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Wieland Schwanebeck – „James Bond. 100 Seiten“

Samstag, 20. Februar 2021

(Reclam, 102 S., Tb.) 
Seit Ian Fleming (1908-1964) nach seiner Karriere als Journalist und Wertpapierhändler 1953 damit begann, Romane und Kurzgeschichten um den britischen Geheimagenten James Bond zu verfassen, ist Bond seit dem ersten 007-Kino-Abenteuer „James Bond jagt Dr. No“ (1962) zu einem internationalen Markenzeichen avanciert, das vor allem die Sicht, wie ein echter Kerl zu sein hat, bis heute prägt. 
Bevor der 25. Bond-Film „Keine Zeit zu sterben“ verspätet in diesem Jahr in die Kinos kommt, ist der anglistische Kultur- und Literaturwissenschaftler Wieland Schwanebeck in dem bereits bewährten 100-Seiten-Format der entsprechenden Reclam-Reihe dem Phänomen „James Bond“ auf ebenso unterhaltsame wie tiefgründige Weise auf den Grund gegangen. 
Darin wird eingangs das Phänomen untersucht, wie James Bond als eine Art Übermensch jeden Versuch der Schurken, ihn ins Jenseits zu befördern, auf ebenso coole wie stilvolle Weise zu parieren vermag und dabei so ikonische Szenen prägt, als er beispielsweise in „Der Spion, der mich liebte“ (1977) auf Skiern mit einem Fallschirm einen Abhang hinunterrast und seinen verblüfften Verfolgern beim Sprung in den vermeintlich tödlichen Abgrund den Union Jack auf dem Fallschirm präsentiert. Natürlich gibt es viele weitere Themen in der über 60-jährigen Erfolgsgeschichte von James Bond, über die sich vortrefflich referieren lässt. 
Dazu gehört die Auseinandersetzung mit dem Vorwurf, dass die Physik der Filme unwissenschaftlich sei, die oft exotischen Kulissen eigentlich zu schön sind, um wahr zu sein, und Bond immer genau die Gadgets von Q zur Verfügung gestellt werden, die er für seine Mission definitiv brauchen wird – ohne auch nur eines unbenutzt zurückgeben zu müssen. Der Autor umreißt kurz Flemings Werdegang und Persönlichkeit, dann den Beginn der Roman-Adaptionen für Film und Fernsehen, den weltweiten Siegeszug der Produktionen von Harry Saltzman und Albert R. Broccoli, die wichtige Mischung aus Vertrautem und Innovation und das bewährte Baukastenprinzip der Bond-Filme, bei denen stets Fragen nach den Schurken, der Hilfsmittel und Verkehrsmittel im Fokus stehen. 
Schwanebeck markiert die Bedeutungen, die die einzelnen Bond-Darsteller im 007-Universum einnehmen, erwähnt aber auch die Geschichten, die jenseits bewährter Konzepte erzählt werden: 
Diamantenfieber, in dem es James Bond mit schwulen Killern zu tun bekommt und sich durch eine Vielzahl enger, morastiger Löcher quetschen muss, ist eine Geschichte von Homophobie und männlichem Selbstzweifel; Goldfinger handelt von der Kluft zwischen reiner Schaulust und dem Wunsch anzufassen und mitzumachen; und Skyfall lässt sich auch ohne Diplom in Psychoanalyse als eine Geschichte über gestörte Eltern-Kind-Beziehungen lesen und über die Unmöglichkeit, nach Hause zurückzukehren.“ (S. 32) 
Schwanebeck weist natürlich auch auf den Zusammenhang zwischen dem britischen hegemonialen Anspruch, die Welt zu retten, und James Bonds auffallend üppigen sexuellen Appetit hin, womit sowohl Fleming als auch die Filmemacher auf den Bedeutungsverlust des britischen Empires reagiert haben. Das Verhältnis zwischen Bond, den Superschurken und vor allem zu den Bond-Girls nimmt ebenso ein eigenes Kapitel ein wie die offensichtliche Notwendigkeit, im Titel eines Bond-Films auf Tod, Sterben und die Endlichkeit des Daseins hinzuweisen. 
Verschiedene Übersichten, vereinzelte Schwarz-Weiß-Illustrationen und Literaturtipps runden das kleine, aber höchst aufschlussreiche Bändchen ab, das sich auch für Fans lohnt, die bereits alles über ihren Lieblings-Superhelden zu wissen glauben.  

