Gilbert Furian & Nikolaus Becker - “Auch im Osten trägt man Westen”

Donnerstag, 2. April 2009

(Tilsner, 122 S., Pb.)
In Sachen Jugendkulturen leistet das Berliner Archiv der Jugendkulturen beispielhafte Arbeit nicht nur hinsichtlich der Sammlung von Materialien, sondern auch im Bereich eigener Veröffentlichungen zu verschiedenen Aspekten jugendlicher Protestbewegungen. Im Gegensatz zu vielen Publikationen der sogenannten seriösen Presse, in denen Außenstehende Phänomene zu beschreiben und zu analysieren versuchen, die sie weder verstehen wollen, noch ausreichend kennen, liegt der Hauptaugenmerk der in Zusammenarbeit mit dem Archiv der Jugendkulturen veröffentlichten Bücher eindeutig auf der direkten Einbezugnahme der jeweiligen Jugendgruppierungen.

Auch in dem aktuellen Werk, das sich mit Punks in der DDR befasst, stehen ausführliche und vor allem auch aussagekräftige Interviews mit und Fotos von ehemaligen DDR-Punks im Mittelpunkt, so dass der Leser ein faszinierend authentisches Bild der Punk-Szene im ehemaligen Ostdeutschland erhält. Die Gründe, warum man in der DDR Punk geworden ist, welche Vorstellungen man damit verbunden hat und was letztlich aus den Punks von damals heute geworden ist, stellen sich dabei ebenso vielseitig dar wie das individualistische Outfit der einzelnen Punks. Einen besonderen Aspekt, der im vorliegenden Werk auch entsprechend gewürdigt wird, stellt allerdings die Konfrontation zwischen Punks und DDR-Staatsorganen dar. Mit Abbildungen von Dokumenten, die die staatlichen Ermittlungen, Kontrollen und Strafverfolgungen demonstrieren, wird deutlich aufgezeigt, wie man in der DDR mit Hetzern “gegen die bestehende gesellschaftlichen Verhältnisse” umgegangen ist, aber das Buch zeigt auch, wie die Punks ihren Willen zur Selbstentfaltung bis heute gestärkt haben und in der Lage sind, “mit kraftvoller Phantasie ihre Lebensentwürfe zu zeichnen und zu leben” (Furian).

Archiv der Jugendkulturen e.V. (Hrsg.) - „50 Jahre BRAVO“

(Archiv der Jugendkulturen e.V., 264 S., Pb.)
Als am 26. August 1956 die erste BRAVO mit einer Startauflage von 30.000 Exemplaren erschien, konnte man für 50 Pfennig eine „Zeitschrift für Film und Fernsehen“ erwerben, deren Titelbild Marilyn Monroe und Richard Widmark zierten und die den farbigen Roman „Gepeinigt bis aufs Blut!“ enthielt. Seitdem hat die BRAVO wie kaum eine andere Zeitschrift jugendkulturelle Trends dokumentiert und bedient, bis sie Ende der 70er und Anfang/Mitte der 90er auf eine stolze Auflage von 1,4 Millionen verkaufter Exemplare Woche für Woche kommt.
Der Schwerpunkt der vorliegenden Dokumentation liegt bei den Aspekten „BRAVO als Spiegelbild des Zeitgeistes“, „Kommerzialisierung von Jugend(kulturen)“ und „Sexualität“. Dr. Martin Goldstein alias „Dr. Jochen Sommer“ schreibt hier erstmals über seine 15-jährigen Erfahrungen als Deutschlands bedeutendster Sexualaufklärer. Weitere Schwerpunkte liegen in der BRAVO-Berichterstattung über Punk, Techno und Drogen. Das ist alles sehr fundiert recherchiert und analysiert, mit vielen BRAVO-Scans illustriert und schließlich durch einen ausführlichen Anhang mit etlichen Charts abgerundet. Insofern stellt dieses großformatige Buch auch eine wunderbare Zeitreise durch die bundesdeutsche Jugendkultur(en) dar.

Irmela Schneider/Christian W. Thomsen (Hrsg.) - “Hybridkultur. Medien - Netze - Künste”

Mittwoch, 1. April 2009

(Wienand, 368 S., Paperback)
Was Kraftwerk seit den 70er Jahren mit ihrem Mensch-Maschine-Konzept thematisiert haben, ist mittlerweile zu einer weit verbreiteten kulturellen Phänomen geworden, das kaum noch mit dem Instrumentarium moderner und postmoderner Theorien erklärt werden kann. Die vorliegende Aufsatzsammlung versucht, die gewaltigen sozialen und kulturellen Veränderungen unserer Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Hybridkultur, also der Vermischung und Durchdringung von bislang getrennten sozio-kulturellen Aspekten und dem damit einhergehenden Wertewandel, zu erklären, wobei die fünfzehn Autoren zwar aus ihren jeweiligen Disziplinen der Philosophie, Soziologie, Medien- und Kulturwissenschaft, Kunst-, Musik- und Literaturgeschichte heraus die Positionen ihrer Forschungsgebiete markieren, aber dabei die Notwendigkeit eines fruchtbaren Dialogs zwischen den Wissenschaften erkennen.
Nur der grenzüberschreitende Blick auf die Erscheinungen, wie sie in der Transkulturalität, der virtuellen Realität, dem Infotainment und der allseitigen Multimedialität zum Ausdruck kommen, so die These des Buches, lasst ein erhellendes Licht auf fundamentale Umstrukturierungen auch in der Art, Entwicklungen zu beobachten und zu beschreiben, werfen. Den Autoren geht es dabei nicht um eine neue Form einer den Kulturverfall thematisierenden Medienkritik, sondern zunächst um die Bewusstmachung, dass Medien, Künste und Wissenschaften immer mehr miteinander verwoben sind. Die Fragen, die sich aus diesen Erkenntnissen auch für die Zukunft stellen - und das ist der eigentlich bemerkenswerte Beitrag des Buches -, betreffen dabei aber nicht nur die manchmal die Alltagsrealität nur peripher durchdringenden Kunst- und Medienformen, sondern ganz elementar auch die Ausgestaltung sozialer Rollen und das Verhältnis der Geschlechter.

