James Patterson - (Alex Cross: 9) „Vor aller Augen“

Mittwoch, 5. Januar 2011



(Blanvalet, 320 S., Tb.)
Kaum hat Alex Cross seine „Orientierung“ beim FBI begonnen, bekommt er es mit ungewohnt dreisten Entführungen zu tun, die scheinbar ohne erkennbares Muster ablaufen. Wahllos werden am hellichten Tage in aller Öffentlichkeit meist wohlhabende Frauen und Männer entführt, ohne dass Lösegelder verlangt werden. Cross, der von FBI-Direktor Burns persönlich von der Washingtoner Polizei abgeworben wurde, vermutet einen Zusammenhang zu „weißen Sklavenringen“, in denen attraktive weiße Frauen zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig in den Nahen Osten oder nach Japan verkauft wurden.
Vor allem ein nur als „Wolf“ bekannter russischer Gangster-Boss , der in Lauderdale als Ari Manning Geschäfte mit Waffen, Erpressung, Drogen, Banken und Medien machte, wird verdächtigt, mit den spektakulären Entführungen zu tun zu haben. Doch während Cross und seine neuen Kollegen nicht nur die entführten Geiseln aufzufinden suchen und den „Wolf“ überführen wollen, hat der gefragte Polizeipsychologe Cross natürlich auch private Probleme um die Ohren. Auf einmal steht nämlich Cross‘ alte Flamme Christine Johnson vor der Tür und beansprucht das alleinige Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn Alex …
Wenn man erst einmal mit der Alex-Cross-Reihe angefangen hat, fällt es schwer, wieder damit aufzuhören. Allerdings wirkten bereits die letzten Teile recht routiniert und lieblos wie am Reißbrett konstruiert, Teil 9 macht da leider keine Ausnahme. Der Umstand, dass Cross seine Karriere nun beim FBI fortsetzt, bietet etliche Möglichkeiten, die James Patterson fahrlässig ungenutzt lässt. Weder werden seine neue Kollegen und Arbeitsabläufe eingehender beschrieben, noch entwickelt sich die Aufklärung des Falls schlüssig. Cross‘ Kommentare und Gedanken zum Fall sind für einen hochdekorierten Psychologen doch etwas arg platt:
„Irgendetwas an diesen Entführungen war für mich nicht stimmig. Zu Beginn waren sie sehr sorgfältig und vorsichtig durchgeführt worden, dann wurden die Entführer plötzlich schlampig. Das Muster war unstet. Warum? Was hatte das zu bedeuten? Was hatte sich verändert? Wenn ich das herausfinden konnte, bestand für uns die Chance auf einen Durchbruch.“ (S. 106)
Und auch die familiäre Tragödie, dass Cross um seinen Sohn kämpfen muss, wird eher lapidar abgehandelt, so dass letztlich wenig Positives über Band 9 der Alex-Cross-Reihe zu sagen ist – außer, dass die 320 Seiten zum Glück schnell ausgelesen sind. Ich bin nur noch vage gespannt, ob das Niveau der Reihe in den nächsten Bänden wieder ansteigt …
 Leseprobe James Patterson - "Vor aller Augen"

