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James Patterson & David Ellis – „Stadt der Vergeltung“

Montag, 27. Februar 2023

(Goldmann, 476 S., Tb.) 
Der gelernte Anwalt David Ellis hat schon einige eigene Romane veröffentlicht und für seinen 2002 veröffentlichtes Debüt „Line of Vision“ sogar gleich den renommierten Edgar Allan Poe Award eingeheimst. Hierzulande ist er vor allem als Co-Autor für den Fließband-Bestseller-Autor James Patterson bekannt, mit dem er beispielsweise die Thriller „Ocean Drive 7“, „Im Netz der Schuld“, „Unerbittlich“, „Todesgier“ und „Todesflammen“ realisiert hat, doch kommen all die Werke, die Patterson mittlerweile mit Co-Autoren umsetzt, nie an die Qualität seiner noch eigenverantwortlich geschriebenen Frühwerke der populären Reihen um Alex Cross und den Women’s Murder Club heran. Das trifft leider auch auf „Stadt der Vergeltung“ zu. 
Nachdem Detective Billy Harney einen Skandal aufgedeckt hatte, der alle wichtigen Akteure, selbst den Bürgermeister von Chicago, zu Fall brachte, Reformen und Versetzungen in Gang setzte und ihm selbst eine Kugel im Kopf einbrachte, steht Harney nach erfolgreicher Reha wieder vor der Rückkehr in den Polizeidienst. Polizeipräsident Tristan Driscoll hat die Turbulenzen zwar unbeschadet überstanden, ist aber nicht zuletzt wegen der schlechten Presse, die dem aufgedeckten Skandal folgte, Harney gegenüber nicht besonders wohlwollend eingestellt. 
Umso überraschter ist der Detective, dass er der jüngst ins Leben gerufenen SOS zugeteilt wird. Die Elite-Einsatztruppe der Special Operations Section soll zwar Schwerverbrechen im gesamten Stadtgebiet von Chicago nachgehen, schwerpunktmäßig aber in der West Side die dort berüchtigten wilden Schießereien unterbinden. Gleich der erste Fall, den Harney mit seiner neuen Partnerin, Carla Griffin, hat es in sich. Eine Schießerei in dem Viertel K-Town fordert vier Opfer. Alles sieht nach einem typischen Vorfall von Gangkriminalität aus, doch unter den Opfern befindet sich auch ein sehr junges Mädchen und ein Baby. Harney suchen unmittelbar Erinnerungen an die Tragödie von vier Jahren heim, als erst seine kleine Tochter an einem Schlaganfall starb und sich dann seine depressive Frau, die Anwältin Valerie Blinderman, mit einem Kopfschuss das Leben nahm. Wegen der daraus resultierenden Proteste aus der Bevölkerung drängen die Verantwortlichen natürlich auf eine schnelle Aufklärung. 
Als Damien „Junior“ Peppers, einer der Todesschützen aus der Truppe von Gangsterboss Jericho, hingerichtet und mit der Tatwaffe in seinem Wagen, entdeckt wird, scheint der Fall bereits aufgeklärt zu sein, doch für Harney sieht die Sache zu einfach aus, und das tote Mädchen, das osteuropäischer Herkunft zu sein schien und als Evie bekannt war, passt für ihn nicht in das Schema einer aus dem Ruder gelaufenen Drogensache. Ebenso wenig wie der wegen Mordes inhaftierte Antoine Stonewald, den Val vor ihrem Tod noch zu verteidigen versuchte. Offenbar versucht ein Mädchenhandel-Ring, seine Spuren zu verwischen, die sogar bis zu einem der letzten Fälle von Harneys Frau zurückreichen… 
„Stadt der Vergeltung“ bietet dem hartgesottenen James-Patterson-Fan gewohnt temporeiche Action im gewohnten Format. In knackig kurzen und entsprechend einfachen Sätzen in zwei- bis vierseitigen Kapiteln bekommt es der Ich-Erzähler Billy Harney mit einem besonders „kniffligen“ Fall zu tun. Dabei geben sich Patterson und sein Co-Autor nicht viel Mühe, ihren Protagonisten allzu sorgfältig einzuführen. Zwar wird der vorgebliche Selbstmord seiner Frau Val in Harneys Träumen und Erinnerungen immer wieder thematisiert und im weiteren Verlauf der Handlung sogar zunehmend in den Mittelpunkt gerückt, doch der eingangs erwähnte Skandal, der Harney gleichsam als Held und Verräter dastehen ließ, wird beispielsweise nicht näher mit Hintergrundinformationen unterfüttert. Stattdessen drücken Patterson und Ellis von Beginn an aufs Tempo, führen unzählige Figuren ein, mit deren Charakterisierung sich nicht lange aufgehalten wird, und bringen eine Geschichte ins Rollen, bei der Drogengeschäfte, Menschenhandel und vor allem Korruption in den eigenen Reihen munter durcheinandergewirbelt werden. Trotz einiger recht konstruiert wirkender Wendungen steuert die Morde zu Beginn auf eine teilweise sehr vorhersehbare Auflösung hin. So stellt „Stadt der Vergeltung“ einen Patterson-typischen Cop-Thriller dar, der über ein sehr hohes Tempo, aber über wenig dramaturgisches Geschick oder tiefgründige Figurenzeichnungen verfügt. Gerade die Beziehungen zwischen Billy, seiner Schwester Patti und ihrem im Gefängnis sitzenden Vater hätten viel sorgfältiger herausgearbeitet werden können.  

