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James Sallis – (Lew Griffin: 2) „Nachtfalter“

Samstag, 4. Dezember 2021

(DuMont, 254 S., Tb.) 
Lew Griffin hat seine langjährige Tätigkeit als Privatdetektiv längst hinter sich gelassen und verdient in New Orleans seine Brötchen als Teilzeitlehrer und Schriftsteller, weshalb es dem mittlerweile Fünfzigjährigen möglich gewesen ist, seine Unterkunft in den respektablen Garden District zu verlegen. Doch als er in der Kinderintensivstation vor dem Brutkasten mit dem nicht mal 600 Gramm schweren Baby McTell steht, ist Griffin schon längst wieder auf der Spurensuche – und zwar auch auf den Spuren seines eigenen Lebens. Als seine langjährige Freundin LaVerne verstorben ist, taucht ihr letzter Ehemann, Chip Landrieu, bei ihm auf, um ihn zu engagieren. 
LaVerne hat nämlich zu der Zeit ihrer Ehe mit dem Arzt Horace Guidry eine Tochter namens Alouette geboren, zu der sie allerdings den Kontakt verlor, als Guidry nach der Scheidung das alleinige Sorgenrecht zugesprochen bekam. Doch Alouette nahm irgendwann Reißaus, brachte selbst viel zu früh ein Kind zur Welt – nämlich besagtes Baby McTell – und ist nun ihrerseits wie vom Erdboden verschluckt. Die Odyssee zu Alouette führt Griffin immer wieder zu sich selbst zurück, lässt Erinnerungen an vergangene Beziehungen – auch die zu der ehemaligen Prostituierten LaVerne – lebendig werden, aber auch an seine Zeit als Ermittler. Griffin kommt wieder mit all den düsteren Erlebnissen von Kindesmissbrauch und Gewalt in Berührung, die er längst hinter sich gehabt zu haben glaubte … 
„Wenn sich meine Phantasie in höhere Gefilde aufschwingt, denke ich mir Folgendes. Einst gab es Wesen, ein Geschlecht, eine Spezies (man kann es nennen, wie man will), die wahrhaftig auf diese Welt gehörten. Dann zogen sie irgendwann, aus irgendeinem Grund weiter, und wir traten an ihre Stelle. Seither versuchen wir einen endlosen Tag um den anderen, ihre Stelle einzunehmen. Aber wir werden immer Freunde bleiben, wir alle. Und trotz aller Mühen und sosehr wir uns auch verstellen mögen, werden wir nie ganz hierherpassen.“ (S. 108) 
Mit der Reihe um den Privatdetektiv/Lehrer/Schriftsteller Lew Griffin hat der US-amerikanische Schriftsteller James Sallis eine einzigartige Krimi-Serie geschaffen, in der zwischen 1992 und 2001 zwar sechs Romane erschienen sind, aber nur die ersten beiden – „The Long-Legged Fly“ und „Moth“ – ins Deutsche übersetzt wurden. Sallis‘ Debüt „Die langbeinige Fliege“ (später unter dem Titel „Stiller Zorn“ wiederveröffentlicht) ging im Zeitraffer die Stationen in Griffins Leben durch, machte den Leser mit Griffins unterschiedlichen Tätigkeiten, Aufträgen und Frauenbekanntschaften vertraut, steckte aber auch das Menschenbild und das gesellschaftliche Terrain ab, in dem sich sein belesener Protagonist bewegt. 
Mit dem Nachfolgeroman „Nachtfalter“ präsentiert sich Sallis etwas orthodoxer, aber noch immer jenseits der Genrekonventionen. Es mag zwar vor allem die Suche nach der Tochter seiner langlebigen Freundin sein, die die Handlung hier vorantreibt, aber Griffin schweift immer wieder in philosophische Betrachtungen und seine eigene Vergangenheit ab, lässt Beziehungen zu den ganz unterschiedlichen Frauen in seinem Leben und Fällen Revue passieren, die auf grausame Weise seiner momentanen Suche ähneln. Im Gegensatz zu konventionellen Krimis baut sich auch bei „Nachtfalter“ kein gewöhnlicher Spannungsbogen auf. 
Dafür überzeugt Sallis mit seinem einzigartigen Gespür für Sprache und Musik, den Rhythmus der Großstadt, das Elend und die Gewalt, die prekären Abhängigkeiten von Drogen oder schlechten Menschen. Fans von Bestseller-Thriller-Autoren, deren Plots nach Schema F gestrickt sind, werden sich mit Sallis und seiner Lew-Griffin-Reihe kaum anfreunden können, doch wer sich auf sprachlich gewandte, philosophisch unterfütterte Gegenwartsliteratur mit kriminellen Elementen einlassen kann, wird fürstlich belohnt. 

