Paul Auster - „Die Brooklyn Revue“

Mittwoch, 2. September 2009

(Rowohlt, 351 S., HC)
Nachdem der fast sechzigjährige ehemalige Versicherungsvertreter Nathan Glass die Scheidung von seiner Frau Edith hinter sich gebracht und das Haus in Bronxville verkauft hat, kehrt er nach 56 Jahren wieder in seine Heimat nach Brooklyn zurück. Dorthin will er sich zum Sterben zurückziehen, nachdem ihm Lungenkrebs diagnostiziert worden war, doch es bestehen gute Chancen auf Heilung.
Auch wenn seine 29-jährige Tochter Rachel insistiert, er solle sich eine Beschäftigung suchen, genügt es Nathan vorerst, fast täglich sein Mittagessen im Cosmic Diner einzunehmen, wo er sich hoffnungslos in die puertoricanische Kellnerin Marina verknallt hat, nimmt dann aber ein Projekt in Angriff, das er „Das Buch menschlicher Torheiten“ nennt, in das Nathan all seine begangenen Blamagen und Fehltritte einzutragen gedenkt. Bei einem Besuch im antiquarischen Buchladen „Brightman’s Attic“ trifft er zufällig seinen Neffen Tom Wood, dem Nathan eine grandiose akademische Karriere vorhersagte, der aber jahrelang Taxi gefahren war und schließlich bei Harry Brightman eine Anstellung in dessen Laden gefunden hat. Brightman kann auf ein schillerndes Leben verweisen, zu dem auch ein längerer Gefängnisaufenthalt zählt. Als Inhaber der Kunstgalerie „Dunkel Frères“ förderte er erfolgreich den Künstler Alec Smith und verkaufte nach dessen Tod weiterhin Bilder mit seinem Namen, die jedoch von einem anderen Künstler gefälscht wurden. Und schon plant Brightman den nächsten Coup, den Verkauf eines gefälschten Hawthorne-Manuskripts. Nathan rät dringend von dem Plan ab, doch Harry ist schon längst Feuer und Flamme für das ambitionierte Projekt … Gewohnt sprachgewandt und mit leisem Humor spinnt der Brooklyner Autor ein faszinierendes Geflecht von aneinander gereihten Torheiten.

Paul Auster - „Nacht des Orakels“

(Rowohlt, 286 S., HC)
Nachdem der 35-jährige Schriftsteller Sidney Orr im Januar 1982 an einer Subwaystation zusammenbricht, wird er mit inneren Blutungen, Knochenbrüchen, zwei Kopfverletzungen und neurologischen Schäden ins Krankenhaus eingeliefert. Nach einigen Wochen geben die Ärzte die Hoffnung auf, doch Sid hält durch und wird sogar nach vier Monaten aus dem Krankenhaus entlassen und von seiner bezaubernden Frau Grace liebevoll gepflegt. Als er wenige Monate darauf im „Paper Palace“ von Mr. Chang ein wundervolles blaues Notizbuch aus Portugal entdeckt, ist sogar seine Schreibblockade aufgehoben.
Die Geschichten strömen mit unglaublicher Leichtigkeit aus Sids Feder, enden aber immer irgendwie in einer Sackgasse. Er beginnt aber sogar ein Drehbuch für ein Remake von H.G. Wells’ „Die Zeitmaschine“ zu schreiben. Doch auf einmal beginnt sein gerade erst wieder in geordnete Bahnen gelenktes Leben aber ebenfalls wieder aus den Fugen zu geraten. Seine Frau benimmt sich äußerst merkwürdig, nachdem sie erfährt, dass sie schwanger ist, und bleibt sogar über Nacht fort. Mr. Chang kündigt ihm aus heiterem Himmel die Freundschaft, und Sid beginnt, merkwürdige Szenarien auch um seinen besten Freund, den berühmten Schriftsteller John Trause, zu spinnen… Paul Auster erweist sich einmal mehr als virtuoser Erzähler des Zufalls und geht der spannenden Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem „Vorher“ und dem „Nachher“ nach, der Möglichkeit, ob das Schreiben das Leben beeinflussen könne. „Wir leben in der Gegenwart, aber die Zukunft ist in jedem Augenblick in uns“, lässt Auster Trause am Ende sagen. „Vielleicht geht es beim Schreiben nur darum. Nicht Ereignisse der Vergangenheit aufzuzeichnen, sondern Dinge in der Zukunft geschehen zu lassen.“

Paul Auster - „Das Buch der Illusionen“

Dienstag, 1. September 2009

(Rowohlt, 384 S., HC)
Den Literaturprofessor David Zimmer kennen wir bereits aus Austers vorzüglichem Roman „Mond über Manhattan“. Mittlerweile ist er ein sehr einsamer, fast gebrochener Mann, der den Schmerz durch den Tod seiner Frau und seiner beiden Söhne nach einem Flugzeugabsturz mit Whiskey zu betäuben versucht. Vor ein paar Jahren schrieb er ein Buch über den Stummfilmkomiker und –regisseur Hector Mann, der im Januar 1929 spurlos verschwand. „Die stumme Welt des Hector Mann“ erschien 1988 – wenig später erhält Zimmer einen geheimnisvollen Brief, in dem ihm die Möglichkeit eröffnet wird, Hector Mann kennenzulernen.
 Es tauchen überall in der Welt längst für verschollen gehaltene Filme auf, und Zimmer setzt seine Lehrtätigkeit aus, um die Filme in Paris, London und in den USA zu betrachten. Mit neuem Lebenswillen macht er sich an die Übersetzung von Chateaubriands umfangreichen Memoiren, bis eines Abends eine Frau vor dem Haus des Professors auftaucht und ihn mit gezückter Pistole auffordert, sie nach New Mexico zu begleiten, um den im Sterben liegenden Hector Mann zu treffen. Zimmer tritt in eine mysteriöse Welt aus Liebe und Leidenschaft, Kunst und Täuschung. Paul Auster erweist sich mit seinem neuen Roman wieder mal als brillanter Geschichtenerzähler, der trotz aller liebevoll geschilderter melancholischer Stimmungen stets auch Hoffnungsschimmer zu transportieren versteht, die sich hinter all den rätselhaften Ereignissen verbergen, deren Zeuge nicht nur der Protagonist des Romans, sondern auch der Leser wird.

