrey Herstadt einen Mann, der für den Mord an dem Richter Montgomery angeklagt worden ist. Als Herstadt freigesprochen wird, entwickelt Bosch den Ehrgeiz, den wahren Mörder des Richters zu finden… 
„Bosch hatte es nie besondere Genugtuung bereitet, einem Mörder Handschellen anzulegen. Er wollte wegen des Sohnes dabei sein. Wegen des Opfers. Offensichtlich war es John Hiltons leiblichem Vater egal gewesen, wer ihn umgebracht hatte. Nicht so Bosch. Er wollte dabei sein. Entweder zählte jeder, oder es zählte keiner. Für Thompson war das vielleicht nur eine Floskel gewesen. Für Bosch nicht.“ (S. 350) 
Raymond Chandler war mit der Erschaffung des melancholischen Privatdetektivs Philip Marlowe nicht nur ein Pionier in Sachen Hardboiled Krimi, sondern offensichtlich auch die richtige Inspiration für Michael Connelly, der seinerseits mit seiner Figur Harry Bosch eine Ikone der Kriminalliteratur geschaffen hat. Zwischenzeitlich hat er auch kleinere Reihen mit anderen Figuren initiiert, aber Bosch tauchte dabei stets in kleineren oder größeren Rollen auf, so auch in dem ersten Band der Reihe um Nachtschicht-Detective Renée Ballard, die es in „Glutnacht“ wieder mit ihrem ehemaligen Chef Olivas zu tun bekommt, dem sie einst sexuelle Belästigung vorgeworfen hatte. Das hatte ihr zwar die Versetzung in die Nachtschicht der Hollywood Division eingebracht, aber mittlerweile will sie gar nicht mehr woanders hin. 
Auch wenn man die beiden vorangegangenen Ballard-Bände „Late Show“ und „Night Team“ nicht gelesen haben sollte, kommt man gut in „Glutnacht“ rein. Connelly hat es längst zur Meisterschaft gebracht, den Polizeialltag nicht nur authentisch, sondern auch spannend zu beschreiben und dabei verschiedene Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen. Die Vorgeschichten von Bosch und Ballard fließen bei der Charakterisierung der Figuren immer wieder mit ein. Aus der anfänglichen Nebenrolle, die Bosch noch in „Late Show“ einnahm, ist mittlerweile eine gut funktionierende Partnerschaft geworden. Da Bosch als Pensionär keinen Zugriff mehr auf die Mittel seiner Dienststelle hat, ist er ohnehin auf die Mitwirkung eines aktiven Polizisten angewiesen, und die Chemie zwischen Bosch und Ballard stimmt einfach. 
Akribisch beschreibt Connelly die einzelnen Ermittlungsschritte, lässt kleinere Fälle mit einfließen, wie es im Polizeialltag nun mal gang und gäbe ist, und manchmal führen die Spuren zu den Fällen, mit denen Bosch und Ballard sich gerade beschäftigen. „Glutnacht“ überzeugt dabei durch gewohnt treffende Figurenzeichnungen, interessante Haupt- und Nebenplots und einen gefälligen Schreibstil, der die einzelnen Elemente wunderbar miteinander in Einklang bringt. Das ist Krimi-Stoff auf allerhöchstem Niveau! 

 

Michael Connelly – (Harry Bosch: 13) „Kalter Tod“

Dienstag, 15. Februar 2022

(Heyne, 320 S., Tb.) 
Bei seinem ersten Außeneinsatz in seiner neuen Dienststelle Homicide Special wird Detective Harry Bosch um Mitternacht zum Aussichtspunkt über dem Mulholland Damm geschickt, wo ein Mann mit zwei Schüssen in den Hinterkopf hingerichtet wurde. Bosch informiert seinen neuen Partner – den mehr als zwanzig Jahre jüngeren Ignacio „Iggy“ Ferras – und ist selbst weitaus schneller am Tatort, wo der Tote als Stanley Kent identifiziert wird. Der 42-Jährige hatte quasi zu allen Hospitälern im Großraum Los Angeles Zugang zu radioaktivem Material, das meist gezielt bei bestimmten Krebstherapien zum Einsatz kommt. Das erklärt auch die Anwesenheit von FBI-Agentin Rachel Walling, mit der Bosch während des „Echo Park“-Falls eine alte Affäre wiederaufleben ließ, doch fiel der Abschied am Ende weniger harmonisch aus. 
Walling hatte mit ihrem Partner schon vor einem Jahr Kontakt zu Kent und seiner Frau Alicia aufgenommen, um sie vor einer möglichen Bedrohung durch Terroristen zu warnen. Dieser Verdacht scheint sich zu bestätigen, als Bosch mit Walling zur Wohnung des Opfers fährt, wo sie Alicia Kent nackt und gefesselt in einer Urinlache auf ihrem Bett finden. Ihrer Aussage zufolge wurde sie von zwei maskierten Männern dazu gezwungen, eine Mail an ihren Mann mit dem Foto ihrer Fesselung zu schicken, worauf sie ihren Mann erpressten, ihnen das in der Klinik St. Aggy’s gelagerte Caesium zu übergeben. 
Tatsächlich ergibt die Überprüfung der Caesium-Vorräte, dass das radioaktive Material abhandengekommen ist, was allerlei nationale Sicherheitsbehörden auf den Plan ruft. Zum Glück findet Boschs Partner Ferras in der Nähe des Tatorts mit Jesse Mitford einen kanadischen Jugendlichen, der sich am früheren Anwesen von Madonna versteckt hielt und beobachtete, wie ein Maskierter zwischen den beiden Schüssen „Allah“ gerufen habe. Bosch hält seinen Zeugen in der Hinterhand, um an den Ermittlungen weiterhin beteiligt zu sein, denn aus Erfahrung weiß Bosch, dass das FBI die lokalen Polizeibehörden gerne außen vor lässt und sie nur die Drecksarbeit machen lässt. Schließlich bekommt Bosch im Tausch gegen den Namen seines Zeugen von Walling die Namen zweier mit Al-Kaida in Verbindung stehenden Terroristen, die sich nach neuesten Erkenntnissen in den USA aufhalten sollen … 
„Stanley Kent war gewarnt worden, dass ihn sein Beruf verletzlich machte. Seine Reaktion darauf war gewesen, sich zu seinem Schutz eine Schusswaffe zuzulegen. Und jetzt wäre Bosch jede Wette eingegangen, dass die Waffe, die er gekauft hatte, gegen ihn verwendet worden war, und zwar von einem Terroristen, der den Namen Allahs rief, bevor er abdrückte. Was war das für eine Welt, dachte Bosch, wenn sich jemand den Mut, einen anderen Menschen zu erschießen, dadurch holte, dass er den Namen seines Gottes rief.“ (S. 123) 
Mit seinem 13. Harry-Bosch-Abenteuer liefert Connelly ein ungewohnt kurzes Leseabenteuer ab, was vor allem dem Umstand geschuldet ist, dass „The Overlook“ als 16-teiliger Fortsetzungsroman in der „New York Sunday“ veröffentlicht wurde. So konzentriert sich Connelly ganz auf den Fall und lässt die emotionalen Querelen, die den störrischen und unbequemen Protagonisten wegen seiner Ex-Geliebten Rachel Walling umtreiben, weitgehend außen vor. Dass der Caesium-Diebstahl innerhalb von zwölf Stunden aufgeklärt wird, trägt natürlich ebenfalls zum straff inszenierten Plot bei. 
Der ist wiederum stark von den Ereignissen rund um 09/11 geprägt, vor allem von den anschließenden Restrukturierungen der unterschiedlichen Geheimdienste, die lapidar als „Buchstabensuppe“ zusammengefasst werden. Der Fall selbst beginnt vielversprechend, wirkt aber zum Ende hin zunehmend konstruiert und unglaubwürdig. Wie Bosch am Ende seiner Kollegin vom FBI in einem Quasi-Monolog die Ereignisse und Zusammenhänge erläutert, macht zwar deutlich, was für ein toller Ermittler Bosch doch ist, trägt aber nicht dazu bei, die Geschichte plausibler zu machen. 
So bietet „Kalter Tod“ zwar einen knackig straffen Krimi-Plot, kann aber an die psychologische Tiefe „normaler“ Bosch-Krimis nicht anknüpfen. 