 

James Sallis – (Lew Griffin: 1) „Stiller Zorn“

Sonntag, 28. November 2021

(DuMont, 189 S., Tb.) 
Seit Nicolas Winding Refns Verfilmung seines 2008 mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichneten Romans „Driver“ ist der aus Arkansas stammende Schriftsteller und Übersetzer James Sallis aus der internationalen Krimi- und Literaturwelt nicht mehr wegzudenken. Seine ersten Erfolge feierte Sallis mit der Reihe um den schwarzen Privatdetektiv Lew Griffin, doch sind von den sechs zwischen 1992 und 2001 erschienenen Bänden leider nur die ersten beiden in deutscher Übersetzung erhältlich. Der erste Band, „The Long-Legged Fly“, wurde 1999 zunächst wortgetreu als „Die langbeinige Fliege“ in der von Martin Compart leider nur kurzlebigen Edition DuMont Noir mit einem lesenswerten Nachwort des Übersetzers Georg Schmidt veröffentlicht, 2013 als Neuauflage unter dem Titel „Stiller Zorn“
1964. Der Privatdetektiv Lewis „Lew“ Griffin schickt einen Mann namens Harry ins Jenseits, nachdem dieser sich an einem Mädchen aus Mississippi vergangen hatte, schlitzt ihm Kehle und Bauchdecke auf und kehrt irgendwann in sein Büro zurück, das er seit vier Tagen nicht mehr gesehen hat. Die Nachricht seiner Mutter, dass sein Vater im Sterben liegt, bekümmert ihn nicht weiter. Zwar ruft er seine Mutter im Krankenhaus von Memphis an, doch an einen Besuch denkt er nicht, da er an einem Fall arbeite. Für eine Gruppe von Gruppe von schwarzen Aktivisten soll er Corene Davis finden, die die Gruppe zu einem Vortrag eingeladen hatte, doch fehlt von ihr seit ihrem Flug von New York nach New Orleans jede Spur. Griffin findet die Gesuchte, nachdem er auf die Idee gekommen war, das Bild von Corene Davis aus dem Time Magazine aufhellen zu lassen. Offensichtlich wollte die populäre Aktivistin untertauchen, doch das ist ihr nicht so bekommen wie erhofft … 
Sechs Jahre später wird Griffin in seinem neuen Büro in Downtown von den aus Clarksdale, Mississippi, stammenden Eltern eines sechzehnjährigen Mädchens beauftragt, ihre offensichtlich nach New Orleans ausgebüchste Tochter ausfindig zu machen. Offensichtlich wollte sie in New Orleans Karriere als Schauspielerin machen. 1984 rappelt sich Griffin nach einem seiner vielen Alkoholexzesse wieder aus, wird aus der Touro Infirmary entlassen, wo er von einer Pflegerin namens Vicky besonders herzlich betreut wurde. Da der Detektiv nicht weißt, wo er unterkommen soll, bietet ihm eine alte Freundin, die Prostituierte Verne, einen Platz in ihrer Wohnung an, doch dann kommt er auf das Angebot von William Samson zurück, in dem von ihm geleiteten Rehabilitationszentrum ein Bett im Gemeinschaftszimmer zu belegen, dann zieht er zu Vicky, mit der er in letzter Zeit einiges unternommen hat. Er treibt Schulden ein und soll für einen Mann, den er in Samsons Zentrum kennenlernte, die Schwester finden. Weitere sechs Jahre später hat Griffin seine Tätigkeit als Privatdetektiv eigentlich hinter sich gelassen, unterrichtet und ist als Autor recht erfolgreich geworden, doch dann muss er seine alten Fähigkeiten reaktivieren, um seinen eigenen Sohn wiederzufinden, der sich nach einem Frankreich-Trip wie vom Erdboden verschwunden zu sein scheint. 