John Grisham - „Die Begnadigung“

Samstag, 1. August 2009

(Heyne, 480 S., HC)
Nach einer desaströsen Wahlniederlage scheidet der nach William Henry Harrison wohl unbedeutendsten Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Arthur Morgan, nach vier Jahren aus dem Amt. Zu seinen letzten Amtshandlungen zählt eine Liste von Begnadigungskandidaten, auf der sich unter anderem mit Joel Backman der wohl skrupelloseste Lobbyist befindet, der für seine wirtschaftkriminellen Aktivitäten zwanzig Jahre Einzelhaft aufgebrummt bekam. Nun drängt der verkrüppelte, doch bereist seit 18 Jahren die CIA führende Direktor Teddy Maynard auf Backmans Begnadigung.
Der politikmüde Präsident gibt Maynards Drängen nach, nur um dem politischen Establishment in Washington eins auszuwischen. Backman, der über brisante Informationen über die von pakistanischen Computerfreaks entwickelte Software „JAM“ zum geheimen Satellitensystem „Neptun“ verfügt, wird von der CIA mit einer neuen Identität versorgt und nach Italien transportiert, wo ihm ein neues Leben geschenkt wird. Doch die Nachricht von der überraschenden Begnadigung macht schnell die internationale Runde, die Jagd auf Backman ist eröffnet. Dass der Broker, der das Satellitensystem einst verschiedenen Regierungen zum Kauf anbot, sein neues Leben nicht mehr lange genießen wird, ist dem CIA durchaus bewusst. Maynard und Co. interessiert nur, wer den ungeliebten Backman aus dem Weg räumt ... Grisham, der bereits mit seinen Justiz-Thrillern das moderne Amerika kritisierte, bewegt sich mit seinem neuen Roman auf der großen Bühne der Geheimdienste und ihrer verschwörerischen Machenschaften. Klar, dass bei einem meisterhaften Geschichtenerzähler wie Grisham dabei wieder ein äußerst packender Plot herausgekommen ist, der geradezu nach einer weiteren Verfilmung schreit.

John Grisham - “Die Bruderschaft”

(Heyne, 448 S., HC)
In der Regel leben die spannenden Romane des ehemaligen Anwalts John Grisham von dem aussichtslosen Kampf, den junge, unerfahrene Rechtsanwälte mit ihren unterprivilegierten Mandanten gegen mächtige Konzerne und ihrer Skrupellosigkeit führen und der Gerechtigkeit letztlich doch zum Sieg verhelfen. Mit seinem neuen Werk “Die Bruderschaft” entwirft er einmal ein anderes Szenario. Nachdem bereits “Das Testament” eine ungewöhnliche Schadenfreude über die bemitleidenswerten Erben eines Multimilliardärs zum Ausdruck brachte, wirft Grisham mit “Die Bruderschaft” einen zynischen Blick sowohl hinter die Gefängnismauern als auch hinter die Kulissen der ganz großen Politik.
Unter den Insassen von Trumble, einem fast paradiesischen Gefängnis in Florida, befinden sich neben Kleinkriminellen auch drei ehemals angesehene Richter, die sich “Die Bruderschaft” nennen und in der Gefängnisbibliothek regelmäßig die Rechtsangelegenheiten der Mitinsassen gegen Bezahlung regeln. Lukrativer wird allerdings das Geschäft, als die drei Richter über einen Anwalt in der Welt da draußen Erpresserbriefe an hochstehende Persönlichkeiten schicken. Als sie eines Tages allerdings einen mächtigen Politiker am Haken haben, setzt dieser alles in Bewegung, um sein Saubermann-Image auch weiterhin zu bewahren. Grisham hat diese Geschichte wieder mit sehr viel Witz und Raffinesse erzählt und dabei gleich die Mechanismen der Macht bloßgelegt.

