Stephen King - (Der Dunkle Turm: 4) „Glas“

Samstag, 12. Juni 2010

(Heyne, 847 S., HC)
Mit Werken wie „Das letzte Gefecht“ oder „Es“ hat sich der meistgelesene Autor unserer Zeit als Meister in der Erzählung epischer Geschichten und Erbauer phantastischer Welten erwiesen, in die der Leser förmlich hineingesogen wurde. Sein anspruchsvollstes und auch für ihn selbst wichtigstes Werk hat King allerdings mit der 1978 initiierten, sich bislang über drei Bände erstreckenden Saga von Rolands Suche nach dem Dunklen Turm in Angriff genommen. Inspiriert von Robert Brownings epischen Gedicht „Herr Roland kam zum finstern Turm“ schuf King eine faszinierende, symbolbeladene und rätselhafte Geschichte, die auf ganz natürliche Weise Horror-, Fantasy- und Western-Elemente miteinander verbindet.
Fünf Jahre ließ King seine treuen Fans auf die Fortsetzung von „tot“, dem dritten Teil der Saga, warten, aber irgendwann musste sich der Horror-Meister ja wieder seinem Lieblingskind annehmen. So beginnt „Glas“ - in vielen Buchclub-Ankündigungen irrtümlicherweise als Abschlussband der Saga vom Dunklen Turm bezeichnet - dort, wo „tot“ aufhörte, nämlich in dem von einem aus Rand und Band geratenen Computer namens Blaine geführten Zug, der seine vier Insassen, darunter Roland von Gilead, in den sicheren Tod fahren wird. Einen letzten Funken Hoffnung versprechen sich die Passagiere von Blaines Vorliebe für Rätsel. Sollte Roland und seinen Gefährten ein Rätsel einfallen, das Blaine nicht lösen kann, wären sie frei. Natürlich besteht das Gespann diese erste Bewährungsprobe, aber es landet dafür in der apokalyptischen Szenerie von „The Stand“. An einem Lagerfeuer erzählt Roland seinen Freunden die Geschichte seines Lebens, eine Geschichte von Liebe, Verrat und Verlust.
Nachdem die Gruppe vom Lagerfeuer aufgebrochen ist, gelangt sie in ein märchenhaftes Schloß, in dem sie sich mit dem mächtigen Magier Marten auseinandersetzen müssen. Dieser legt Rolands Gefährten nämlich nahe, sich von Roland abzuwenden, da er die Gewohnheit besitze, seine Freunde umzubringen, woraufhin Roland auch das letzte seiner dunklen Geheimnisse offenbaren muss...
Für „Glas“ gilt eigentlich auch das, was für die besten King-Romane zutrifft: es zieht seine Leser nach der eröffnenden Zusammenfassung der ersten drei Bände recht schnell in seinen Bann und verzaubert mit der detaillierten, teilweise recht poetischen Beschreibung einer magischen Welt, die voller dunkler, aber faszinierender Geheimnisse steckt. Bleibt nur zu hoffen, dass die Fortsetzung von „Glas“ nicht wieder fünf Jahre auf sich warten lässt.

Stephen King - (Der Dunkle Turm: 5) „Wolfsmond“

(Heyne, 940 S., HC)
In der fünften Episode des insgesamt sieben Bände umfassenden Fantasy-Epos vom „Dunklen Turm“ gelangen der Revolvermann Roland von Gilead und seine Gefährten Eddie, Jake und Susannah in den kleinen Ort Calla Bryn Sturgis, dessen Einwohner die Revolvermänner um Hilfe im Kampf gegen mysteriöse Wolfskreaturen bitten, die in etwa jeder Generation einen der vielen Zwillinge im Dorf entführen und es geistig behindert wieder zurückschicken. Andy, der Boten-Roboter, der sonst nur Horoskope zum Besten geben kann, schockiert die Dorfbewohner mit der Ankündigung eines weiteren Überfalls der Wölfe, vor denen die Angst so groß ist, dass sich viele im Calla nicht trauen, den Revolvermännern beizustehen. Roland hört sich jedoch geduldig die Geschichten von Callahan, dem Priester, und anderen Männern aus dem Dorf an, und trifft auf mutige Frauen, die sich als tödliche Tellerwerferinnen erweisen.
Nachdem auch Susannah diese Fertigkeit erlernt hat, sind Roland und seine Gefährten wieder zuversichtlich, den bevorstehenden Kampf gegen die Wölfe zu gewinnen. Als sie in einer Höhle eine Tür entdecken, die Reisen in andere Welten ermöglicht, versucht das sogenannte Ka-tet, im New York des Jahres 1977 eine Rettungsaktion der besonderen Art. Erschwert wird ihr Unterfangen allerdings durch die Tatsache, dass sich in Susannah nicht nur die ätzende Persönlichkeit von Odetta Holmes verbirgt, sondern auch Mia, die einen hungrigen Dämon austrägt.
Auch wenn auf den knapp 1000 Seiten nicht wirklich viel passiert, lesen sich vor allem Callahans Erinnerungen sehr spannend. Dabei begegnet der Leser nicht nur dem Vampir Barlow und dem Marsten-Haus aus „Brennen muss Salem“, sondern auch den „niederen Männern“ aus „Atlantis“.

Stephen King - (Der Dunkle Turm: 6) „Susannah“

(Heyne, 494 S., HC)
Als Stephen King 1976 mit der Kurzgeschichte „Der Revolvermann“ den Grundstein für sein umfangreiches Fantasy-Epos um Roland von Gilead, den letzten Revolvermann, auf der Suche nach dem Dunklen Turm, legte, mochte wohl niemand glauben, dass ihn diese Geschichte über fast dreißig weitere Jahre lang verfolgen würde. In dem knapp 1000 Seiten umfassenden letzten Band, „Wolfsmond“, kamen Roland und seine Gefährten Eddie, Jake und Susannah nach Calla Bryn Sturgis, wo sie die Bewohner vor den Wolfsreitern beschützten. Am Ende trug Susannah ein Dämonenkind in sich und flitzte mit der Schwarzen Dreizehn nach New York von 1977, um dort das Kind auszutragen, wohin sich nun mit Hilfe der Mannis Henchick und Cantab auch Roland, Eddie, Jake und der Calla-Priester Callahan aufmachen.
Während die Brecher versuchen, auch die letzten Balken zu zerstören, die den Dunklen Turm tragen, kämpft Susannah dagegen an, Mias todbringendes Kind zu gebären. Mordred, so soll der Name des Kindes lauten, soll – so die Prophezeiung – Roland töten, aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg, der seinen Höhepunkt im siebten und damit letzten Band der Saga vom Dunklen Turm finden wird… Teil VI zählt jedenfalls zu den verwirrendsten und komplexesten der ohnehin nicht leicht zu konsumierbaren Geschichte, in der nun Stephen King auch selbst als Figur auftaucht und auch von den Reisenden aus Mitt-Welt aufgesucht wird. Am Ende von „Susannah“ ist man froh, dass dieser Band „nur“ 500 Seiten umfasst und dass das Ende der Saga nah ist. Für King mag dieses umfangreiche Werk im Zentrum seines Schaffens stehen, für seine Leser mittlerweile leider wohl eher weniger… Einzig die angefügten Tagebuchaufzeichnungen von Stephen King, die den Schaffensprozess des „Dunklen Turms“ thematisieren, wirken etwas erhellend.