„Wenn es nur irgendwas gäbe, mit dem man die Welt und uns selbst neu erschaffen könnte. Ich dachte daran, wie ich erst vor ein paar Monaten am Fluss entlangspaziert war und mir die Worte Tabula rasa und Palimpsest durch den Kopf gegangen waren. Doch die Welt ändert sich nicht, und wir zumeist ebenso wenig. Wir schauen bloß weiter in den gleichen Spiegel, probieren unterschiedliche Hüte und Mienenspiele, versuchen es mit neuen Untugenden, Meinungen und Vorurteilen; tun so, genau wie die Kinder, als könnten wir Dinge sehen und spüren, die gar nicht da sind.“ (S. 140) 
Man spürt es immer wieder, wie der Einfluss des Jazz auch die Geschichten um den schwarzen Privatdetektiv Lew Griffin prägt. James Sallis hat bereits in den 1980er Jahren Kritiken und Sachbücher zum Thema Jazz geschrieben, spielt selbst Instrumente wie das Horn, Fiedel, Mandoline und Dobro, und hat durch die Werke von Raymond Chandler gelernt, dass Detektivgeschichten ein Eckstein der amerikanischen Literatur darstellt. Von ihm hat Sallis den Grundgedanken übernommen, dass es in den Geschichten weniger um die Lösung eines Verbrechens geht als um die Erkenntnis, dass es keine Moral und Ordnung in der Welt gibt. 
In der Spanne von 26 Jahren, in denen sich die vier Episoden von „Die langbeinige Fliege“/“Stiller Zorn“ abspielen, hat Griffin auch nicht immer den gewünschten Erfolg bei seinen Ermittlungen, aber durch die Begegnungen mit den Menschen, die er durch die Suche nach vermissten Personen kennenlernt, geht ihm auch das Vertrauen in die Welt verloren, was ihm entweder Trost im Alkohol oder in Beziehungen suchen lässt, denen kein gutes Ende vorherbestimmt ist. 
In der Lebensgeschichte von Lew Griffin schwingt der trostlose Klang des Blues durch, und doch schlägt sich der Detektiv, Schuldeneintreiber, Lehrer und Schriftsteller irgendwie wacker, findet immer einen Unterschlupf, eine wie immer auch geartete Liebesbeziehung und einen Job. Er lässt sich nicht unterkriegen in dem Moloch der Großstadt, in der mehr als nur einzelne Menschen verloren gehen. Dabei sind es nur Fragmente, die Sallis seinem Publikum aus Griffins Leben präsentiert. Wenn er auf nicht mal 190 Seiten über ein Vierteljahrhundert im Leben seines Protagonisten rekapituliert, bleibt nicht viel Raum für ausführliche Charakterisierungen und vertrackte Plots. Vielmehr bietet Sallis‘ Debütroman eine Tour de force durch Schicksale, die Zeugnis davon ablegen, wie Schwarze immer noch ausgegrenzt und gedemütigt werden und auf der Suche nach etwas Glück auch auf falsche Versprechungen reinfallen. Die unorthodoxe Art, wie Sallis seine Figur durch das Leben straucheln, aber nicht fallen lässt, macht sein Debüt so fesselnd. 