 

Michael Connelly – (Harry Bosch: 12) „Echo Park“

Samstag, 12. Februar 2022

(Heyne, 464 S., HC) 
Michael Connellys Serie um den ambitionierten Cop Hieronymus „Harry“ Bosch ist eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte. Bereits mit seinem Debütroman „Schwarzes Echo“ (1992) heimste der ehemalige Polizeireporter den renommierten Edgar Allan Poe Award für das Beste Erstlingswerk ein, der Nachfolgeroman „Schwarzes Eis“ erhielt den Maltese Falcon Award – und so heimste Connelly über die Jahre etliche weitere Preise wie den Nero Wolfe Award, Prix Mystère de la critique, Anthony Award und Shamus Award ein. 2006 erschien mit „Echo Park“ der bereits 12. Roman um Harry Bosch, dem Amazon bereits eine ähnlich erfolgreiche Serie („Bosch“) gewidmet hat. 
1993 war Harry Bosch mit seinem damaligen Partner Jerry Edgar mit einem Fall beschäftigt, der Bosch auch noch dreizehn Jahre später in seiner Funktion als Detective in der Abteilung „Offen – Ungelöst“ des Los Angeles Police Department beschäftigt. Damals wurden im Kofferraum eines Autos in der Garage einer seit Wochen leerstehenden Wohnung im High Tower die ordentlich zusammengelegten Kleider der jungen Marie Gesto gefunden, die seit zehn Tagen vermisst wurde. Bis heute fehlt von ihr jede Spur. 
Damals hatte sich Bosch auf Anthony Garland, den Sohn des Ölmagnaten Thomas Rex „T. Rex“ Garland, als Täter eingeschossen, doch konnte Bosch weder die Leiche des Mädchens ausfindig machen noch beweisen, dass Garland damit etwas zu tun gehabt haben könnte. Bosch hat sich gerade mal wieder die Akte vorgenommen, als diese vom Staatsanwalt Rick O’Shea und dem Beamten Freddy Olivas angefordert wird, der die Ermittlungen im aufsehenerregenden Fall Raynard Waits leitet. Da ihm wegen eines Doppelmordes die Todesstrafe droht, hat er mit der Staatsanwaltschaft einen Deal ausgehandelt: Waits würde sich zu neun weiteren Morden bekennen, die ihm nicht zur Last gelegt werden – darunter den an Marie Gesto -, und dafür „nur“ lebenslänglich in Haft gehen. Um den Deal abzuschließen, soll Waits die Beamten dorthin führen, wo er Marie Gesto begraben hat. In Begleitung von Staatsanwalt O’Shea, der gerade für das Amt des Bezirksstaatsanwalts kandidiert, Detective Olivas, Bosch, dessen Partnerin Kiz Rider sowie seinem Anwalt Maurice Swann führt Waits die Truppe in ein Waldstück. Doch die Aktion endet in einem Fiasko. Waits kann Olivas die Waffe entwenden, erschießt ihn und trifft auch Boschs Partnerin in den Hals, bevor er fliehen kann. Zusammen mit der FBI-Agentin Rachel Walling, mit der Bosch schon früher eine kurze Affäre unterhielt, macht sich Bosch auf die Suche nach Waits. 
Dabei wird er auch von dem Umstand angetrieben, dass in den Akten zum Fall Gesto ein Vermerk aufgetaucht ist, dass Waits damals versucht hatte, die Beamten zu kontaktieren, doch wurde dem Hinweis nicht nachgegangen. Doch irgendwie wird Bosch das Gefühl nicht los, dass O’Shea mehr mit der Sache zu tun hat, als er zuzugeben bereit ist … 
„O’Shea befand sich mitten in einem erbittert geführten Wahlkampf, und Geld war der Treibstoff, der eine Wahlkampfmaschinerie am Laufen hielt. Es war nicht auszuschließen, dass er in aller Stille Kontakt mit T. Rex aufgenommen hatte, worauf eine Abmachung getroffen und ein Plan in die Tat umgesetzt worden war. O’Shea erhält das Geld, das er benötigt, um die Wahl zu gewinnen, Olivas wird zum Chefermittler von O’Sheas Behörde ernannt, Waits nimmt Gesto auf seine Kappe, und Garland jun. ist endgültig aus dem Schneider.“ (S. 299) 
Mit „Echo Park“ ist Connelly einmal mehr ein fesselnder Thriller gelungen, der auf mehreren Ebenen gut funktioniert. In erster Linie geht es Bosch natürlich um die Lösung des Falles Marie Gesto, der ihn seit dreizehn Jahren beschäftigt. Schließlich ist er mit ihren Eltern immer in Kontakt geblieben, um sie darüber zu informieren, dass er am Ball bleibt. Die Aussicht, dass ein Serienmörder, dem die Todesstrafe droht, gleich mehrere zusätzliche Morde gesteht und Bosch die Möglichkeit eröffnet, den Fall Gesto endlich abzuschließen, bringt eine ganz neue Dynamik ins Geschehen, wobei politische Ränkeschmiede und natürlich viel Geld ebenso eine Rolle spielen wie Boschs Gefühlsleben, denn die neu entfachte Affäre mit Rachel Walling bringt einmal mehr Aspekte von Boschs Persönlichkeit zum Vorschein, die ihm immer wieder Probleme in seinem Liebesleben bescheren. 
Connelly versteht es, seine vielschichtige Story mit gleichbleibend steigender Spannung zu erzählen und dabei immer wieder Einblicke in die Polizeiarbeit zu gewähren sowie Bosch als Ermittler mit Herzblut zu präsentieren, mit dem man sich als Leser gern identifiziert. Interessanterweise sind Waits und Bosch im selben Pflegeheim aufgewachsen, wo Waits das Bild von zwei Hunden erwähnt, bei denen man sich entscheiden muss, welchen man füttert. Offenbar hat sich Waits für den falschen Hund entschieden, doch auch Bosch muss sich am Ende fragen, ob er mit seiner kompromisslosen Art nicht manchmal auf der falschen Seite des Gesetzes steht. 

 

Michael Connelly – (Renée Ballard: 2, Harry Bosch: 21) „Night Team“

Samstag, 3. April 2021

(Kampa, 448 S., HC) 
Auch wenn Harry Bosch längst in Rente ist, kommt er doch nicht davon los, weiter in ungeklärten Fällen zu ermitteln, teils als Privatermittler, teils als Reservist für das San Fernando Police Department. Als er sich unbeobachtet in der Hollywood Division nach der Akte der fünfzehnjährigen Prostituierten Daisy Clayton sucht, wird er von Renée Ballard überrascht, einer einst beim Los Angeles Police Department in der Robbery-Homicide Division tätigen Detektivin, die zur sogenannten Late Show, der berühmt-berüchtigten Nachtschicht des LAPD, strafversetzt wurde, nachdem sie ihren damaligen Vorgesetzten Robert Olivas wegen sexueller Belästigung angezeigt hatte. Ballard ist neugierig, was Bosch an dem Fall so fesselt, und findet ihn so interessant, dass sie Bosch anbietet, ihn bei der Suche nach Daisys Mörder, der ihre Leiche in einem Müllcontainer entsorgt hatte, zu unterstützen, denn ihr stehen immerhin Mittel und Wege zur Verfügung, auf die Bosch als pensionierter Cop nicht zurückgreifen kann. 
In offizieller Mission untersucht Bosch darüber hinaus die Ermordung des früheren Gangsterbosses Cristobal „Uncle Murda“ Vega. Zwar kann Bosch das ehemalige Gang-Mitglied Martin Perez ausfindig machen, der auch zu einer Aussage gegen den mutmaßlichen Mörder Tranquillo Cortez bereit ist, doch wird dieser wenig später ermordet. Bei der Aufdeckung des Department-internen Lecks widerfährt Bosch die nächste Panne. 
Nach seiner Suspendierung kann sich Bosch nun ganz auf den Fall von Daisy konzentrieren, deren ehemals drogenabhängige Mutter bei ihm vorübergehend wohnt, wodurch er seine Tochter Maddie kaum noch zu sehen bekommt. Währenddessen ackert Ballard – immer wieder auch mit Bosch zusammen -die sogenannten „Filzkarten“ durch, auf denen die Ermittler Notizen zu den Interviews mit Zeugen eintragen. Dabei stößt sie auf einen Tatortreiniger, den sie sich einmal aus der Nähe betrachten will. 
„Mord war Mord, und Ballard wusste, dass jeder Fall die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der Polizei verdiente. Aber die Ermordung einer Frau ging Ballard immer besonders nahe. Fast immer war bei den Fällen, mit denen sie sich befasste, extreme Brutalität im Spiel. Und fast immer waren die Täter Männer. Das hatte etwa Beunruhigendes und zutiefst Ungerechtes, das über die grundsätzliche Ungerechtigkeit eines gewaltsamen Todes hinausging. Sie fragte sich, wie Männer sich verhalten würden, wenn sie in dem beständigen Wissen lebten, allein wegen ihrer Größe und ihrer Konstitution jede Sekunde ihres Lebens dem anderen Geschlecht unterlegen zu sein.“ (S. 387) 
Seit Michael Connelly Anfang der 1990er Jahre mit „Schwarzes Echo“ seinen ersten Harry-Bosch-Roman veröffentlichte, kann er auf über 20 Bestseller mit seinem charismatischen, sturköpfigen und gerechtigkeitsliebenden Protagonisten zurückblicken, der mittlerweile nicht nur seit 2014 in der Amazon-Serie „Bosch“ Form angenommen hat, sondern auch ein Alter erreicht hat, in dem er gewiss einfach seine Altersruhe genießen könnte. 
Doch wie langjährige Bosch-Fans wissen, lassen dem ehemaligen Detective bei der Mordkommission des LAPD ungelöste Fälle auch nach Jahren keine Ruhe. Da Connelly bereits in früheren Romanen immer wieder Begegnungen zwischen seiner prominentesten Figur und anderen Protagonisten weiterer Reihen wie um Boschs Halbbruder Mickey Haller oder Terry McCaleb eingebaut hatte, darf sich nun auch Connellys neueste Erfindung, die in die Late Show versetzte Ermittlerin Renée Ballard, mit Bosch zusammen auf Verbrecherjagd machen. Dabei stehen zwei ganz unterschiedliche Fälle im Mittelpunkt, die allerdings zeigen, wie gut Ballard und Bosch miteinander harmonieren. 
Connelly beschreibt die oft ermüdende Polizeiarbeit wie gewohnt detailliert, aber ohne seine Leserschaft zu langweilen. Stattdessen bleibt das Publikum durch die akkurat geschilderten Ermittlungsschritte und die daraus gewonnenen Erkenntnisse immer auf Augenhöhe mit Bosch und Ballard, denen der Autor jeweils eine eigene Erzählperspektive zuordnet. So wie Bosch und Ballard braucht auch der Leser einen langen Atem, bis die beiden Fälle zufriedenstellend gelöst sind. Dabei steht Bosch auch vor der moralischen Entscheidung, wie ein skrupelloser Killer wie Cortez der Gerechtigkeit zugeführt werden soll. 
Dass er letztlich den korrekten Weg wählt, bildet die Grundlage für weitere gemeinsame Ermittlungen von Ballard und Bosch. Auch wenn „Night Team“ nicht zu den allerbesten Werken aus Connellys Feder zählt - dazu entwickelt sich die Story zu geradlinig und kommt zu wenig Spannung auf - , liegt der Roman mit seinem authentisch wirkendem Plot und den glaubwürdigen und vielschichtigen Figuren weit über dem Genre-Durchschnitt. Auf weitere Romane von Michael Connelly – egal mit welchen Hauptfiguren – darf man sich also getrost freuen. 