Stephen King - (Der Dunkle Turm: 7) „Der Turm“

(Heyne, 1010 S., HC)
Basierend auf Robert Brownings Gedicht „Herr Roland kam zum finstern Turm“ (das im Anhang von „Der Turm“ nachzulesen ist) hat Stephen King in den vergangenen dreißig Jahren seines Lebens an seinem Magnum Opus, der Geschichte vom „Dunklen Turm“, geschrieben, das nun mit dem siebten Band „Der Turm“ endlich sein Ende findet.
Der Revolvermann Roland ist endlich am Ende seiner langen Reise angekommen. Doch bevor er den Dunklen Turm erreicht, sind noch einige Monster, Vampire, Bösewichte und Mutanten, allen voran Crimson King, der Herr der Dunklen Turms, aus dem Weg zu räumen. Während Jake Chambers und Pere Don Callahan 1999 im Dixie Pig Cafe in Manhattan einen aussichtslos erscheinenden Kampf gegen die Erben des Bösen fechten, bei dem Callahan sein Leben lassen muss, versuchen Eddie und Roland in der Parallelwelt von 1977 den Staat Maine zu retten. Sie versuchen, ihren Kaufvertrag für das unbebaute Grundstück an der Second Avenue Moses Carver zu übergeben, der nicht nur das Grundstück, sondern auch eine darauf wachsende spezielle Wildrose in Obhut nehmen, weiterhin die Tet Corporation mit Holmes Industries verschmelzen soll und zudem verhindern muss, dass die Sombra Corporation mit North Central Positronics ihre Pläne durchführen können. Eddie und Roland selbst machen sich auf den Weg zu Susannah/Mia ins Krankenhaus, wo sie gerade einen schrecklichen Sohn gebärt. Das Ka-Tet begegnet alten Weggefährten wie Dinky, Sheemie und dem aus Stephen Kings „Atlantis“ bekannten Gedankenleser Ted Brautigan, der den Revolvermännern auf vier Tonbändern seine Geschichte hinterlässt. Er half seinen Auftraggebern, die Balken zu zerstören, von denen nur noch Shardiks und Gans Balken den Dunklen Turm stützen. Der Wettlauf gegen die Zeit geht seinem dramatischen Ende entgegen, denn das Ka-Tet, das zum Ende hin zerbricht, muss Stephen King vor einem Autounfall retten, damit er die Geschichte von Roland und seiner Suche beenden kann…
Nach gewohnt verwirrendem Beginn und unübersichtlichen wie unnötigen Nebenhandlungssträngen kommt der abschließende „Dunkle Turm“-Band erst ab der zweiten Hälfte so richtig in Fahrt.

Stephen King – „Das Mädchen“

(Ullstein, 304 Seiten, Tb.)
Mit seinem aktuellen Streich „Das Mädchen“ erzählt der „King des Horrors“ auf ungewohnt geradlinige Weise die Geschichte der neunjährigen Trisha, die mit ihrem Bruder und ihrer Mutter eine Wanderung unternimmt, im Wald aber vom Weg abkommt und sich verirrt, ohne dass jemand mitbekommt, dass sie sich verirrt hat.
Die Stärke in Kings Geschichte liegt dabei in der Beschreibung der Ängste, die das Mädchen gerade mit dem nahenden Hereinbrechen der Dunkelheit durchmacht. Doch die Einsamkeit, die Mücken und die wilden Tiere stellen sich noch als die geringsten Probleme heraus, die Trisha zu bewältigen hat. Um sie herum scheint sich ein Grauen zu manifestieren, dessen Intensität zum einen auf Grimms Märchen von Hänsel und Gretel basiert, aber auch an den Schocker „The Blair Witch Project“ denken lässt.

Stephen King - „Im Kabinett des Todes“

(Ullstein, 585 S., HC)
Stephen King ist seit jeher ein Meister der Kurzgeschichte gewesen, hat sein Ausnahmetalent in diesem literarischen Genre in Sammlungen wie „Nachtschicht“, „Frühling, Sommer, Herbst & Winter“, „Im Morgengrauen“, „Alpträume“ und „Abgrund“ immer wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Nach längerer Zeit legt der „King des Horrors“ mit „Im Kabinett des Todes“ endlich wieder eine packende Sammlung gruseliger wie literarisch anspruchsvoller Geschichten vor, darunter unter anderem „Achterbahn“, jener erfolgreicher Versuch, eine Geschichte allein über das Internet zu verkaufen. Ein junger Student erhält die Nachricht, dass seine Mutter einen Schlaganfall erlitten hat, und per Anhalter zu seinem Zuhause in Harlow fährt. Dabei wird er von seinem gar nicht menschlichen Fahrer vor die Wahl gestellt, ob er selbst oder seine Mutter sterben soll... Wunderbar witzig ist „L.T.s Theorie der Kuscheltiere“, in der L.T. seinen Kumpels erzählt, wie seine Frau ihn verlassen hat, und er bringt all die kuriosen Anekdoten zum Besten, die ihre Ehe so schmackhaft gemacht haben. Andere Stories wie „Autopsieraum vier“, in der es um die Angst vor dem Scheintod geht, oder „1408“ – die Geschichte eines unheimlichen Hotelzimmers, dessen Geheimnis ein Schriftsteller zu lüften versucht – bearbeiten bekanntes Terrain, aber es ist eben Kings meisterhafte und vielseitige Art des Erzählens, die sein Werk so unterhaltsam machen.