Daniel Silva – (Gabriel Allon: 4) „Der Zeuge“

Montag, 3. Januar 2011

(Piper, 416 S., HC)
In einem unscheinbaren Gebäude in Wien residiert der ehemalige israelische Geheimdienstler Eli Lavon, wo er nun – unter der Obhut seines Mentors Ari Schamron - die Organisation für Ansprüche und Ermittlungen wegen Kriegsschäden leitet. Auf dem Weg nach draußen nimmt er gerade noch eine verdächtige Person vor dem Gebäude wahr, dann legt eine Detonation alles in Trümmern. Als der israelische Agent Gabriel Adlon davon in Venedig erfährt, wo er in einer Kirche ein Altarbild von Giovanni Bellini restauriert, reist er sofort nach Wien, um den im Koma liegenden Eli im Krankenhaus zu besuchen. Dort wird Gabriel von Max Klein angesprochen, der behauptet, schuld an dem Attentat zu sein. Er erzählt ihm seine Geschichte, wie die Juden aus Österreich vertrieben wurden, wie er selbst Auschwitz überlebt hat und nach Wien zurückkehren konnte.
In einem Café trifft er auf einen Mann namens Vogel, dessen Stimme Klein sofort als diejenige identifiziert, die ihm in Auschwitz befohlen hat, Geige zu spielen. Als Klein Lavon von dem Vorfall berichtet, verabreden sich die beiden Männer für den nächsten Tag, doch die Bombenexplosion verhindert das Treffen. Adlon erfährt von Klein noch einen weiteren Namen, dann wird auch Klein ermordet. Offensichtlich handelt es sich bei Ludwig Vogel um einen erfolgreichen österreichischen Geschäftsmann, der zudem einer der größten Geldgeber der Österreichischen Nationalpartei ist. Offensichtlich verbirgt sich hinter Vogel der Sturmbannführer Erich Radek, der für eine ungeheure Vertuschungsaktion verantwortlich gewesen ist. Bei seinen Recherchen, die Adlon immer tiefer in die Schrecken des Holocaust hineinziehen, stößt er auch auf einen Bericht seiner verstorbenen Mutter. Nun wird die Jagd auf Radek zu Adlons persönlicher Vendetta, die ihn nach Jerusalem, Rom und Argentinien führt …
Mit „Der Zeuge“ hat der ehemalige CNN-Auslandskorrespondent und erfolgreiche Thrillerautor Daniel Silva eine Trilogie beendet, die sich mit unbeantworteten Fragen des Holocaust auseinandersetzt. Der Kunstraub der Nazis bildete den Hintergrund für „Der Engländer“, die Rolle der Kirche im Holocaust für „Die Loge“. Auch „Der Zeuge“ basiert auf belegten Tatsachen und verknüpft die erschreckend effektive Judenvernichtung mit einer spannenden Spionage-Story. Zwar wechseln häufig die Orte und Personen des Geschehens, doch hat Silva das Thema so spannend aufbereitet, dass man die Jagd nach dem Kriegsverbrecher mit neugieriger Faszination bis zum Schluss atemlos verfolgt.

J.L. Carrell – „Die Shakespeare-Morde“

Sonntag, 2. Januar 2011

(List, 463 S., HC)
Kurz vor der Premiere ihrer „Hamlet“-Inszenierung am Londoner Globe Theatre bekommt die renommierte Shakespeare-Expertin Kate Shelton Besuch von ihrer ehemaligen Mentorin, der Harvard-Professorin Rosalind Howard. Obwohl sie es nie verwunden zu haben scheint, dass Kate ihre akademische Karriere gegen die Liebe zum Theater eintauschte, überreicht Ros ihr eine Schachtel mit den Worten: „Wenn du die Schachtel öffnest, musst du dem Weg folgen, den sie dir weist.“ Doch bevor Ros ihr zum später verabredeten Treffpunkt auf dem Parliament Hill mehr zu der geheimnisvollen Schachtel erzählen kann, bricht ein Feuer am Theater aus, in dem Ros an den Folgen einer tödlichen Kalium-Injektion in bester Shakespeare-Tradition zu Tode kommt.
Als Kate darüber rätselt, warum Ros ausgerechnet zu ihr mit der Kassette gekommen ist, in der sich eine Brosche befindet, die sich als beliebter Trauerschmuck des 19. Jahrhunderts entpuppt, fällt ihr nur ihre eigene Dissertation ein, die sie über die vielen Versuche geschrieben hat, kodiertes Geheimwissen aus Shakespeares Werken herauszulesen. Zusammen mit Sir Henry Lee, dem Grand Seigneur des britischen Theaters, und Ben Pearl, Rosalinds Neffen, macht sich Kate auf die Suche nach einem verschollenen Shakespeare-Stück, das in Zusammenhang mit Cervantes‘ berühmten „Don Quixote“ zu stehen scheint und hinter dem auch Rosalinds Mörder her ist, der seine Widersacher nach Shakespeares literarischen Werken umbringt. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wer ein Interesse daran haben kann, dass das verschollene Shakespeare-Stück unentdeckt bleibt.
Hier kommen die verschiedenen Theorien über Shakespeares Identität ins Spiel.
„Wer müsste überhaupt ein solches Geheimnis um seine Identität machen? Möglicherweise ein Adliger – das Theater wäre ein Fleck auf der Familienweste. Oder natürlich eine Frau, egal welchen Ranges. Dann gibt es angeblich noch die geheimen Botschaften in den Stücken – meistens ist von Freimaurern, Rosenkreuzern oder Jesuiten die Rede. Und die Behauptung, der Autor der Stücke – für gewöhnlich Francis Bacon – sei der Sohn der Königin. Wer an so was glaubt, hält die Maskerade für eine nötige Sicherheitsvorkehrung.“ (S. 270)
Die abenteuerliche, mit vielen Rätseln gespickte Spurensuche führt das Trio von London nach Boston, Arizona, ins spanische Valladolid und nach Tombstone, und je näher man der Auflösung des „Cardenio“ betitelten Stückes kommt, umso mehr Tote pflastern den Weg der detektivischen Shakespeare-Freunde.
Eins muss man Dr. phil. Jennifer Lee Carrell lassen. Die an der Harvard University in Englischer und Amerikanischer Literatur promovierte Shakespeare-Expertin weiß, wovon sie schreibt. Leider spickt sie ihre eigentlich interessante literarische Schnitzeljagd mit dermaßen viel Fachwissen, Shakespeare-Zitaten, dass der Leser spätestens nach 300 Seiten die Lust an dem intellektuell anspruchsvollen Dechiffrierungen verliert. Es werden so viele Verweise, Möglichkeiten, Lebensläufe, Theorien diskutiert, während die Protagonisten mit allerlei Hilfe und Fallstricken durch die Welt jettet, dass einfach der Faden der Geschichte und die Spannung verloren gehen. Dieses Manko wird durch die viel zu seltenen und undurchschaubaren Rückblicke in die Shakespeare-Zeit nicht gerade abgemildert. Somit dürfte „Die Shakespeare-Morde“ nur für außerordentlich interessierte Shakespeare-Anhänger durchweg unterhaltsam sein.