John Grisham - „Die Farm“

(Heyne, 464 S., HC)Von John Grisham ist man bereits so viele hochkarätige, meist auch noch erfolgreich verfilmte Justizthriller wie „Die Firma“, „Die Akte“, „Die Jury“ oder „Der Regenmacher“ gewohnt, dass man kaum je etwas anderes von ihm zu lesen erwartet hätte. Dabei hat sich Grisham ja bislang nicht nur durch seine Anwaltspraxis als fachkundiger Kenner seiner Materie, sondern auch als hervorragender Erzähler erwiesen. Warum sich also nicht mal mit einem anderen Stoff befassen? Für seinen neuen Roman „Die Farm“ hat sich Grisham also mal nicht von Gerichtsprozessen und Anwaltskanzleien inspirieren lassen, sondern von seinen eigenen Kindheitserlebnissen im ländlichen Arkansas: Das Leben des siebenjährigen Luke Chandler ist von der sommerlichen Baumwollernte und Baseball geprägt. Er hilft bei der Ernte ebenso wie die aus den Bergen rekrutierte Familie Spruill und mexikanische Wanderarbeiter.
Als Luke Zeuge einer tödlichen Auseinandersetzung zwischen dem verhassten Jerry Sisco und dem kräftigen Hank Spruill wird, verändert sich sein ganzes Leben. Aus Angst vor der Rache der Spruills, auf die seine Familie bei der Ernte angewiesen ist, verschweigt Luke, was er gesehen hat. Aber es geschehen noch weitere Dinge in diesem Sommer des Jahres 1952. Luke verguckt sich etwas in die 14-jährige Tally, die sich aber mit einem älteren Jungen trifft, dann erfährt er auch noch Ungeheuerliches von seinem Bruder Ricky, der in Korea kämpft. Grisham hat mit „Die Farm“ auf jeden Fall bewiesen, dass er nicht nur Spannungsliteratur schreiben kann. Hier ist ihm eine wundervolle Geschichte über das Ende einer Kindheit gelungen.

John Grisham „Die Liste“

(Heyne, 480 S., HC)
Nachdem sich John Grisham mit „Die Farm“ und „Der Coach“ eine kleine Auszeit von seinen Justiz-Thrillern genommen hatte, kehrt er nach „Die Schuld“ mit „Die Liste“ zu seinem klassischen Thema zurück, der Frage nach Schuld und Sühne, Rache und Gerechtigkeit. Willie Traynor übernimmt 1970 in Clanton, Mississippi die bankrotte Kleinstadtzeitung Ford County Times, nachdem der 23-jährige Student das dafür nötige Geld von seiner reichen Tante erhalten hatte. Als die dreißigjährige Witwe Rhoda Kassellaw vor den Augen ihrer beiden Kinder vergewaltigt und ermordet wird, ist der mutmaßliche Täter schnell gefasst.
Danny Padgitts Name ist mit das letzte, was der sterbenden Frau noch von den Lippen geht, wenig später wird der von Rhodas Blut besudelte und betrunkene Verdächtige von der Polizei gestellt. Die Jury, in der erstmals eine Schwarze sitzt, befindet den Angeklagten zwar für schuldig, verhängt aber nur eine lebenslange Haftstrafe, nicht wissend, dass „lebenslänglich“ in Mississippi gerade mal zehn Jahre ausmachen. Bereits vor seiner Verurteilung versprach Danny Padgitts, die Mitglieder der Jury im Falle eines Schuldspruchs persönlich umzubringen, und bereits während des Verfahrens spart seine mächtige wie kriminelle Familie nicht an Einschüchterungsmanövern. Als Danny Padgitt nach neun Jahren wieder auf freien Fuß kommt, muss vor allem Willie Traynor um sein Leben fürchten, nachdem er mit seiner effektheischenden Berichterstattung maßgeblich zur Vorverurteilung des Angeklagten beigetragen hatte... „Die Liste“ schreit wie „Die Akte“, „Die Jury“, „Der Klient“ oder zuletzt „Das Urteil“ nach einer Verfilmung!

John Grisham „Die Schuld“

(Heyne, 448 S., HC)
Der wie viele andere Pflichtverteidiger stark überlastete Clay Carter kann es kaum fassen, dass ihm schon wieder ein Mordfall aufgedrückt wird. Der junge Schwarze Tequila Watson hat offensichtlich ohne erkennbares Motiv den Drogendealer Pumpkin erschossen und wurde dabei eindeutig von Zeugen identifiziert. Bevor sich Carter überhaupt richtig mit der Verteidigung befassen kann, wird er von dem mysteriösen Max Pace aufgesucht, der von einem Pharma-Unternehmen als Troubleshooter engagiert wurde und Carter ein unglaubliches Angebot unterbreitet: Der Konzern hatte ein ungenehmigtes Präparat an Drogensüchtigen getestet, das die Abhängigkeit heilen sollte. Erst spät wurde entdeckt, dass einige der Patienten grundlos anfingen zu morden. Um diesen Umstand nicht bei einem Gerichtsverfahren publik zu machen, strebt das Unternehmen einen großzügigen Vergleich an.
Carter nimmt das Angebot an, kündigt beim Office of the Public Defender, bekommt seine eigene Kanzlei in der nobelsten Gegend Washingtons und stellt eigene Anwälte ein. Schon schanzt ihm Pace die nächste Schadensersatz-Geschichte zu. Carter gibt die Millionen-Honorare allerdings auch schneller aus, als das Geld wieder in die Kassen strömt. Er hofft auch, mit seinem neuen Reichtum seine Freundin Rebecca zurückzugewinnen, die ihn vor kurzem auf Druck ihrer reichen Eltern verlassen hat. Doch dann ziehen dunkle Wolken am Horizont auf. Max Pace verschwindet spurlos, das FBI ermittelt wegen Handel mit Insiderwissen, sich übervorteilt fühlende Mandanten klagen gegen Carter... Grisham schildert sehr anschaulich die Problematik überhöhter Schadensersatzvergleiche, doch wirkt die Story längst nicht so spannend wie die meisten seiner früheren Werke.