Stephen King - „Atlantis“

(Heyne, 592 S., HC)
Seine erzählerische Meisterschaft stellt Stephen King in seinem Roman „Atlantis“ eindrucksvoll unter Beweis. In diesem Epos, das in der Woodstock-Ära angesiedelt ist und damit das Lebensgefühl von Stephen Kings Generation widerspiegelt, entwirft King das einfühlsame Szenario einer Freundschaft zwischen dem elfjährigen Bobby Garfield und seinem neuen Nachbarn Ted Brautigan, der durch seine Lebenserfahrung und Klugheit schnell zu Bobbys Lehrmeister wird.
Allerdings bittet der Alte seinen jungen Freund bald um Beistand gegen mächtige Feinde in senfgelben Mänteln, als Menschen getarnte Außerirdische. Was Bobby anfangs als Spinnerei abtut, entpuppt sich schließlich als reale, mächtige Bedrohung nicht nur für Bobby und seinen väterlichen Freund, sondern für die ganze Kleinstadt Harwich im Nordosten der USA. Geschickt zeichnet King das komplexe Portrait seiner eigenen Generation, macht durch die Verstrickung von der im Zuge des Vietnam-Traumas aufkeimenden Paranoia mit Verrat, Gewalt, Träumen und Ängsten das Lebensgefühl einer Ära transparent, deren Alltag ebenso vom normalen Wahnsinn durchzogen wurde wie heute.
Die filmische Adaption von Scott Hicks („Shine“, „Schnee, der auf Zedern fällt“) mit Anthony Hopkins in der Rolle von Ted Brautigan zählt übrigens auch zu den besten unter den unzähligen Stephen-King-Verfilmungen.

Dan Simmons - "Drood"

Donnerstag, 3. Juni 2010

(Heyne, 976 S., HC)
Über 125 Jahre nach dem Ableben der beiden miteinander befreundeten großen englischen Schriftsteller Wilkie Collins („Die Frau in Weiß“) und Charles Dickens („Oliver Twist“, „Große Erwartungen“) taucht eine Geschichte auf, in der Wilkie Collins die letzten Jahre im Leben seines Freundes beschreibt, das am 9. Juni 1865 eine tragische Wendung genommen hat. An diesem Tag befand sich Charles Dickens im Tidal Train auf der Rückreise nach London (nachdem er in Paris an seinem Buch „Our Mutual Friend“ gearbeitet hatte), als der Zug an einer Baustelle nicht rechtzeitig zum Stehen kam und über einer Brücke entgleiste. Nur ein Wagen der ersten und einer der zweiten Klasse schafften es auf die andere Seite. Zu den Glücklichen, die in jenem Wagen der ersten Klasse saßen, gehörte der damals wohl neben Shakespeare berühmteste Autor, der sich gleich auf den Weg machte, zu den Toten und Verletzten zu eilen. Doch während seiner Rettungsaktion fiel Dickens ein großer, dünner Gentleman in einem schweren, schwarzen Umhang auf, der ausgemergelt wie eine Leiche aussah und dem mehrere Finger teilweise oder ganz fehlten. Als sich die beiden Herren einander vorstellten, meinte Dickens den Namen „Drood“ verstanden zu haben, und offensichtlich wollte er nach East London, wo der Zug eigentlich nicht hinfuhr.

Dickens fiel auf, dass überall dort, wo sich dieser Drood über die geschundenen Körper beugte, später nur noch Leichen waren. Dickens hat es sich zur Aufgabe gemacht, den geheimnisvollen Mann aufzuspüren. Dafür spannt er sich seinen Schriftsteller-Kollegen und Freund Wilkie Collins sowie den von Scotland Yard um seine Pension betrogenen Ex-Inspector Charles Frederick Field ein, der es sich seit Jahren zur Aufgabe gemacht hat, diesen geheimnisvollen Drood zur Strecke zu bringen, ist er doch der Überzeugung, dass Drood für über 300 Morde in London verantwortlich gewesen sei. Dickens und Collins werden von Fields Helfern in die düsteren Katakomben der Stadt geführt und kommen mit altägyptischen Mysterien in Berührung, die im Zusammenspiel mit Opium, Laudanum und Mesmerismus unheilvolle Geschehnisse in Gang bringen …
Dan Simmons hat sich erfolgreich als Autor im Horror-Genre („Kinder der Nacht“, „Kraft des Bösen“) und in der Science-fiction („Hyperion“, „Ilium“) einen Namen gemacht, mit dem 2007 veröffentlichten „Terror“ nahm er sich John Franklins abenteuerlichen Suche nach der Nordwestpassage an und landete mit dem historischen Thriller einen Bestseller. Mit „Drood“ setzt Simmons nun seine Arbeit in diesem Genre fort und spinnt aus dem Eisenbahnunglück, das Dickens tatsächlich an besagtem 9. Juni 1865 erlebte und von dem er sich nie so recht erholte, eine höchst spannende Geschichte, die eindrucksvolle Einblicke in das Leben zweier berühmter englischer Schriftsteller gewährt und dabei ihre Epoche lebensnah vor Augen führt.

Jed Rubenfeld - „Morddeutung“

Mittwoch, 2. Juni 2010

(Heyne, 527 S., HC)
Als Ehrendoktor der Clark University in Worcester, Massachusetts, wird Sigmund Freud im Jahr 1909 zu einer Vorlesungsreihe über Psychoanalyse eingeladen. Zur gleichen Zeit wird eine junge Frau, die zuvor mit Peitschenhieben gefoltert wurde, an einem Kronleuchter aufgehängt in ihrem Luxusapartment aufgefunden. Wenig später erleidet die hübsche Nora Acton fast ein ähnliches Schicksal, überlebt den Angriff aber mit einem Schock, der sie nicht nur die Stimme, sondern auch das Gedächtnis verlieren lässt.
Der junge Psychologe Stratham Younger, der Freud und seine Kollegen C.G. Jung und Sándor Ferenczi in Empfang genommen hat, wird damit beauftragt, mit Freuds Unterstützung die Erinnerungen der jungen Frau zurückzugewinnen, um so Aufschluss über den Täter zu erhalten. Währenddessen wird einiges darangesetzt, dass Freud seine Vorlesungen an der Universität absagt. Und während der nervöse Bürgermeister McClellan, der profilneurotische Pathologe Hugel und der tüchtige Jung-Detective Littlemore sich auf die Suche nach dem Serienkiller machen, macht sich zunehmend Unruhe in den höchsten Schichten der New Yorker Gesellschaft breit, denn alles deutet darauf hin, dass unter ihnen der Täter zu finden ist …
Jed Rubenfeld hat die Spekulationen über Freuds Amerika-Reise, von der seine Biografen meinen, dass dort ein unbekanntes Ereignis eine Art Trauma bei dem berühmten Psychoanalytiker verursacht haben könnte, als Ausgangspunkt für einen faszinierenden Thriller in bester Jack-the-Ripper-Manier genommen.