 

Michael Connelly – (Harry Bosch: 11) „Vergessene Stimmen“

Freitag, 5. Februar 2021

(Heyne, 478 S., HC) 
Nachdem Detective Hieronymus „Harry“ Bosch vor drei Jahren frustriert den Dienst beim Los Angeles Police Department quittiert hatte, bekommt er erstmal seit seiner Abschlussfeier an der Polizeiakademie im Jahr 1972 einen Zwei-Sechser, einen dringenden Anruf aus dem Büro des Polizeichefs im Parker Center. Seine ehemalige Partnerin Kizmin „Kiz“ Rider hatte sich dafür eingesetzt, Bosch wieder zu reaktivieren und mit ihm zusammen in der neu gegründeten Abteilung Offen-Ungelöst ungeklärte Kapitalverbrechen wieder aufzurollen. 
Ihr erster gemeinsamer Fall führt sie ins Jahr 1988 zurück, als die 16-jährige Rebecca Lost in der Nähe ihres Elternhauses tot aufgefunden wurde, die neben ihr liegende Pistole sollte offensichtlich auf einen Selbstmord verweisen, von dem die damals ermittelnden Detectives Garcia und Green auch zunächst ausgegangen waren. Durch die neu entwickelte Methode der DNS-Analyse konnte mittlerweile ein Hautfetzen am Verschlussstück der Waffe dem Kleinkriminellen Roland Mackey zugeordnet werden, dem allerdings bislang keine Gewaltverbrechen angelastet werden konnten. 
Obwohl Bosch Mackey nicht für den Täter hält und auch keine Verbindung zwischen ihm und dem Opfer herstellen kann, hängt er sich mit seiner Partnerin in den Fall rein, lässt Mackey observieren und findet einen Zusammenhang zum rassistischen Milieu. Doch nicht nur das: Offensichtlich war Boschs Erzfeind, der damalige Polizeichef Irvin Irving, darin verwickelt, die Ermittlungen von Green und Garcia in eine bestimmte Richtung zu lenken. Dass Bosch Irving gleich an seinem ersten Diensttag in der Cafeteria über den Weg läuft, hält er nicht für einen Zufall. Rider und Bosch machen sich an die mühsame Arbeit, die damals ermittelnden Beamten, Rebeccas durch den Todesfall geschiedenen Eltern, alte Freundinnen und Freunde sowie Lehrer zu befragen, doch ergeben sich keine weiteren Erkenntnisse, die Mackey als Täter entlarven, zumal er über ein Alibi für die Tatnacht verfügt. 
Durch eine Titelstory über die neuen Ermittlungen zu Rebeccas Ermordung in der Zeitung, in der zwar der DNS-Beweis, aber nicht Mackeys Namen erwähnt wird, erhoffen sich die Detectives, dass der Täter aufgescheucht wird, doch dann nehmen die Dinge einen ganz unerwarteten Lauf, wobei Bosch wieder auf Irving stößt … 
„Die Public Disorder Unit. Eine dubiose Downtown-Einheit, die Daten und Geheiminformationen über Verschwörungen sammelte, aber wenig Fälle vor Gericht brachte. 1988 müsste die PDU dem damaligen Commander Irvin Irving unterstanden haben. Inzwischen gab es die Einheit nicht mehr. Als Irving zum Deputy Chief befördert wurde, löste er die PDU sofort auf, wobei viele bei der Polizei glaubten, das habe in erster Linie dem Zweck gedient, ihre Machenschaften zu vertuschen und sich von ihnen zu distanzieren.“ (S. 186) 
Harry Bosch ist wieder da, wo er hingehört, um an vorderster Front beim LAPD Mordfälle aufzuklären. Nachdem er sich einige Jahre als Privatermittler (in „Letzte Warnung“ und „Die Rückkehr des Poeten“) durchgeschlagen und sich auch um private Belange wie der schwierigen Beziehung zu seiner Ex-Frau Eleanor Wish kümmern konnte, rollt er nun mit seiner ehemaligen Partnerin Kiz Rider ungelöste Mordfälle auf, wobei der vermeintlich leichte erste Fall kaum überraschend dazu führt, dass sich Bosch und sein früherer Chef Irving wieder in die Quere kommen. 
Michael Connelly beweist mit „Vergessene Stimmen“, dem mittlerweile elften Fall von Harry Bosch, einmal mehr, warum er zu den absolut besten Autoren im Genre des Kriminal-Thrillers zählt. Souverän gelingt es dem ehemaligen Polizeireporter, die Ermittlungen seines charismatischen Protagonisten sehr kleinschrittig und detailliert zu beschreiben, ohne den Leser zu langweilen. 
Stattdessen fühlt sich der Leser als direkter Beobachter der Ermittlungen, die sukzessive eine feine Spannung aufbauen. Boschs Privatleben steht diesmal nahezu vollständig außen vor. Außer der kurzen Erwähnung, dass seine Ex-Frau einen Job in Hongkong angenommen und ihre gemeinsame sechsjährige Tochter mitgenommen hat, und ein One-Night-Stand mit einer früheren Kollegin gibt es an dieser Front nichts zu vermelden. Stattdessen bringt Connelly sehr schön zum Ausdruck, wie Bosch für den neuen Fall brennt, wie der Cop aus Leidenschaft die titelgebenden „vergessenen Stimmen“ der Toten nicht verstummen lassen und für Gerechtigkeit und Aufklärung sorgen will. 
Dass der Fall am Rand auch die rassistische Thematik aufgreift, verleiht der Story noch einen gesellschaftskritischen Touch. Und das Finale weist ein Tempo und Wendungen auf, die die zähe Ermittlungsarbeit endlich belohnt und die Leserschaft gespannt auf die nächsten Bosch-Fälle warten lässt.