John Grisham – „Das Testament“

(Heyne, 512 S., Tb.)
Dem exzentrischen Milliardär Troy Phelan ist die Vorstellung, dass sein Imperium den geldgierigen Erben zufällt, so zuwider, dass er vor seinem Freitod sein Testament zugunsten seiner unehelichen Tochter Rachel ändert.
Während die entrüstete Phelan-Familie versucht, die Änderung des Testaments anzufechten, macht sich der ehemalige, seit längerem sich aber schon auf dem absteigenden Ast befindende Staranwalt Nate O’Riley auf die Suche nach der legitimen Erbin. Als er sie nach einer abenteuerlichen Reise endlich im brasilianischen Regenwald findet, zeigt sie sich wenig interessiert an dem Erbe, dafür aber an Nate. Wenn dieser aber Rachel nicht umstimmen kann, das Erbe anzutreten, verfällt es letztlich doch der habgierigen Familie, die bis dato noch nichts von der Existenz von Troys unehelicher Tochter gewusst hat. Grisham versteht es dabei sehr gut, den Wettlauf gegen die Zeit im Strudel der interessanten Begegnung zwischen Rachel und dem Rechtsanwalt darzustellen, deren Verhalten zunächst von ganz unterschiedlichen Motivationen geprägt ist.

Lucius Shepard - „Endstation Louisana“

Donnerstag, 16. Juli 2009

(Edition Phantasia, 157 S., Pb.)
Es ist noch gar nicht so lange her, da erschien bei Edition Phantasia mit „Aztech“ eine furiose Science-Fiction-Novelle des 1947 geborenen amerikanischen Schriftstellers Lucius Shepard, der sich aber ebenso in den Genres Fantasy und Horror beheimatet fühlt, wie er mit der prägnanten Horror-Story „Endstation Louisana“ eindrucksvoll dokumentiert.
So könnte man auch Grail bezeichnen, dieses kleine Nirgendwokaff am Golf mit einem aus zwei Blocks bestehenden Geschäftsviertel, ein paar Fischerbooten am verwitterten Kai, etlichen Bars, den benachbarten Kirchen The Assembly of God und St. Jude’s und dem Restaurant Vida’s Moonlight Diner. Die 29-jährige Inhaberin Vida Dumars war vor elf Jahren aus Grail weggelaufen und ließ sich in New Orleans von einem Hexer namens Clifford Marsh misshandeln. Seit ihrer Rückkehr nach Grail versucht sie diese Schmach zu vergessen. Sie ist die amtierende Mittsommernachtskönigin, zu der alle zwanzig Jahre ein zehnjähriges Mädchen gekürt wird, das alles Unglück der Stadt auf sich nehmen muss, damit es der Stadt selbst gut geht. Diesen Pakt schlossen Grails Gründerväter vor Jahrhunderten mit einem mysteriösen „Guten Grauen Mann“. Am Abend des 22. Juni, als Vidas Nachfolgerin gekürt werden soll, hat der durchreisende Musiker Jack Mustaine, mit seinem BMW eine Panne am Straßenrand von Grail, wartet die Reparatur seines Wagens in der Stadt ab und lernt Vida kennen und lieben. Doch dann stattet der „Gute Graue Mann“ der Stadt wieder einen Besuch ab, und über das Schicksal von Grail und seinen Bewohnern wird neu verhandelt ... „Endstation Louisana“ beschreibt den magischen Pantheismus im Süden von Louisana mit eindringlicher Intensität.

Lucius Shepard - „Aztech“

(Edition Phantasia, 111 S., Pb.)
Der 1947 geborene amerikanische Schriftsteller hat sich bislang sowohl in Fantasy-, Science-Fiction- als auch Horror-Kreisen einen Namen gemacht und präsentiert in der neu gegründeten Science-Fiction-Paperback-Reihe des Bellheimer Verlags Edition Phantasia mit „Aztech“ eine kleine, aber sehr feine SciFi-Erzählung. Das darin utopische Szenario treibt dabei die aktuelle politische und soziale Situation auf dem gesamtamerikanischen Kontinent nur auf die Spitze. In Lateinamerika herrschen anarchistische Zustände. Allein die mächtigen Drogenkartelle sorgen trotz ständiger kriegerischer Auseinandersetzung für etwas soziale Ordnung. Dagegen haben sich die reichen Vereinigten Staaten mit einem riesigen Elektrozaun an der gesamten Grenze zu Mexiko abgeschottet.
Der 24-jährige Eddie Poe, der mit seinem Vater aus den Staaten nach Mexiko gegangen ist und dort eine Personenschutzfirma leitet, erhält den Auftrag, mit Zett einen Abgesandten der High-Tech-Firma Aztech zu einem Treffen mit dem Drogenboss Carbonell zu begleiten. Doch die Verhandlungen enden in einer riesigen Schießerei, bei der Zett tödlich verletzt wird und Eddie mit seiner Freundin Lupe von seiner eigenen Crew gefangen genommen wird. Die durch Drogen zu Kampfmaschinen mutierten, Sammys genannten Söldner zwingen auch Eddie zum Drogenkonsum. Allein seine mediengeile Freundin Lupe, mit der er für ihre Sendung auch live vor der Kamera fickt, um ihre Einschaltquoten in die Höhe zu treiben, kann ihm offensichtlich helfen, nicht nur den Konflikt zwischen seiner eigenen und der neuen Sammy-Persönlichkeit zu lösen, sondern auch den innerhalb des gesellschaftlichen Brandherdes, der zu explodieren droht… Sehr spannende, zeitweise auch witzige Parabel über die Beziehungen von Politik, Sex, Medien, Macht und Manipulation.