Dan Simmons – (Hyperion: 4) „Endymion - Die Auferstehung“

Dienstag, 13. Dezember 2022

(Goldmann, 864 S., Pb.) 
Ende der 1980er Jahre schuf der US-amerikanische Schriftsteller Dan Simmons („Göttin des Todes“, „Kraft des Bösen“) mit den zweibändigen „Hyperion-Gesängen“ ein mit einem Locus Award und einem Hugo Award prämiertes Science-Fiction-Epos, auf das 1997 mit „Endymion“ seine unerwartete, doch begeistert aufgenommene Fortsetzung folgte, die nur ein Jahr später mit dem fast 900 Seiten umfassenden „The Rise of Endymion“ ihren Abschluss fand. Hierzulande sind die beiden „Hyperion“-Bände bei Heyne veröffentlicht worden. Die Fortsetzungen erschienen als „Endymion – Die Pforten der Zeit“ und „Endymion – Die Auferstehung“ zunächst in Einzelbänden bei Goldmann, dann als Sammelbände bei Blanvalet und schließlich Heyne. 
„Endymion – Die Pforten der Zeit“ erzählte von Aeneas Verschwinden und der Suche nach ihr durch den Pax auf der einen und den Dichter Martin Silenus auf der anderen Seite. Um die Tochter von Brawne Lamia und Johnny, der KI-Rekonstruktion des Dichters John Keats, aus dem Zeitgrab Sphinx auf Hyperion zurückzuholen, schickte der Pax 30.000 Soldaten, darunter 5.000 Schweizergardisten, zu den Gräbern, während der Dichter nur den Touristenführer, Landschaftskünstler und Barkeeper Raul Endymion entsandte. Durch das Shrike, einer zeitmanipulierenden Kampfmaschine aus der Zukunft, werden die Truppen des Pax vernichtend geschlagen, und Aenea gelingt mit Raul mithilfe der seit dem Fall deaktivierten Farcaster auf die Welten der ehemaligen Hegemonie zu flüchten und mit Unterstützung von Pater Captain de Soya, der das Mädchen eigentlich in den Vatikan schaffen sollte, auf der Alten Erde zu landen. 
„Endymion – Die Auferstehung“ beginnt mit dem Tod von Papst Julius XIV. und der erneuten Ermordung des Gegenpapstes Pater Duré. Währenddessen hat Aenea ihre vierjährige Ausbildung bei der inzwischen verstorbenen Cybrid-Rekonstruktion des Architekten Frank Lloyd Wright beendet und schickt Raul allein zurück auf den Tethysfluss, um das inzwischen reparierte Raumschiff des Konsuls zu suchen. Sie selbst realisiert auf verschiedenen Welten unterschiedliche Bauaufträge als Architektin und setzt ihre von der Kurie gefürchtete Mission fort, als „Die, die lehrt“ die Sprache der Lebenden, die Sprache der Toten und die Musik der Sphären zu verbreiten und vor der parasitären Kruziform zu warnen, die die Kirche des Pax ihren Jüngern als Mittel der ständigen Wiedergeburt anpreist. Mit der Kommunion, bei der Aeneas Anhänger mit ihrem Blut versetzten Wein zu sich nehmen, verzichten diese auf das Tragen der Kruziform. Währenddessen findet Raul zwar das gesuchte Schiff, ist aber so schwer verletzt, dass er vom Autodoc an Bord erst einmal zusammengeflickt werden muss. 
Als Raul seine junge Freundin am vereinbarten Treffpunkt auf dem Planeten T‘ien Shan wiedertrifft, ist Aenea durch die fünfjährige Zeitschuld, die Raul auf sich nehmen musste, mittlerweile 21 Jahre alt und eine attraktive junge Frau, mit der Raul eine romantische, leidenschaftliche Liebesbeziehung eingeht. Doch dann müssen sie sich Nemes stellen, der nichtmenschlichen Kreatur des Techno-Core, die aus dem Lavagefängnis befreit werden konnte, in das sie Pater Captain de Soya eingeschlossen hatte, und nun Aenea und ihre Begleiter endgültig töten will. Schließlich sucht Aenea die offene Konfrontation mit dem Pax und kündigt dem neuen Papst Urban XVI. ihren Besuch im Vatikan auf Pacem an. 
„Was, beim gottverdammten Teufel, sollte das heißen? Wie konnte Aenea nach Pacem gehen und überleben? Unmöglich. Aber wohin sie auch ging, eines wusste ich mit Sicherheit: Ich würde an ihrer Seite sein. Was bedeutete, dass sie mich auch umbrachte, wenn sie zu ihrem Wort stand. Und das tat sie immer. Ich komme nach Pacem. War das nur eine List, um ihre Flotte abzulenken? Eine leere Drohung … eine Möglichkeit, sie aufzuhalten? Ich wollte meine Liebste schütteln, bis ihr die Zähne ausfielen und sie mir alles erklärte.“ (S. 686) 
Es erfordert schon ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration, sich mit dem großen, in jeder Hinsicht epischen Finale der gigantischen Space Opera auseinanderzusetzen, wenn sich die als Erlöserin prophezeite Aenea von einem elfjährigen Kind zu einer charismatischen und weisen jungen Frau entwickelt und für knapp zwei Jahre ohne ihren Geliebten Raul Endymion, der wieder als Ich-Erzähler fungiert, allein durch die Welten ´castet und eine Allianz gegen den Pax und den TechnoCore zu schmieden versucht.  
Dan Simmons gelingt es während der abenteuerlichen Odyssee nicht nur, immer neue Welten und Planeten zu erschaffen, sondern auch weithin philosophische, literarische und evolutionäre Fragen zu thematisieren, die „Endymion“ wie zuvor schon die „Hyperion“-Gesänge prägten. In einem furiosen Epilog werden endlich die wichtigsten der vielen losen Fäden zusammengefügt und etliche Fragen des Ich-Erzählers wie des Lesers beantwortet, auch die Frage nach Aeneas Mann und Kind, die sie während der knapp zweijährigen Zeit gehabt haben soll, über die allseits Unkenntnis herrscht. Vor allem wirft die komplexe Geschichte einen Blick auf die wirklich wichtigen Fragen, nach welchen moralischen und ethischen Grundsätzen die Menschheit in Zukunft leben will. 

 

Dan Simmons – „Das Schlangenhaupt“

Freitag, 2. September 2022

(Goldmann, 478 S., Tb.) 
Dan Simmons hat sich seit Mitte der 1980er Jahre mit preisgekrönten Horror-Romane („Göttin des Todes“, „Kraft des Bösen“, „Sommer der Nacht“) und Science-Fiction-Epen („Hyperion“, „Die Feuer von Eden“) weltweit einen Namen gemacht. Ende der 1990er Jahre begann der US-amerikanische Bestseller-Autor, sich auch in anderen Genres zu versuchen. Neben der hierzulande kaum bekannten Thriller-Reihe um den Privatdetektiv Joe Kurtz erschien nach Simmons‘ sehr gutem Thriller-Debüt „Fiesta in Havanna“ mit „Das Schlangenhaupt“ ein weiterer gelungener Roman, in dem der Autor vor allem seinen Sinn für ungewöhnliche Settings unter Beweis stellte. 
Dr. Dar(win) Minor ist ein Spezialist für die Rekonstruktion von Unfallursachen in Kalifornien und wird von seinem Chef Lawrence Steward vor allem immer dann zu Unfällen hinzugezogen, bei denen sich die Polizei vor Ort überhaupt keinen Reim auf den Unfallhergang machen kann bzw. wenn der Verdacht besteht, dass Unfälle vorgetäuscht wurden, um Versicherungen zu betrügen. Dar befindet sich nach einer Unfallbegutachtung mit seinem Acura NSX wieder auf dem Heimweg außerhalb von San Diego, als er auf dem Highway 15 von einem Mercedes E 340 mit abgedunkelten Scheiben bedrängt wird, bevor das Feuer auf ihn eröffnet wird. 
Dar gelingt es nicht nur, die Schüsse unbeschadet zu überstehen, sondern mit seinem Rennwagen die Verfolgung aufzunehmen und den Mercedes mit seinen beiden Insassen in eine Schlucht stürzen zu lassen. Die Identifizierung der beiden Leichen ergibt, dass es sich um russische Auftragskiller handelte, die offenbar in Verbindung mit organisiert angelegten Versicherungsbetrügen stehen, in denen eine Sonderheit aus FBI, LAPD, San Diego Police Department, California Highway Patrol und anderen Organisationen ermittelt. Um herauszufinden, wer für das Attentat auf Dar verantwortlich ist, soll Dar Teil der Sondereinheit werden, außerdem wird er persönlich von Sydney Olson, der attraktiven Chefermittlerin des Generalstaatsanwalts, bewacht. 
Während sich Dar und Syd allmählich näherkommen, entdecken sie eine Verbindung der Killer zum prominenten Anwalt Dallas Trace… 
„Dar wusste, dass unter allen Soldaten dieser Erde allein Sniper darauf trainiert waren, Gegner zu belauern. Marines und Army-Infanteristen mochten in kleinen Einheiten andere kleine Einheiten oder sogar einen einzelnen Feind belauern, aber allein der Sniper war dafür ausgebildet, mit List und Tücke aus dem Hinterhalt auf weite Entfernung einen bestimmten Menschen zu töten. Und ganz oben auf der Liste eines Scharfschützen stand stets sein gefährlichster Gegner: der feindliche Scharfschütze.“ (S. 427) 
Dan Simmons ist mit „Darwin’s Blade“, so der Originaltitel, ein vor allem thematisch interessanter Thriller mit einem charismatischen Protagonisten gelungen. Wie Simmons immer wieder die ungewöhnlichsten Unfälle beschreibt, die der promovierte Physiker zu bearbeiten hat, zaubert dem Leser immer wieder ein Schmunzeln ins Gesicht, doch übertreibt es der Autor gelegentlich mit den wissenschaftlichen Hintergründen und Berechnungen mit mathematischen Formeln, was dem Lesefluss gelegentlich abträglich ist. 
Das trifft auch auf die übertriebenen und völlig unglaubwürdigen Action-Sequenzen zu. Nachdem Simmons sich so viel Mühe gegeben hat, realistische Szenarien und gut charakterisierte Figuren zu etablieren, driftet er mit seinen wilden Verfolgungsjagden in die Gefilde von James-Bond- und Jason-Bourne-Thrillern ab. 
Doch von diesen Schwächen abgesehen bietet „Das Schlangenhaupt“ Hochspannung pur, wobei der ausführliche Rückblick auf Dars Ausbildung zum Scharfschützen die Tiefe seiner Figur noch unterstreicht. Besonders interessant ausgestaltet ist das nicht immer einfache Verhältnis zwischen dem eigensinnigen Physiker (mit seiner Leidenschaft für schnelle Autos und Segelflieger) und seinem weiblichen „Bodyguard“. 
Wie gut die beiden am Ende miteinander harmonieren, wird bei dem faszinierenden Showdown deutlich, der an Annauds Drama „Duell – Enemy at the Gates“ erinnert und in bester Western-Manier ausgestaltet ist. 