Michael Connelly – (Harry Bosch: 9) „Letzte Warnung“

Montag, 11. Januar 2021

(Heyne, 416 S., Tb.) 
Seit Harry Bosch seinen Job beim Los Angeles Police Department hingeschmissen hatte, hat er sich wie die meisten anderen ehemaliger Polizei-Kollegen routinemäßig eine Lizenz als Privatdetektiv zugelegt und ermittelt nun auf eigene Faust, aber ohne offiziellen Status. Dabei widmet er sich einem Fall, der ihn schon vor vier Jahren beschäftigt hat, aber nie abgeschlossen wurde. Damals wurde die 24-jährige Hollywood-Produktionsassistentin Angella Benton vor ihrem Apartmenthaus tot aufgefunden. Sie arbeitete für Alexander Taylors Firma Eidolon Productions, die zu jener Zeit einen Film produzierte, der wegen eines bewaffneten Überfalls ebenfalls für Schlagzeilen sorgte: Da der Regisseur des Films darauf bestand, mit echtem Geld beim Dreh zu arbeiten, ließ er sich von BankLA zwei Millionen Dollar bringen, doch bei der Übergabe erbeuteten Gangster das teilweise registrierte Geld. 
Bosch war zu der Zeit wegen der Ermittlung im Fall der erwürgten Angella Benton am Tatort und konnte einen der Täter niederstrecken, das Geld blieb allerdings verschwunden – bis einer der registrierten Scheine bei einem mutmaßlichen Terrorverdächtigen sichergestellt wurde. Das rief die noch junge ,Rapid Response Enforcement and Counter Terrorism‘-Einheit auf den Plan, so dass der Polizei der Fall entzogen wurde. 
Dabei mussten schon Bosch und seine beiden Kollegen von der Hollywood Division, Kiz Rider und Jerry Edgar, zuvor den Fall bereits an die Robbery-Homicide-Division abgeben. Kaum hatten Jack Dorsey und Lawton Cross den Fall übernommen, wurden sie bei einem Raubüberfall in einer Bar ins Visier genommen. Dorsey erlag noch am Tatort seinen Verletzungen, Cross ist seitdem querschnittsgelähmt an den Rollstuhl gefesselt und wird von seiner Frau gepflegt. Harry Bosch lässt vor allem das Bild der getöteten Produktionsassistentin mit ihrem entblößten Körper, dem absichtlich platzierten Sperma und der wie flehend wirkenden Geste ihrer Hände nicht los. 
Eine weitere Spur seiner Ermittlungen führt zu der nach wie vor vermissten FBI-Agentin Martha Gessler, die ein Computer-Programm entwickelt hatte, um registrierte Geldscheine zu dokumentieren, bis sie in einem anderen Zusammenhang wieder auftauchten. Bosch muss sich zunächst auf die langsam zurückkehrenden Erinnerungen des damals ermittelnden Beamten Lawton Cross verlassen, da sowohl die Polizei als auch das FBI Bosch drängen, die Finger von der Sache zu lassen. Aber Bosch wäre nicht Bosch, wenn er sich durch solche Drohungen einschüchtern lassen würde. Schließlich kommt er auf einen Verdächtigen, den bislang niemand so recht auf dem Zettel hatte … 
„Ich hatte das Gefühl, dass Bewegung in die Sache kam, und das machte mich ganz kribbelig, denn instinktiv wusste ich, dass ich der Lösung des Rätsels ganz dicht auf der Spur war. Ich hatte zwar nicht alle Antworten, aber aus Erfahrung wusste ich, sie würden sich irgendwann von selbst ergeben. Was ich allerdings hatte, war die Richtung. Es war mehr als vier Jahre her, dass ich auf Angella Bentons Leiche hinabgeblickt hatte, und endlich hatte ich einen richtigen Verdächtigen.“ (S. 329) 
In seinem neuen Dasein als Privatdetektiv merkt Hieronymus „Harry“ Bosch sehr schnell, wie schwierig sich die Ermittlungen gestalten, wenn man bei Befragungen von Zeugen und Beamten anderer Dienststellen nicht mit seinem Abzeichen und Dienstausweis die entsprechende Befugnis bezeugen kann. Doch in seiner langjährigen Karriere als Detective beim LAPD hat Bosch eine Hartnäckigkeit entwickelt, die ihm auch bei dem noch unaufgeklärten Mord an einer jungen Filmproduktionsassistentin dienlich ist. 
Zwar legt sich Bosch nicht nur mit seinen ehemaligen Kollegen beim LAPD, sondern vor allem mit dem FBI an, doch kommt er nach und nach verschiedenen Umständen auf die Spur, die den Mord an Angella Benton mit den Raubüberfällen am Set und in der Bar sowie dem Verschwinden der FBI-Agentin Marty Gessler in Verbindung bringen. Dabei gerät Bosch sogar ins Visier der Täter und kann am Ende von Glück sagen, dass er lebend aus seinem Haus in Hollywood gekommen ist. 
Aber auch seine geschiedene Frau Eleonor, die mit offensichtlich großem Erfolg in Las Vegas professionell pokert, lässt Bosch nicht los. Michael Connellys neunter Band um Harry Bosch zählt zu den besten der langlebigen Thriller-Reihe, die ebenso erfolgreich als Serie von Amazon produziert worden ist. 
„Letzte Warnung“ enthält nämlich alles, was einen guten Cop-Thriller ausmacht, vor allem einen faszinierenden Fall, der immer weitere Komponenten und Querverweise auf andere Fälle aufweist, so dass sich ein komplexes Gerüst an Verwicklungen ergibt, die Bosch mit ebenso viel Geduld wie Hartnäckigkeit zu entwirren versteht. Dabei bringt Connelly gut zum Ausdruck, was die nach 9/11 auf den Weg gebrachten Antiterrormaßnahmen nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für andere Strafverfolgungsmaßnahmen für Folgen hat. Neben dem absolut packenden Plot mit vielschichtigen Wendungen bringt Connelly auch Boschs Privatleben gut zum Ausdruck, was sich zum einen in dessen Vorliebe für guten Jazz und seine nach wie vor tiefen Gefühle für seine Ex-Frau widerspiegelt.


Michael Connelly – (Harry Bosch: 8) „Kein Engel so rein“

Mittwoch, 15. April 2020

(Heyne, 416 S., HC)
Harry Bosch hat in der Neujahrschicht beim Morddezernat der Polizei von Los Angeles bereits zwei Selbstmorde aufnehmen müssen, bekommt er einen Anruf von Mankiewicz, dem diensthabenden Sergeanten in der Hollywood Division des LAPD. Offenbar hat der Hund eines pensionierten Arztes in Laurel Canyon, Dr. Paul Guyot, den Oberarmknochen eines Kindes ausgebuddelt. Bei weiteren Ausgrabungen an der Fundstelle auf dem dicht bewaldeten Hang werden nicht nur weitere Knochen, sondern auch ein Rucksack und einige Kleiderstücke gefunden. Die Obduktion ergibt nicht nur, dass der Todeszeitpunkt des Jungen grob geschätzt Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre angesiedelt werden muss, sondern dass der Junge Opfer massiver Misshandlungen gewesen war, wie die unzähligen Frakturen auch am Schädel beweisen.
Die erste Spur führt zu dem Filmrequisiteur Nicholas Trent, der 1966 bereits wegen der sexuellen Belästigung eines kleinen Jungen verurteilt worden ist. Durch eine undichte Stelle beim LAPD sickert dessen Identität jedoch zu den Medien durch, worauf sich der Verdächtige erhängt. Während Boschs Vorgesetzte Lieutenant Billets und Deputy Chief Irvin Irving darauf drängen, den Fall schnell zu den Akten zu legen, sagt Boschs Bauchgefühl, dass die Sache längst nicht abgeschlossen ist. Als sich Sheila Delacroix bei der Polizei meldet und das Opfer schließlich anhand ihrer Aussage mit den gefundenen Beweisen als ihr Bruder Arthur identifizieren lässt, gerät Sam Delacroix, der Vater des Jungen, ins Visier der Ermittlungen. Bosch ist von dem Fall, der ihn immer wieder an seine eigene Kindheit als Pflegekind erinnert, und seinen Begleiterscheinungen so frustriert, dass er an der Sinnhaftigkeit seines Jobs zu zweifeln beginnt …
„Er hatte immer gewusst, dass er ohne seinen Job und seine Dienstmarke und seine Aufgabe verloren wäre. In diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er mit all dem genauso verloren sein konnte. Er konnte sogar wegen all dem verloren sein. Genau das, was er am meisten zu brauchen glaubte, war das, was ihn mit dem Leichentuch der Sinnlosigkeit umhüllte.“ (S. 414) 
Es ist ein erschütternder Fall, den Hieronymus „Harry“ Bosch in seinem achten Fall auf den Tisch bekommt. Dabei hat er nicht nur mit dem Umstand zu kämpfen, dass der Junge bereits vor gut einem Vierteljahrhundert ermordet wurde und die Beweislage mit dem Auffinden möglicher Zeugen sehr dünn ist, sondern auch mit einem Leck bei der Polizei, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Ermittlungsergebnisse an die Medien weiterleitet, und den strukturellen Problemen in seiner Einheit, wo auch andere, aktuelle Morde auf ihre Bearbeitung warten.
Im Gegensatz zu früheren Auseinandersetzungen mit Kollegen und Vorgesetzten stößt Bosch diesmal aber niemandem wirklich heftig vor den Kopf. Zwar haben sowohl seine Vorgesetzten Billets und Irving bestimmte Vorstellungen über die Art der Ermittlungen und den Umgang mit den Medien, und auch von seinem Partner Jerry Edgar muss sich Bosch immer wieder die Rüge gefallen lassen, dass er nicht in seine Vorgehensweise eingeweiht wird, doch bis auf wenige Stolperfallen kann Bosch diesmal recht frei seinen Weg verfolgen.
Kritisch beäugt wird eher sein Verhältnis zu der ehemaligen Anwältin und Weltreisenden Julia Brasher, die als Streifenpolizistin gerade erst angefangen hat und somit im Dienstgrad unter Bosch steht. Besonders überzeugend ist die Ausgestaltung der Affäre zwischen Bosch und Brasher allerdings nicht gelungen, vor allem das merkwürdige Ende ihrer Beziehung wirkt nicht gelungen. Auch sonst hält sich Connelly nicht lange genug mit seinen Figuren auf, um ihnen ein charismatisches Profil zu verleihen. Das Thema Päderastie und die Bestrafung der Täter, der Umgang der Medien mit heiklen Informationen und auch das oft bedauernswerte Schicksal vieler Pflegekinder werden nur kurz angerissen, aber nie tiefergehend abgehandelt.
So stellt „Kein Engel so rein“ einen unterhaltsamen Krimi mit stringent konstruierten Plot dar, der aber kaum eine nachhaltige Wirkung hinterlässt.
Leseprobe Michael Connelly - "Kein Engel so rein"