Clive Barker – „Imagica“

Dienstag, 18. Mai 2010

(Heyne, 835 S., Jumbo)
Als Charlie Estabrook das erste Mal der schönen Judith begegnete, war er sogleich hin und weg. Dass sie noch mit dem von der Frauenwelt weithin begehrten Künstler John Furie Zacharias, kurz Gentle genannt, liiert war, machte ihm nicht viel aus. Er wartete, bis seine Zeit gekommen war und heiratete das Objekt seiner Begierde, doch waren auch ihm nur fünf glückliche Jahre mit Judith vergönnt. Die anschließende Trennung rief einen solchen Schmerz der Demütigung bei ihm hervor, dass Charles nun seinen Chauffeur Chant damit beauftragt, einen Killer zu finden, der Judith ins Jenseits befördert. Pie‘oh‘pah soll der Beste seines Fachs sein und wird von Estabrook nach New York geschickt, wo sie mittlerweile mit einem neuen Mann lebt. Doch dann plagen den gehörnten Liebhaber Gewissensbisse, und er wendet sich an Gentle, den Killer aufzuhalten. Da Gentle gerade selbst eine weitere Trennung von einer Frau verarbeiten muss und von dem Händler Chester Klein keine Aufträge für Fälschungen erwarten kann, reist er ebenfalls nach New York und kann tatsächlich den Anschlag auf seine ehemalige Geliebte verhindern. Gentle ist allerdings so von Pie’oh’pahs gestaltwandlerischen Fähigkeiten fasziniert, dass er sich von Pie in ein Mysterium einweihen lässt, dass nur wenigen Eingeweihten vertraut ist: Die Erde ist nur eine von fünf Domänen.
Maestro Sartoris Versuch, die Fünfte Domäne mit den anderen vier zu vereinen und so den Riss in Imagica zu schließen, endete in einer Katastrophe, bei der viele Theurgen, Schamanen und Theologen ihr Leben verloren. Einige der Überlebenden versuchen seitdem in einer Organisation namens Tabula Rasa, das magische Wissen aus der Fünften Domäne zu tilgen. Doch es gibt immer noch viele Schlupflöcher zwischen den Domänen. So betreibt Oscar Edmond Godolphin regen Handel mit dem „Sünder“ genannten Kaufmann Hebbert Nuits-St. Georges aus Yzordderrex in der Zweiten Domäne, den er mit Götzenbildern, Fetischen und Reliquien aus der Fünften Domäne beliefert. Judith findet im Safe ihres Ex-Mannes Charles außergewöhnliche Gegenstände, mit denen sie selbst auf die Reise zwischen den Welten geht. Neugierig geworden, beginnt sie eine Beziehung mit Oscar, dem Bruder ihres Mannes, der seine eigene Zuflucht besitzt, die ihn in die Domänen bringt. Und als man Pie nach dem Leben trachtet, nimmt dieser Gentle auf einen abenteuerlichen Trip in die anderen Domänen. Sowohl Judith als auch Gentle erfahren auf ihren Reisen nach Imagica, dass der Unerblickte einst durch sein Reich wanderte und alle Kulte zerstörte, die er für unwürdig erachtete, meistens Göttinnen und Prophetinnen. Doch Gentle und Pie stoßen auf Huzzah, die zehnjährige Tochter des untalentierten Malers Aping, die offensichtlich noch die Gabe zu sehen besitzt. In ihren Träumen erblickte sie eine Göttin, Tishalullé, die in der Wiege nur darauf wartet, aus den Fluten aufzusteigen. Gentle erfährt, dass ihm eine ganz besondere Rolle dabei zufällt, die getrennten Domänen wieder zusammenzuführen. Doch bei dieser Mission sind etliche Gefahren zu bewältigen …
Clive Barkers Phantasie kennt offensichtlich keine Grenzen, und mit Leichtigkeit scheint er neue Welten, Wesen und Namen zu erfinden, die abenteuerliche Missionen erleben. Mit „Imagica“ ist dem visionären Künstler ein weiteres Meisterwerk gelungen, dessen Geschichte zwar im gegenwärtigen England wurzelt, aber schnell die dem Leser bekannte Geographie verlässt, um neue magische Welten zu erschließen, mythologische Systeme einzuführen und eine ganz einzigartige Apokalypse zu inszenieren, in der nichts so zu sein scheint wie zunächst angenommen. Diese erfrischend vielschichtige Auseinandersetzung zwischen Autokraten, selbsternannten Heilsbringern, schaurigen Dämonen, Scharlatanen, Dienern, Menschen und Göttinnen beschreibt Clive Barker in einer wundervoll eleganten, anspruchsvollen Sprache, dass es eine Wonne ist, seinen ausgefallenen Ideen und seinen phantasievollen Worten zu folgen. Das ist große Fantasy-Kunst!

Clive Barker - “Galileo”

(Heyne, 911 S., Tb.)
Angefangen hatte und berühmt wurde der in Liverpool aufgewachsene Clive Barker mit seiner sechs Bände umfassenden Kurzgeschichten-Sammlung “Die Bücher des Blutes”, die ihn gleich auf den Horror-Olymp katapultierten. In den letzten Jahren sind Barkers Geschichten zum einen immer umfangreicher geworden, zum anderen haben sie mit dem blutigen Splatter-Horror seiner literarischen Frühzeit nicht mehr viel gemein. So ist sein neues, über 900 Seiten umfassendes Werk “Galileo” nur noch am Rande gerade mal der Fantasy zuzuordnen, weist ansonsten aber alle Merkmale einer opulenten Familienchronik auf, die der Erzähler Maddox Barbarossa niederzuschreiben gedenkt.
Wertvolle Unterstützung erhält er dabei von seiner Stiefmutter Cesaria, die ihm durch die Übermittlung von Visionen an den Schicksalen nicht nur der beinahe unsterblichen Familie Barbarossa teilhaben lässt, sondern auch an denen des mächtigen Clans der Gearys, mit denen die Barbarossas durch Liebe und Hass fast unzertrennlich verbunden sind. Besondere Aufmerksamkeit richtet Maddox auf das Leben der jungen Rachel, die den reichen und herrschsüchtigen Mitch Geary heiratet, sich aber bald von ihm trennt und die Arme des geheimnisvollen Seefahrers Galileo Barbarossa flieht, der eine magische Anziehungskraft auf alle Frauen der Gearys auszuüben scheint. Clive Barker erzählt diese faszinierende Verbindung zwischen den beiden auf unterschiedliche Weise mächtigen Familien mit jenem phantastischen Einfallsreichtum und ausgereiften Stil, den man von ihm seit jeher gewohnt ist, aber gerade mit seinen letzten Romanen “Stadt des Bösen” und “Das Sakrament” an fesselnder Eindringlichkeit noch gewonnen haben.