 

Dan Simmons – „Fiesta in Havanna“

Freitag, 22. Juli 2022

(Goldmann, 574 S., Pb.) 
Dan Simmons hat seine Schriftsteller-Karriere mit von Beginn an preisgekrönten Werken im Bereich des Horror- und Science-Fiction-Genres begonnen, ehe er 1999 mit „The Crook Factory“ (dt. „Fiesta in Havanna“) nochmals sein Spektrum erweiterte und sein Faible für Geschichten entdeckte, die auf historisch verbürgten Ereignissen basieren. Lange vor seinen Bestsellern „Terror“, „Drood“ und „Der Berg“ entstand mit „Fiesta in Havanna“ ein packendes Spionage-Drama um Ernest Hemingway und prominenten Weggefährten wie dem späteren James-Bond-Autor Ian Fleming und den Schauspielern Marlene Dietrich, Gary Cooper und Ingrid Bergman
Ende April 1942 wird FBI-Special-Agent Joseph „Joe“ Lucas von Direktor J. Edgar Hoover zu sich ins Büro bestellt, offensichtlich weil er zu den wenigen der rund viertausend Special Agents zählt, die bereits Menschen getötet haben. Er wurde im legendären Camp X in der Nähe von Toronto am Ontariosee ausgebildet, wo überwiegend britische Guerillas und britische Spionageagenten – aber eben auch einige wenige FBI-Agenten – auf ihren weltweiten und meist gefährlicheren Einsatz vorbereitet wurden. Nun soll Lucas nach Kuba fliegen, um den vom berühmten Schriftsteller Ernest Hemingway ins Leben gerufenen Spionage-Abwehr-Ring zu infiltrieren. 
Offiziell wird Lucas als von der Botschaft eingesetzter Verbindungsmann zu Hemingway und seiner Geheimdienstorganisation fungieren, soll aber vor allem Hoover Bericht darüber erstatten, was für eine Person Hemingway wirklich ist, von dem gesagt wird, dass er den Kommunisten nahestehe. Lucas erhält Zugang zu der Finca, auf der Hemingway mit seiner dritten Frau Martha Gellhorn in der Nähe von Havanna lebt und stellt schnell fest, dass Hemingway ein waschechter Patriot ist, der ambitionierte Pläne verfolgt, die Japaner und vor allem die Nazis zu jagen. 
Seine sogenannte „Gaunerbande“ ist schnell zusammengestellt. Tatsächlich sticht Hemingways Boot, die „Pilar“ in See, um Jagd auf deutsche U-Boote zu machen, doch dabei decken sie auch einen Ring von Saboteuren auf. Zu diesem Zeitpunkt hat Lucas längst beschlossen, seinem undurchsichtigen Mittelsmann Delgado nur unvollständige Berichte für Hoover auszuhändigen. Statt sich um seine wahrscheinlich schon beendete FBI-Karriere zu kümmern, versucht Lucas mit Hemingway, abgefangene Nachrichten der Nazis zu decodieren und eine Invasion Kubas zu verhindern. Doch damit bringen sich beide Männer ins Lebensgefahr… 
„Was genau war meine Aufgabe? Natürlich Hemingway auszuspionieren. Festzustellen, was er mit seiner idiotischen Gaunerbande im Schilde führte, dem Direktor über Delgado Meldung zu machen und auf weitere Befehle zu warten. Ich sollte den Ratgeber, den Spionageabwehrexperten spielen. Aber sollte ich Hemingway und seinem Team Informationen zukommen lassen? Diesbezüglich hatte mir niemand Anweisungen gegeben. Offenbar war niemand auf die Idee gekommen, die Gaunerbande könnte auf echte Geheimdienstinformationen stoßen.“ (S. 161) 
Als Dan Simmons beschloss, eine fiktive Schilderung von Hemingways Spionageaktivtäten zu schreiben, fiel ihm auf, dass die Zeit zwischen Mai 1942 und April 1943 nur unzureichend dokumentiert war. Also sammelte Simmons alle relevanten Fakten, nahm reale Ereignisse, Geheimdienste und Personen und füllte die besagten Lücken mit spannender Fiktion. Viele Namen wie Ian Fleming und die eingangs erwähnten Hollywood-Schauspieler, mit denen Hemingway eine langjährige Freundschaft unterhielt und die regelmäßig Gast auf seine Finca waren, sind dem Leser natürlich sehr vertraut, aber sie in diesem Kontext wiederzufinden macht einfach Spaß. 
Simmons versteht es, eine komplexe Spionage-Geschichte zu konstruieren, die eines Jason Bourne oder James Bond zur Ehre gereichen, nur spielt diese Geschichte weitaus früher und verströmt eher die Atmosphäre eines Film noir – Femme fatale in Gestalt der Prostituierten Maria inklusive. 
Bei aller Komplexität nimmt sich Simmons jedoch auch viel Zeit für seine Figuren, wobei vor allem der Ich-Erzähler Lucas und natürlich Hemingway wunderbar charakterisiert werden. Allein die Dialoge zwischen den beiden Protagonisten machen „Fiesta in Havanna“ zu einem literarischen Highlight, aber Simmons gelingt es darüber hinaus, die von Paranoia und Kriegsangst geprägte Atmosphäre des gegenseitigen Misstrauens einzufangen – immer auch wieder mit amüsanten Seitenhieben auf das Establishment. So hebt sich „Fiesta in Havanna“ wunderbar von den üblichen Genre-Werken ab und darf als eines von Simmons Höhepunkten seines literarischen Schaffens gelten. 