Alexander Kluy – „Clint Eastwood“

Freitag, 28. Februar 2020

(Reclam, 102 S., Tb.)
Der US-amerikanische Schauspieler, Produzent und Regisseur Clint Eastwood hat in Hollywood deutliche Spuren hinterlassen. Er ist nicht nur als ausgesprochen vielseitiger, produktiver und sehr strukturierter Filmemacher bekannt, der als letzter Regisseur bedeutender Western in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren auch noch im 21. Jahrhundert arbeitet, wie der Autor auf den ersten Seiten seiner Abhandlung über den mittlerweile 89-Jährigen schreibt, sondern längst auch der erfolgreichste Schauspieler-Regisseur-Produzent der Filmgeschichte.
Wenn sich Eastwood selbst beschreibt, bezeichnet er sich einfach als „storyteller“. Es sind Dramen über das Altern und den sich damit verändernden Blick auf die Welt, über Menschen und ihre Beziehungen zueinander, über Tod und Gewalt. Ebenso weist Kluy zu Anfang schon auf die effiziente Arbeitsweise des Filmemachers hin, der schon 1967 mit Malpaso seine eigene Produktionsfirma gründete und seine Werke in 35 bis 39 Tagen abdreht, was auch darauf zurückzuführen ist, dass er über die vielen Jahrzehnte mit einer ausgewählten Crew zusammenarbeitet.
Kluy, der u.a. für „Der Standard“, „Buchkultur“ und „Psychologie Heute“ schreibt, rekapituliert Eastwoods Karriereanfänge, die über kuriose Nebenrollen bis zur Hauptrolle in der Western-Serie „Rawhide“ (Tausend Meilen Staub) führte, bevor er in Sergio Leones berühmt gewordenen Italo-Western „Für eine Handvoll Dollar“ (1964) zum international gefragten Filmstar avancierte. Es folgte der Beginn der erfolgreichen Zusammenarbeit mit Regisseur Don Siegel (u.a. „Coogan’s großer Bluff“, „Dirty Harry“, „Flucht von Alcatraz“) und mit dem Erfolg auch die Möglichkeit, sich seine Projekte aussuchen zu können. Dabei bewies er zwar nicht immer ein glückliches Händchen (siehe u.a. „Firefox“, „City Heat“, „Rookie – Der Anfänger“), doch zog Eastwood stets die richtigen Schlüsse aus seinen Fehlgriffen und avancierte spätestens mit seinem ersten Oscar-prämierten Spätwestern „Erbarmungslos“ (1992) zu einem anerkannten Meister seines Fachs, wie nachfolgende Werke wie „Die Brücken am Fluss“, „Perfect World“, „Mystic River“ und „Million Dollar Baby“ bestätigen sollten.
„Mainstream zu sein und dabei hochgradig manipulativ, indem er seine Star-Persona demontierte, kaum zu zerstören und gebrochen, fragmentiert und verletzlich, diese eigentlich unüberbrückbaren Gegensätze vermochte Eastwood zu überwinden. Er brachte den Traum auf die Leinwand, dass der Einzelne sich über moraljuristische Bedenken und eine behäbige, politisch manipulierbare Bürokratie erheben und nach seinem eigenen Leitgesetz agieren kann.“ (S. 99) 
Alexander Kluy gibt auf 100 Seiten eine wirklich gelungene Einführung in das Leben und Wirken von Clint Eastwood, wobei er sich glücklicherweise nicht nur auf die Aufzählung interessanter Fakten beschränkt, sondern auch auf die Rezeption und Interpretation einiger Schlüsselwerke des noch immer nicht müden Filmemachers eingeht. Neben einigen wenig bekannten Fotos runden auch einige Infografiken beispielsweise zu den rasant gestiegenen Produktionsbudgets von „Für ein paar Dollar“ (200.000 US-Dollar) bis zu „Space Cowboys“ (65 Millionen US-Dollar), zu der Entwicklung von Eastwoods Honoraren und zu den von Clint Eastwood in seinen Filmen verwendeten Waffen das Büchlein ab, in dem auch Eastwoods politischen Ambitionen und familiären Verhältnisse skizziert werden. Einige – meist englischsprachige – Lektüretipps zum Weiterlesen runden dieses feine Bändchen ab.

