Matthew Sharpe - „Eine amerikanische Familie“

Samstag, 28. August 2010

(Aufbau, 336 S.,HC)
Teenager haben es bekanntlich nie wirklich leicht. Besonders hart scheint es aber die beiden 16-jährigen Geschwister Cathy und Chris Schwartz in Bellwether, Connecticut, getroffen zu haben. Nachdem ihr Vater Bernard, ehemaliger Presseberater und Redenschreiber für verschiedene Unternehmen, erst seine Frau Lila verloren hatte, damit sie Karriere als Prozessanwältin machen konnte, verlor er nun auch noch das Bewusstsein, als er sein Prozac zusammen mit einem dazu unverträglichen Medikament einnahm.
Dass Cathy und Chris zu ihren pubertären Problemen auch noch einen komatösen Vater zu betreuen haben, erleichtert ihre Situation nicht wirklich, zumal Cathy gerade eine Phase übermäßigen religiösen Eifers durchmacht und Chris seine Bemühungen, die Erwachsenenreife zu erlangen, durch aggressives Gehabe überlagert. Während sein Vater im Koma liegt, macht Chris wenigstens seine ersten sexuellen Erfahrungen, als ihm die Pflegerin kurzerhand einen bläst, dann aber nichts mehr von ihm wissen will. Aber eigentlich steht Chris auch mehr auf Lisa Danmeyer, die Ärztin seines Vaters, die er bei jeder Gelegenheit rüde anpflaumt. Währenddessen bandelt Cathy mit Frank Dial an, Chris’ bestem Freund, und Bernies geschiedene Frau Lila erst mit ihrem Gärtner, dann mit Lisas Vater Moe … Matthew Sharpe beschreibt den Alltag einer amerikanischen Durchschnittsfamilie mit feinem Humor in bester „American Beauty“-Tradition und stellt seine Charaktere zwar verschroben, aber sympathisch dar. Time Warner arbeitet bereits an einer Verfilmung dieses kurzweiligen, ironisch-amüsanten und feinfühligen Romans.

Olen Steinhauer – „Der Tourist“

(Heyne, 543 S., HC)
Ein Tag vor dem berüchtigten 11. September 2001 ist CIA-Agent Milo Weaver in Holland unterwegs, um dort eine von den USA unterstützte 60-jährige Politikerin zu beschützen, die mit ihrer konservativen Gesetzesvorlage zur Einwanderungspolitik für so große Unruhen gesorgt hat, dass ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt worden ist. Der berüchtigte Auftragskiller „Der Tiger“ hat am Morgen bereits seinen dritten Anschlag verübt, den Weaver erneut vereiteln konnte. Doch kaum ist er dem letzten Kugelhagel entkommen, hat sein Chef Tom Grainger schon den nächsten Auftrag für ihn. In Slowenien soll er sich mit der Kontaktfrau Angela Yates treffen, die im Büro des Basisleiters Frank Dawdles arbeitet und mit Milo befreundet ist. Dem vermissten Dawdles wird vorgeworfen, einen Koffer mit Steuergeldern entwendet zu haben. Yates und Weaver können Dawdle zwar aufspüren, doch Weaver wird bei dem Einsatz so schwer verletzt, dass er ans Aufhören denkt.
Doch sechs Jahre später ist er dem berüchtigten „Tiger“ endlich auf der Spur. In Blackdale, irgendwo im Dreiländereck zwischen Mississippi, Alabama und Tennessee, wurde der „Tiger“ festgenommen, nachdem er eine Prostituierte geschlagen hatte. Bei der Vernehmung von Benjamin Harris, so „Tigers“ echter Name, stellt sich heraus, dass Harris es auf eine Begegnung mit Weaver angelegt hat. Bevor sich der ohnehin an AIDS sterbende Killer mit einer Zyanidkapsel umbringt, verrät er Weaver, dass er – wie Weaver – ein „Tourist“ gewesen ist, ein Geheimagent, der ohne Identität und soziale Kontakte auf der ganzen Welt Aufträge für die CIA erledigt. Und er bittet Weaver, sich an die Fersen derjenigen zu heften, die den Tod des „Tigers“ zu verantworten haben. Doch bevor er sich darum kümmern kann, wird er nach Paris geschickt, wo nun auf einmal seine Kollegin Angela Yates im Visier der CIA steht. Weaver glaubt nicht an ihren Verrat, doch bevor er das beweisen kann, wird sie vergiftet in ihrer Wohnung aufgefunden. Auf einmal ist Milo Weaver der Verdächtige und muss ganz schnell untertauchen, um die Hintermänner des Komplotts aufdecken zu können, ohne selbst ausgeschaltet zu werden.
Nach fünf Romanen, die vor dem Hintergrund des Kalten Krieges in einem fiktiven osteuropäischen Land angesiedelt waren, legt der in Virginia aufgewachsene Olen Steinhauer mit „Der Tourist“ den faszinierenden Grundstein für eine Spionage-Thriller-Trilogie, für deren ersten Teil sich Warner Bros. schon mal die Filmrechte und George Clooney als Hauptdarsteller gesichert hat.
Mit dem sympathischen CIA-Agenten Milo Weaver ist dem Autor ein charismatischer Protagonist gelungen, der ähnlich wie Lee Childs Jack Reacher, Ian Flemings James Bond oder Robert Ludlums Jason Bourne das Zeug besitzt, zu einer neuen Ikone des Genres zu werden, und auch Fans von Ken Follett und John Le Carré ansprechen dürfte. Dabei überzeugen nicht nur der packende und vertrackte Plot mit überraschendem Ende, sondern auch die für das Genre ungewöhnlich präzisen Charakterzeichnungen, die über den beruflichen Horizont der Protagonisten weit hinausgehen. Fortsetzungen sind unbedingt erwünscht!