 

Dan Simmons – „Die Feuer von Eden“

Sonntag, 19. Juni 2022

(Goldmann, 444 S, Tb.) 
Mit seinen ersten drei Romanen „Song of Kali“, „Carrion Comfort“ („Kraft des Bösen“) und „Hyperion“ avancierte Dan Simmons Ende der 1980er in den USA, mit den nachfolgenden deutschen Übersetzungen Anfang der 1990er Jahre auch hierzulande zu einem ernstzunehmenden Horror- (und Science-Fiction-)Schriftsteller, der in einem Atemzug mit seinem Bewunderer Stephen King („Dan Simmons schreibt wie ein Gott… Ich kann kaum sagen, wie sehr ich ihn beneide.“) und Kollegen wie Clive Barker, Peter Straub und Dean Koontz genannt wurde. Während die meisten von Dan Simmons‘ Werken in Deutschland vom Heyne Verlag verlegt werden, bildete „Die Feuer von Eden“ 1997 den Auftakt seines Intermezzos bei Goldmann, wo wenig später auch der Abschluss seiner „Hyperion“-Quadrologie mit den beiden „Endymion“-Bänden und die beiden Thriller „Fiesta in Havanna“ und „Das Schlangenhaupt“ erschienen. 
Der 38-jährige US-amerikanische Immobilien-Milliardär Byron „Big T.“ Trumbo versucht, den Zusammenbruch seines Imperiums aufzuhalten, indem er seine ebenso riesige wie defizitäre Ferienanlage auf Hawaii an den japanischen Milliardär Hiroshe Sato verkauft, der dort ein exklusives Golf-Resort errichten will. Doch die Verhandlungen stehen unter einem schlechten Stern, denn nach bereits sechs spurlos verschwundenen Gästen von Trumbos „Mauna Pele“-Ferienhotel werden nun drei weitere Golfer vermisst. 
Trumbo veranlasst seinen dortigen Hotelmanager, Stephen Ridell Carter, den Vorfall wenigstens vierundzwanzig Stunden lang nicht zu melden. Während Trumbo von New York aus seine japanischen Gäste nun direkt nach Hawaii auf seine Ferienanlage fliegen lässt, um die Verhandlungen abzukürzen, häufen sich die beunruhigenden Nachrichten. Dazu zählt der gleichzeitige Ausbruch zweier Vulkane, die Freilassung des hawaiischen Separatisten Jimmy Kahekili und die Ankündigung, dass nicht nur Trumbos gierige Ex-Frau Caitlin mit ihrem Anwalt, sondern auch seine beiden Geliebten Maya und Bicki unabhängig voneinander das „Mauna Pele“ aufsuchen wollen. Unter den wenigen Gästen der Ferienanlage befindet sich die Collegeprofessorin Dr. Eleanor Perry, die einem Geheimnis ihrer Tante Lorena „Kiddie“ Stewart nachspüren will. 
In ihren Tagebüchern schreibt sie von geheimnisvollen Dingen, die sie 1886 während ihrer Reise nach Hawaii in Begleitung des Reiseschriftstellers Samuel Clemens alias Mark Twain erlebt hat. Eleanor freundet sich mit der krebskranken Cordie Stumpf an und wird tiefer in die Mythologie der Insel eingeführt, als sie sich je erträumt hat. Dass sie kurz nach ihrer Ankunft in dem Ferienresort einem schwarzen Hund mit menschlichen Zähnen und einer Hand im Maul begegnen, ist nur der Anfang einer Kette von zutiefst verstörenden Ereignissen… 
„Mr. Clemens zog sich höher hinauf, so dass ich ihn nicht mehr sehen konnte. Einen Moment lang war ich allein mit den leuchtenden Geistern, die mir hierhergefolgt waren, unter ihnen auch der Eingeborene Kaluna, dessen trauriges Gesicht die einzige Regung zeigte, die ich im Geisterreich von Milu gesehen hatte. Plötzlich begann mein Puls zu rasen, und ich wirbelte herum, so als hätte sich etwas in den Schatten bewegt. Bilder von Pana-ewa tauchten vor meinem geistigen Auge auf, aber dort im Lavatunnel war keine Echse, kein Wesen aus Nacht und Nebel.“ (S. 373)
Dan Simmons fackelt mit „Die Feuer von Eden“ ein wahres literarisches Feuerwerk ab. Ähnlich wie in seinen zuletzt erschienenen semidokumentarischen Dramen „Terror“, „Der Berg“ und „Drood“ nimmt der Autor eine historische, vielmehr literarische Fußnote – in diesem Fall Mark Twains 25 „Briefe von den Sandwich Inseln“ (1866) sowie Werke, die sich mit der Mythologie der Vulkaninsel Hawaii auseinandersetzen - als Ausgangspunkt für ein Horror-Drama, das den Leser immer tiefer in die Welt der haole-Geister, des Kampfes zwischen dem in Gestalt eines Ebers auftretenden Kamapua’a und der Göttin Pele hineinzieht. 
Geschickt verwebt Simmons die aktuellen Ereignisse, die sich um die millionenschweren Verhandlungen um „Mauna Pele“ drehen und immer mehr Opfer hervorbringen, mit den Ereignissen, die in Tante Kiddies Tagebüchern beschrieben werden. Simmons gelingt es nicht nur, die uns so fremdartig erscheinende Mythologie der Hawaiianer lebendig vor Augen zu führen, sondern vor allem mit Trumbo, Elizabeth und Cordie drei interessante Figuren in den Mittelpunkt zu stellen, die wunderbar charakterisiert und jeweils mit einer ganz eigenen Art von Humor ausgestattet worden sind. Die Mischung aus Abenteuer-, Horror- und Katastrophen-Thriller macht „Die Feuer von Eden“ zu einem ebenso vergnüglichen wie nervenaufreibenden Werk, das innerhalb von Simmons‘ Oeuvre leider viel zu wenig bekannt ist. 

 