Nick Mamatas - „Abwärts – Move Under Ground“

(Edition Phantasia, 199 S., Pb.)
In den limitierten Vorzugsausgaben des aufwändig gestalteten Hardcover-Programms hat der Verlag Edition Phantasia bislang fast ausschließlich – auch moderne - Klassiker der Science-fiction- und Horror-Literatur wie ausgewählte Werke von H.P. Lovecraft, Ray Bradbury,
Clive Barker, Peter Straub oder Stephen King veröffentlicht. In der recht jungen Paperback-Reihe eröffnet man nun auch hoffnungsvollen Newcomern die Möglichkeit, auf dem
deutschen Markt entdeckt zu werden.
Nick Mamatas wurde bereits für seine Story „Northern Gothic“ für den Bram Stoker Award nominiert, hat sich in den USA mit etlichen Beiträgen für Musik- und Underground-Magazine einen Namen gemacht und legt nun mit „Abwärts – Move Under Ground“ seinen ersten Roman vor, mit dem er den berühmten Beat-Autoren Jack Kerouac, Neal Cassidy und William S. Burroughs neues Leben einhaucht. Nachdem der Ich-Erzähler Jack mit Büchern wie „On The Road“ (1957) den American Way of Life kritisierte und die Sinnsuche einer entwurzelten Generation beschrieb, befindet er sich in den 60ern auf der Flucht vor seinen Fans und zieht sich in Big Sur zum Meditieren zurück und widmet sich seinem „spontanen Schreiben“. Er liest die Briefe seines Freundes Neal, dem er nie antwortet, mit dem ihn aber die Hoffnung verbindet, die Welt vor dem Grauen zu retten, das irgendwo da draußen in der Tiefe lauerte. Tatsächlich werden Jack, Neal und später auch Bill Burroughs mit dem Ausbruch des sagenhaften R’lyeh konfrontiert, der Heimat des urzeitlichen Gottes Cthulhu, dessen Heerscharen von Schoggothen und Kultisten bereits in Menschengestalt zu schlüpfen versuchen und die Menschheit zu vernichten drohen. Die drei Beatniks machen sich auf eine Reise durch ein apokalyptisches Amerika, von Nevada über San Francisco bis nach New York, um sich dem Bösen entgegenzustellen … Mamatas versteht es blendend, die
Sprache und das Anliegen der Beat-Autoren mit dem kosmischen Schrecken Lovecrafts zu verbinden. Heraus gekommen ist ein herrlich abgedrehtes, groteskes Road Movie in Romanform.

H.P. Lovecraft - “Der Kosmische Schrecken“

Freitag, 10. Juli 2009

(Festa, 317 S., HC)
Echte Lovecraft-Fans, die es sich auch noch leisten können, haben mit den bei Edition Phantasia veröffentlichten, bislang zehn sorgfältig editierte Bände umfassenden „Gesammelten Werken“ von H.P. Lovecraft bereits das Nonplusultra in den heimischen Bücherregalen stehen. Für den kleineren Geldbeutel bietet der Festa-Verlag, der schon viel an Sekundärliteratur und Lovecraft-verwandten Autoren veröffentlicht hat, aber auch schön eingebundene Geschichtensammlungen an, von denen der erste nun mit „Der Kosmische Schrecken“ vorliegt.
Kaum ein anderer Autor bot in seinen Erzählungen so viel Stoff für tiefenpsychologische Deutungen, denn der scheue Lovecraft war bekanntermaßen ein echter Sonderling mit ausgeprägten Vorurteilen gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten, ein Atheist und Materialist, der in seinen Geschichten nichtsdestotrotz grauenhafte Gottheiten schuf. So einigen begegnet man auch in „Der Kosmische Schrecken“. In neuer Übersetzung liegen hier mit „Die Ratten im Gemäuer“, „Das Ding auf der Schwelle“, „Dagon“, „Der Flüsterer im Dunkeln“, „Der Außenseiter“ und „Der Schatten über Innsmouth“ einige der populärsten Storys des amerikanischen Schriftstellers vor. Dazu gibt es sehr aufschlussreiche Anmerkungen zu letzterer Geschichte von S.T. Joshi und David E. Schultz sowie die von Lovecraft verworfene Version dieser schaurigen Novelle. Mit „Namenlose Kulte“ ist ein weiterer Lovecraft-Band bereits in Vorbereitung.