Clive Barker - „Coldheart Canyon“

(Heyne, 875 S., Pb.)
In den 20er Jahren kauft Willem Matthias Zeffer in seiner Funktion als Impresario der Hollywood-Schönheit Katya Lupi ein imposantes, über 33000 kleine bemalte Kacheln umfassendes Mosaik dem Orden von St. Teodor in Rumänien ab und lässt es seiner Herrin nach Hollywood verschiffen, wo es minutiös in den Kellergewölben ihres mysteriösen Anwesens im Coldheart Canyon wiederhergestellt wird. Der nach der kaltherzigen Diva benannte Canyon erblüht in der goldenen Ära Hollywoods zum dekadenten Zentrum der Filmmetropole und stürzt so manchen Star ins Verderben.
Nun droht auch dem alternden Hollywood-Action-Star und Frauenschwarm Todd Pickett ein ähnliches Schicksal, als er dem Vorschlag des ätzenden Paramount-Chefs Gary Eppstadt folgt und sich einer Gesichtsoperation unterzieht. Doch Komplikationen erfordern, dass Pickett nach der OP untertaucht. Coldheart Canyon scheint der ideale Ort für den Heilungsprozess zu sein. Schnell gerät er in den Bann der schönen Katya, die noch immer wie eine 25-jährige aussieht und Todd im so genannten Teufelsland mit den verruchtesten Wesen und Sexualpraktiken vertraut macht…
„Coldheart Canyon“ wird als „Opus Magnum“ des „Hellraiser“-Schöpfers angepriesen und gefällt zumindest als satirischer Seitenhieb auf Hollywood, während die Beschreibungen von Teufelsland leider längst nicht mehr die visionäre Wucht früherer Romane wie „Imagica“ oder „Jenseits des Bösen“ entfalten. Aber gute Horror-Unterhaltung ist es allemal.

Clive Barker - „Abarat – Tage der Wunder, Nächte des Zorns“

(Heyne, 574 S., geb. im Schmuckschuber)
Es ist selten genug, dass deutsche Hardcover-Ausgaben in ihrer Aufmachung die englischen/amerikanischen Original-Ausgaben bei weitem übertreffen. Dem Heyne-Verlag ist das mit dem auf vier Bände angelegten „Abarat“-Zyklus von Horror-Papst Clive Barker („Hellraiser“, „Lord Of Illusions“) allerdings auf prächtige Weise gelungen. Auch der zweite Band des Fantasy-Epos, für das sich Disney bereits die Filmrechte gesichert hat, erscheint in auf 2000 nummerierte Exemplare limitierte Luxus-Ausgabe im aufwändigen Leinenband mit farbigem Kopfschnitt und im handgefertigten Schmuckschuber.
Der von Multitalent Clive Barker selbst prächtig und farbenfroh illustrierte zweite „Abarat“-Band schildert die weitere Reise des 15-jährigen Mädchens Candy Quackenbush, die eines Tages die Lincoln Street in Chickentown bis zum Rand der Stadt läuft und auf einmal, von einer goldenen Wolke angezogen, über das Meer Izabella nach Abarat gelangt, einem Archipel von 25 Inseln, eine Insel für jede Stunde des Tages und eine außerhalb der Zeit. Erst während der Reise wird ihr klar, dass es an ihr allein liegt, diese wunderbare Inselwelt vor Lord Carrion, dem Fürsten der Mitternacht, zu bewahren, der diese mit seinen Albträumen in Dunkelheit zu tauchen plant. So schickt er Houlihan, den Kreuz-und-quer-Mann, auf die Mission, dieses Mädchen einzufangen und zu ihm zu bringen. Doch Candy gelingt es, zusammen mit der Gesh-Ratte Malingo und weiteren Gefährten, von Insel zu Insel zu fliehen, von Tazmagor zu Orlandos Kappe bis zu den Pyramiden von Xuxux, wo die königlichen Familien zur letzten Ruhe gebettet wurden. Dort will Carrion die hungrige Beutelbrut aktivieren, seine finsteren Pläne zu vollenden …
Auch mit dem zweiten „Abarat“-Band ist Clive Barker ein schillerndes Fantasy-Meisterstück mit allerlei skurrilen Figuren, ausladenden Kulissen und spannenden Abenteuern gelungen, dessen Fortsetzung hoffentlich nicht lange auf sich warten lässt …
Lesen Sie im Buch: Clive Barker - "Abarat - Tage der Wunder, Nächte des Zorns"

Clive Barker - “Abarat”

(Heyne, 476 S., HC)
Wenn Fantasy- und Horror-Autoren Kinderbücher schreiben, laufen sie oft zu absoluter Hochform auf, siehe Neil Gaiman (“Caroline”, "Der Sternwanderer") oder Stephen King („Die Augen des Drachen“). Auch „Hellraiser“-Schöpfer Clive Barker hat mit „Haus der verschwundenen Jahre“ bereits ein wundervolles, selbst illustriertes Kinderbuch geschrieben, nun legt er mit dem auf vier Bände angelegten „Abarat“-Zyklus auf fantasiereiche Weise nach.
Im ersten Band wird die Geschichte des jungen Mädchens Candy Quackenbush erzählt, die das dröge Dasein im einzig von der Hühnerzucht lebenden Kaff Chickentown satt hat, zumal ihr Vater seinen Job wegen Trunkenheit in der Hühnerfabrik verloren hat und nun der Familie daheim das Leben zur Hölle macht. Als ihr auch noch ihre Lehrerin für einen Aufsatz über Chickentown eine Sechs verpasst, hat Candy endgültig genug und flieht die Lincoln Street bis zu ihrem Ende entlang, wo sie wogendes Grasland und eine riesige Wolke erwartete. Noch ein paar Schritte weiter und sie entdeckt einen Leuchtturm und ein Geschöpf mit acht Augenpaaren, den Meisterdieb John Mischief mit seinen sieben John-Brüdern. Er übergibt ihr einen wertvollen Schlüssel, womit Candys Abenteuer erst richtig beginnt. Auf der Flucht vor dem Monster Mendelson Shape, einem Diener des Herrn der Mitternacht, muss sie das Licht im Leuchtturm entzünden, dann nähert sich das geheimnisvolle Izabella-Meer, das die 25 Inseln des Abarat beherbergt, eine für jede Stunde des Tages und eine außerhalb der Zeit. Schnell wird Candy klar, dass verschiedene böse Mächte hinter dem Mädchen aus dem „Hernach“ und ihrem Schlüssel her sind, aber Candy bewegt sich ungewöhnlich sicher in der Welt der Monster, Feen und Zauberer. Ihre schwierige Aufgabe ist es, nichts weniger als das Archipel von Abarat vor dem Herrn der Mitternacht zu retten…
Inspiriert von den wunderschönen Hardcover-Ausgaben im Schuber von Clive Barkers „Das Sakrament“ und „Dieb der Zeit“ des Verlags edition phantasia veröffentlicht nun auch Heyne den ersten Band von „Abarat“ im schmucken, nummerierten, limitierten Leinen-Hardcover und Schmuckschuber auf Hochglanzpapier mit vielen Ölbild-Illustrationen des Autors. Disney plant übrigens zwei Spielfilme und eine Fernsehserie zu „Abarat“.
Lesen Sie im Buch: Clive Barker - "Abarat"