Michael Connelly – (Harry Bosch: 6) „Schwarze Engel“

Samstag, 20. Juli 2019

(Heyne, 416 S., HC)
Mitten in der Nacht erhält Harry Bosch, Detective beim Morddezernat der Hollywood Division des LAPD, einen Anruf von Deputy Chief Irvin Irving, der Bosch für einen Sondereinsatz zur Bergstation Angels Flight beordert, was eigentlich außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Hollywood Division liegt. Doch Bosch wird schnell klar, warum ihm der Fall zugetragen wurde: In einer der beiden Kabinen, die zur Personenbeförderung zwischen Downtown und Bunker Hill dient, wurde der berühmt-berüchtigte schwarze Bürgerrechtsanwalt Howard Elias ermordet aufgefunden.
Elias hat sich durch mehrere Anklagen gegen die Polizei von Los Angeles wegen Amtsmissbrauchs, Brutalität und rassistischen Übergriffen einen Namen gemacht und arbeitete gerade an einem Fall, bei dem sein Mandant Michael Harris der Polizei diverser Vergehen beschuldigt, u.a. dass ihm mit einem Bleistift der Marke Black Warrior das Trommelfell durchstochen worden sei, weshalb in der Presse nur vom „Black Warrior“-Fall die Rede ist.
Da angesichts der Brisanz des Falles die ganze Polizei unter öffentlicher Beobachtung steht und mit nach den Krawallen von 1992 und dem O.J.-Simpson-Prozess mit neuen Ausschreitungen gerechnet werden muss, gründet Chief Irving eine Sondereinheit, der nicht nur Bosch mit seinen Leuten Jerry Edgar und Kizmin Riders angehören, sondern auch der von Bosch verhassten Detective Chastain von der Internen Dienstaufsicht, der die interne Überprüfung der Michael-Harris-Beschwerde geleitet hatte. Die Ermittlungen verlaufen entsprechend holperig. Zunächst scheinen sich alle gegen Michael Harris vorgebrachten Beweise, dass er die elfjährige Tochter des Autozaren Kincaid ermordet haben soll, zu erhärten, doch bei näherer Durchsicht der Unterlagen zu dem Mordprozess stößt Bosch auf Hinweise zur Kinderpornographie, in die ausgerechnet Kincaid selbst verwickelt zu sein scheint. 
„Jeder noch so kleine Fehler konnte zu einer Katastrophe führen – für das Verfahren, für die Polizei, für Karrieren. Er fragte sich, ob Irving sich all dessen bewusst gewesen war, als er den Fall Boschs Team zugeteilt hatte. Vielleicht, dachte er, waren Irvings Komplimente nur ein Deckmantel für sein wahres Motiv – Bosch und sein Team ans Messer zu liefern. Bosch wusste, was er jetzt dachte, trug Züge von Verfolgungswahn. Dass sich der Deputy Chief so schnell einen so raffinierten Plan ausgedacht haben könnte, war höchst unwahrscheinlich.“ (S. 110) 
Und als hätte er mit dem schwierigen Drahtseilakt zwischen politischen Machtspielchen, polizeilicher Wahrheitsfindung und der Sorge um einen erneuten Ausbruch von gewalttätigen Unruhen auf der Straße genug zu tun, plagen Bosch Gedanken, seine Frau Eleanor nach nur einem Jahr Ehe wieder zu verlieren.
In seinem sechsten Fall geht es für Hieronymus „Harry“ Bosch ums Ganze. Vor dem Hintergrund der jüngsten Unruhen, die es im Zuge von unangemessener Polizeigewalt beim Rodney-King-Prozess und den juristischen Verfehlungen im Verfahren gegen O.J. Simpson in Los Angeles gab, birgt der brutale Mord an einem prominenten schwarzen Bürgerrechtsanwalt viel Potenzial, die Stimmung gerade in der schwarzen Bevölkerung wieder umkippen zu lassen. Michael Connelly, der jahrelang als Polizeireporter für die Los Angeles Times tätig gewesen ist, beschreibt akribisch den Alltag der Ermittlungsarbeit, die Bosch und sein Team leisten, wobei deutlich wird, welche Hürden genommen werden müssen, um ja keine Interessenkonflikte hervorzurufen oder unberechtigte Durchsuchungen vorzunehmen. Besonders schwierig wird der Fall aber dadurch, dass tatsächlich Polizeibeamte für den Mord an Elias in Frage kommen, dass sogar ein Ermittler als Informant für Elias tätig gewesen sein muss. Connelly beschreibt nicht nur detailreich die einzelnen Ermittlungsschritte und Verhöre, sondern auch die Stimmung auf den Straßen, die allmählich überzukochen droht. So ist „Schwarzer Engel“ weit mehr als nur ein genretypischer Krimi, sondern auch ein vielschichtiges Gesellschaftsportrait, das das Spannungsfeld zwischen Politik, Polizeiarbeit, Hollywood-Prominenz und die Stimmung im einfachen Volk stimmungsvoll einfängt.

Michael Connelly – (Harry Bosch: 19) „Die Verlorene“

Freitag, 7. September 2018

(Droemer, 444 S., HC)
Seit Harry Bosch das LAPD verklagt hatte, weil es ihn seiner Meinung nach unrechtmäßig aus der Einheit für kalte Fälle entlassen hatte, arbeitet er in Teilzeit in der Reserveeinheit des San Fernando Police Department, wo er sich gerade mit dem Screen-Cutter-Fall befasst, einem Serientäter, der nach einem bestimmten Schema in die Wohnung von jungen Frauen eindringt, sie vergewaltigt und schließlich tötet.
Nebenbei bietet Bosch seine Dienste allerdings auch als Privatermittler an. Als er von dem milliardenschweren Unternehmer Whitney Vance damit beauftragt wird, einen möglichen Erben für sein Vermögen ausfindig zu machen, wird Bosch schnell fündig: Aus der Verbindung mit einer jungen Mexikanerin, die der junge Vance als Student kennengelernt hat und die sich mittlerweile erhängt hat, ist ein Junge namens Dominick hervorgegangen, der von einer Familie in Oxnard adoptiert worden ist.
Doch als Bosch seinen Auftraggeber über seine Fortschritte informieren will, erfährt er, dass der alte Mann plötzlich verstorben ist. Bosch glaubt allerdings nicht an einen natürlichen Tod. Offenbar versuchen die mächtigen Teilhaber des Vance-Imperiums, mit allen Mitteln ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Damit befindet sich auch der mögliche Erbe des Vance-Vermögens in Lebensgefahr. Zusammen mit seinem Halbbruder Mickey Haller versucht Bosch, den letzten Willen des Verstorbenen durchzusetzen.
„Er hielt hier ein Dokument in den Händen, das mehrere Milliarden Dollar wert war, ein Dokument, das die weitere Entwicklung eines riesigen Unternehmens und einer Industrie verändern konnte, nicht zu reden vom Leben und der Familie einer nichts ahnenden Frau, die vor sechsundvierzig Jahren geboren worden war und ihren Vater nie kennengelernt hatte.
Vorausgesetzt, sie lebte noch und Bosch konnte sie ausfindig machen.“ (S. 228) 
Egal, in welcher Funktion Harry Bosch ermittelt, ob nun beim LAPD oder als Teilzeit-Reservist für das SFPD – immer wieder hat er einen schweren Stand bei seinen Vorgesetzten, aber eben auch den richtigen Riecher bei den ihm anvertrauten Fällen. In seinem 19. Fall steht zunächst sein privater Auftrag für den schon sehr gebrechlich wirkenden Milliardär Whitney Vance im Vordergrund, der als junger Mann auf Druck seiner Familie seine große Liebe verlassen musste und nie erfahren sollte, ob aus der kurzen Liaison eventuell ein Nachkomme hervorgegangen ist. Akribisch beschreibt Connelly die Spurensuche, die Harry Bosch über verschiedene Ämter, Heime und natürlich die Instrumente führt, die ihm als (Reserve-)Polizist zur Verfügung stehen. Spannend wird es allerdings erst mit dem Tod von Boschs Auftraggeber auf der einen Seite, mit dem Verschwinden seiner SFPD-Kollegin Bella Lourdes beim Screen-Cutter-Fall auf der anderen Seite.  
Connelly schreibt wie gewohnt flott, wechselt geschickt zwischen den beiden Fällen hin und her und hält so die Spannung gekonnt aufrecht. Besonders sympathisch ist natürlich die erneute Zusammenarbeit mit dem Lincoln Lawyer, Boschs Halbbruder Mickey Haller, während die Kontakte mit seiner Tochter Maddie sehr kurz ausfallen.
Am Ende bietet „Die Verlorene“ souverän, aber eben auch konventionell strukturierte und spannungsreiche Thriller-Kost mit einem charismatischen Ermittler, den man einfach mögen muss.
Leseprobe Michael Connelly - "Die Verlorene"