George Lipsitz - „Dangerous Crossroads - Popmusik, Postmoderne und die Poesie des Lokalen“

(Hannibal, 262 S., Pb.)
Dass sich die heutige Musikszene auf eine spannend zu beobachtende Öffnung der einzelnen Stile und Gattungen hin zu mehr oder weniger benachbarten musikalischen Ausdrucksformen eingelassen hat, ist sicherlich ein hervorragendes Beispiel für die postmoderne Vielfalt und Beliebigkeit, die mittlerweile in fast allen kulturellen Bereichen zu beobachten ist. Der an der Universität von San Diego Ethnic Studies lehrende Professor George Lipsitz entwirft in seinem nachdenklich stimmenden, ungemein anregenden Buch „Dangerous Crossroads“ ausgehend von der sogenannten Weltmusik ein vielschichtig angelegtes Panorama von sich einander begegnenden und miteinander vermischenden Musikstilen, wobei sich Lipsitz nicht mit der Analyse der rein musikalischen Stilmittel begnügt, sondern in erster Linie auf die Auswirkung der Weltökonomie auf kultureller Ebene abzielt, was gleichermaßen Chancen und Risiken birgt.
Bereits im umfangreichen Vorwort zur deutschen Ausgabe zieht der Autor Parallelen zwischen den Unruhen in Los Angeles von 1992 und den fremdenfeindlichen Gewaltanschlägen in Deutschland nach der Wende, sieht die Ursachen in jahrelanger rassischer, ökonomischer und politischer Unterdrückung ethnischer Minderheiten. Lipsitz beschreibt im folgenden, wie interethnische Zusammenarbeit zwar nicht unbedingt zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt, aber doch gewisse nationale kulturelle und politische Diskurse über die engen Staatsgrenzen hinaus anregen kann. Wer sich nicht scheut, den allgegenwärtigen Crossover auch jenseits seiner populären Ausprägungen, nämlich im indischen Reggae, in der Discomusik oder in der haitianischen Popmusik zu betrachten und seine politischen und interkulturellen Dimensionen zu erfassen, erhält mit Lipsitz’ detaillierter und anregend geschriebener Analyse einen interessanten Blick auf die Mechanismen und Auswirkungen von Begegnungen verschiedener Musikstile und -traditionen.

Ruth Mayer & Mark Terkessidis (Hrsg.) - „Globalkolorit - Multikulturalismus und Populärkultur“

(Hannibal, 340 S., Pb.)
Einen interessanten Beitrag zur Diskussion um die Mechanismen und Auswirkungen des Multikulturalismus, wie in er in der Postmoderne zur alltäglichen Wirklichkeit auch in Deutschland geworden ist, leistet die von Ruth Mayer und Mark Terkessidis zusammengestellte Aufsatzsammlung „Globalkolorit“, in der Autoren aus der ganzen Welt Beobachtungen und Analysen zu einzelnen multikulturellen Phänomen angestellt haben.
Dabei konzentrierten sie sich auf das vielschichtige Feld der Populärkultur, weil diese nicht mehr nur als verflachende, gleichgeschaltete Kultur der Massen zu begreifen ist, sondern als ambivalenter und dynamischer Prozeß wechselseitiger Abgrenzungen und Aneignungen.
Wie sehr sich Mainstream und Subkulturen mittlerweile durchdringen, demonstriert jedes Jahr aufs Neue die Berliner Love Parade. Der Tenor der hier versammelten Aufsätze geht schließlich auch hinsichtlich der multikulturellen Thematik des Bandes in die Richtung, vom Kulturbegriff als ein für allemal gegebenes Gut Abstand zu nehmen, da in ihm auch stets „rassistische“ Konnotationen mitschwingen. Dagegen wird hier Kultur als dynamischer Prozess, als flexible Struktur verstanden, die sich über die Verdichtung von Machtkämpfen, über Verschiebungen und Umkehrungen politischer, sozialer und ökonomischer Hierarchien und ästhetischer Symbolsysteme immer wieder neu gestaltet. An Beispielen wie Graffiti, einem türkischen Männercafé, deutsch-türkischem Rap in Berlin, dem Zusammenhang von schwarzer Musik und weißer Identität, deutschem Alternativtourismus in Griechenland oder Multikulturalismus und Aliens bei „Independence Day“ versuchen die Autoren des anspruchsvollen Bandes, mögliche Bezugspunkte für eine Diskussion um Multikulturalismus und Populärkultur in Deutschland zu geben und damit den Blick des Lesers für kulturelle Erscheinungen zu öffnen, die auch mal jenseits trivialer alltagsästhetischer Schemata streng nationaler Ausprägung zum Ausdruck kommen.