Clive Barker - „Clive Barker’s A-Z Of Horror"

(Harper Prism, 256 S., HC)
Clive Barker ist nicht nur ein großartiger Romancier, sondern ebenso wie Stephen King ein profunder Kenner und Liebhaber des Horror-Genres. Im Begleitbuch zur BBC-Fernsehserie „Clive Barker’s A-Z Of Horror“ nimmt der kenntnisreiche Filmemacher, Maler und Schriftsteller den Leser auf eine persönliche Reise durch die Geschichte des Horrorfilms.
Auf der einen Seite bekommt man unter A wie „American Psycho“ nicht nur Hintergründiges zu Filmen wie „Psycho“, „Texas Chainsaw Massacre“ und „Das Schweigen der Lämmer“ geboten, sondern auch Infos zum „Psycho“-Autor Robert Bloch und zu populären Serienmördern, erhält unter J wie „Japan“ einen Überblick über japanische Monsterfilme oder unter Q wie „Quiet Men“ Filmographien von Roger Corman, Vincent Price und Boris Karloff. Auf der anderen Seite wird man mit Barkers wichtigsten Einflüssen selbst vertraut, beispielsweise mit dem Grand-Guignol-Theater, das Barkers frühen Theaterproduktionen inspiriert hat, oder Grimms Märchen. Und das alles wird auf Hochglanzpapier mit vielen tollen Farb- und Schwarz-Weiß-Bildern, reichlichen Zitaten von Horror-Machern und Illustrationen vom Meister selbst präsentiert.

Clive Barker – „Stadt des Bösen“

(Heyne, 779 S., Tb.)
Im Frühjahr 1848 brechen 83 Menschen von Independence, Missouri, Richtung Westen auf, wo sie einen Ort des Überflusses zu finden hoffen, doch die beschwerliche Reise forderte vor allem im heißen Sommer immer mehr Tote. Von den 32 Kindern, die anfangs zum Treck zählten, ist nur noch eines übrig, die hagere und unscheinbare zwölfjährige Maeve O’Connell, deren Vater Harmon immer wieder ausschweifend von seinen Ambitionen im Westen erzählt. Während seine Mitreisenden bescheidene Träume von einem Wald, einer Holzhütte, gutem Boden und frischem Wasser hegen, will Harmon in Oregon eine ruhmreiche, strahlende Stadt mit Namen Everville errichten, die er so oft in Träumen gesichtet hat. „Träume sind Türen, Mr. O’Connell“, waren die ersten Worte, die der geheimnisvolle Mr. Owen Buddenbaum zu ihm sagte. Everville sei der Name eines irischen Fabelwesens, das Männer in ihren Träumen besucht, doch mehr hat Maeve ihrem Vater an Informationen über Everville nie entlocken können. Der Gemeinschaft sind O’Connells Ambitionen aber dermaßen suspekt, dass sie ihn mit dem Teufel im Bunde sehen und ihn heimtückisch ermorden. Maeve kann ihm noch das Versprechen geben, dass sie Everville erbauen wird, dann wird sie von einer mysteriösen Kreatur mit Flügeln himmelwärts entführt und an einen offensichtlich heiligen Ort gebracht, wo sie den Frevel begeht, bei einer Hochzeit zu sprechen. Ihr Retter Coker Ammiano muss mit Maeve flüchten, um nicht für das folgende Blutvergießen zwischen den Clans verantwortlich gemacht werden zu können. Coker berichtet Maeve von der Essenz, wo Menschen seltsame Länder, Tiere, Städte, Bücher, Monde und Sterne träumen. Obwohl der Ort nicht für Fleisch und Blut gemacht wurde, haben sich immer wieder Taschenspieler, Dichter und Magier dorthin verirrt und Kinder gezeugt, die teils Menschen sind und teils nicht. Coker will mit Maeve gerade die Schwelle zur Essenz übertreten, als sie Buddenbaum entdeckt, von wem sie noch erfahren will, was Everville für ihn bedeutet, und so bleibt auch Coker bei ihr.
Währenddessen hat Noah an dem Ort, an dem Maeve mit ihren Worten die Zeremonie gestört und die Katastrophe herbeigeführt hat, an der Stelle, wo sich die Schwelle zwischen Kosm und Metakosm befindet, Everville aufgebaut. Er würde an der Schwelle warten, bis jemand das Tor erneut öffnete …
Als die Drehbuchautorin Tesla Bombeck, die vor fünf Jahren den Untergang der kalifornischen Kleinstadt Palomo Grove miterlebt hat und seitdem auch den einst als Affen geborenen, nun menschlich gewordenen Raul in sich trägt, nach Everville kommt, wo sich der große Widersacher Fletcher befinden soll, finden dort gerade die Vorbereitungen zum großen Festival statt. Während der Rechtsanwalt Erwin Toothaker das dunkle Geheimnis über die Gründung von Everville zu lüften versucht, kommt Morton seiner Frau Phoebe Cobb und ihrem Liebhaber Joe Flicker auf die Spur, muss diese Entdeckung allerdings mit dem Leben bezahlen. Joe flüchtet aus der Stadt und trifft in den Bergen Noah, der Joe darum bittet, ihn die zehn Schritte zum Ufer von Essenz zu bringen, wofür er Joe eine Menge Macht auf der anderen Seite der Schwelle verspricht. Während Joe aus erster Hand das Meer der Träume entdeckt, erfährt seine Phoebe durch Tesla alles Wissenswerte über den Kampf zwischen Fletcher und dem Jaff, der Palomo Grove in Schutt und Asche legte, die Essenz und die Insel Ephemeris. Offensichtlich befindet sich in Everville der Kreuzweg, der von Mächten besucht wird, die eine neue Ära einleiten wollen.
„Ich glaube, wir nähern uns dem Ende unseres Daseins, wie wir es kennen. Wir werden einen Sprung auf der Evolutionsleiter machen. Und damit ist dies eine gefährliche und wunderbare Zeit“, erklärt Tesla ihrer neuen Weggefährtin Phoebe. Wie gefährlich das Leben in Everville geworden ist, muss nicht nur Toothaker schmerzhaft am eigenen Leib erfahren, als sein Körper von dem Schamanen Kissoon eingenommen wird, damit dieser die „Kunst“, die größte Macht der Welt, erlangen kann. Aber auch Buddenbaum, der Todesjunge Tommy-Ray und der aufs Übersinnliche spezialisierte Detektiv Harry D’Amour mischen in dem apokalyptischen Spektakel mit, das Everville und seine Einwohner und Besucher für immer verändern wird …
Fünf Jahre nach seinem großen Fantasy-Epos „The Great & Secret Show“ (auf Deutsch etwas prosaischer als „Jenseits des Bösen“ erschienen) legt Clive Barker mit „Everville“ (leider etwas zu reißerisch mit „Stadt des Bösen“ ins Deutsche übertragen) eine fulminante Fortsetzung vor, die das unvollendete Geschehen in Palomo Grove nun nach Everville verlagert, wo sich nun die Schwelle zwischen dem Kosm und Metakosm, zwischen der Gegenwart und Traumwelt befindet. Mit großer Sprachgewandtheit und grenzenloser Phantasie entfesselt Clive Barker ein farbenprächtiges Gemälde voller schillernder Figuren und magischer Vorgänge in faszinierenden Welten, wobei er souverän die großen Themen wie Liebe, Leben, Tod, Glaube und Daseinsformen im Dies- wie Jenseits abhandelt.