Michael Connelly – (Harry Bosch: 18) „Ehrensache“

Samstag, 20. Januar 2018

(Droemer, 411 S., HC)
Um seiner Suspendierung aus dem Weg zu gehen, mit der der LAPD-Detective rechnen musste, hat sich Harry Bosch vorzeitig pensionieren lassen. Ihm ist etwas unwohl dabei, die Seiten zu wechseln, als er sich bereiterklärt, für seinen Halbbruder, den sogenannten „Lincoln Lawyer“ Mickey Haller, als Ermittler einzuspringen, nachdem Hallers eigentlicher Ermittler Cisco bei einem Motorradunfall außer Gefecht gesetzt worden ist.
Haller vertritt Da’Quan Foster, der beschuldigt wird, die beliebte West-Hollywood-Verwaltungsdirektorin Lexi Parks in ihrem eigenen Bett ermordet und vergewaltigt zu haben. Vor allem die Tatsache, dass Fosters Sperma an und in Parks‘ Leiche gefunden worden ist, scheint dem Angeklagten zum Verhängnis zu werden. Doch ähnlich wie Haller ist auch Bosch bald der Meinung, dass Foster das Verbrechen angehängt werden soll.
Bei seinen eigenen Ermittlungen stößt Bosch in der Wohnung von Parks auf die Verpackung einer Luxus-Uhr, die offenbar zur Reparatur nach Las Vegas geschickt worden ist und deren Spur schließlich zu einem Schönheitschirurgen in Beverly Hills führt. Noch ahnt Bosch nicht, dass er sich mit jedem weiteren Schritt zur Lösung des Verbrechens immer mehr selbst zur Zielscheibe der eigentlichen Mörder macht, die absolut skrupellos zu Werke gehen.
„Er spürte, wie sein Verstand auf Touren kam. Er war etwas auf der Spur, war aber nicht sicher, was es war. Er war immer noch zu wenig mit dem Fall vertraut und benötigte dringend mehr Informationen, aber er kam der Sache näher. Seiner Ansicht nach war des Rätsels Lösung in beiden Fällen bei Lexi Parks zu suchen. Warum war sie getötet worden? Wenn er diese Frage beantworten konnte, ergab sich alles andere wie von selbst.“ (S. 190) 
Auch wenn der altgediente Mordermittler Harry Bosch seinen Dienst nicht mehr beim Los Angeles Police Department verrichten darf, hat er seinen Gerechtigkeitssinn noch nicht verloren. Lange muss er in seinem 20. Fall überlegen, ob er für seinen Halbbruder – wenn auch nur in diesem einen Fall - die Seiten wechseln soll und darf, um für einen Strafverteidiger zu arbeiten, der gewöhnlich genau die Leute vor dem Gefängnis bewahren will, die zuvor Bosch und seine Kollegen als mutmaßliche Täter in einem Verbrechen festgenommen haben.
Doch sobald Bosch das Mordbuch durchgearbeitet und mit dem Angeklagten selbst gesprochen hat, ist er tatsächlich überzeugt, dass Foster das Verbrechen vom wahren Mörder angehängt worden ist. Wie gewohnt beschreibt der ehemalige Polizeireporter Michael Connelly äußerst akribisch, wie einer der in der Krimiliteratur berühmtesten Detectives der Sache auf den Grund geht und einer in diesem Fall zunächst unscheinbaren Luxus-Uhr-Verpackung nachspürt, die er schließlich als elementar für die Lösung des Falls ansieht.
Nebenbei fließen auch ein paar private Episoden in die Handlung mit ein, das Ende von Boschs Beziehung mit der Journalistin Skinner und die kurzen Gespräche mit seiner bei ihm lebenden Tochter Maddie, die mit Hallers etwas gleichaltriger Tochter demnächst auf das gleiche College geht und zunächst auf ein dreitägiges Zeltlager fährt. Doch diese allzu kurzen Exkurse dienen eher dazu, Harry Bosch auch eine menschliche Seite zu verleihen und ihn nicht allein als verantwortungsbewussten und extrem sorgfältigen Ermittler zu charakterisieren, der nur für seine Arbeit lebt.
Connelly erweist sich in „Ehrensache“ einmal mehr als souveräner und besonders ökonomischer Erzähler, der nur wenige Zeilen benötigt, um Boschs derzeitige persönliche Lage zu skizzieren und auch Mickey Haller vorzustellen, dem der Autor bereits eine eigene Serie gewidmet hat (deren erster Band „Der Mandant“ gleich verfilmt worden ist). Nachdem sich Bosch zunächst ausführlich mit seinem Gewissen auseinandersetzt, macht er sich wie ein Bluthund auf die Suche nach dem Täter, denn im Gegensatz zu Haller, der nur einen Freispruch für seinen Mandanten erwirken will, geht es für Bosch darum, auch den wahren Schuldigen dingfest zu machen.
Das Finale fällt zwar sehr vorhersehbar aus und ganz den Konventionen des Genres verhaftet, doch bis dahin macht es einfach Spaß, Bosch bei jedem seiner Schritte zu folgen, bis er den Fall gelöst hat.
Leseprobe Michael Connelly - "Ehrensache"

Michael Connelly – (Harry Bosch: 5) „Das Comeback“

Samstag, 19. August 2017

(Heyne, 427 S., Tb./Knaur, eBook)
Nach seiner Zwangsbeurlaubung wegen Stress und der Versetzung zum Einbruchsdezernat des Hollywood-Reviers darf LAPD-Detective Harry Bosch wieder zurück an den Mord-Tisch, um das Rekordtief der Mord-Aufklärungsrate zu bekämpfen. In seinem ersten Fall unter Führung von Lieutenant Grace Billets wird Bosch mit seinen Kollegen Jerry Edgar und Kizmin Rider zu einem außergewöhnlichen Tatort gerufen.
Im Kofferraum eines Rolls-Royce hat der Streifenpolizist Powers die Leiche des Hollywood-Produzenten Tony Aliso gefunden, der mit zwei Kopfschüssen hingerichtet worden ist.
Seine Frau Veronica nimmt die Nachricht recht gelassen auf. Wie sich herausstellt, ist ihr bewusst gewesen, dass ihr im Pornogeschäft arbeitende Mann Affären mit anderen Frauen unterhielt und sich oft in Las Vegas aufhielt, wo er stets im Mirage abgestiegen ist.
Als sich Bosch in Las Vegas umhört und die Videobänder des Casinos sichtet, entdeckt er seine alte Freundin Eleanor Wish auf den Bildern, die beim FBI gearbeitet hatte und für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis musste. Bosch und seine Kollegen haben alle Hände voll zu tun, Verbindungen zwischen Aliso und der Mafia herzustellen, für die der Ermordete offenbar Geld im großen Stil gewaschen hat. Als das FBI dem LAPD den Fall entzieht, ermittelt Bosch mit Billets‘ Einverständnis jedoch weiter in dem Fall, denn die allzu klaren Indizien gegen Luke Goshen, in dessen Wohnung die Tatwaffe und 480.000 Dollar in bar gefunden werden, scheinen eine größere Verschwörung zu verschleiern.
„Marks war Mr. X. Aber irgendetwas war passiert. Die Buchprüfung durch das Finanzamt gefährdete das Unternehmen, was wiederum Joey Marks gefährdete. Marks‘ Reaktion war, den Geldwäscher zu liquidieren.
Diese Theorie hörte sich gut an, aber Bosch fand, es gab noch zu viele Sachen, die nicht zu passen schienen.“ (S. 140) 
Eigentlich hätte sich Harry Bosch für seine Rückkehr ins Morddezernat unter der neuen charismatischen Leitung des weiblichen Lieutenant Grace Billets und den Kollegen Edgar und Rider kaum einen interessanteren Fall wünschen können, denn es geht nicht nur um die Aufklärung eines Mordes, sondern auch um die (teils schwierige) Zusammenarbeit mit der Polizei in Las Vegas und vor allem mit dem FBI, um den Ärger mit der Internen, um viel Geld, den Einfluss der Mafia und die erneute Begegnung mit seiner alten Freundin Eleanor, für die Bosch nach wie vor tiefe Gefühle hegt, die er nach Dienstvorschrift nicht haben dürfte.
In den sehr vertrackten Ermittlungen mit vielen offensichtlich gelegten falschen Spuren ragt Bosch einmal mehr als eigensinniger, aber über jeden Zweifel erhabener Super-Cop heraus. Bei anhaltendem hohen Tempo und dramaturgisch geschicktem Spannungsaufbau wirken die vielen Wendungen sehr konstruiert und nicht immer überzeugend. Dennoch bietet der fünfte Harry-Bosch-Roman überdurchschnittlichen Thrill mit einem überaus charismatischen Detective.
Leseprobe Michael Connelly - "Das Comeback"