Helmut Reinalter – „Geheimbünde“

(Reclam, 100 S., Tb.)
Die Tatsache, dass mit einem „Geheimnis“ Kenntnisse beschrieben werden, die nur von einem beschränkten Kreis von Wissenden geteilt und vor der Allgemeinheit verborgen werden, hat immer wieder zu der Annahme (durch die von diesen Kenntnissen Ausgeschlossenen) geführt, dass die Geschicke der Welt von konspirativen Kräften, von mächtigen Geheimbünden gelenkt werden. Nicht zuletzt die ebenso erfolgreich verfilmten Bestseller von Dan Brown („Illuminati“, „Sakrileg“) haben diesen Verschwörungstheorien neue Nahrung verliehen.
Helmut Reinalter, ehemals Professor für Geschichte der Neuzeit und Politische Philosophie an der Universität Innsbruck und nun Leiter eines privaten Forschungsinstituts für Ideengeschichte, beteiligt sich nicht an solchen Spekulationen, sondern gibt in dem schmalen Band der 100-Seiten-Reihe von Reclam einen kurzen Überblick über Geschichte, Verbreitung und Struktur von Geheimbünden.
Dazu unterscheidet er in seinem Vorwort zwischen Geheimnis, Geheimwissen und Geheimgesellschaft, wobei Geheimbünde nach äußerlichen und inhaltlichen Kriterien ebenso unterschieden werden wie in ihrer gesellschaftlichen Zuordnung und Einbindung. Nach einer kurzen Klärung der Begriffe „Okkultismus“ und „Verschwörungstheorien“ handelt der Autor verschiedene Geheimbünde nach ihrer territorialen Zugehörigkeit ab, angefangen bei berühmten europäischen Geheimbünden wie die Rosenkreuzer, Freimaurer, Illuminaten über nicht so vertraute Gruppierungen wie die Deutsche Union, die italienische Carboneria bis zu sozialistischen Geheimgesellschaften und Studentenverbindungen. Die Mafia, mithin als Synonym für „organisierte Kriminalität“ verwendet, nutzte die Geldwäsche, um sich international von der klassischen zur modernen Mafia weiterzuentwickeln und verschiedene Organisationen wie die Camorra, Cosa Nostra, ´Ndrangheta und Sacra Corona Unita herauszubilden.
Im letzten Fünftel des schmalen Bandes werden schließlich kurz afrikanische, asiatische und islamische Geheimbünde vorgestellt, bevor die Abhandlung mit einem Abriss über den Ku-Klux-Klan ausklingt.
„Den Geheimbünden wird von ihren Gegnern nicht nur Machtmissbrauch unterstellt, sondern gern auch das Ziel, die Weltregierung bzw. Weltherrschaft anzustreben. Der erwähnte Vorwurf des Machtmissbrauchs wird manchmal mit dem Geheimwissen und der Geheimhaltung begründet. Auch die exklusive Mitgliedschaft spielt dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dass Geheimbünde den Lauf der Geschichte entscheidend beeinflusst hätten, ist aber mit Sicherheit im Bereich der Legendenbildung anzusiedeln.“ (S. 98) 
Wer sich einen ersten Überblick über die Geschichte und Struktur von Geheimbünden verschaffen möchte, ist mit dem sehr nüchtern geschriebenen 100-Seiten-Bändchen von Helmut Reinalter gut bedient. Zwar sind die Abhandlungen zu den einzelnen Geheimorganisationen wirklich sehr kurz ausgefallen, wobei aber beispielsweise der Hermetic Order of the Golden Dawn oder der Ordo Templi Orientis gar keine Erwähnung finden, aber schließlich gibt es genügend weiterführende Literatur (so gibt es in der 100-Seiten-Reihe auch einen eigenen Band zur „Mafia“) zu den einzelnen Themen, von denen der Autor abschließend auch einige auflistet.