H.P. Lovecraft - „Der Ruf des Dämon – Dunkle Geschichten“

(Eichborn LIDO)
Neben Edgar Allan Poe ist Howard Philips Lovecraft (1890-1937) einer der bedeutendsten Wegbereiter der modernen Horror-Literatur gewesen. Das kosmische Grauen, das Lovecraft in seinen Erzählungen heraufbeschwor, eignet sich aufgrund seiner extrem bildhaften Sprache besonders gut für die immer beliebter werdenden Grusel-Hörbücher. Nachdem LPL Records bereits mit „Der Cthulhu Mythos“, „Der Schatten über Innsmouth“ und „Das Ding auf der Schwelle & Die Ratten im Gemäuer“ die bekanntesten Lovecraft-Storys als Hörbücher veröffentlicht haben, legt der Eichborn-Verlag nun mit der Doppel-CD „Der Ruf des Dämon“ nach. Die beiden hier vertretenen Stories „Der Hund“ und „Das Fest“ sind zwar nicht so bekannt wie andere, wobei Lovecraft selbst sogar erstere als seine schlechteste Erzählung betrachtete, entfalten aber nichtsdestotrotz ihre mehr als unheimliche Wirkung. In „Der Hund“ berichtet der Ich-Erzähler von seinem makabren Museum und seinen abscheulichen Ausstellungsstücken.
Mit den Themen Leichenraub und dekadente Todessehnsucht versuchte Lovecraft hier die Literatur der französischen Décadence von Autoren wie Baudelaire und Huysmans auf die Spitze zu treiben, was durchaus augenzwinkernde Züge annimmt.
In „Das Fest“ besucht der Ich-Erzähler das fremdartige Julfest in einer albtraumhaften Hafenstadt, die von einer jahrhundertealten Rasse bewohnt wird und dort ihre schaurigen Rituale durchführt … Beide Geschichten werden von Simon Jäger (Synchron-Stimme u.a. von Josh Hartnett und Heath Ledger) sehr stimmungsvoll erzählt. Dazu sorgt das Orchester der Schatten für einen atmosphärisch dichten Soundtrack aus Klavier, Bläsern, Cello und Percussions. Drei Gedichte, von Simon Newby im Original gelesen, und ein informatives Booklet runden die Produktion sehr schön ab.

H.P. Lovecraft - “Gesammelte Werke: Erzählungen – 5 Bände” + “Saat von den Sternen”

(edition phantasia)

200 S., HC)
Der exklusive Kleinverlag edition phantasia hat sich der dankbaren Aufgabe angenommen, das Gesamtwerk des bedeutenden Schriftstellers herauszugeben, und legt eine insgesamt fünf Bände umfassende erste Werkgruppe mit Erzählungen vor.
Mit seinen beklemmenden Visionen von uralten Göttern mit unaussprechlichen Namen wie Nyarlathotep, Yog-Sototh und Cthulhu, die einst von der Erde verstoßen wurden und sich seither danach sehnen, an ihre alte Wirkungsstätte zurückzukehren, avancierte Lovecraft nach Edgar Allan Poe zum bedeutendsten Horror-Schriftsteller Amerikas und wurde durch seinen Cthulhu-Mythos unsterblich. In „Erzählungen I“, dem ersten, auf 350 limitierten und handnummerierten Band der ersten, nur komplett zu beziehenden Werkgruppe, sind neben den aus den Suhrkamp-Sammelbänden wie „In der Gruft“, „Stadt ohne Namen“ und „Die Katzen von Ulthar“ bekannten Geschichten wie „Das Grab“, „Die Aussage des Randolph Carter“, „Celephais“, „Der Tempel“, „Die Musik des Erich Zann“ und „Azathoth“ bereits sieben bislang hierzulande unveröffentlichte, von Joachim Körber (der sich als Übersetzer vieler Bücher von Stephen King, Peter Straub und Clive Barker sowie als Herausgeber verschiedener Horror-Anthologien einen Namen gemacht hat) übersetzte Geschichten enthalten, die das Herz eines jeden Lovecraft-Fans höher schlagen lassen. Schließlich hat es Lovecraft wie kaum ein anderer verstanden, beklemmende Atmosphären zu kreieren, die den Leser nachhaltig zu beeindrucken wussten und die eindrucksvoll das Bild einer ohnmächtigen Menschheit zeichnete, die den mächtigen, alten Göttern hilflos ausgeliefert war.
„Erzählungen II“ widmet sich dem reiferen Werk des Autors und enthält u.a. seine berühmten Geschichten “Die Ratten im Gemäuer”, “In der Gruft”, “Cthulhus Ruf” und “Pickmans Modell". Zwar sind im Gegensatz zum ersten Band keine Erstveröffentlichungen vertreten, was den zweiten Band aber - abgesehen von der exklusiven Gestaltung - so wertvoll macht, ist das informative Vorwort des Lovecraft-Experten Marco Frenschkowski, der zu jeder Geschichte auch noch eine interessante Einführung verfasste, die jeweils gerade auf die ganz spezielle Ästhetik des Autors eingeht.
In “Erzählungen 3” sind mit “Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath”, “Der Fall Charles Dexter Ward” und “Die Farbe aus dem All”, die Lovecraft Ende der 20er Jahre verfasst hatte und die - wie Frenschkowski in seinem Vorwort anmerkt - einmal mehr eine “Topographie des Schreckens” entfalten und sich dabei auf unheimliche Weise der Genres historischer Roman, Science Fiction und Fantasy bedienen, zugleich Lovecrafts längsten Erzählungen zusammengefasst, die fast schon Roman-Charakter haben. Für Lovecraft-Liebhaber sind vor allem die ausführlichen historischen Anmerkungen von Frenschkowski zu jeder Geschichte von besonderem Reiz.
Abseits der “Gesammelten Werke” hat der Verlag mit “Saat von den Sternen” eine weithin unbekannte Facette von Lovecraft ans Tageslicht befördert, nämlich die Ausformung seiner Ästhetik des Schreckens in makabren Gedichten, die hier in zweisprachiger Fassung und vollfarbig von Heiner Stiller illustriert veröffentlicht worden sind. Kenneth W. Faig, Jr. verfasste dazu eine einfühlsame Einleitung, in der er nicht nur auf den Sonett-Zyklus “Fungi from Yuggoth”, sondern auch auf Lovecrafts Leben und Werk eingeht, und Muriel E. Eddy, eine persönliche Bekannte Lovecrafts, schließt den schönen Band mit einer “Reminiszenz” ab, die weitere Facetten von Lovecrafts Persönlichkeit enthüllt.