Dan Simmons – (Hyperion: 3) „Endymion - Pforten der Zeit“

Sonntag, 18. Oktober 2020

(Goldmann, 670 S., Pb.) 
Der 247 Jahre nach dem Fall auf Hyperion geborene Raul Endymion hat als Schafhirte, Soldat der Heimatgarde, Rausschmeißer und Blackjack-Geber, Landschaftskünstler, Führer von Jagdtruppen in den Farnwäldern über der Toshibabucht und Kommandant einer Barke am Oberlauf des Kans gearbeitet, als er im Alter von 27 Jahren mit einem Jäger aneinandergerät, ihn tötet und bei der nachfolgenden Verhandlung zum Tode verurteilt wird. Allerdings lehnt er es nach wie vor ab, die Kruziform anzunehmen, jenes Geheimnis der Unsterblichkeit, das den Menschen vom Pax, der Allianz zwischen der Kirche und dem Militär, im Gegenzug für absoluten Gehorsam der neuen katholischen Kirche gegenüber angeboten wird. Obwohl Raul dieses letzte Angebot eines Pax-Priesters vor seiner Hinrichtung nicht annimmt, wacht er in der leerstehenden Universität von Endymion auf und wird von dem alternden Dichter Martin Silenus auf eine ungewöhnliche Mission geschickt: Raul soll zusammen mit dem Androiden A. Bettik die vor 264 Jahren verschwundene Aenea finden, die Tochter von Brawne Lamia und Johnny (der KI-Rekonstruktion des Dichters John Keats), die im Alter von zwölf Jahren durch das Zeitgrab der Sphinx in die Zukunft verschwand. 
Dort soll Raul Endymion das außergewöhnliche Mädchen auffinden und zum legendären Dichter der „Cantos“ zurückbringen. In diesem Epos wird das von Lamia geborene Kind als Diejenige Die Lehrt bezeichnet. Doch auch der Pax will des Mädchens habhaft werden und schickt mit Pater Captain de Soya einen Pax-Offizier, der mit allen Privilegien des Papstes und entsprechender Unterstützung an Soldaten und Ausrüstung ausgestattet wird. 
Tatsächlich gelingt Endymion der gefährliche Coup, Aenea vor der Pax-Flotte zu erreichen und mit ihr sogar durch einen deaktivierten Farcaster auf einem selbst gebastelten Floß auf dem Thetys zu reisen, der einst hunderte von Welten verbunden hat. De Soya und seine Truppen verlieren viel Zeit beim Absuchen der Welten und müssen durch etliche der ermüdenden Auferstehungsrituale, ehe sie wieder in die Nähe ihres eigentlichen Ziels gelangen. Dabei bekommt De Soya durch Rhadamanth Nemes eine weitere Pax-Kriegerin zur Unterstützung, die allerdings mit einer eigenen Mission ausgestattet wird. Raul, Aenea und A. Bettik sind aber auch nicht auf sich allen gestellt. Das unberechenbare Shrike-Monster kommt dem unerschrockenen Trio ebenso unverhofft zur Hilfe wie die Chitchatuk, die ihre eigenen Methoden haben, durch die gleißende Eiswelt Sol Draconi Septem zu reisen … 
„Es gab – das wird mir jetzt klar – noch einen anderen Grund für diese Oase der Ruhe inmitten der Wüste von Schmerz und Hoffnungslosigkeit. Es war die Wärme. Die Erinnerung an die Wärme. Das Leben, das von diesen beiden Menschen in mich eingeströmt war, die Tatsache, dass ich es akzeptiert hatte, die Aura einer heiligen Kommunion, die der Tat innewohnte. In der Dunkelheit, beim Schein der Laternen, kümmerten wir uns nun um die dringende Angelegenheit des Versuches, am Leben zu bleiben, diskutierten unmögliche Pläne, etwa uns mit dem Plasmagewehr einen Weg freizuschießen, verwarfen aussichtslose Vorgehensweisen und fingen wieder von vorn an zu diskutieren. Aber währenddessen hielt mich in dieser kalten, dunklen Grube der Verwirrung und wachsenden Hoffnungslosigkeit der Kern der Wärme ruhig, den diese beiden … Freunde … in mich eingehaucht hatten, genauso wie ihre menschliche Nähe mich am Leben gehalten hatte.“ (S. 487) 
Nach seinen beiden preisgekrönten Horror-Werken „Göttin des Todes“ (World Fantasy Award) und „Kraft des Bösen“ (Locus Award, Bram Stoker Award, British Fantasy Award) wandte sich Dan Simmons mit „Hyperion“ 1989 erstmals der Science Fiction zu und initiierte damit eine Saga, die über „Das Ende von Hyperium“ schließlich zu „Endymion. Pforten der Zeit“ geführt hat. 
Allerdings werden die Tetralogie, die mit „Endymion. Die Auferstehung“ ihren Abschluss findet, nur durch den Dichter Martin Silenus und die Welt von Hyperion verbunden, davon abgesehen, steht bei „Endymion. Pforten der Zeit“ ein ganz neues Figuren-Ensemble im Mittelpunkt. 
Simmons hält sich nicht lange damit auf, dem Leser die Welten nach dem Fall näherzubringen. Erst im Verlauf der Mission werden die Funktionen unzähliger Fortbewegungsmittel, Waffen und Welten sowie die machtvolle Verbindung von Kirche und Militär erläutert. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, eine Reise durch faszinierende Welten, die Simmons mit „Endymion. Pforten der Zeit“ präsentiert. Zwar zittert man als Leser mit dem Helden und seiner kostbaren Fracht mit, aber Pater Captain de Soya wird ebenso mit sehr menschlichen und nachvollziehbaren Zügen und Motiven versehen, so dass nach einiger Zeit das Ritual der Auferstehung gar nicht mehr so erstrebenswert wirkt. 
Das Epos gewinnt seine Faszination und Spannung aber nicht nur durch die spektakulären Reisen und die wunderbar beschriebenen exotischen Welten jenseits der Alten Erde, sondern durch interessante philosophische/religiöse Fragen wie dem Sinn des Lebens, Tod und Wiedergeburt. Raul Endymion schildert seine Reise als Ich-Erzähler in der Vergangenheitsform, Pater Captain de Soyas Perspektive kommt in der Gegenwart zum Ausdruck, doch beide Erzählstränge wirken sehr stringent ohne Nebenschauplätze. 
Geschickt webt Simmons in die Handlung immer wieder Auszüge aus der „Cantos“ ebenso mit ein wie Verweise auf die großen Denker und Künstler der Renaissance und die rigorose Macht, die die Kirche auf die Menschen auszuüben pflegt. Allerdings nimmt der Verfolgungscharakter des Space-Opera-Road-Trips den Großteil der Handlung ein. Die Diskussionen und Gedanken zu religiösen Glaubenssystemen, zu Christentum, Judentum und Muslimen, nehmen erst zum Ende hin zu, das noch einige spannende Wendungen aufzubieten hat, aber eben noch das Potential für die Fortsetzung „Endymion. Die Auferstehung“ offenbart.


Jeffery Deaver – (Lincoln Rhyme: 2) „Letzter Tanz“

Samstag, 26. November 2016

(Goldmann, 448 S., Tb.)
Lincoln Rhyme unterstützt FBI-Agent Fred Dellray gerade dabei, einen von seinen vermissten Agenten aufzuspüren, als er von den beiden Detectives Lon Sellitto und Jerry Banks auf einen dringenderen Fall angesetzt wird. Seit Monaten versuchen sie in gemeinsamer Sache mit der Army, dem erfolgreichen Geschäftsmann Phillip Hansen nachzuweisen, dass er nicht wie von ihm behauptet gebrauchte Armeeausrüstung verkaufte, sondern meist aus Armeebeständen gestohlene oder aus dem Ausland eingeschmuggelte Waffen. Nun scheint er einen berüchtigten Auftragsmörder, den sogenannten Totentänzer, auf die drei Belastungszeugen angesetzt zu haben.
Den 45-jährigen Edward Carney, Teilhaber der kleinen Fluglinie Hudson Air Charter, hat er bereits mit seinem Privatjet während des Landeanflugs auf den O’Hare Flughafen von Chicago mit einer Bombe aus dem Verkehr gezogen. Nun müssen noch seine ehemalige Partnerin und Mitgesellschafterin Percey Rachel Clay und Brit Hale bis zu ihrer Aussage vor der Grand Jury in Sicherheit gebracht werden. Rhyme soll nun herausfinden, wo die Sporttaschen abgeblieben sind, die Hansen vor seiner Festnahme hat verschwinden lassen. Dabei versucht Rhyme mit seiner Assistentin Amelia Sachs zunächst, die Identität des Totentänzers zu bestimmen, der seinen Namen einer Tätowierung auf dem Oberarm verdankt, bei der der Sensenmann mit einer Frau vor einem Sarg tanzt.
Doch während die beiden vor allem die Beweismittel vom Absturzort von Carneys Flugzeug untersuchen, stellen sie fest, dass der Killer bereits die Spur von Clay und Hale aufgenommen hat und ein Meister der Ablenkungsmanöver ist.
„Es gab keinen Verbrecher, den Rhyme mehr hasste als den Totentänzer, keinen, den er so brennend gern fassen wollte, um ihm einen Spieß durchs Herz zu jagen. Trotzdem, Rhyme war mehr als alles andere Kriminalist, und insgeheim hegte er Bewunderung für die Brillanz dieses Mannes.“ (S. 292)
Wie Jeffery Deaver in „Der Knochenjäger“, dem Auftakt seiner bis heute extrem erfolgreichen Reihe um Lincoln Rhyme, bereits ausführlich beschrieb, ist sein Protagonist alles andere als ein gewöhnlicher Ermittler. Der ehemalige Detective beim New Yorker Police Department ist nach einem Unfall während einer Tatortbesichtigung querschnittsgelähmt, wird aber wegen seiner Brillanz auf dem Gebiet der Forensik nach wie vor um Unterstützung von seinen ehemaligen Kollegen bei heiklen Fällen gebeten. Da Rhyme seine Expertisen vom Bett aus erstellen muss, hat er in der Polizistin Amelia Sachs eine fähige Assistentin gefunden, die für ihn die Laufarbeit und Beweismittelaufnahme an den Tatorten übernimmt.
Mit dem Totentänzer haben die beiden Ermittler einen besonders raffinierten Killer zu finden, der ihnen mit seinen wohldurchdachten Finten immer einen Schritt voraus ist und seinem Ziel, die beiden verbliebenen Zeugen auszuschalten, konsequent näherkommt.
Was Deaver auch in seinem zweiten Band um das charismatische Ermittlerpaar hervorragend gelingt, ist die Beschreibung der faszinierenden forensischen Arbeit, die der querschnittsgelähmte Rhyme nur noch von seinem Bett aus erledigen kann. Zwar kommen sich Rhyme und Sachs auch persönlich etwas näher, doch wird die Beziehung vorerst durch die weitaus weniger attraktive, aber nichtsdestotrotz willensstarke Percey gestört. Der nicht unerhebliche Schwachpunkt von „Letzter Tanz“ besteht allerdings in der wenig überzeugenden Charakterisierung des Totentänzers, dem man seine äußerst effektiven Täuschungsmanöver nicht so recht abnehmen will. Hinzu kommt, dass Deaver bei seinem Bemühen, gerade im Schlussdrittel noch einige „spannende“ Wendungen aus dem Hut zu zaubern, den Bogen überspannt und das Finale so arg überkonstruiert wirkt.