Ernst Hofacker – „1967 – Als Pop unsere Welt für immer veränderte“

Montag, 12. Juni 2017

(Reclam, 272 S., HC)
Die 1960er Jahre waren ein turbulentes wie wegweisendes Jahrzehnt. Ein halbes Jahrhundert später sind der Vietnamkrieg, die Studentenunruhen, die Morde an John F. Kennedy und Martin Luther King, die Kuba-Krise und die Bürgerrechtsbewegung der USA nach wie vor immer wieder Thema in gesellschaftspolitischen Diskursen. Warum gerade das Jahr 1967 aus diesem bewegenden Jahrzehnt so heraussticht, macht der renommierte Musikjournalist Ernst Hofacker („Rolling Stone“, „Musikexpress“) in seinem kurzweilig zu lesenden, fachkundig recherchierten und klug geschriebenen Buch „1967 – Als Pop unsere Welt für immer veränderte“ ebenso ausführlich wie kontextuell deutlich.
Natürlich gehört das legendäre Monterey International Pop Festival ebenso zu den Eckpunkten in Hofackers kulturhistorischen Rückblick wie die Karriere der Beatles, die 1967 ihr gefeiertes Meisterwerk „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ veröffentlichten, der Rolling Stones, Bob Dylan und Jimi Hendrix.
Es war das Jahr, in dem laut Branchenmagazin „Billboard“ erstmals mehr LPs als Singles verkauft wurden, die Beatles mit ihrem programmatischen Hit „All you need is Love“ den sprichwörtlichen „Summer of Love“ einläuteten und die erste Ausgabe des „Rolling Stone“-Magazins erschien. Der Autor beschreibt eindrücklich, wie eine zunehmend kritische Studentengeneration heranwuchs, die sich von staubtrockenen gesellschaftlichen Normen zu emanzipieren begann und auf eine revolutionäre Umgestaltung der Machtverhältnisse hinarbeitete. Bei dem Monterey-Festival, das unter dem Motto „Music, Love & Flowers“ stand, erlebten die 50000 bis 90000 Zuschauer nicht nur Stars wie Otis Redding, Jimi Hendrix, Janis Joplin, The Who und Ravi Shankar, sondern auch einen Paradigmenwechsel.
„Es ebnete einer neuen musikalischen Sprache den Weg in den Mainstream und forcierte damit den ganz gewöhnlichen Professionalisierungsprozess einer Subkultur, ihrer Strukturen und Akteure. Dass diese Subkultur fortan mit schicken Verkaufslabels versehen und zur tragenden Säule eines umsatzstarken Marktsegments entwickelt wurde, war ebenso wenig zu vermeiden wie die damit einhergehende allmähliche Verwässerung ihrer Inhalte.“ (S. 79) 
In der Folge setzt sich Hofacker besonders mit der Rolle der Schwarzen Musik und Künstlern wie dem erwähnten Otis Redding, James Brown und Aretha Franklin auseinander, geht dem Mythos von „Big Pink“ nach, jenem legendären Haus, in dessen Keller Bob Dylan und The Band das Fundament für das legten, was als Alternative Country und Americana Einzug in die Musikgeschichte halten sollte.
Ausführlich werden die besonderen Beiträge von The Velvet Underground, Jimi Hendrix und The Beatles zur Musikkultur jener Zeit gewürdigt, die wechselseitige Inspiration zwischen Beach-Boys-Mastermind Brian Wilson und den Beatles, bevor auch die bis dato von der Beat Generation kaum berührte Bundesrepublik auf die Einflüsse aus den USA und London reagierte.
Die künstlich arrangierte Gruppe Monks nimmt laut Hofacker eine Schlüsselstellung ein und wird als Wegbereiter für den Krautrock ebenso wie für den Industrial, Punk und Indie-Rock gepriesen. Das Magical Mystery Year 1967 wird abschließend ausführlich in den kulturhistorischen Kontext gestellt, als Aufbäumen einer ganzen Generation gegen das Establishment, auch wenn ab 1968 die zuvor von dort ausgebrochenen Menschen wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückgeführt wurden.
All das beschreibt Hofacker mit fundierten Hintergrundverweisen und geradezu leidenschaftlich in seiner Liebe zur Musik und ihren Schöpfern, wobei jede musikalische Neuerung in ihren gesellschaftspolitischen Kontext gestellt wird, ob es sich um die Pop-Art bei Andy Warhol und seinen Einfluss als Mentor auf die Velvet Underground oder den Bauhaus-Stil auf die deutsche Band Monks handelt.
Viele schöne Fotos und ein ausführliches Literaturverzeichnis runden diesen schmuck gestalteten Hochglanzband wunderbar ab. 
Leseprobe Ernst Hofacker - "1967 - Als Pop unsere Welt für immer veränderte"