China Miéville - „Spiegel“

Mittwoch, 8. Juli 2009

(Edition Phantasia, 130 S., HC)
Der in London lebende China Miéville zählt in seiner englischen Heimat mit nur wenigen Romanen bereits zu den meistbeachteten Horror-Schriftstellern und wurde schon mit Auszeichnungen wie dem British Fantasy Award, dem Arthur C. Clarke Award und dem Locus Award geehrt. Nun bringt der Bellheimer Verlag Edition Phantasia Miéville auch dem deutschen Publikum nahe.
„Spiegel“ ist eine kleine, aber feine Horror-Erzählung, die von Jorge Luis Borges’ „Das Buch der imaginären Wesen“ inspiriert der interessanten Vorstellung nachspürt, was geschehen könnte, wenn unsere Spiegelbilder ein Eigenleben entwickeln würden. Das kurze Szenario spielt sich in einem apokalyptisch zerstörten London ab, in dem sich Sholl in einem gestrandeten Doppeldecker-Bus mit vergitterten Fenstern häuslich eingerichtet hat. Sporadisch zerfetzt das Donnern von Handfeuerwaffen die Luft. Führerlos versuchen einzelne militärische Trupps, Kontakt zu ihren Befehlshabern und zur nicht mehr vorhandenen Regierung aufzunehmen. Sholl macht sich auf den Weg zu einem dieser versprengten Trupps und versucht Anhänger für seinen Plan zu finden, den so genannten Patschogen den Garaus zu machen. Sie haben sich einst aus der Abhängigkeit von den Menschen befreien können, waren nicht mehr nur Spiegelbilder, sondern entwickelten erst hinter dem verspiegelten Glas ein eigenes, die Menschen zutiefst erschreckendes Dasein, dann traten sie durch das Glas auf die andere Seite und entfachten einen fürchterlichen Krieg. Sholl begibt sich in den U-Bahn-Schacht von Hampstead, um dort den Vampiren, niederen Formen der Patschogen, entgegenzutreten… Höchst interessantes und vergnüglich zu lesendes Gedankenspiel um die Welt, die sich möglicherweise hinter unseren Spiegelbildern verbirgt. Die auf 250 nummerierte Exemplare limitierte Vorzugsausgabe wurde wunderschön von Reinhard Kleist illustriert und sowohl vom Autor als auch vom Illustrator handsigniert.

Umberto Eco - „Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana“

Sonntag, 5. Juli 2009

(Hanser, 508 S., HC)
Umberto Eco, dessen Name wohl für immer untrennbar mit dem kongenial verfilmten Erfolg seines Mittelalterkrimis „Der Name der Rose“ verbunden ist, taucht mit seinem neuen Roman in das Reich der Erinnerungen ein. Als der knapp sechzigjährige Bibliothekar Giambattista Bodoni aus dem Koma erwacht, kann er sich zwar an alles Mögliche erinnern, was irgendwie mit seinem Beruf zu tun hat, kennt sämtliche historischen Ereignisse und literarischen Kostbarkeiten, mit denen er je zu tun hatte, doch an seine Frau Paola, seine Töchter, seine persönliche Vergangenheit kann er sich nicht erinnern. Indem seine Frau ihn nach Norditalien aufs Land in das Haus seines Großvaters zur Erholung schickt, macht sich der liebevoll Yambo genannte Buchhändler an alte Bücher, Magazine, Schallplatten und Comics, lässt sich von Paola über seine Familiengeschichte aufklären und trifft sich mit seinem alten Freund Gianni Laivelli, der Bodoni auch von Lila erzählt, Bodonis große Liebe in der Schule, die er im Alter von sechzehn Jahren plötzlich aus den Augen verloren hat.
Es sind vor allem die Erinnerungen an dieses geheimnisvolle Mädchen, nach denen Bodoni fast verzweifelt sucht, und der Leser wird Zeuge der Suche, indem die allmählich zurückkehrenden Erinnerungen und Geschichten mit entsprechenden Filmplakaten, Comic-Bildern, Briefmarken, Zeitungsausschnitten und anderen Illustrationen in dem Roman mit abgebildet sind. Zwar sind die ausführlich geschilderten Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg für jüngere Leser vielleicht nicht ganz so interessant, aber die Geschichte der Suche nach der ersten großen Liebe ist dafür umso lesenswerter!