James Patterson – „Lügennetz“

Sonntag, 22. März 2015

(Goldmann, 348 S., Tb.)
Im März 1992 verbrachte Jeanine die letzten Frühjahrsferien ihrer Collegezeit im sonnigen Key West. Nach dem Motto „Feiern bis zum Umfallen“ gönnte sich die 21-Jährige mit ihrem Freund Alex und ihrer Clique in einer Bar zum Abschluss noch ein paar Wodka-Wackelpudding-Cocktails, ehe es ins Hotel zurückging.
Als Jeanine um 2:23 Uhr in der Nacht aufwachte, entdeckte sie, dass Alex mit ihrer besten Freundin Maureen herummachte. Sie schnappte sich die Schlüssel von Alex‘ Z28 Chevy Camaro und raste die Straße am Strand entlang, bis sie einem Hund ausweichen wollte und dabei einen Mann anfuhr. Bevor das betrunkene Mädchen ihre Optionen abwägen konnte, tauchte auch schon ein Polizeiwagen auf.
Der attraktive Cop namens Peter Fournier kümmerte sich um die Leiche und nahm die zehn Jahre jüngere Jeanine zur Frau. Doch dann beschlich Jeanine zunehmend das Gefühl, dass Peter ihr etwas vormacht. Bei einer Schießerei wurde Peters Kollegin und Jeanines Chefin Elena getötet, Jeanine durch einen FBI-Agenten auf zwei Artikel im Boston Globe aufmerksam gemacht. Offensichtlich tötete Fournier 1988 seine frühere Frau ebenfalls bei einem vermeintlichen Raubüberfall.
Um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden, ließ Jeanine ihren Mann glauben, Opfer des Fallschirmseil-Killers geworden zu sein, der derzeit in Key West sein Unwesen trieb, und fing in New York mit ihrer Tochter Emma ein neues Leben als Anwältin Nina Bloom an, nachdem sie tatsächlich dem berüchtigten Killer knapp entkommen war.
Zwanzig Jahre später wird Nina von ihrem Chef für Mission rettet Leben abgestellt, eine Initiative von mehreren Kanzleien, um kostenlos Fälle zu übernehmen, bei denen die zuständigen Anwälte nicht unbedingt das Beste für ihre Mandanten getan hatten. Von einer Kollegin übernimmt sie den Fall von Justin Harris, den DNS-Spuren als Fallschirmseil-Killer entlarvten, und nun auf die Vollstreckung des Todesurteils wartet.
Nina weiß natürlich, dass Harris nicht der gesuchte Killer ist, und versucht mit dessen Anwalt Charles Baylor, die Vollstreckung noch zu verhindern. Allerdings weiß sie nicht, wie sie ihre eigene Verwicklung in den Fall offenbaren soll, der im März 1992 seinen verhängnisvollen Anfang nahm …
„Was würde Emma von mir denken, wenn alles herauskäme? Wenn sie herausfände, dass ich sie seit sie laufen konnte, nur angelogen hatte? Dass ich eine Betrügerin und jemand durch meine Schuld gestorben war? Was bildete ich mir eigentlich ein? Dass ich innerhalb einer Woche einen Freispruch für Harris erwirken könnte, ohne dass mein Kartenhaus, in dem ich mein Leben eingerichtet hatte, in sich zusammenbrechen würde? Das war selbst für jemanden wie mich mit durchaus kreativen Fähigkeiten ein hoher Anspruch.“ (S. 207) 
Seit die ersten beiden Romane in der populären Alex-Cross-Reihe – „Morgen Kinder wird’s was geben“ (1993) und „… denn zum Küssen sind sie da“ (1995) – mit Morgan Freeman in der Hauptrolle verfilmt worden sind, hat sich der US-amerikanische Schriftsteller James Patterson zu einem der erfolgreichsten Thriller-Autoren der Welt entwickelt, der 2010 mehr Bücher als Dan Brown, Stephen King und John Grisham verkauft hat, wie „Der Spiegel“ feststellte.
Mittlerweile hat der ungemein produktive Patterson (mittlerweile auch mit Hilfe einiger Co-Autoren) etliche weitere Reihen ins Leben gerufen, worunter Lindsay Boxer und ihr Club der Ermittlerinnen sowie Michael Bennett zu den bekanntesten zählen.
Dass die Dauerplatzierungen in den Bestseller-Listen und die ungeheure Produktivität aber nicht zwingend auch mit bestechender Qualität zusammenhängen, zeigt sich in seinem neuen Thriller „Lügennetz“, der zwar für sich allein steht, aber ansonsten die typischen Merkmale eines Patterson-Thrillers aufweist, allen voran die Einteilung in extrem kurze, oft nur anderthalbseitige Kapitel und einen temporeichen Plot, der die logischen Mängel fast zu kaschieren versteht.
Dabei fängt „Lügennetz“ durchaus vielversprechend an. Mit der Ich-Erzählerin Jeanine führt er eine sympathische College-Absolventin ein, die angesichts einer beschämenden Entdeckung im betrunkenen Zustand einen Menschen anfährt, doch schon die Begegnung mit dem attraktiven Cop Peter Fournier bekommt Patterson nicht glaubwürdig hin. Dafür nehmen sich Patterson und sein Co-Autor Michael Ledwidge einfach zu wenig Zeit und Raum, um die Figuren und ihre Beweggründe nachvollziehbar darzustellen. Was folgt, ist eine überkonstruiert wirkende Aneinanderreihung von Zufällen, die darin gipfelt, dass Jeanine als Pro-bono-Anwältin innerhalb von nicht mal hundert Seiten einen Mann vor der Hinrichtung bewahren will, wofür John Grisham sinnigerweise einen kompletten Roman benötigt.
Sieht man von diesen dramaturgischen und erzählerischen Schwächen allerdings ab, präsentiert sich „Lügennetz“ mit seinen 117 (!) Kapiteln aber als rasant und einfach zu lesender Thriller, der seine taffe Protagonistin eine wahre Tour de Force durchmachen lässt.
Leseprobe James Patterson - "Lügennetz"