Gunther Reinhardt – „Twin Peaks. 100 Seiten“

Samstag, 24. September 2016

(Reclam, 101 S., Tb.)
In der letzten Episode der zweiten Staffel von „Twin Peaks“, die am 10. Juni 1991 ausgestrahlt wurde, versprach die zu Beginn der Serie ermordete Laura Palmer in einer für ihren Schöpfer David Lynch typischen surrealen Traumsequenz Agent Cooper, dass sie ihn in 25 Jahren wiedersehen würde. Nachdem die zwischen 1990 und 1991 vom renommierten und preisgekrönten Autorenfilmer David Lynch („Blue Velvet“, „Wild at Heart“) in Gemeinschaftsarbeit mit dem routinierten Fernsehautoren Mark Frost („Hill Street Blues“) entwickelte Serie zunächst die Fernsehlandschaft für immer verändern sollte und nach zwei Staffeln vom ausstrahlenden Sender ABC abgesetzt worden ist, dürfen sich „Twin Peaks“-Fans Anfang 2017 – also nur wenig später als Laura Palmer prophezeit hatte – auf ein Wiedersehen mit den meisten Stars des außergewöhnlichen Serienformats freuen.
Vor diesem Hintergrund erscheint der in der bemerkenswerten „100 Seiten“-Reihe des Reclam-Verlags veröffentlichte Band „Twin Peaks“ zur rechten Zeit. Der Kulturjournalist Gunther Reinhardt beschreibt, wie „Twin Peaks“ Qualität ins verruchte Fernsehen brachte und mit seinem Mix aus Drama, Mystery, Krimi und Soap-Opera Vorbild für Serienformate des Qualitätsfernsehens wurde, wie es uns heute in ebenfalls von namhaften Filmemachern wie Martin Scorsese, David Fincher oder Steven Soderbergh produzierten Serien („Boardwalk Empire“, „House of Cards“, „The Knick“) präsentiert wird.
Auf gerade mal 100 Seiten gelingt es Reinhardt, die Entstehungsgeschichte der Serie und ihre so unterschiedlichen Schöpfer vorzustellen, zentrale Handlungsmotive und Figuren nachzuzeichnen, die narrativen Besonderheiten darzustellen und schließlich die außergewöhnliche Ästhetik zu analysieren, die sich aus Elementen der Psychoanalyse, des Surrealismus, aus Musik und Kunst zusammensetzt.
„Lynch entzieht sich konventionellen narrativen Mustern, lässt das Unbewusste Bilder und Szenen erschaffen, surreale Welten entstehen, hat nichts für die Regeln des Handlungskinos und dessen dramaturgische Vorschriften übrig. Seine Arbeiten gleichen – und das gilt ganz besonders für Twin Peaks – Labyrinthen der Imagination.“ (S. 70f.)
Der Autor rekapituliert, wie sich die Frage nach Laura Palmers Mörder zu einem regelrechten Medienhype entwickelt und zum Ende der ersten Staffel mit einer Vielzahl von Cliffhangern bis zur Mitte der zweiten Staffel gedulden muss, beantwortet zu werden.
Doch gerade mit der Bekanntgabe des Mörders verliert die Serie an Qualität und Einschaltquoten. Nichtsdestotrotz realisierte Lynch mit „Twin Peaks – Fire Walk With Me“ 1992 einen Kinofilm, der als Chronik der letzten Tage im Leben von Laura Palmer ein Prequel zur Serie darstellt, das allerdings bei Publikum und Kritikern durchfiel.
Interessant zu lesen sind vor allem die Verweise auf Lynchs Inspirationen, die er aus Hard-boiled- und Film-noir-Filmen bezog, und die Art und Weise, wie er die Figuren als Gegenentwürfe zueinander anlegt, wie sich hinter der Idylle der Kleinstadt lauter dysfunktionale Familien und dunkle Geheimnisse verbergen, deren Enthüllung einen großen Reiz der Serie ausmacht.
Abgerundet wird die Abhandlung mit einem Ausflug an die Drehorte und mit der Zusammenarbeit zwischen Lynch und dem Komponisten Angelo Badalamenti, der mit seiner verträumt-ätherischen Musik maßgeblich mitverantwortlich für die surreale Atmosphäre der Serie ist.
Im Rückblick lässt sich dabei sehr schön nachvollziehen, wie „Twin Peaks“ den Grundstein für hochqualitative Serien wie „Dexter“, „Breaking Bad“, „House of Cards“ und „Homeland“ gelegt hat, die sich mit renommierten Regisseuren, Drehbuchautoren und Oscar-prämierten Darstellern keineswegs vor dem Kinoformat verstecken müssen.
Gunther Reinhardt macht mit seinem kurzweiligen Band „Twin Peaks“ wirklich Lust darauf, sich noch einmal nan diesen geheimnisvollen Ort zu begeben und all die vielschichtigen Kleinigkeiten immer wieder neu zu entdecken, die einem zuvor noch nicht aufgefallen sind.
Leseprobe Gunther Reinhardt - "Twin Peaks"