 

Richard Russo – „Jenseits der Erwartungen“

Dienstag, 19. Mai 2020

(DuMont, 432 S., HC)
Um der alten Zeiten willen treffen sich die mittlerweile allesamt sechsundsechzigjährigen Freunde Lincoln Moser, Teddy Novak und Mickey Giradi im Spätsommer auf Martha’s Vinyard wieder, wo Lincoln das Ferienhaus seiner Eltern in Chilmark zu verkaufen gedenkt. Sie hatten einst zur Zeit des Vietnamkriegs am humanistisch ausgerichteten Minerva College in Connecticut studiert, sich ein Apartment geteilt und jeweils entweder in der Küche oder im Service im Haus der Studentinnenverbindung Theta jobbten.
Seit jener Zeit sind sie in alle Winde zerstreut und haben ganz unterschiedliche berufliche Wege eingeschlagen: Teddy hat sich mit einem Kleinverlag für esoterisch ausgerichtete Schriften in Syracuse selbständig gemacht, Lincoln ist in Las Vegas als Immobilienmakler sesshaft geworden und hat mit seiner Frau Anita eine Familie gegründet, Mickey ist als Musiker und Toningenieur im nahe gelegenen Cape Cod tätig.
Sie alle einen aber die Erinnerungen an die erste der beiden Vietnam-Einberufungslotterien am 1. Dezember 1969, als Mickeys Geburtstag als neunte von 366 Möglichkeiten gezogen wurde und er mit dem Gedanken zu spielen begann, nach Kanada auszuwandern. Doch noch mehr sollte sie das Verschwinden von Jacy Calloway bewegen, in die sie alle gleichermaßen verliebt waren. In dem Ferienhaus, in dem seine Eltern mit der Familie immer den Sommer verbrachten und auf das es nun ihr Nachbar Mason Troyer abgesehen hat, werden die alten Geschichten aufgewärmt, und vor allem Lincoln kommt nicht davon los, herauszufinden, was aus Jacy geworden ist, nachdem sie sich mit Vance verloben wollte und die drei jungen Männer damals nur mit einer Abschieds-Notiz kollektiv verlassen hatte und nie wieder auftauchen sollte. Er stöbert in den Archiven der örtlichen Vineyard Gazette und befragt den damals ermittelnden Polizeibeamten Joe Coffin, doch der Anfangsverdacht ausgerechnet gegen Mason Troyer, der wegen Belästigung junger Frauen bereits aktenkundig ist, bewegt sich schließlich in eine viel beunruhigendere Richtung …
„Als Mickey später witzelte, er werde ihren Verlobten umbringen, regte sich in Lincoln etwas Dunkles, Tückisches, wobei er den Gedanken natürlich , so gut er es vermochte, von sich wies. Nein, natürlich würden sie Jacys Verlobten nicht umbringen. Sie hatten doch lediglich bekräftigt, dass, wenn es eine Frau gab, die es wert wäre, deren Verlobte umzubringen, dann Jacy. Und doch …“ 
Richard Russo, der für seinen Roman „Diese gottverdammten Träume“ 2002 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, erweist sich auch in seinem neuen Werk „Jenseits der Erwartungen“ als einfühlsamer Erzähler, der vor dem Hintergrund einer ungewöhnlichen (Gruppen-)Liebesgeschichte mit tragischem Ausgang die unterschiedlichen Lebensläufe, Träume und Sehnsüchte seiner drei Protagonisten ausbreitet. Dabei wird deutlich, dass sie sich zwar gern als die drei Musketiere betrachtet haben und kollektiv in Jacy verliebt waren, aber letztlich jeder ganz individuell mit ihrem Verlust umgehen musste. Bei der Charakterisierung zeigt sich Russo als feinfühliger Beobachter der menschlichen Seele. Mit viel Sympathie zeichnet er das Leben der drei Männer nach, ihre familiären Hintergründe und vor allem die Zeit, in der sie lebten, die zwar auch von freier Liebe und Drogenkonsum, aber eben auch vor der Angst vor dem Vietnamkrieg geprägt war.
Durch das Verschwinden ihrer gemeinschaftlichen Traumfrau entwickelt Russo aber auch einen gut durchdachten Krimi-Plot, der allerdings zum Ende hin etwas weitschweifig ausgefallen ist. Davon abgesehen ist „Jenseits der Erwartungen“ ein wundervoller Roman über Freundschaft und Liebe geworden, der die ungewöhnliche Beziehungskonstellation ebenso glaubwürdig wie packend darstellt.