Peter Straub – „Geisterstunde“

Sonntag, 14. Dezember 2014

(Goldmann, 599 S., Tb.)
Die aus den stattlichen Herren Sears James, Frederick Hawthorne, Lewis Benedikt und John Jaffrey bestehende sogenannte Altherrengesellschaft der Kleinstadt Milburn, New York, trifft sich schon seit Jahren meist in der behaglichen Bibliothek von Sears James, doch nachdem ihr Freund Edward Wanderley unter mysteriösen Umständen gestorben ist, stockte bei dem ersten Zusammentreffen danach die Unterhaltung, und als Ricky Hawthorne sich unvermittelt an den Doktor Jaffrey wandte und ihn fragte, was das Schrecklichste gewesen sei, das er je getan hatte, antwortete dieser: „Das werde ich dir nicht sagen, aber ich werde dir vom Schrecklichsten erzählen, das mir je widerfahren ist, … vom Allerschrecklichsten …“
Seither erzählen sich die alten Freunde bei ihren Zusammenkünften Geistergeschichten, doch als sich der Todestag ihres Freundes Wanderley das erste Mal jährt, haben sie alle das Gefühl, dass etwas Unheimliches in Gange ist. Sie beschließen, Edwards Neffen Don zu sich einzuladen, dem man nachsagt, durch seinen übernatürlichen Roman einige Erfahrungen auf dem Gebiet des Okkulten gesammelt zu haben. Durch seinen Besuch erhoffen die unter Alpträumen leidenden Männer Aufklärung und bestenfalls sogar Linderung ihrer Ängste. Wie berechtigt die Sorgen der Altherrengesellschaft sind, zeigt sich noch an Wanderleys Todestag, als zunächst vier Schafe mit aufgeschlitzten Kehlen, aber ohne Blutlachen am Tatort aufgefunden werden und Dr. Jaffrey tot aus dem Fluss gefischt wird.
Den verängstigten Männern ist wohl bewusst, dass die tragischen Ereignisse bereits vor fünfzig Jahren ihren Lauf nahmen, als eine Frau namens Eva Galli in ihrer aller Leben trat. An Edward Wanderleys Todestag trifft mit Anna Mostyn die Nichte von Eva Galli in der Stadt ein und sorgt für weitere Unruhe. Aber auch Donald Wanderleys Vergangenheit ist untrennbar mit der der Altherrengesellschaft verbunden:
„Wo bin ich da hineingeraten? In eine Geistergeschichte? Oder in Schlimmeres, das mehr ist als eine Geschichte? Die drei alten Herren haben nur eine vage Kenntnis von den Ereignissen vor zwei Jahren, und sie können unmöglich ahnen, dass sie mich darum baten, den seltsamsten Abschnitt meines Lebens nochmals aufzurollen, die schrecklichsten und destruktivsten Tage meiner Existenz noch einmal zu durchleben – oder die Seiten eines Buches wieder aufzuschlagen, das als Versuch geschrieben wurde, mit diesen Tage ins Reine zu kommen.“ (S. 231) 
Peter Straubs 1979 erstmals veröffentlichte „Geisterstunde“ ist wohl DAS Werk, das den Meister des atmosphärischen Horrors auch in Deutschland bekannt machte, bevor er 1984 durch das gemeinsam mit Stephen King verfasste Meisterwerk „Der Talisman“ zu einem der bekanntesten Genre-Autoren avancierte.
In „Geisterstunde“ nimmt sich Peter Straub die Zeit, zunächst die Befindlichkeiten der einzelnen Mitglieder der Altherrengesellschaft von Milburn zu beschreiben, indem er ihnen einzelne Kapitel widmet. In diesen episodenhaften Skizzen lässt er immer wieder die Ereignisse aus der Vergangenheit durchschimmern, die zu den unheimlichen Vorfällen beigetragen haben, die die Herren gerade so verängstigen, aber erst nach und nach enthüllt Straub geschickt die Puzzleteile, die allmählich zu dem großen Ganzen zusammengeführt werden. Das ist einfach großartig und packend geschrieben, wobei die Figuren vielschichtig gezeichnet und die verwirrenden Emotionen detailreich und atmosphärisch dicht beschrieben werden. „Die Geisterstunde“ ist einfach eine Gothic Novel par excellence!

Lemony Snicket – „Meine rätselhaften Lehrjahre (1): Der Fluch der falschen Frage“

Samstag, 14. September 2013

(Goldmann, 219 S., HC)
Unter dem Pseudonym Lemony Snicket hat der amerikanische Autor Daniel Handler in der 13-bändigen Roman-Serie „Eine Reihe betrüblicher Ereignisse“ das bedauernswerte Schicksal der Baudelaire-Waisen beschrieben und dabei einen erstaunlich großen Fundus an originellen wie humorvollen Einfällen kreiert.
Sechs Jahre nach dem betrüblichen Finale der gefeierten Jugendbuch-Reihe gibt es mit „Meine rätselhaften Lehrjahre“ endlich ein neues Lebenszeichen von Lemony Snicket. Die Fans dürfen sich freuen: Mit dieser autorisierten Autobiographie gewährt uns der Autor einen ebenso unterhaltsamen Einblick in seine aufregenden Jugendjahre.
Der 13-jährige Lemony Snicket sitzt mit seinen Eltern in einem Café, als ihm eine Dame eine Botschaft zusteckt: „Ich warte in dem grünen Roadster. Du hast fünf Minuten!“ Und kaum, dass er sich versieht, findet sich der junge Lemony als Praktikant bei seiner Mentorin S. Theodora Markson an, einer Detektivin, die auf einer Liste von 52 Namen ihrer Zunft auf dem letzten Platz residiert. Sie werden von Mrs Murphy Sallis damit beauftragt, eine astronomisch kostbare Statue einer Bordunbestie ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückzuführen.
Ihrer Auftraggeberin nach soll sich die Statue im Besitz der Mallahans befinden. Tatsächlich findet Lemony die staubbedeckte wie unscheinbare Statue im Leuchtturm der besagten Familie, doch als er sich mit der angehenden Journalisten Moxie unterhält, ist die Besitzfrage nicht so einfach zu klären. Was folgt, ist eine abenteuerliche Odyssee durch die einst so malerische, nun eher verwahrloste und vereinsamte Küstenstadt Schwarz-aus-dem-Meer.
Da Lemony Snicket aber eher seinen eigenen Instinkten folgt als den Anweisungen seiner Mentorin, geraten die beiden immer wieder aneinander.
„Standpauken halten muss etwas Herrliches sein, sonst wäre es Kindern auch manchmal erlaubt. Schließlich setzt es nichts voraus, was Kinder nicht auch können. Im Prinzip braucht man für eine Standpauke nur drei Dinge. Man braucht ein wenig Zeit, um sich anständige Vorwürfe auszudenken. Man braucht ein bisschen Geduld, um die Anschuldigungen in eine gute Reihenfolge zu bringen, damit die Standpauke die Person, die sie abkriegt, auch richtig trifft. Und man braucht Chuzpe, ein Wort, das hier die Kaltschnäuzigkeit bezeichnet, die dazu gehört, sich vor jemandem aufzubauen und ihn abzukanzeln, besonders wenn dieser Jemand erschöpft und kaputt ist und nichts als seine Ruhe möchte.“ (S. 129) 
Schließlich lernt Lemony Snicket noch Ellington Feint kennen, die dem Jungen das Versprechen abnimmt, ihr bei der Suche nach ihrem plötzlich verschwundenen Vater zu helfen. Offensichtlich hat ein Mann namens Brandhorst dabei seine Finger im Spiel …
„Der Fluch der falschen Frage“ enthält alle Ingredienzien, die der geneigte Leser bereits aus den wundervollen „Reihe betrüblicher Ereignisse“ kennt: sympathische und skurrile Charaktere, undurchsichtige Handlungsstränge, Lügen und Geheimnisse, alles in einer klaren Sprache mit viel einzigartigem Humor geschildert, dass es eine Freude ist, Lemony Snicket bei seinen Ermittlungen zu begleiten. Was es mit der Organisation, deren Namen nicht genannt werden darf und für die die Mentoren arbeiten, auf sich hat, bietet hoffentlich Stoff für viele weitere Abenteuer!
Leseprobe Lemony Snicket - Meine rätselhaften Lehrjahre (1): „Der Fluch der falschen Frage“