Dietmar Dath – „Superhelden. 100 Seiten“

(Reclam, 101 S., Tb.)
Die Zeiten, in denen Superhelden wie Superman, Batman, Green Lantern, Spider-Man, Hulk oder die X-Men allein in Comics ihre Abenteuer erlebten und von zumeist kindlichen und jugendlichen Lesern verfolgt wurden, sind längst vorbei. Mittlerweile sind die Comichelden nicht nur erwachsen geworden, mehrfach in Rente gegangen, sind gestorben, haben geheiratet und sind immer wieder reaktiviert worden, sondern sie haben vor allem den kommerziell äußerst lukrativen Filmmarkt für sich erobert, wo sie unerschöpflich in Serie gehen, Spin-offs, Remakes und Reboots produzieren und dabei eben auch von Erwachsenen gefeiert werden.
Was es mit diesem Phänomen der Comic-Begeisterung auf sich hat, die mit der Gründung der beiden führenden Comic-Verlage DC (1934) und Marvel (1939) ihren bis heute ungebrochenen Siegeszug feiert, untersucht Dietmar Dath in dem kleinen Band „Superhelden“, der im Rahmen der neuen „100 Seiten“-Reihe des Stuttgarter Reclam-Verlags erschienen ist.
Ausgehend von seiner ganz persönlichen Geschichte findet der Autor schnell den Weg zu den theoretischen und psychologischen Grundlagen der Comic-Geschichte.
„Was Kindern eine Wahrheit der Hoffnung darauf bedeutet, wer sie einmal werden können, ist für erwachsene Leserinnen und Leser solcher Comics aber zugleich ein großes Gleichnis auf das Subjekt-Selbstempfinden moderner Menschen allgemein: Weil ihr öffentliches Wesen rechtlich und politisch allen anderen gleichgestellt ist, also ‚nichts Besonderes‘ mehr, nicht von Geburt an wichtig wie bei den Adligen der vormodernen Zeit (deren Wappen in den Insignien der Superhelden, dem großen ‚S‘ oder der Fledermaus-Ikone weiterleben), müssen sie umso mehr Wert auf ihr reiches Innenleben legen.“ (S. 3) 
Dath legt keine chronische Comic-Geschichte vor, sondern nutzt den eng gesetzten 100-Seiten-Rahmen für eine von Beginn an tiefgehende strukturelle Analyse. Am Beispiel der von Chris Claremont kreierten „X-Men“ zeigt der Autor auf, dass beim Lesen von Comics „menschliche Kleinigkeiten im Vergrößerungsglas von Heldengeschichten“ (S. 8) Abenteuer erlebt werden, die Menschen von ihren besten und schlimmsten Seiten zeigen, dass darüber hinaus die Fähigkeit vonnöten ist, Figuren und Charaktere schaffen zu können, ihre ebenso einprägsamen Typenzüge wie etwas unverletzlich Eigenes.
Anhand der beiden DC-Flagschiffe Batman und Superman stellt Dath die beiden Extreme des Superhelden-Universums vor, den Self-Made-Hero auf der einen Seite, das Götterkind auf der anderen. Es folgt ein längerer, etwas übertheoretisierter Exkurs über die Entwicklung von der Romantik zur Science-Fiction, dann über die beiden „Zeitalter“ des Superheldenwesens, das Golden Age und das Silver Age, das im Kern von vielen als identisch mit dem von „Spider-Man“-Schöpfer Stan Lee forcierten „Marvel Age“ angesehen wird.
Im Zweiten Teil des Bandes stellt Dath einige Prototypen des Superheld(in)en-Universums vor, Iron Man, Wonder Woman, am Ende folgt ein stippvisitenartiger Streifzug durch die vielen Kino-Adaptionen.
Wie für die „100 Seiten“-Bände über „David Bowie“ und „Twin Peaks“ gilt vor allem für „Superhelden“, dass der Leser zum besseren Verständnis etwas Vorwissen und Erfahrungen mit dem Thema mitbringen sollte, denn sonst liest sich „Superhelden“ als sehr Theorie-lastige Auseinandersetzung mit den Schlüsselelementen verschiedener Superhelden-Schöpfungen und ihrer jeweiligen Charakteristika.
So ist das Büchlein weniger als Einstieg in die Thematik zu empfehlen, sondern als sinnstiftende Ergänzung zu beispielsweise „Superhelden. Das Handbuch“ (Lacombe/Perez), „75 Years of DC Comics“ (Levitz) oder „75 Years of Marvel Comics“ (Thomas).
 Leseprobe Dietmar Dath - "Superhelden"