Joe R. Lansdale – (Hap & Leonard: 4) „Schlechtes Chili“

Samstag, 16. Januar 2016

(DuMont, 319 S., Tb.)
Als Hap Collins Mitte April von seinem Job auf der Bohrinsel nach Hause kommt, hat auch sein schwarzer, schwuler Freund Leonard Pine seinen Job als Rausschmeißer im Hot Cat Club verloren. Um sich die Zeit zu vertreiben, machen die beiden Freunde eine Spritztour und wollen im Wald ein paar Schießübungen machen, als Hap von einem tollwütigen Eichhörnchen angegriffen und gebissen wird. Doch die Behandlung im Krankenhaus muss Hap verkürzen, denn als er Besuch vom frisch zum Lieutenant beförderten Charlie Bank bekommt, erfährt er vom Tod eines Bikers, der gerade mit Leonards Ex-Freund Raul zusammengekommen war. Wenig später wird auch Rauls Leiche in der Nähe des toten Bikers gefunden.
Da Leonard unvermittelt zum Mordverdächtigen wird, bleibt den beiden Freunden nicht viel Zeit, Leonards Unschuld zu beweisen. Da Leonards Hütte auf den Kopf gestellt worden ist und dabei vor allem seine Videosammlung zu leiden hatte, scheint Raul in krumme Geschäfte verwickelt gewesen zu sein.
Bei ihrer Spurensuche stoßen Hap und Leonard auf Videos, die nicht nur zeigen, wie Schwule im berüchtigten LaBorde Park vertrimmt werden, sondern auch welche, auf denen Männer aus dem Umfeld des Unternehmers King Arthur bei Fettdiebstählen zu beobachten sind. Offensichtlich hat jemand versucht, den Chili-King mit den Videos zu erpressen und dabei gegen Kings mächtigen Handlanger Big Man Mountain den Kürzeren gezogen. Zum Glück erhalten Leonard und Hap Unterstützung durch den Detektiv Jim Bob Luke, der ebenso mit seinem Mundwerk wie mit seinen Waffen umzugehen versteht.
Derweil beginnt sich Hap in die Krankenschwester Brett zu verlieben …
„In meinem Leben war also nicht alles schlecht, aber Leonard war wie ein Kessel auf dem Herd. Man wusste einfach nicht, wann er zu kochen anfangen würde. (…) Er war einfach griesgrämig, genau das war er. Es wurde so schlimm, dass ich Rauls Mörder finden wollte, nur um mir Leonards Nörgeleien nicht mehr anhören zu müssen.“ (S. 179) 
In dem breit gefächerten literarischen Universum, in dem sich der texanische Autor Joe R. Lansdale bewegt, nimmt die „Hap & Leonard“-Reihe eine besondere Stellung ein. Zwar greift Lansdale allein schon durch die Konstellation der beiden Freunde – Hap ist ein weißer Hetero-Kriegsdienstverweigerer, Leonard ein schwarzer homosexueller Vietnamveteran – seine vertrauten Themen wie Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art auf, doch bildet ihr eigenwilliger Gerechtigkeitssinn eine weitere Säule der Erfolgsgeschichte um das ungewöhnliche Ermittler-Duo. Auch im vierten Band der populären Reihe haben die beiden Männer mit den Tücken des Alltags, der schwierigen Jobsuche und vergangenen/neuen Beziehungen zu kämpfen, aber auch mit den starren Buchtstaben des Gesetzes, über die sich der ortsansässige Cop Charlie auch nicht hinwegsetzen kann.
Es geht wieder deftig-rustikal zu in dem kurzweiligen Roman „Schlechtes Chili“. Diesmal bekommen die losen Münder von Hap und Leonard durch den auswärtigen Detektiv Jim Bob noch wortreiche Verstärkung, so dass die Krimi-Handlung sowohl von – oft schmerzhafter – Action als auch von schrill-amüsanten Wortgefechten vorangetrieben wird. Das ist einfach großartige Unterhaltung!
Leseprobe Joe R. Lansdale – „Schlechtes Chili“