William Peter Blatty - „Der Exorzist“ + David Seltzer - „Das Omen“ + Ira Levin - „Rosemaries Baby“

(Area, 800 S., HC)
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Lust am Grauen für lange Zeit gestillt, so dass die Horror-Literatur bis in die 70er Jahre hinein kaum nennenswerte Höhepunkte zu verzeichnen hatte. Schriftsteller wie Shirley Jackson, Richard Matheson und Fritz Leiber blieben vereinzelte Ausnahmen. Das änderte sich erst 1971 mit William Peter Blattys Roman „Der Exorzist“, der auf fesselnde Weise die Besessenheit des 12jährigen Mädchen Regan durch den Teufel und der Versuch seiner Austreibung durch einen Exorzisten schildert.
Die Angst vor einem Atomkrieg wich in den 70ern nun der Sorge um die Herrschaft des Antichristen, die auch in David Seltzers „Das Omen“ aufgegriffen wurde. Hier schlüpft der Antichrist in den Körper des Jungen David Thorn, der am 6. Juni um 6 Uhr geboren wurde und in dessen Umgebung die Menschen auf mysteriöse Weise sterben, bis sich die dunkle Prophezeiung von Satans Königreich auf Erden zu erfüllen scheint. Und in Ira Levins „Rosemaries Baby“ geht der erfolglose Schauspieler Guy Woodhouse einen Pakt mit dem Teufel ein, um seine Karriere anzukurbeln. Seine schwangere Frau Rosemarie, ohnehin von Sorgen und Ängsten gequält, ahnt nicht, dass bei der Geburt ihres Sohnes der Teufel seine Finger im Spiel hat. Zwar sind vor allem die erfolgreichen Verfilmungen durch William Friedkin („Der Exorzist“), Richard Donner („Das Omen“) und Roman Polanski („Rosemaries Baby“) berühmt geworden, doch es lohnt sich auf jeden Fall, auch die packenden literarischen Vorlagen zu studieren, die der Area-Verlag in einer extrem preisgünstigen und sehr handlichen gebundenen Ausgabe zusammengefasst hat.

Uli Wunderlich - „Der Tanz in den Tod“

(Eulen, 144 S., HC)
Wie so viele andere Themen, die im Mittelalter von alltäglicher Bedeutung waren und uns heute so geheimnisvoll anmuten, üben auch die Totentänze noch immer eine ausgesprochen ausgeprägte Faszination auf uns aus. Uli Wunderlich, Präsidentin der „Europäischen Totentanz-Vereinigung“, zeigt in ihrem reichhaltig illustrierten Buch die Ursprünge und Bedeutungen des Totentanzes zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Kulturen. Deutlich wird vor allem die enge Verbindung der Totentänze mit der uralten Angst des Menschen vor dem Tod und seine starke Ausprägung gerade im christlichen Europa. Schließlich diente der Totentanz im mitteleuropäischen Raum vor allem dazu, Tänze und Totenkult in Nähe von Gräbern als Teufelswerk zu verdammen.
 In allen Teilen der Welt symbolisieren die Darstellungen von tanzenden Skeletten Fürsorge und Abwehrriten, denn das Bild vom Tod war stets ambivalent, ein Helfer und Zerstörer. Ausgehend vom spanischen Danza de la Muerte, dem französischen Danse Macabre und dem ober- wie niederdeutschen Totentanz, spannt die Autorin einen weiten Bogen über Legenden, Totentanzaufführungen in der restlichen Welt über Totentanzdarstellungen in der Kunst bis hin zu seiner Bedeutung im 20. Jahrhundert. Eine Bibliografie und ein Verzeichnis der Totentänze im deutschsprachigen Raum rundet das mit 82 Farb- und 117 Schwarzweißabbildungen herrlich anschauliche Werk ab.