Michael Connelly – (Harry Bosch: 3) „Die Frau im Beton“

Freitag, 28. Juli 2017

(Heyne, 429 S., Tb.)
Harry Bosch steckt mal wieder in der Klemme. Der 43-jährige Detective muss sich in einem Bürgerrechtsprozess verantworten, nachdem ihn die Witwe des mutmaßlichen Puppenmacher-Mörders Norman Church verklagt hat, vor vier Jahren in unverhältnismäßiger Weise ihren Mann erschossen zu haben. Während sein eigener Anwalt Belk vor Gericht keine wirklich gute Figur macht, versucht die ambitionierte Anwältin der Klägerin, Honey Chandler, nachzuweisen, dass Bosch, da er allein gehandelt hat, die vorgebrachten Beweise manipuliert und die Schusswaffe unrechtmäßig benutzt hat, die den unbewaffneten Verdächtigen getötet hat.
Schwierig wird der Fall vor allem durch das Auftauchen einer weiteren Leiche, die nach dem Ausbrennen eines Gebäudes im Beton gefunden wird und nachweislich nach dem Tod des berüchtigten Puppenmachers ermordet wurde. Wenn er nicht gerade vor Gericht sein muss, versucht Bosch mit seinem Partner Jerry Edgar die genauen Umstände der Tat herauszufinden, und kommt zu dem Schluss, dass es einen Nachahmungstäter geben muss, der Zugang zu den Ermittlungen damals gehabt haben muss. Doch wenn dies im Prozess zur Sprache kommt, könnte dieser Täter gewarnt werden.
Unter der Leitung von Chief Irving wird eine Einsatzgruppe ins Leben gerufen, die das Muster hinter den Morden detaillierter zu entschlüsseln versucht. Derweil unterstellt Chandler Bosch ein außergewöhnliches Motiv für seine vermeintlich unangebracht forsche Tat, nämlich Rache für den nach wie unaufgeklärten Mord an seiner eigenen Mutter, die ebenfalls als Prostituierte gearbeitet hat.
„Hatte sie etwa recht? Er hatte nie bewusst darüber nachgedacht. Er war da, der Gedanke an Rache. Irgendwo verborgen, zusammen mit den verblassten Erinnerungen an seine Mutter. Aber er hatte ihn nie ins Bewusstsein geholt und untersucht. Warum war er in jener Nacht allein losgefahren? (…)
Bosch hatte sich selbst und allen anderen immer versichert, er hätte so gehandelt, weil er der Nutte nicht geglaubt hatte. Inzwischen war es seine eigene Story, die er bezweifelte.“ (S. 138) 
Auch in privater Hinsicht stellt ihn der Puppenmacher-Fall vor eine harte Probe, denn Boschs Freundin Sylvie, die er als Witwe eines seiner Kollegen kennengelernt hat, versucht vergeblich, zu Boschs inneren Wesen vorzudringen.
Mit dem dritten Band seiner bis heute enorm erfolgreichen Romanreihe und mittlerweile als von Amazon produzierten Streaming-Serie um den charismatischen Detective Harry Bosch präsentiert Pulitzer-Preisträger Michael Connelly vor allem einen packenden Gerichtsthriller, in dem nicht nur Boschs Alleingang mit tödlichem Ausgang verhandelt, sondern auch seine persönliche Vergangenheit als Kind einer Prostituierten aufgewühlt wird.
Besonders packend entwickelt sich aber die Ermittlung zum neuen Leichenfund der blonden Frau, die zwar grob ins Muster der Puppenmacher-Morde passt, aber zunehmend deutlich macht, dass es einen Nachahmungstäter aus dem engsten Kreis des damaligen Ermittlungsteams geben muss. Natürlich kommen dabei immer neue Kandidaten ins Spiel, bis die Beweislage andere Schlüsse nahelegt und der Täter nach wie vor frei herumläuft.
So ganz schlüssig sind diese Wendungen nicht immer, sind aber einfach den Konventionen des Genres geschuldet, die Connelly souverän beherrscht. Psychologisch interessanter ist dagegen die Auseinandersetzung vor Gericht, die Bosch zu kritischen Selbstreflexionen anregt.
Mit „Die Frau im Beton“ hat Connelly damals noch nicht seinen besten Bosch-Thriller abgeliefert, aber einen, der ohne Längen und mit gut gezeichneten Figuren bis zum Finale packend unterhält.

Michael Connelly – (Harry Bosch: 17) „Scharfschuss“

Mittwoch, 30. November 2016

(Droemer, 463 S., HC)
Da die Kriminalitätsrate in Los Angeles in jüngster Vergangenheit deutlich zurückgegangen war, haben sich die Ermittlungsbemühungen des LAPD zur Aufklärung sogenannter kalter Fälle verschoben, mit denen sich ein Jahr vor seiner geplanten Pensionierung auch Detective Harry Bosch mit seiner neuen Kollegin Lucy Soto beschäftigt.
Als sie der Autopsie des mexikanischen Musikers Orlando Mercer beiwohnen, stellt die Pathologin Corazon fest, dass das Opfer an einer Blutvergiftung gestorben ist, die durch die Gewehrkugel verursacht wurde, die sich der Musiker einer Mariachi-Band vor zehn Jahren in der Wirbelsäule eingefangen hat. Bosch und Soto rollen den Fall neu auf und stellen fest, dass Merced mit seiner Band drei Monate zuvor bei der Hochzeitsfeier des Stadtrats Armando Zeyas gespielt hatte, der mittlerweile für das Amt des Bürgermeisters kandidiert. Bei der nochmaligen Sichtung der Überwachungsvideos und der sichergestellten Beweise kommen Bosch und Soto zu dem Schluss, dass das Attentat gar nicht Merced gegolten hatte, sondern dem Trompetenspieler der Band, Angel Ojeda, der scheinbar eine Affäre mit der Frau des erfolgreichen Geschäftsmannes Charles „Brouss“ Broussard unterhielt, der Zeyas im Wahlkampf unterstützt hatte.
Es scheint aber auch Verbindungen zum einem Brand zu geben, der damals in der Nähe des Tatorts in einer illegalen Kindertagesstätte ausgebrochen war und bei dem Soto fünf ihrer Freunde verloren hat. Bei der weiteren Spurensuche stoßen sie auf die mutmaßliche Tatwaffe, ein Kimber Model 84 Gewehr, das sie bis zu dem Waffenhändler David Alexander Willman zurückverfolgen können, der während einer Jagd versehentlich von seinem Freund Broussard erschossen wurde. Die erfolgreiche Suche nach dem Gewehr könnte der Schlüssel zur Auflösung des Mordes an Merced sein …
„Das Gewehr war vielleicht längst verschwunden. Wenn Willman es nicht unmittelbar nach dem Schuss auf Merced entsorgt hatte, hatte wahrscheinlich Broussard es verschwinden lassen, nachdem er Willman umgebracht hatte.
Das waren alles nur Spekulationen, wusste Bosch, aber es war nicht auszuschließen, dass Willman so klug gewesen war, das Gewehr zu behalten, um es nötigenfalls als Druckmittel gegen seinen Freund Broussard einzusetzen.“ (S. 261) 
In seinem bereits 17. Fall hat es Detective Hieronymus „Harry“ Bosch gleich mit mehreren Frauen zu tun, wobei die eingangs erwähnte Pathologin Corazon nur eine kurze Affäre mit Bosch gehabt hatte, während der Cop mit der zum Ende hin in Erscheinung tretenden FBI-Agentin Rachel Walling schon auf eine längere Beziehung zurückblicken konnte. Eine etwas größere Rolle nimmt Boschs Teenager Tochter Maddie ein, mit der er allerdings zu wenig Zeit verbringt. Interessanter ist die Beziehung, die Routinier Bosch zu der 28-jährigen Lucy Soto aufbaut, die sich als ehrgeizige Ermittlerin entpuppt und Bosch eine große Unterstützung ist. Die beiden kalten Fälle, die Bosch und Soto zunächst unabhängig voneinander bearbeiten, haben es wirklich in sich.
Connelly erweist sich einmal mehr als Meister darin, in seinem dramaturgisch geschickt gestrickten Plot auf authentische Weise die mühsame Ermittlungsarbeit zu beschreiben, die aber immer wieder neue Puzzleteile und so neue Spuren ans Licht bringt, denen die Detectives verfolgen können, bis sie am Ende die losen Enden zusammenführen können. Der ehemalige Polizeireporter Connelly beweist dabei ebenso psychologisches Feingefühl wie einen ausgeprägten Sinn für überzeugende Figuren, so dass „Scharfschuss“ auf jeden Fall zu den stärksten Bänden in der erfolgreichen Bosch-Reihe darstellt.
Leseprobe Michael Connelly - "Scharfschuss"