Joe R. Lansdale – „Die Wälder am Fluss“

Montag, 11. Januar 2016

(DuMont, 366 S., Tb.)
Während Jacob Crane im östlichen Texas des Jahres 1933 als Farmer, Friseur und Constable für den Unterhalt der Familie sorgt, ist sein elfjähriger Sohn Harry vom geheimnisvollen Ziegenmann fasziniert, dem nachgesagt wird, in den dichten Wäldern am Sabine River Kinder und Tiere zu stehlen. Mit seiner jüngeren Schwester Thomasia – kurz: Tom – ist er gerade in der Abenddämmerung unterwegs, um die Jagdhund-Terrier-Mischung Toby von ihren Leiden zu erlösen, da stoßen sie auf eine schrecklich zugerichtete Frauenleiche. Am nächsten Morgen führt Harry seinen Vater zur Fundstelle, wobei sie an dem Haus des alten Mose vorbeikommen, den die Dorfbewohner bald als Täter ausmachen. Schließlich hat er die Geldbörse der toten Frau gefunden.
Und es werden weitere Frauen gefunden, meist schwarze Prostituierte, die furchtbar zerschnitten und auf einzigartige Weise geknebelt sind, aber erst als auch ein weißes leichtes Mädchen tot aufgefunden wird, reagieren der Ku-Klux-Klan. Bevor die Männer in den weißen Gewändern den alten schwarzen Mann lynchen können, versteckt Harrys Vater den Verdächtigen. Das Versteck bleibt allerdings nicht lange geheim, und weder Harry noch sein Vater können verhindern, dass Mose an einem Baum aufgeknüpft wird. Danach ist Harrys Vater nicht mehr derselbe.
„Daddy suchte eine Zeit lang nach dem Mörder, aber abgesehen von ein paar Spuren am Ufer, die davon zeugten, dass dort jemand nach Essbarem gesucht hatte, fand er nichts. Ich hörte, wie er Mama erzählte, er habe in den Wäldern am Fluss das Gefühl gehabt, jemand beobachte ihn – als gäbe es da draußen jemanden, der die Wälder und den Fluss genauso gut kannte wie die Tiere dort; und dass dieser Jemand ein Auge auf ihn habe.“ (S. 119) 
Die Morde hören nach Moses Tod zwar auf, doch die meisten Menschen mit gesundem Verstand glauben nicht daran, dass Mose die Taten begangen hat. Während sich die Aufregung nach den Morden legt, taucht ein alter Verehrer von Harrys Mutter wieder auf und verschwindet auf mysteriöse Weise. Und Harry glaubt immer wieder, den Ziegenmann in seiner Nähe zu sehen …
Dass der mehrfach preisgekrönte Horror- und Krimi-Autor Joe R. Lansdale gern als Autor in der Tradition von Südstaaten-Größen wie William Faulkner und Mark Twain gesehen wird, lässt sich an seinem 2000 in den USA, in Deutschland durch den DuMont Buchverlag veröffentlichten Roman „Die Wälder am Fluss“ wunderbar illustrieren.
Schließlich steht im Mittelpunkt des Geschehens ein elfjähriger Junge, der in den 1930er Jahren die Schrecken der Depression und die nach wie vor anhaltende Rassendiskriminierung nicht nur bezeugen muss, sondern auch am eigenen Leib erlebt. Lansdale erweist sich wieder einmal als brillanter Erzähler, der anhand einiger Morde an kaum geachteten Frauen darlegt, wie vergiftet die gesellschaftliche Atmosphäre in dieser Zeit gewesen ist, als die kleinsten Indizien ausgereicht haben, um das Leben eines schwarzen Mannes auszulöschen.
Dem Autor gelingt es, in „Die Wälder am Fluss“ eine klassische Coming-of-Geschichte mit einer packenden Thriller-Handlung, einer Portion Washington-Irving-Horrors und einem Gesellschaftsroman zu verbinden, wobei die düsteren Verbrechen die besten und die schlechtesten Eigenschaften der Einwohner von Marvel Creek hervorkehren.
Neben der packenden Handlung sind es aber vor allem wieder die stark gezeichneten Figuren und die schwül-intensive Atmosphäre, die „Die Wälder am Fluss“ so lesenswert machen.
Leseprobe: Joe R. Lansdale – „Die Wälder am Fluss“