Kevin Brockmeier - „Die Stadt der Toten“

Sonntag, 29. März 2009

(Luchterhand, 256 S., Pb.)
Wie mag ein mögliches Dasein nach dem Tod aussehen? Einige afrikanische Kulturen teilen die Vorstellung von drei Kategorien, in die die Menschheit unterteilt werden kann: die Lebenden, die lebendig Toten und die Toten. Die Stadt der Toten ist im Szenario des amerikanischen Schriftstellers Kevin Brockmeier jenes Zwischenreich, in dem die lebendig Toten so lange verweilen, bis sie in den Erinnerungen der noch Lebenden verblasst sind. Hier finden sich alte Freunde und Liebespaare wieder, es gibt Geschäfte, Bistros und überhaupt ein recht munteres gesellschaftliches Leben.
Durch eine als „Blinks“ bezeichnete, schnell um sich greifende Viruserkrankung geraten die Lebenden auf der ganzen Welt urplötzlich in jene Stadt der Toten, deren Grenzen sich ganz von selbst ausdehnen. Die junge Biologin Laura Byrd bekommt von dieser Epidemie nichts mit. Zusammen mit ihren zwei männlichen Kollegen Puckett und Joyce ist sie nämlich im Rahmen einer Marketing-Aktion von Coca-Cola in der Antarktis unterwegs. Als die Funkverbindung zu ihrem Arbeitgeber abbricht, machen sich die beiden Männer auf den Weg zur nächsten Beobachtungsstation, finden diese aber verlassen vor, da auch hier bereits das Virus um sich gegriffen hat. Nach zwei Wochen macht sich Laura auf die Suche nach ihren beiden Kollegen und findet in der Station ein Tagebuch mit Eintragungen, die sie mit blankem Entsetzen erfüllen. Derweil reduziert sich auch die Bevölkerung in der Stadt der Toten auf unerklärliche Weise. Ob es daran liegt, dass es auf einmal immer weniger Menschen gibt, die sich an sie erinnern können? Die wunderbar erzählte Geschichte von den Lebenden und den lebenden Toten wird gerade von Chris Columbus verfilmt und fasziniert vor allem als Auseinandersetzung mit der Erinnerung.

Åsa Larsson - „Sonnensturm“

Donnerstag, 26. März 2009

(C. Bertelsmann, 348 S., HC)
Die psychisch labile Sanna Strandgard findet frühmorgens ihren Bruder Viktor bestialisch ermordet mit ausgestochenen Augen und abgetrennten Händen vor dem Altar der Kirche der Kraftquelle auf. Vor einigen Jahren erlangte Viktor Strandgard Berühmtheit, als er nach einem Unfall mit seinem Fahrrad klinisch tot gewesen ist und nach seiner wundersamen Wiederbelebung als charismatischer Führer und Medienstar drei freikirchliche Sekten zu einer großen gemeinsamen Erweckungsgemeinde zusammengeführt hatte. Sanna bittet ihre alte Jugendfreundin Rebecka Martinsson, die als Steueranwältin in einer bekannten Stockholmer Kanzlei arbeitet, zur Unterstützung herbei.
Bei ihren Ermittlungen, die sie teilweise zusammen mit der hochschwangeren Kommissarin Anna-Maria Mella durchführt, stößt sie nicht nur auf den mächtigen Wirtschaftsapparat, die die gemeinnützige und daher steuerbefreite Kirchengemeinde unter dem Deckmantel des Verlagshauses VictoryPrint unterhält, sondern wird auch mit Ereignissen ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert, die sie damals nach Stockholm ziehen ließen. Auf jeden Fall scheucht sie Viktors Mörder so auf, dass sie bald selbst in sein Visier gerät … Das spannende, psychologisch vielschichtige Debüt der schwedischen Autorin wurde als bestes Krimidebüt des Jahres ausgezeichnet und garantiert rasantes Lesevergnügen.

Erik Larson - „Der Teufel von Chicago“

Mittwoch, 25. März 2009

(Scherz, 448. S., HC)
Auch wenn er längst nicht die Berühmtheit von Jack The Ripper, der 1888 im Londoner Whitechapel-Viertel fünf Prostituierte auf grausamste Weise ermordet hatte, erreichen sollte, darf man Dr. Herman W. Mudgett als einen der gerissendsten Serienmörder bezeichnen, den die Welt je erlebt hat. 1886, also in dem Jahr, als Sir Arthur Conan Doyle erstmals seinen berühmten Detektiv präsentierte, nahm Mudgett den Namen Holmes an und wurde 1895 wegen mehrerer Morde zum Tode durch den Strang verurteilt.
Auch wenn der Titel des Buchs und der Text auf der Buchrückseite annehmen lassen, dass hier die Geschichte des Serienkillers erzählt wird, belehrt einen bereits der Klappentext eines besseren. Der „Time Magazine“-Autor Erik Larson beschreibt nämlich in erster Linie das Ringen um die Weltausstellung, die 1889 in Paris für Furore gesorgt hatte und 1893 nun in Amerika neue Maßstäbe setzen soll. Nachdem Chicago das Rennen um die Ausrichtung für sich entscheiden konnte, sorgen der berühmte Architekt Daniel Burnham und seine Kollegen für ein schillerndes Wunder, das bald nur noch „die Weiße Stadt“ genannt wird. Innerhalb von nur drei Jahren Bauzeit entstehen prachtvolle Plätze und Gebäude, ziehen unzählige Männer und Frauen nach Chicago, um dort im Rahmen der Ausstellung Arbeit zu finden. Bei diesem gewaltigen Menschenstrom fällt es überhaupt nicht auf, dass immer wieder junge Frauen spurlos verschwinden… Larsen hat akribisch recherchiert, um eine spannende Geschichte rund um die Weltausstellung und Amerikas ersten Serienkiller zu stricken. Schade nur, dass dem Killer dabei so wenig Platz eingeräumt wird und die Portraits der Stadt Chicago und ihrer Erbauer so im Mittelpunkt stehen.