William Nicholson - „Die Gesellschaft der Anderen“

Donnerstag, 26. August 2010

(Eichborn, 258 S., HC)
Da er genügend Unterhalt zum Leben von seinem vermögenden Vater bekommt, hat es sich ein namenloser junger Mann bequem, aber auch gelangweilt eingerichtet. Sich einen Job zu suchen, kommt ihm nicht in den Sinn, vielmehr verlangt es ihn, dem Dasein aus enttäuschten Erwartungen zu entfliehen. Am Abend des 70. Geburtstages seines Großvaters fasst er den Entschluss, am kommenden Morgen aufzubrechen.
Ein großer Laster liest den Jungen an einer Autobahnraststätte auf und nimmt ihn mit auf eine Reise mit unbekannter Fracht und ebensolchem Ziel. Doch nach dem Überqueren einer unbekannten Grenze wird der Laster überprüft, der verwirrte Passagier flüchtet, im Gepäck das ihm vom Fahrer anvertraute verbotene Buch eines untergetauchten Dissidenten. Der Junge wird von einem Trupp namens „Die Bewegung“ aufgenommen, die mit terroristischen Aktionen den Polizeistaat beseitigen wollen. Der junge Mann will sich aber nicht für ihre Ziele vereinnahmen lassen und flieht erneut und lernt auf seiner gefährlichen Reise durch einen totalitären Staat allerlei Kurioses kennen … Dem Engländer Nicholson ist mit seinem Romandebüt eine spannende Mischung aus Thriller, Road Movie und politischer Parabel gelungen.