Frank Kelleter – „David Bowie. 100 Seiten“

Mittwoch, 21. September 2016

(Reclam, 102 S., Tb.)
Als Kind der 80er Jahre fand meine erste Begegnung mit David Bowie anlässlich des Films „Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (1981) statt, wozu David Bowie den Soundtrack beigesteuert hat. Anschließend ließ mich sein Hit-Album „Let’s Dance“ (1983) aufhorchen, aber danach verlor ich Bowie zwar nicht aus den Augen, ich sehnte allerdings nicht jedes neue Album von ihm herbei. Dennoch genügten mir Alben wie „Heroes“, „Earthling“, „Heathen“ und zuletzt „Black Star“, um den Engländer als gesamtkünstlerisch bedeutsames und sich immer wieder neu erfindendes Chamäleon zu bewundern, dessen Tod mich Anfang des Jahres durchaus traurig machte.
Ich bezweifle, dass es nach ihm noch ähnlich produktive wie vielseitige und dabei so tiefgründige Künstler wie ihn in der Musikszene geben wird. In der gerade vom renommierten Reclam-Verlag gestarteten Reihe „100 Seiten“, die kompakt, unterhaltsam und vor allem auch persönlich zu aktuellen Themen aus Geschichte, Kultur, Naturwissenschaft und Gesellschaft informieren möchte, berichtet Frank Kelleter von seinem ganz persönlichen Bezug zu Bowies Leben und Werk. Der am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin lehrende Autor erzählt davon, wie er im Alter von zwölf Jahren Bowies „The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars“ erstand, und beschreibt ausführlich die einzelnen Songs, die „Zitate und Versatzstücke verschiedener Stilrichtungen in einer erstaunlich stimmigen Pop-Textur“ (S. 10) verweben.
Dabei geht es nicht allein um musiktheoretische Analysen, sondern auch um die Bedeutung der Texte, den Umgang mit den Medien, das Spiel mit der sexuellen Identität. Die ausführliche Auseinandersetzung mit diesem Album steht nur exemplarisch für die Vielfalt der Ansätze, mit denen sich Bowies Werk angenähert werden kann.
In der Folge setzt sich Kelleter mit Bowies Figuren wie Major Tom, Ziggy Stardust und den Thin White Duke im Kontext multimedialer Reflexion über das Verschwinden und Auftauchen im Pop auseinander, skizziert seine vielfältigen Rollenwechsel und Körperinszenierungen in seinen Videos, Filmen und Fotos und wirft einen Blick auf Bowies Produktionsprozesse, wobei die Zusammenarbeit mit Brian Eno und David Lynch besondere Aufmerksamkeit verdient.
„In der Popmusik der 1970er und 1990er Jahre nimmt David Bowie eine einzigartige Stellung ein. Ohne dass sein Publikum sich für eine dieser Rollen entscheiden müsste, kann es ihn gleichzeitig als brillanten Unterhaltungskünstler und als avantgardistischen Experimentator wahrnehmen.“ (S. 50) 
Auf 100 Seiten lässt sich ein popkulturelles Phänomen wie David Bowie natürlich nicht umfassend beleuchten. Dafür stehen diverse andere Biografien zur Verfügung. Doch selbst Bowie-Fans, die bereits einiges an Literatur über ihren Star gelesen haben, dürften in diesem interessant mit einer informativen Chronik und Fotos illustrierten Reclam-Bändchen einiges an Wissenswertem und Hintergründigem erfahren.
Kelleter gelingt es, aus seiner ganz persönlichen Beziehung zu Bowies Schaffen charakteristische Grundzüge in den Werken des Pop-Chamäleons herauszuarbeiten, und bietet so auch für Leser, die noch nicht so vertraut mit Bowies umfangreichen Output sind, Anreize, tiefer in die Materie einzusteigen.
 Leseprobe Frank Kelleter - "David Bowie"