T.C. Boyle - "Dr. Sex"

(Hanser, 471 S., HC)
Pünktlich zum Filmstart von "Kinsey" erscheint auch die deutsche Übersetzung von T.C. Boyles "Inner Cirlcle", der in spannender wie erregender Romanform die Karriere des Zoologen (mit dem Spezialgebiet Gallwespen) Alfred C. Kinsey (1894 bis 1956) rekapituliert. Die von Kinseys fiktivem Mitarbeiter John Milk aufgezeichnete Geschichte beginnt 1939 mit Kinseys harmlos klingender Uni-Vorlesung "Ehe und Familie", zu der aber nur Verlobte Zutritt hatten, und dokumentiert vor allem die aufreibende, minutiös gewissenhaft durchgeführte Dokumentation des amerikanischen Sexuallebens, für die Kinsey und seine Mitarbeiter in den 40ern durch Amerika reisten, um allen möglichen Orten die Sexualpraktiken von Strichern, Hausfrauen, Studenten, Vertretern, Prostituierten etc. anhand standardisierter Interviews zu erforschen, um sie dann in den beiden Aufsehen erregenden Bänden "Das sexuelle Verhalten des Mannes" (1948) und "Das sexuelle Verhalten der Frau" (1953) darzulegen.
Dabei wird schon anhand der Sexualgeschichte von John Milk deutlich, wie es um die Sexualmoral der Amerikaner in der Zeit vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stand. Kinsey selbst lebte die freizügige Moral, für die er kämpfte, ebenso frei aus, unterhielt mit Milk und anderen Mitarbeitern "H-Geschichten" aus, überließ es seiner Frau Mac, Milk in die Freuden heterosexueller Liebe einzuführen, und erfreute sich vor allem daran, Pärchen beim Sex hinter Kleiderschranktüren zu beobachten - alles für die Wissenschaft. Doch Boyle ist mit seinem Roman nicht darauf aus, den Sex zu entmystifizieren. Vielmehr schildert er eine spannende Biografie und die aufzubrechende verklemmte Sexualmoral an der Schwelle zu einer neuen, freizügigeren Auffassung der menschlichen Sexualität.

Julie Garwood - „Ein mörderisches Geschäft“

Freitag, 20. März 2009

(Ullstein, 511 S., HC)
Drei Tage nach der Geburt ihrer Tochter Avery machte sich die soziopathische Jilly Delaney auf und davon, während Avery von ihrer Großmutter Lola und ihrer Tante Carolyn aufgezogen wurde. Im Alter von elf Jahren wird Avery aber von ihrer Mutter und ihrem Begleiter angeschossen und für tot gehalten, während Grandma tatsächlich getötet wurde.
Mittlerweile hat sich Avery beim FBI verdingt, zwar nicht als Agentin, sondern nur als Typistin, aber schon bald muss sie echte Agentin-Qualitäten unter Beweis stellen, als ihre Tante Carrie bei einem Besuch auf der Wellness-Farm Utopia, zu der Carrie auch Avery eingeladen hat, gekidnappt wird. Schnell findet sie heraus, dass sie zusammen mit einer Richterin und einer anderen Frau in einem Haus in den Bergen von Colorado in der Nähe von Utopia von ihrer tot geglaubten Mutter Jilly und dem Auftragskiller Monk gefangen gehalten wird. Zum Glück ist auch der ehemalige CIA-Agent John Paul dabei, Monk auszuschalten. Gemeinsam müssen sie einen raffinierten Plan entwickeln, der wahnsinnigen wie rachsüchtigen Jilly und ihrem hörigen Liebhaber das Handwerk zu legen … Spannender Psycho-Thriller um einen „weiblichen Hannibal Lecter“, psychologisch aber längst nicht so ausgefeilt wie die großartige „Hannibal“-Trilogie von Thomas Harris. Für einen kurzweiligen Lesethrill langt es aber allemal.

Henning Boëtius - „Rom kann sehr heiß sein“

(btb, 284 S, HC)
Der Kommissar Piet Hieronymus ist so etwas wie das holländische Pendant zum seinem schwedischen Kollegen Kurt Wallander. Hieronymus war einst praktizierender Psychologe und arbeitet seit einigen Jahren als Sonderermittler bei der Groninger Polizei. Er wird immer dann herbeigerufen, wenn Landsleute im Ausland in kriminelle Handlungen verstrickt werden und die örtlich ansässigen Ermittler Probleme mit ihrer Arbeit haben. In seinem neuen Fall macht er sich auf die Suche nach seiner Freundin Dale Mackay, einer schottischen Kollegin, die er bei seinem letzten Fall „Das Rubinhalsband“ kennen- und liebengelernt hat.
Zunächst verschwindet seine Mutter aus dem Pflegeheim, dann taucht Dale für zwei Tage auf, bevor sie nach Bern zu einem Italienischkurs weiterreist. Dort trifft sie zwar ein, scheint sich dann aber direkt weiter nach Italien zu begeben, wo sich ihre Spur verliert. Hieronymus pfeift sogar auf seinen Job, um Dale in Rom zu finden, wo auch sein verstorben geglaubter Vater im Krankenhaus mit dem Tode ringt. Dort stößt er auf eine Gruppe von Wissenschaftlern und Ordensträgern, die die Genforschung bis zum Klonen von Menschen vorangetrieben haben.
Im Gegensatz zum eher nüchternen Stil Mankells versteht es Boëtius hervorragend, nicht nur die wissenschaftlichen Fakten um das Klonen und seine moralische Problematik hervorzuheben, sondern vor allem seinen Figuren eine psychologische Vielschichtigkeit zu verleihen, die die Lektüre des Romans zum reinen Lesegenuss machen.