Clive Barker – „Jenseits des Bösen“

(Heyne, 597 S., Jumbo)
„Erinnerungen, Prophezeiungen und Phantasiegespinste, Vergangenheit, Zukunft und der Augenblick des Traums dazwischen – sie alle schaffen ein Land, das einen einzigen, unsterblichen Tag lang existiert. Das zu wissen, ist Weisheit. Es sich nutzbar zu machen, ist die Kunst.“
Und diese Kunst, von der Clive Barker im Prolog schreibt, will der einfache Postmitarbeiter Randolph Ernest Jaffe, erlernen. Er stößt eher zufällig auf sie, als er im Winter 1969 von seinem Vorgesetzten Homer damit beauftragt wird, die Säcke an Irrläufern, die irgendwann immer in Omaha, Nebraska, landen, weil sich weder der Osten und noch der Westen des Landes dafür zuständig fühlt, zu sichten und zu sortieren, die Geldscheine und Schecks und Wertgegenstände zu sammeln und den Rest zu verbrennen. Doch zwischen all den Liebes-, Abschieds- und Erpresserbriefen, verloren gegangenen Romanen und Rezepten kristallisiert sich für Jaffe eine fundamentale Wahrheit heraus, um das Meer der Meere, um Träume, eine Insel, das Ende der Welt und ihren Anfang und eben die Kunst.
Als er genügend Informationen zusammengetragen hat, bringt er Homer um, verbrennt alle Briefe und macht sich auf den Weg, um die Kunst zu finden. Er sammelt Erfahrungen, erlebt alle körperlichen Empfindungen und trifft auf Kissoon, der Jaffe von der Essenz und den darin schwimmenden Inseln, den Ephemeriden, erzählt. Doch Jaffe bleibt nicht, um sich mit Kissoon zu verbünden, er will mehr, und mit dem Wissenschaftler Richard Wesley Fletcher scheint Jaffe in Maine einen passenden Suchenden gefunden zu haben. Fletcher hat sich darum bemüht, die Kraft in lebenden Organismen, die für die Evolution verantwortlich sind, zu isolieren und im Labor zu synthetisieren. Elf Monate später ist es soweit. Die Substanz, die Fletcher Nuncio, den Boten, nennt, soll die Große Arbeit vollenden, mit der Menschen über sich selbst hinauswachsen können. Doch Fletcher ahnt schnell, dass die Substanz bei Jaffe nicht in guten Händen sein würde. Fletcher und Jaffe bekriegen sich und können einander doch nicht besiegen. Völlig erschöpft landen sie im Sommer des Jahres 1971 in der Kleinstadt Palomo Grove. Als sich die vier Freundinnen Arleen Farrell, Trudi Katz, Joyce McGuire und Carolyn Hotchkiss in einem offenbar über Nacht entstandenen See im Wald abkühlen wollen, werden sie von einer unheimlichen Macht unter Wasser gezogen und verändert wieder an die Oberfläche gespült. Allesamt fühlen sie sich auf merkwürdige Weise auserwählt. Joyce lässt sich von ihrem Schwarm Randy Krentzman schwängern, Carolyn von ihrem Nachbarn, dem Mittfünfziger Edgar Lott und Trudi von dem Gärtner der lutheranischen Kirche, während die Kleinstadtschönheit Arleen sich in der örtlichen Bar von jedem besteigen lässt, der sich in die Schlange einreiht, als Einzige aber nicht schwanger wird. Die unrühmliche Geschichte über den „Bund der Jungfrauen“ sorgt lange Zeit für Gesprächsstoff im Ventura County. Als im April des nächsten Jahres Trudi ihren Sohn Howard Ralph, Carolyn ihre Tochter Linda und Joyce die beiden Zwillinge Jo-Beth und Tommy-Ray zur Welt bringen, bricht der Bund der Jungfrauen auseinander. Siebzehn Jahre später kehrt Howard aus Chicago in seine Heimatstadt zurück, um herauszufinden, wer er eigentlich ist, und verliebt sich ausgerechnet in Jo-Beth, die von ihrer Mutter ausdrücklich gewarnt wird, sich mit Howard auch nur zu treffen. Der Jaff und Fletcher versuchen, ihre Kinder für sich zu gewinnen, damit diese den Kampf zu Ende ausfechten können, den die beiden Suchenden begonnen haben …
Clive Barker hat mit seinen sechs „Büchern des Blutes“ das Horror-Genre revitalisiert, mit seinen folgenden Romanen aber mehr den Bereich der epischen Fantasy abgedeckt. „Jenseits des Bösen“ ist ein grandioses Epos mit vielen Protagonisten und unzähligen Leidenschaften, magischen Wünschen und endzeitlichen Auseinandersetzungen, voller sprachlicher Brillanz und überbordender Fantasie, die gerade im letzten Drittel, als die Protagonisten die sagenumwobene Essenz erreichen, wortgewaltig zum Ausdruck kommt. Einziges Manko: Bei aller sprachlicher Virtuosität und schillernder Imagination verliert Barker manchmal die Geschichte selbst aus dem Fokus und führt den Leser auf manchmal komplex angelegte Nebenschauplätze, die die Spannung der Story untergraben. In seinem Setting erinnert es etwas an Stephen Kings Endzeit-Drama „The Stand – Das letzte Gefecht“, doch trumpft Barker in seinem Werk mit einer viel vitaleren Vision, schillernderen Welten und einer sprachlichen Größe auf, die Ray Bradbury zur Ehre reichen würde. Jahre später entstand mit „Stadt des Bösen“ eine noch umfangreichere Fortsetzung.