Shane Kuhn – „Töte deinen Chef“

Sonntag, 3. Januar 2016

(DuMont, 319 S., Tb.)
Nachdem Vollwaise John Lago bereits im zarten Alter von acht Jahren seine mit Drogen handelnden Pflegeeltern Mickey und Mallory mit Plastiktüten über dem Kopf erstickt hatte und in den Jugendknast gewandert war, wurde Bob, Geschäftsführer von Human Ressources Inc., auf den Jungen aufmerksam und bildete ihn zum Auftragskiller aus. Mittlerweile ist John 25 und damit für seine Branche im besten Rentenalter. Bevor er seine siebenstellige Rentenprämie kassiert und all das seit der Pubertät angesparte Geld ausgeben kann, hat Bob noch einen letzten, allerdings ungewöhnlich kniffligen Auftrag für ihn: Während die Dossiers zu seinen Aufträgen normalerweise das Profil der Zielperson, ihre Feinde und Schwäche sowie Lagepläne beinhalten, muss John die Zielperson erst einmal selbst ausfindig machen, nämlich einen der drei Geschäftsführer der berühmten New Yorker Anwaltskanzlei Bendini, Lambert & Locke.
Um denjenigen zu identifizieren, der die Liste der im Zeugenschutzprogramm des FBI befindlichen Personen meistbietend verkauft hat, wird John wie üblich als Praktikant in die Kanzlei eingeschleust. Da Praktikanten bei guter Eignung Zugang zu wichtigen Bereichen und Informationen bekommen, sich aber niemand an sie erinnert, stellt es die perfekte Tarnung für Johns Profession dar.
Tatsächlich gelingt es John, mit Fleiß und perfekter Kaffeezubereitung, in den inneren Zirkel der Kanzlei vorzustoßen und erhält dabei Unterstützung von der routinierten Praktikantin Alice, die kurz davor steht, eine der begehrten Festanstellungen zu erhalten.
Doch als John erfährt, dass Alice eine FBI-Agentin ist, in die er sich auch noch zu verlieben beginnt, gestaltet sich die Ausübung seines Auftrags zunehmend schwieriger …
„Wenn ihr diesen Beruf ergreift, dann versucht erst gar nicht, euch zu rechtfertigen. Ihr seid die Bösen, das ist eure Rolle. Ohne euch gäbe es keine Bezugsgröße für die Beurteilung der Guten. Wir sind das Yin. Die Zivilisten das Yang. Wenn ihr euch auf eure Rolle konzentriert und nicht von der Lebenswirklichkeit anderer beeinflussen lasst, werdet ihr bis ins Rentenalter von fünfundzwanzig Jahren überleben. Vielleicht bleibt euch eine Kugel im Kopf erspart, aber eure Seele werdet ihr nicht retten können.“ (S. 78) 
Mit „Töte deinen Chef“ legt der ehemalige Werbetexter und Creative Director Shane Kuhn seinen ersten Roman vor, der als „Leitfaden für Praktikanten“ aus der Perspektive des Hitmans John Lago aufgezogen ist. Der Plot ist zwar an konventionelle Auftragskiller-Geschichten angelehnt (bevor der Killer aus dem Geschäft aussteigen kann, muss er noch einen letzten Job erledigen, der natürlich viel komplizierter ist als alle anderen davor), stellt sich mit seiner durchgängigen humorvollen Sprache aber weniger als Thriller denn als Thriller-Komödie dar.
Die Ich-Erzählung wird dabei immer wieder von Abhörprotokollen des FBI aufgelockert, das offensichtlich auch ein Auge auf John Lagos Aktivitäten geworfen hat.
Shane Kuhn, der mittlerweile aus Drehbuchautor („The Scorpion King 3 - Kampf um den Thron“, „Dead In Tombstone“) und Regisseur tätig ist, gelingt es, seine wendungsreiche Story mit makabren Humor, rasanten Tempo und einer Portion unorthodoxer Romantik zu würzen und somit für ein kurzweiliges, durchaus filmreifes Lesevergnügen zu sorgen.
Leseprobe Shane Kuhn - "Töte deinen Chef"