Anne Rice - „Vittorio“

Montag, 16. März 2009

(Fischer, 334 S., Tb.)
Mit ihrer „Chronik der Vampire“ und dem verfilmten Welterfolg ihres Bestsellers „Interview mit einem Vampir“ hauchte die Schriftstellerin aus New Orleans dem langlebigen Vampir-Mythos frisches Blut ein. Seither hat die beliebte Autorin unzählige Vampir-Romane verfasst, die den Vampir als äußerst fragiles und verletzliches Wesen mit romantischen Zügen und verzweifelten Sehnsüchten darstellten und nicht als blutrünstiges Monster, dessen Dasein man mit den ausgefallensten Methoden ein Ende bereiten muss.
Das Setting ihres neuen Romans „Vittorio“ versprach eigentlich, diesem Thema neue Aspekte verleihen zu können, denn er erzählt die Geschichte des gerade mal 16-jährigen Vittorio, der im Florenz der blühenden Renaissance zum Vampir wird, nachdem eine ganze Horde von Vampiren des Blutroten Grals den Hof seiner reichen Familie vernichtet. Auf seinem Rachefeldzug gegen die Peiniger seiner Familie verfällt er allerdings der schönen Vampirin Ursula... Leider versteht es Anne Rice nie, den Leser mit ihrer unspektakulären Geschichte zu fesseln. Nur die Namen Cosimo de Medicis, Filippo Lippis und Donatellos lassen den strahlenden Glanz von Florenz erahnen, viel zu weitschweifig wird der Initiationsritus von Vittorios Vampirweihe geschildert, auch die Dialoge wirken seltsam gestelzt und fremdartig. Da wird man nie wirklich in die Geschichte eingeführt, viel mehr fragt man sich, wann es denn endlich losgeht. Enttäuschend schwache Vorstellung der großen Dame des Vampirromans.

Johler & Burow - „Gottes Gehirn“

(Europa, 320 S., HC)
Kaum ein Thema wird momentan so kontrovers diskutiert wie die Fortschritte in der Gen-Forschung und die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz, die die Biotechnologie vorantreibt. Wo liegen die ethischen Grenzen bei der Verschmelzung von Mensch und Maschine? Bis zu welchem Grad darf sich der Mensch in den natürlichen Entstehungs- und Wachstumsprozess menschlichen Lebens einmischen und damit Gottes Schöpfung manipulieren? Die beiden Schriftsteller Olaf-Axel Burow und Jens Johler, die bereits gemeinsam den Roman „Bye bye, Ronstein“ verfasst haben, nehmen sich dieses hochbrisanten Themas in ihrem neuen Werk „Gottes Gehirn“ auf sehr spannende Weise an, indem sie den aktuellen Stand der wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der Genetik, Neurophysiologie und Biotechnologie in einen packenden Thriller verpacken.
Dieser nimmt seinen Anfang in dem furchtbaren Mord an dem berühmten Klimaforscher und Nobelpreisträger John Eklund, der von seiner Frau zuhause mit entnommenem Gehirn und einer blassrosa Naht um den Schädel aufgefunden wird. Bevor der Zukunftsforscher Professor Dr. Ralph G. Kranich seinen Verdacht in diesem Fall mit seinem Freund, dem Wissenschaftsjournalisten Troller, besprechen kann, wird auch dieser ermordet. Damit beginnt eine rätselhafte Mordserie an führenden Wissenschaftlern, die durch den Umstand miteinander verbunden sind, dass sie 1995 alle an einer geheimen Konferenz auf Hawaii teilgenommen haben, die von einem Softwaregiganten gesponsert und bei der versucht wurde, eine Wiedervereinigung der zersplitterten Wissenschaften herbeizuführen. Troller fährt mit der Kriminalreporterin Jane Anderson in die USA, um mit den noch lebenden Teilnehmern der Konferenz zu sprechen, doch stoßen sie dabei entweder auf weitere Tote oder eine Mauer des Schweigens. Johler und Burow verstehen es, das wissenschaftlich komplexe Gebiet der Biotechnologie für den Laien anschaulich darzustellen und mit der spannenden Kriminalgeschichte gleichzeitig ein Szenario zu malen, das die möglichen Konsequenzen der unaufhaltsamen Fortschritte in der wissenschaftlichen Forschung aufzeigt. „Facts and fiction“ verbinden sich hier zu einem explosiven Gemisch, das jeden Leser dazu anregen wird, sich eine fundiertere Meinung über die ethischen Probleme unserer Zukunft zu bilden.