Richard Laymon – „Das Inferno“

Donnerstag, 15. Juli 2010

(Heyne, 639 S., Tb.)
Jeden Morgen setzt sich der 32-jährige Stanley Banks mit der Tageszeitung um 8 Uhr morgens ans Fenster, um den Sportteil zu lesen, doch eigentlich will er nur beobachten, wie seine hübsche Nachbarin Sheila ihre Joggingrunden zieht. Doch seine an den Rollstuhl gefesselte Mutter Alma, zu der er nach dem Tod seiner Frau Thelma zurückgezogen ist, macht ihm das Leben zur Hölle.
Da kommt es Stanley ganz gelegen, als ein Erdbeben Los Angeles erschüttert und er seine nervende Mutter mit einem von der Decke herabgefallenen Putzbrocken erschlagen kann. Nun hat er freie Bahn zu Sheilas Haus, wo er das Objekt seiner Begierde nackt und hilflos in der verschütteten Badewanne entdeckt. Währenddessen wird Sheilas Ehemann Clint im Büro von den Erschütterungen überrascht. Da sein Wagen im Parkhaus eingesperrt ist, lässt er sich von der jungen Sekretärin Mary mitnehmen, die gerade in einen Autounfall verwickelt gewesen war und nun völlig verstört den abgetrennten Kopf eines Mannes auf ihrem Beifahrersitz anstarrt. Zusammen mit der 13-jährigen Em müssen die beiden bald ohne Marys BMW den Heimweg antreten und sich dabei mit so einigen unangenehmen Typen herumschlagen. Clints Tochter Barbara nimmt derweil mit Peter, Earl und Heather an einer Fahrstunde teil und muss tatenlos zusehen, wie Fahrlehrer Wellen aus Sorge um seine Tochter die Flucht nach Downtown antritt. Auch die vier Teenager erleben am eigenen Leib, wie Plünderer und Freaks durch das zerstörte Los Angeles ziehen. Am schlimmsten hat es jedoch Sheila erwischt. Während die zunächst dankbar ist, dass Stan sie befreien will, muss sie bald erkennen, dass Stan jeden brutal aus dem Weg räumt, der die ersehnte Zweisamkeit zwischen ihm und Sheila zu stören wagt …
Vor dem realistischen Hintergrund eines Erdbebens entwickelt Richard Laymon in seinem 1995 veröffentlichten Horror-Thriller „Quake“, der jetzt endlich erstmals in deutscher Sprache erschienen ist, ein erschreckendes Szenario, das beschreibt, wie zivilisierte Menschen augenblicklich in die Barbarei zurückfallen, sobald sie keine Strafen für ihr Tun zu befürchten haben. Plünderungen, Folterungen, Morde und Vergewaltigungen prägen das Treiben auf den aufgebrochenen Boulevards und in den Trümmern zerstörter Häuser. Laymon beschreibt diese Gräueltaten mit gewohnt plastischen Worten, doch er setzt dem allgegenwärtigen Blutrausch auch humanitäre Elemente wie Nächstenliebe, Mut, Tapferkeit und Aufopferungsbereitschaft entgegen, mit denen Menschen teilweise über sich hinauswachsen, eigene Schwächen überwinden und den Zusammenhalt mancher Zweckgemeinschaften stärken. Der Autor bedient sich dabei einer schnörkellosen, einfachen Sprache, arbeitet viel mit Dialogen und entwickelt ohne Anlauf ein actionreiches Blut- und Sex-Spektakel. Fans härteren Horrors werden wieder begeistert sein!

John Katzenbach - „Der Täter“

Samstag, 10. Juli 2010

(Knaur, 591 S., Tb.)
Gerade als Simon Winter, ein ehemaliger Detective bei der Mordkommission von Miami Beach, seinem Leben mit der Pistole ein Ende setzen will, klopft seine Nachbarin, Sophie Millstein, an seine Tür und erzählt ihm verzweifelt, dass sie jemanden entdeckt hat, der 1943 in Berlin für den Verrat ihrer Familie an den Nazis verantwortlich gewesen sei. Damals gab es viele wie ihn, sogenannte „Greifer“, Juden, die für die Gestapo andere Juden verrieten.
Aber der „Schattenmann“ war der schlimmste von allen, berichtet die aufgelöste alte Frau dem lebensmüden Ex-Cop. Winter kann die alte Dame beruhigen und bringt sie sicher in ihre Wohnung zurück. Doch der Schein trügt. Noch in der Nacht wird die arme Mrs. Millstein von einem unbekannten Täter erwürgt, unter ihr, ebenfalls erwürgt, ihre Katze. Zeugen haben einen jungen Schwarzen vom Tatort flüchten gesehen, und der ermittelnde Detective Walter Robinson findet bald einen Pfandleiher, wo er eine Kette der Toten wiederfindet. Während Robinson einen Drogensüchtigen jagt, der offensichtlich schon für andere Einbrüche in der Gegend verantwortlich gewesen ist, unternimmt Winter eigene Nachforschungen, die allerdings bei alten Freunden der Toten beginnen, Rabbi Rubinstein, Irving Silver und Frieda Kroner. Sie können zunächst nicht glauben, dass der Schattenmann noch immer auf ihrer Spur ist, doch dann mehren sich die Zeichen, dass der diabolische Juden-Killer sein Werk von damals vollenden will … Vor dem geschichtlichen Hintergrund des Holocaust entwickelt der amerikanische Erfolgsautor John Katzenbach die spannende Jagd nach einem Phantom. Neben der packenden Geschichte gefallen aber auch die Charakterzeichnungen der beiden engagierten Ermittler.