Ramsey Campbell - „Steif vor Angst“

Mittwoch, 1. Juli 2009

(Edition Phantasia, 244 S., HC im Schuber)
Neben Clive Barker und James Herbert zählt Ramsey Campbell fraglos zu den wichtigsten modernen britischen Horrorautoren, der seine Geschichten oft in der Anonymität moderner Großstädte, bevorzugt in seiner Heimatstadt Liverpool ansiedelt und dadurch seinen gruseligen Szenarien noch glaubwürdigere Züge verleiht.
In seinem 1987 verfassten, von Heiner Stiller collagenartig illustrierten und von Clive Barker eingeleiteten Werk verweist der Titel nicht nur auf die Erzeugung eines Angstgefühls, sondern tatsächlich auch auf die Erregung sexueller Leidenschaften und ausgefallener Fantasien, die selbst hinter den sorgfältig aufgebauten Fassaden bürgerlicher Einsamkeit die skurrilsten Formen annehmen. Campbell beschreibt dabei sehr deutlich, wie die Erfüllung unterschwelliger Sehnsüchte traditionelle Beziehungen untergräbt und der Versuch, die ganz eigenen sexuellen Fantasien auszuleben, stets ein unglückliches Ende nimmt. So werden in „Puppen“ die erotischen Gelüste einer christlichen Gemeinde bei einem Hexensabbat kanalisiert, wobei den Beteiligten erst spät gewahr wird, welch unmenschliche Züge manche Geschlechtspartner angenommen haben. In „Die andere Frau“ hat ein Buchillustrator mit Impotenzproblemen bei seiner Freundin zu kämpfen, wird aber hochgradig durch die Frau erregt, die er immer wieder malt, bis er das Bild der Fantasiegeliebten auf seine Freundin überträgt. Der Schuber in Schlangenlederoptik macht das auf 250 Exemplare limitierte, von Autor und Illustrator signierte Buch wieder zu einem echten Schmuckstück.

Fritz Leiber - „Die Umtriebe des Daniel Kesserich“

(Edition Phantasia, 116 S., HC im Schuber)
Ein wahres Schmuckstück hat der feine Bellheimer Verlag Edition Phantasia da auftun können. Die Novelle „Die Umtriebe des Daniel Kesserich“ des mit Literaturpreisen reich gesegneten Science-fiction-, Horror- und Fantasy-Autors Fritz Leiber (1910-1992) wurde nämlich in den 30er Jahren verfasst und war lange Zeit verschollen, ehe sie 1996 wieder auftauchte und ein Jahr später erstmals in den USA veröffentlicht wurde. Der versierte Übersetzer Joachim Körber (u.a. Stephen King, Clive Barker, Peter Straub) nahm sich nun das faszinierende Kleinod vor und ließ es von Lars Nestler auch gleich wunderschön illustrieren.
In bester Lovecraft-Tradition lässt Leiber den Ich-Erzähler George Kramer von seinen schwer zu begreifenden Erlebnissen berichten, die ihm bei seinem Besuch in der kleinen Stadt Smithville widerfuhren, wo seine beiden Collegefreunde Daniel Kesserich und John Ellis lebten. Ellis hatte dort die schöne Mary Andrews, Mündel eines Obstbauers, geheiratet, während Kesserich seinen Experimenten um Raum und Zeit nachging. Ellis schrieb Kramer vom unglücklichen Tod seiner Frau, die scheinbar versehentlich durch ein neues hochwertiges Spritzmittel vergiftet wurde. Auf dem Weg zu Kesserich fragt sich Kramer, wieso quasi aus dem Nichts Steine auf dem Boden auftauchen, die ihm den Weg zu weisen scheinen, dann explodiert auch noch Kesserichs Haus … Erst ein in den Trümmern gefundenes Notizbuch des exzentrischen Forschers und Ellis, der auch noch das Verschwinden der Leiche seiner Frau verkraften muss, lassen das ganze Ausmaß von Kesserichs Forschungen erahnen … Lovecraft hätte diese klaustrophobische Erzählung kaum packender schreiben können! Das wundervoll aufgemachte Buch ist vom Illustrator signiert und auf 250 handnummerierte Exemplare limitiert.

Henry Rider Haggard - “Der Mahatma und der Hase”

(Edition Phantasia, 120 S., Pb.)
Der 1912 zum Ritter geschlagene Beamte, Politiker und Schriftsteller Sir Henry Rider Haggard (1856 – 1925) wurde vor allem durch seine vierzig Jahre lang erscheinenden, oft verfilmten Geschichten um den Abenteurer Allan Quatermain weltberühmt, aber auch durch – ebenfalls verfilmte - Romane wie „King Solomon’s Mines“ und „She“. Die 1911 verfasste, nun erstmal auf Deutsch erscheinende Fabel „Der Mahatma und der Hase“ zählt zu Recht zu den beeindruckendsten Werke der Fantasy-Literatur, ist es doch ein eindringliches Plädoyer gegen die Jagd.
Der Ich-Erzähler, der sich als nom-de-plume etwas selbstironisch mit dem Namen Mahatma schmückt, erzählt davon, wie er vor Trauer über den Verlust seiner geliebten Frau und Tochter erst zu trinken anfing und dann seinem Leben im Wasser ein Ende setzen wollte. Ein geheimnisvoller Mann namens Jorsen rettete den Lebensmüden nicht nur vor dem Ertrinken, sondern wies ihn in gewisse spirituelle Techniken ein, so dass sich Mahatma u.a. auch an frühere Leben bis zurück zu Zeiten des prähistorischen Menschen erinnern oder das wahre Wesen der Menschen erkennen konnte. Im Schlaf vermeint er, sogar seinen Körper verlassen zu können, und einmal gelangt er dabei auf eine große weite Straße, auf denen die Toten vom Totenbett zu den Himmelspforten schreiten. Dabei begegnet er einem Hasen, der Mahatma ausführlich von seinem von Todesangst und Flucht und körperlichen Peinigungen geprägten Dasein berichtet… Selten hat man die Qualen, die Tiere bei der Jagd empfinden müssen, derartig bestürzend vor Augen geführt bekommen. Haggard war übrigens selbst jahrelang begeisterter Jäger, ehe er ebenso leidenschaftlich zu ihrem Gegner wurde.