Andreas Gößling - „Dea Mortis. Der Tempel der dunklen Göttin“

(Knaur, 300 S., HC)
Als Rick Nadar am frühen Morgen nach der Nachtschicht im „Security Center“ eines Computer-Unternehmens erschöpft nach Hause kommt, will er nur noch schlafen. Doch seine hochschwangere, wunderschöne Freundin Rachel hat anderes im Sinn: sie drängt Rick, sich gemeinsam mit gepackten Koffern umgehend auf den Weg zu machen. Ziel unbekannt … Während der Fahrt aus New Providence heraus wirkt Rachel seltsam abwesend. Und Rick nimmt während der stundenlangen Fahrten und den kurzen Zwischenhalten in Motels und Hotels weitere Merkwürdigkeiten wahr.
Als die beiden schließlich im Lillison Valley landen, verliert Rick seine Rachel nach dem Einchecken im „Overidge“-Motel plötzlich aus den Augen, schlägt die Warnung des Motelbesitzers in den Wind und begibt sich ins anliegende Idleton, wo er zwar seine Freundin nicht wieder findet, aber Zeuge unheimlicher Vorgänge wird, in denen Menschen die Füße und Hände abgehackt werden. Wie sich herausstellt, wurde bei Bauarbeiten für ein neues U-Bahn-System ein uralter Tempel entdeckt und damit auch die dunkle Göttin erweckt, die nun alle schwangeren Frauen aus der Umgebung anzieht …
Gößlings Sci-Fi-Horrorroman ist stark von H.P. Lovecrafts düsteren Mythen inspiriert und liest sich durchaus spannend. Doch ohne die prachtvollen Illustrationen von H.R. Giger in dem schmucken Hochglanz-Band würde „Dea Mortis“ kaum auf größeres Interesse stoßen.

Ian Caldwell/Dustin Thomason - „Das letzte Geheimnis“

Sonntag, 15. März 2009

(Lübbe, 443 S., HC)
Im Zuge der unglaublichen Bestseller-Erfolge von Dan Browns Geheimbund- und Verschwörungs-Thrillern war vorauszusehen, dass die großen Verlage nach und nach mit thematisch ähnlich gelagerten Publikationen aufwarten würden. So katapultierten sich die beiden amerikanischen Studenten Ian Caldwell und Dustin Thomason mit ihrem Roman-Debüt in den USA auf Platz 2 der New-York-Times-Bestsellerliste und lassen nicht von ungefähr Vergleiche zu Dan Browns „Sakrileg“ aufkommen.
Erzählt wird die Geschichte der vier befreundeten Princeton-Studenten Tom, Charlie, Gil und Paul, die in eine Reihe von grausamen Todesfällen verwickelt werden. Im Mittelpunkt der Geschehnisse steht das geheimnisvolle wie wertvolle Renaissance-Manuskript „Hypnerotomachia Poliphili“ (dt. „Der Liebestraum des Pholiphilus“), das Ende des 15. Jahrhunderts von einem mysteriösen Autor namens Francesco Colonna verfasst wurde, von dem viele Forscher aber meinen, dass mehr dahinter steckt als nur eine umfangreiche Minneerzählung - so auch Toms mittlerweile verunglückter Vater, der zusammen mit den beiden Professoren Vincent Taft und Richard Curry sich intensiv mit dem Werk auseinandersetzte. Nun scheint Paul unter Toms Mithilfe den in den „Hypnerotomachia“ verborgenen Chiffren und Rätseln und damit ihrem wahren Gehalt in seiner Abschlussarbeit näherzukommen. Doch im Zuge der fortschreitenden Enthüllungen flammen alte und neue Rivalitäten zwischen den Studenten und Professoren auf ... Wenn auch nicht ganz so rasant und spannend geschrieben wie Dan Browns Thriller, stellt „Das letzte Geheimnis“ doch ein unterhaltsames Lesevergnügen dar, beschreibt dabei nicht nur detektivische Forschungsarbeit, sondern auch das turbulente Leben auf dem Campus ebenso wie die fruchtbare Kultur des italienischen Humanismus.

Neal Gabler - „Das Leben, ein Film. Die Eroberung der Wirklichkeit durch das Entertainment“

(Goldmann, 320 S., Tb.)
Dass medienrelevante Beobachtungen in der Regel zuerst aus der Unterhaltungsmetropole der Welt, den USA, kommen, ist seit Marshall McLuhans „Die magischen Kanäle“ und seiner These „Das Medium ist die Botschaft“ sowie Neil Postmans provozierendem Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“, jedem Konsumenten geläufig. Eine aktuelle Auseinandersetzung mit dem stets problematischen Verhältnis Mensch und Medien bietet der amerikanische Medien- und Kulturhistoriker Neal Gabler mit seinem neuen Buch „Das Leben, ein Film“.
Darin vertritt er die These, dass das Leben mit dem Fernsehen zu einer riesigen Unterhaltungsshow geworden ist, in der die Grenzen zwischen Kunst und Leben vollkommen verschwommen sind. „Was, wenn Unterhaltung der Sinn des Lebens wäre!“, fragte schon in den 60ern der amerikanische Schriftsteller Philip Roth. In den Selbstinszenierungen von Künstlern wie Warhol und Hemingway bis zu Liz Taylor und Madonna, dem „interaktiven Selbstmord“ von Timothy Leary, der sich via Internet-Übertragung einen Gift-Cocktail verabreichte, bis zu „Big Brother“, wo sich Menschen durch Pseudo-Ereignisse marktgerecht in Szene setzten - überall erscheint der Mensch als „Programm gestaltender Dauergast eines Amüsierbetriebs“. Die Menschen legen sich ein Image zu und leben danach. Gabler macht auf den bemerkenswerten Umstand aufmerksam, dass das Künstliche, Nicht-Authentische und Theatralische dabei ist, alles Natürliche, Echte und Spontane aus dem Leben zu verdrängen, so dass der Mensch ganz realistisch in einer Welt von Illusionen leben kann. Der Autor macht sich Umberto Ecos Ansatz zu Nutze, einen neuen kognitiven Ansatz zur Realität zu finden, indem wir „noch einmal ganz von vorne anfangen, uns zu fragen, was läuft“, und untersucht, warum die Unterhaltung in Amerika zum höchsten Wert erhoben wurde und welche Bedeutung sie für unsere öffentliche Kultur hat. Dabei verzichtet Gabler auf den moralischen Zeigefinger. Vielmehr stellt „Das Leben, ein Film“ einen unterhaltsam zu lesenden historischen Grundkurs über die Entwicklung der Unterhaltung dar und über den immer größeren Einfluss, den sie auf unser aller Leben ausübt.