James Patterson - (Mike Bennett: 2) „Blutstrafe“

Donnerstag, 3. Februar 2011


(Goldmann, 348 S., Tb.)
Mit dem Polizeipsychologen Alex Cross und der Reihe um den „Club der Ermittlerinnen“ hat James Patterson höchst erfolgreiche, aber leider – vor allem was Alex Cross angeht – auch allzu eingefahrene Thriller-Serien ins Leben gerufen, die mittlerweile etwas langweilige Automatismen entwickelt haben. Etwas Abwechslung soll da die neue Reihe um den New Yorker Detective Mike Bennett bringen ..
Knapp ein Jahr nach dem Tod seiner Frau Maeve hat Bennett nicht nur seine zehn Adoptivkinder zu versorgen, sondern hat es auch mit einem Killer zu tun, der sich selbst „der Lehrer“ nennt und scheinbar wahllos Menschen umbringt. Dabei ändert er so stark sein Aussehen, dass zunächst kein Zusammenhang zwischen dem Vorfall in der U-Bahn, wo er als Anzugträger ein Mädchen auf die Gleise schubste, und den Morden an einem Ralph-Lauren-Angestellten und einem  Kellner im „21 Club“ hergestellt wird, wo der psychopathische Killer sich als Repräsentant der Unterschicht präsentierte. Allerdings hat der Mörder bei den beiden Toten jeweils eine kryptische Nachricht hinterlassen.
„Meine Vermutung war, dass  wir über einen Typen sprachen, der in Schnapsidee-Komposition eine eins gekriegt hatte und dies allen Menschen mitteilen wollte – um ihnen seinen Größenwahn als Intelligenz zu verkaufen. Die einzige Möglichkeit, diese Art von Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, bestand in gemeinem, kaltblütigem Mord. Leider war er, wenn ich Recht behalten sollte, tatsächlich schlau und dazu noch vorsichtig. Unterschiedliche Aufmachung, kaum erkennbares Gesicht, keine Fingerabdrücke.“ (S. 102)
Soweit zur professionellen Einschätzung eines erfahrenen Polizisten. Leider macht sich Patterson nicht die Mühe, seine Figuren eingehender zu beschreiben. Der psychopathische Bösewicht ist einfach nur ein schlechtes Klischee, das sich leider auch viel zu häufig in den Plattitüden widerspiegelt, die der Autor von sich gibt (hat das wirklich Patterson geschrieben, oder war hier doch einer seiner Ghost Writer am Werk, von denen gerade bei ihm immer wieder die Rede ist?):
„Ich blieb stehen, wo ich war, und starrte auf die blutdurchtränkten Teppiche und Matratzen. Dies war das Schlimmste, das ich je gesehen hatte, eine Gräueltat, ein Verbrechen gegen die Menschheit. Ich sehnte mich danach, meine Glock auf diesen Kerl zu richten.“ (S. 216)
Leider bleiben solche Allgemeinplätze keine Ausnahme, und selbst eine kitschig beschriebene Nahtoderfahrung bleibt dem Leser nicht erspart. Zusammen mit einem 08/15-Plot, der lieblos runtergeschrieben wurde,  ist dies mit Abstand das schlechteste Buch, das ich von Patterson gelesen habe …

James Patterson - (Mike Bennett: 3) „Sühnetag“

(Goldmann, 319 S., Tb.)
Der New Yorker Detective Mike Bennett ist von der Mordkommission Manhattan Nord zur Abteilung für Kapitalverbrechen versetzt worden, die bei großen Banküberfällen, Kunstraub und Entführungen ermittelte. Mit letzteren hat er in großem Stil zu tun, als mit Jacob Dunning der einzige Sohn einer überaus prominenten Familie entführt wird. Donald Dunning, Gründer und Generaldirektor des multinationalen Pharmakonzerns Latvium and Company, lässt seine Verbindungen spielen und vom nationalen Zentrum für die Analyse von Gewaltverbrechen die beste Agentin anfordern: Emily Parker von der FBI-Abteilung für Kindesentführungen und Serienmorde.
Ähnlich wie mit dem „Lehrer“ aus dem vorangegangenen Fall „Blutstrafe“ hat es Bennett wieder mit einem missionarischen Täter zu tun, der die Gier und Unmenschlichkeit weltweit operierender Konzerne anprangert.
„,Wir könnten so viel tun, aber wir sitzen nur rum und sehen zu, wie alles den Bach runtergeht. Dunning könnte mit dem, was er für seine Schuhe bezahlt, siebenundzwanzig Menschenleben retten. Die Latvium-Aktien gedeihen auf den Leichen der Armen dieser Welt … Der einzige Zweck solcher Firmen, egal, in welchem Industriezweig sie tätig sind, ist die Produktion sagenhaften Wohlstands für das obere Management. Nationale Verantwortung und Menschenleben sind für Menschen wie Dunning Nebensache. So war es schon immer und wird es immer bleiben.‘“ (S. 48 f.)
Der Entführer belässt es allerdings nicht bei mahnenden Worten, sondern lässt Bennett und Parker den Jungen mit einem Kopfschuss und einem lateinischen Bibelspruch auffinden. Auch die nächste Entführte, Chelsea Skinner, Tochter des Präsidenten der New Yorker Börse, kann nur tot geborgen werden. Die nächste Entführung fällt allerdings etwas aus dem Rahmen, wird für den behinderten Dan Hastings, doch erstmals Lösegeld gefordert, und zwar per Mail, während der Entführer sich bislang immer telefonisch mit den Eltern der Opfer in Verbindung gesetzt hat. Während Bennett und Parker kaum zur Ruhe kommen, was die Entführungen angeht, finden sie doch die eine oder andere Minute, sich näher kennenzulernen …
Immerhin, nach dem Komplettausfall, den James Patterson mit „Blutstrafe“ hingelegt hat, scheint er sich wieder etwas gefangen zu haben. Zusammen mit seinem Co-Autor Michael Ledwidge schrieb er mit „Sühnetag“ einen typisch rasanten, spannenden Thriller, der mit einigen obligatorischen Wendungen überzeugt, aber wie so oft etwas mehr Sorgfalt bei der Charakterisierung der Protagonisten hätte verwenden können.
Leseprobe „Sühnetag“