Clive Barker - „Cabal“

(Edition Phantasia, 215 S., Pb.)
Nachdem Clive Barker mit seinen „Büchern des Blutes“ für eine literarischen Sensation gesorgt und dann auch noch mit seinem Regiedebüt „Hellraiser“ neue Maßstäbe im Horror-Genre gesetzt hatte, verfilmte er auch seine Novelle „Cabal“ selbst, die nun in leicht überarbeiteter Form wieder als Taschenbuch erhältlich ist. „Cabal“ erzählt die Geschichte des von schrecklichen Albträumen geplagten Aaron Boone, der von seinem Psychiater Dr. Decker erfährt, dass es sich nicht um reine Albträume handelt, sondern dass Boone tatsächlich für einige abscheuliche Serienmorde verantwortlich sein soll.
Bevor die Polizei ihn greifen kann, flieht Boone und macht sich dabei auf die Suche nach dem legendären Midian, das den Ausgestoßenen eine Heimat bieten soll. Zwar wird Boone von der unter einem Friedhof lebenden Gemeinschaft von Monstern aufgenommen, doch gleichzeitig hat er die Polizei auf die Spur gebracht, die schwer bewaffnet nicht nur Boone den Garaus machen will …
In Barkers faszinierenden Novelle erscheinen die Ungeheuer menschlicher als die Menschen; dazu entwirft das künstlerische Multitalent eine schillernde Mythologie, die auch im Film kongenial umgesetzt wurde.

Clive Barker - „Hellraiser“

(Edition Phantasia, 128 S., Pb.)
Während “Die Bücher des Blutes” den literarischen Durchbruch für Clive Barker bedeuteten, sorgte “Hellraiser” für den erfolgreichen Einstieg des britischen Autors im Filmbereich. Der Film, der bis heute sieben Sequels nach sich zog, basierte auf der 1986 veröffentlichten Novelle „The Hellbound Heart“, die im Zuge des Filmerfolgs auch hierzulande erschien. Nun ist die faszinierende Geschichte in neuer Übersetzung von Joachim Körber und mit Clive Barkers Illustrationen als Neuausgabe erhältlich.
Der ruhelose Abenteurer Frank Cotton ruft mit Hilfe einer mysteriösen Puzzlebox die Zenobiten herbei, schaurige wie faszinierende Vertreter des Ordens der klaffenden Wunde, die Frank neue Erfahrungen jenseits von Lust, Schmerz und Ekstase schenken. Doch die Qualen werden Frank zu viel, er flüchtet, verliert aber seine körperliche Hülle, die erst durch einen Tropfen Blut sich zu regenerieren beginnt und dann mehr Fleisch benötigt, um vollständig in fleischlicher Form zurückzukehren. Da kommt ihm Julia, die gelangweilte Frau seines Bruders Rory, gerade recht. Doch Rorys Tochter Kirsty macht dem Paar einen Strich durch die Rechnung, entwendet die Box und landet dafür in der Klapse …
Mit üppiger Phantasie und gar nicht zimperlichen Beschreibungen beschwört Clive Barker die verführerische Lust des Schreckens herauf.

David Baldacci – Camel Club 3: „Die Spieler“

Freitag, 14. Mai 2010

(Lübbe, 477 S., HC)
Man könnte Harry Finn mit seiner hübschen Frau, den drei wohlgeratenen Kindern und dem Labrador-Pudel-Mischling für einen unscheinbaren, aber zufriedenen Buchhaltertypen in den Dreißigern halten, doch sein Beruf ist weitaus abwechslungsreicher. Seine von der Homeland Security beauftragte Firma macht Sicherheitslücken in empfindlichen Sektoren wie Flughäfen und militärischen Einrichtungen ausfindig, doch Finn arbeitet auch effektiv eine ganz persönliche Liste ab. Auf der steht unter anderem mit Carter Gray der ehemalige Chef des amerikanischen Geheimdienstimperiums. Währenddessen befindet sich die raffinierte Trickbetrügerin Annabelle Conroy auf der Flucht vor dem rachsüchtigen Casino-Besitzer Jerry Bagger, den sie um satte 40 Millionen Dollar erleichtert hat, doch leider hinterließ sie dabei Spuren.
Da Bagger bereits ihren Komplizen Tony Wallace hirntot prügeln ließ, steht nun auch sie auf seiner Abschussliste. Hilfesuchend wendet sie sich an Oliver Stone, der wie Carter Gray und andere ehemalige Geheimdienstgrößen dem exklusiven Camel Club angehört. Doch während Stone entsprechende Maßnahmen zum Schutz seiner Freundin einleitet, muss er feststellen, dass offensichtlich auch er selbst im Visier von Killern steht, die seine frühere Vergangenheit als John Carr und dessen Mitwirken an Geheimoperationen aufgedeckt haben …
Nach „Die Wächter“ und „Die Sammler“ legt Thriller-Bestseller-Autor David Baldacci bereits seinen dritten Band einer Reihe um einige im Camel Club versammelten Geheimdienst-Veteranen vor. Wie für das Genre üblich schickt Baldacci seine Protagonisten und Leser auf eine wilde Odyssee aus Verschwörungen, Intrigen, raffinierten Plänen und verwinkelten Schachzügen, bis nichts mehr so ist, wie es schien . Der wendungsreiche, knifflige Plot ist dabei höchst spannend inszeniert, übertreibt es auch etwas mit den eingeschlagenen Haken. Etwas weniger Action und dafür etwas mehr Charakterzeichnung hätte dem kurzweiligen Werk sicher nicht geschadet.