John Katzenbach - „Das Opfer“

(Droemer, 654 S., HC)
Es gibt One-Night-Stands, die man ganz schnell vergessen und am besten gar nicht erst erlebt haben möchte. Das denkt auch die attraktive Kunststudentin Ashley Freeman, nachdem sie sich mit dem geheimnisvollen, aber gut aussehenden Michael O’Connell eingelassen hat. Dieser ist nämlich absolut nicht davon abzubringen, dass Ashley und er für immer zusammengehören. Ein Nebenbuhler landet so im Rollstuhl, ein Privatschnüffler, den Ashleys Familie anheuert, um Michael mit Nachdruck von seinem Wahn abzubringen, tot in einer Gasse.
Schnell wird Ashleys Familie klar, dass man selbst mit einer gerichtlichen Verfügung bei diesem cleveren Psychopathen nicht viel ausrichten kann. Also nehmen Ashleys Vater, der Geschichtsprofessor Scott Freeman, seine geschiedene Frau, die Anwältin Sally, ihre Lebensgefährtin Hope und Ashleys Großmutter Catherine den Kampf gegen Michael in die eigene Hand. Auf der Suche nach einem Angriffspunkt werden die Freemans schnell in Michaels Vergangenheit fündig und hecken einen teuflischen Plan aus, der alle Beteiligten für immer verändern wird … John Katzenbach hat sich mit „Die Anstalt“ und „Der Patient“ als hervorragender Thriller-Autor schnell einen Namen machen können. Mit „Das Opfer“ ist ihm ein beklemmender Stalker-Thriller gelungen, den man gar nicht mehr aus der Hand legen kann!

Scott Turow – „Der letzte Beweis“

Montag, 14. Juni 2010

(Blessing, 576 S., HC)
Am 30. September 2008 stirbt Barbara Sabich auf ihrem Bett. Ihr Mann Rusty, der leitender Richter am Berufungsgericht und aussichtsreichster Kandidat für das Oberste Bundesstaatsgericht, verweilt fast einen ganzen Tag bei ihr, räumt Bücher und Kleider weg, bevor er seinen Sohn Nat informiert und schließlich ein Bestattungsunternehmen. Die Todesursache wird als Herzversagen diagnostiziert. Schließlich litt Barbara Sabich unter einer bipolaren Störung, die sie mit einem Haufen Medikamente behandeln musste. Dennoch stellt sich die Frage, warum der Richter einen ganzen Tag verstreichen ließ, bevor er jemanden informierte. Wollte er etwas vertuschen, darauf warten, dass sich beispielsweise gewisse Substanzen im Körper der toten Frau bis dahin nicht mehr nachweisen ließen?
Diese Theorie vertritt nämlich Oberstaatsanwalt Tommy Molto, der Rusty Sabich bereits vor 22 Jahren angeklagt hatte, seine damalige Geliebte, die junge Staatsanwältin Carolyn Polhemus, in ihrer Wohnung erschlagen zu haben. Doch beim Prozess unterliefen der Anklage etliche Fehler, die Rustys Anwalt Sandy Stern erbarmungslos für seinen Mandanten auszunutzen verstand. Während Molto noch sehr zurückhaltend ist, was eine erneute Ermittlung gegen Sabich angeht, ist sein Mitarbeiter Jim Brand weniger zimperlich und trägt immer mehr Indizien zusammen, die Sabich belasten, vor allem die neue Affäre mit seiner Referendarin Anna …
Mit seinem 1987 veröffentlichten Debüt „Aus Mangel an Beweisen“ begründete der Anwalt Scott Turow quasi eindrucksvoll das Genre des Justizthrillers, das in der Folge vor allem durch seinen Kollegen John Grisham immer populärer wurde. Im Gegensatz zu Grisham praktiziert Turow aber nach wie vor als Anwalt und versteht es in seinen Romanen meisterhaft, die komplexen Fragen von Schuld und Unschuld in extrem spannenden Thrillern zu thematisieren. Auch „Der letzte Beweis“ unterstreicht diese Meisterschaft. Indem jeweils Rusty, sein Sohn Nat und die Referendarin Anna aus der Ich-Perspektive, Oberstaatsanwalt Tommy Molto aber in der dritten Person die Ereignisse vor und nach dem Mord an Barbara Sabich Revue passieren lassen, tappt der Leser lange Zeit im Dunkeln, ob Rusty Sabich tatsächlich seine Frau umgebracht hat. Aber viel interessanter als die Frage nach dem Täter sind einmal mehr die juristischen Findigkeiten, Schlupflöcher und moralischen Grundsätze, die Turow in geschliffen feiner Weiseäußerst lebendig und packend beschreibt.