Michael Connelly – (Harry Bosch: 4) „Der letzte Coyote“

Donnerstag, 13. Oktober 2016

(Heyne, 400 S., Tb./Knaur eBook)
Da Detective Harry Bosch seinen verhassten Vorgesetzten Harvey Pounds nach einer Auseinandersetzung durch dessen Bürofenster gestoßen hatte, wurde er für unbefristete Zeit vom Dienst suspendiert und muss nun eine Therapie bei der Polizeipsychologin Dr. Hinojo absolvieren, bis diese Assistant Chief Irving einen positiven Bescheid zu Boschs Rückkehr in die Mordkommission von Los Angeles erstellt.
Mit der Therapeutin spricht Bosch zunächst über sein vom Erdbeben zerstörtes Haus, aus dem er sich trotzdem nicht weigert auszuziehen, über die vor drei Monaten beendete Beziehung mit der Lehrerin Sylvia Moore und über den Mord an einer Prostituierten, der zur tätlichen Auseinandersetzung mit Pounds geführt hat, und schließlich über seine Mutter Marjorie Lowe, die 1961 ermordet worden war, ohne dass der Fall aufgeklärt werden konnte.
Bosch nutzt seine Zwangsbeurlaubung dazu, sich noch einmal die Akte vorzunehmen und die beiden damals ermittelnden Beamten Claude Eno und Jake McKittrick ausfindig zu machen. Zunächst kontaktiert Bosch aber Meredith Roman, die zusammen mit Marjorie für den Zuhälter Johnny Fox gearbeitet und immer wieder auf den kleinen Harry aufgepasst hatte, wenn seine Mutter arbeiten musste. Interessanter erweist sich allerdings die Spur zum damaligen Bezirksstaatsanwalt Arno Conklin, der offensichtlich eine Beziehung zu Boschs Mutter unterhalten hatte …
„Was mit seiner Mutter geschehen war, hatte ihn geprägt. Es war immer dagewesen, in den dunklen Höhlen seines Bewusstseins. Das Versprechen, es herauszufinden. Das Versprechen, sie zu rächen. Er hatte es nie ausgesprochen, nicht einmal explizit gedacht. Sonst hätte er schon früher einen Plan gemacht. Aber es gab keinen großen Plan. Trotzdem war er von dem Gefühl erfüllt, dass es unvermeidlich und von verborgener Hand vor langer Zeit festgesetzt worden war.“ (Pos. 1320) 
Mit dem vierten Band um den in Hollywood beim Morddezernat als Detective arbeitenden Harry Bosch taucht der amerikanische Thriller-Bestseller-Autor Michael Connelly tief in die angeknackste Seele seines Helden ein und verknüpft Boschs seelische Aufbereitung seiner durch den Verlust seiner Mutter bedingte schwierige Kindheit in Pflegeheimen mit einem ebenso persönlichen ungeklärten Fall. Dabei überrascht es kaum, dass die unvollständige Akte zum Mord an seiner Mutter zu Spuren führen, die bis in höchsten Kreise der Stadtverwaltung reichen.
Geschickt baut Connelly einen faszinierenden Plot auf, der zwischen Therapiesitzungen und privaten Ermittlungen pendelt, wobei Boschs Vorgehen ungewöhnliche, immer wieder auch tödliche Konsequenzen nach sich zieht. Connelly folgt dabei recht konventionellen Erzählstrukturen mit gut kalkulierten Wendepunkten, hält die Spannung aber kontinuierlich bis zum überzeugenden Finale aufrecht. Was „Der letzte Coyote“ besonders auszeichnet, ist die sehr persönliche Geschichte, die Bosch seinen Fans noch näherbringt.
Leseprobe Michael Connelly - "Der letzte Coyote"

Michael Connelly – (Harry Bosch: 7) „Dunkler als die Nacht“

Donnerstag, 18. August 2016

(Heyne, 464 S., HC – Knaur eBook, 431 S., eBook)
Drei Jahre nach seiner Herztransplantation steht für den ehemaligen FBI-Ermittler und Experten für Serienmorde Terry McCaleb vor allem die Familie im Vordergrund. Immerhin ist McCaleb seit vier Monaten Vater einer Tochter, die er mit seiner Frau Graciela auf der Insel Catalina vor Los Angeles aufzieht. Doch dann taucht unvermittelt Sheriff’s Detective Jaye Winston bei ihm zuhause auf und bittet ihn, sich nur einmal die Unterlagen zum Mord an Edward Gunn anzusehen, einem trinkfreudigen Nichtsnutz, der immer wieder von dem Cop Harry Bosch im Gefängnis aufgesucht worden ist.
Interessanterweise führen einige Hinweise zu den düsteren Gemälden von Hieronymus Bosch und weiter zu seinem Namensvetter Harry Bosch, der gerade als Ermittler im Strafverfahren gegen den Hollywood-Regisseur David Storey aussagen soll.
Er ist angeklagt, eine junge Schauspielerin nach dem Sex erwürgt zu haben und es wie eine autoerotische Asphyxie aussehen zu lassen. Beide Fälle weisen unübersehbare Parallelen auf, so dass sich McCaleb mehr mit dem Fall zu beschäftigen beginnt, als er eigentlich sollte, selbst als er von Winston offiziell zurückgepfiffen wird. Was McCaleb aber besonders irritiert, ist der Umstand, dass die Indizien darauf hinweisen, dass ausgerechnet Harry Bosch für den Tod von Edward Gunn verantwortlich zu sein scheint.
„McCaleb wusste, viele Verbrecher machten Fehler, die zu ihrer Überführung führten, weil sie im Unterbewusstsein nicht ungestraft davonkommen wollten. Das Gesetz des ewigen Kreislaufs, dachte McCaleb. Vielleicht sorgte Bosch unbewusst dafür, dass sich das große Rad auch für ihn drehte.“ (S. 230) 
Als sich McCaleb und Bosch über diese seltsamen Zusammenhänge unterhalten, bemerkt Bosch zu seiner Verteidigung, dass McCaleb etwas übersehen haben muss, worauf sich dieser noch einmal an die Arbeit macht und tatsächlich auf eine interessante Spur stößt, die dem Verfahren gegen den arroganten Hollywood-Filmemacher eine ganz neue Richtung verleiht …
Der amerikanische Bestseller-Autor Michael Connelly hat mit seiner Reihe um den eigenwilligen Ermittler Harry Bosch nicht nur Krimi-Geschichte geschrieben, sondern auch die Vorlage für die Amazon-Net-TV-Serie „Bosch“ geliefert. In „Dunkler als die Nacht“ führt er seinen beliebten Protagonisten erstmals mit einer Hauptfigur aus einem seiner anderen Romane zusammen, Terry McCaleb aus „Das zweite Herz“. Der Leser erlebt hier zwei außergewöhnliche Ermittler, die zunächst auf unterschiedlichen Seiten stehen, dann aber gemeinsam der Wahrheit auf die Spur kommen und dabei lebensgefährliche Situationen überstehen müssen.
Connelly führt sein Publikum in die düsteren Bilderwelten des niederländischen Malers Hieronymus Bosch ein, wobei sein berühmtes Triptychon „Der Garten der Lüste“ im Zentrum des Mordes an Edward Gunn steht. Darüber hinaus gewährt der Autor Einblicke vor allem in das Privatleben von McCaleb, das sich seit seiner Herzoperation grundlegend verändert hat, ohne dass der Ermittler seine Leidenschaft für die Aufklärung ungewöhnlicher Verbrechen eingebüßt hätte.
Bosch agiert dagegen eher im Hintergrund, doch bezieht der Thriller seine Spannung vor allem aus dem Zusammenspiel der beiden Ermittler. Dabei gelingt es Connelly, sowohl einen klassischen Strafprozess als auch sorgfältige Ermittlungsarbeit dramaturgisch geschickt miteinander zu verbinden und den Leser von der ersten bis zur letzten Seite glänzend zu unterhalten.
 Leseprobe Michael Connelly - "Dunkler als die Nacht"