Sergej Lukianenko - „Wächter der Nacht“

(Heyne, 525 S., Pb.)
Anton Sergejewitsch Gorodezki ist eigentlich Programmierer in der Nachtwache, die ebenso darauf achtet, dass die Dunklen Magier nicht das Gleichgewicht der Mächte stören, wie die Tagwache kontrolliert, dass die Lichten Magier dieses tun. Allerdings wird Anton aufgrund seiner überraschend stark ausgeprägten magischen Fähigkeiten für immer wichtigere Aufgaben im Außendienst eingesetzt. Durch einen ungeklärten Mord an einer Dunklen scheint das Gleichgewicht zwischen den Kräften außer Kontrolle zu raten. Es gibt überhaupt nur vier Verdächtige unter den Wächtern der Nacht, die für die Tat in Frage kommen, darunter Antons Chef Boris Ignatjewitsch, der ein Verhältnis mit Antons Partnerin Olga unterhält, und Anton selbst. Dennoch soll ausgerechnet Anton die Alibis überprüfen, um sich dann mit einer weiteren Möglichkeit auseinanderzusetzen: dass ein nicht registrierter Lichter Magier in Moskau sein Unwesen treibt und Dunkle ermordet …
Der erste Teil der Bestseller-Trilogie von Sergej Lukianenko wurde gerade verfilmt und wurde zum erfolgreichsten russischen Film aller Zeiten. Rechtzeitig zum Deutschlandstart von „Wächter der Nacht“ erscheint die Romanvorlage in deutscher Übersetzung. Allerdings vermag die deutsche Übersetzung nicht zu vermitteln, warum sich der Roman in Russland besser verkauft als „Harry Potter“ oder „Herr der Ringe“. Der Mischung aus Fantasy und Horror mangelt es an sprachlicher Eleganz und spannender Handlung. Auf die Fortsetzungen kann man also getrost verzichten.

Gerhard Habarta - „Ernst Fuchs. Das Einhorn zwischen den Brüsten der Sphinx“

Freitag, 13. März 2009

(Styria, 272 S., HC)
Während Ernst Fuchs hierzulande nur unter Kunstkennern bekannt sein dürfte, zählt er in seiner österreichischen Heimat zu den großen Künstlern des vergangenen Jahrhunderts, wurde als Wunderkind gefeiert und 1982 sogar mit einer Sonderbriefmarke geehrt. Als einer der Hauptvertreter der Wiener Schule des phantastischen Realismus lernte er zusammen mit Hundertwasser an der Akademie der bildenden Künste in Wien, kreierte mit medial-phantastischen Zeichnungen seine eigene Apokalypse, traf Dali in Paris, schrieb Gedichte und arbeitete am Theater, spielte eine CD mit mystischen Gesängen ein und illustrierte die Bibel.
Gerhard Habarta kennt den Künstler seit 1959 und hat bereits 1967 das erste Werksverzeichnis von Ernst Fuchs herausgegeben. Mit seiner Biografie zeichnet Habarta ein detailliertes Portrait des vielseitigen Künstlers, der mit 15 Jahren die Professoren der Kunstakademie verblüffte und drei Jahre später Paris eroberte, auf Parkbänken nächtigte, viele Frauen hatte, mit denen er insgesamt sechzehn Kinder zeugte, Engel zeichnete, eine Gotteserscheinung hatte und zum Schrecken der Kirche avancierte. Dabei lässt Habarta viele Lebensgefährten, Freunde und Künstlerkollegen, aber auch Fuchs selbst zu Wort kommen, zeigt die Stationen seines Lebens vom Kriegsende über den Eintritt in die Kunstakademie auf, sein Vagabundenleben in Paris und sein wildes Leben in den fünfziger Jahren, seine Begegnung mit dem Surrealismus und die Gründungen der Künstlervereingungen „Der Art Club“ und „Die Hundsgruppe“ bis zu Fuchs Rolle innerhalb der internationalen Kunst. So entsteht ein farbenfrohes, mit vielen Privatfotos ausgestattetes Portrait des Künstlers, das demnächst wohl durch eine Autobiografie ergänzt wird, an der Fuchs seit einigen Jahren arbeitet.