Richard Laymon – „Finster“

Mittwoch, 29. Dezember 2010

(Heyne, 543 S., Pb.)
Der 20-jährige Student Ed Logan ist am Boden zerstört, als seine Freundin Holly Johnson ihn wegen eines anderen Typen namens Jay verlässt, der „so außergewöhnlich und einfühlsam“ sein soll, wie Holly in ihrem Abschiedsbrief meinte. Er entschließt sich zu einem nächtlichen Spaziergang durch Willmington, der ihn zunächst zu Hollys Studentenwohnheim führt, wo er auf Eileen Danforth trifft, eine von Hollys besten Freundinnen. Da sie von Hollys Brief weiß, versucht sie, Ed Gesellschaft zu leisten und ihn etwas aufzumuntern, doch ihren Vorschlag, ihn zum zehn Kilometer entfernten Donut-Shop zu begleiten, lehnt er freundlich ab. Als er von der Division in die Franklin Street abbiegt, entdeckt er ein Mädchen, das vor ihm die gleiche Route einzuschlagen scheint. Ist Ed zunächst ohne Ziel losgelaufen, hat er nun zwei Aufgaben vor sich: Eileen Donuts mitzubringen und seine neue Gefährtin zu beschützen. Als sie in einem Haus verschwindet, beobachtet er sie noch kurz, bis das Licht gelöscht ist, dann setzt er seinen Weg fort und trifft Eileen bei Dandi Donuts, wo sie auf Ed gewartet hat und ihn zurück nach Hause fährt, wo Eileen den liebeskranken Ed verführt.
Doch Eds Gedanken hängen an dem geheimnisvollen Mädchen mit dem Pferdeschwanz. Als er sich in der nächsten Nacht den Wecker stellt, um zum Haus des blonden Mädchens zurückzukehren, entdeckt er eine weitere hübsche Frau in dem geheimnisvollen Haus und beobachtet sie gespannt.
„Nur ein Verrückter würde sich den Wecker stellen, um mitten in der Nacht aufzustehen und die Stadt nach einer völlig Fremden zu durchsuchen, der er in der Nacht zuvor eine Weile nachgeschlichen war. Und sich bei der Gelegenheit an ein Fenster pirschen und eine halbnackte Frau belauern. Unvermittelt war ich zu einem Spanner geworden.
Was würde als Nächstes geschehen?
Was als Nächstes geschehen sollte, dachte ich, dass ich nach Hause gehe. Ich sollte das Ganze abblasen. In meine Wohnung gehen und mich ins Bett legen. Morgen aufstehen und zur Uni gehen. Fleißig sein. Eine ernsthafte Beziehung mit Eileen eingehen. Mach dir nichts vor, sie ist wahrscheinlich in jeder Hinsicht besser, als Holly je war. Ich sah die vergangene Nacht mit Eileen vor mir. Die Überraschung, als ich feststellte, dass sie heimlich ihren BH ausgezogen hatte. Die Lust, als ich meine Hand in ihre Jeans schob und durch ihre feuchte Hitze glitt. Und wie es sich dann anfühlte, als sie sich nass und eng auf mich setzte, sich langsam aufspießte. Was bedeutet es im Vergleich dazu, einem unbekannten Mädchen hinterherzuschleichen? Wie kann eine Frau im Nachthemd, die man durch ein Fenster anglotzt, selbst wenn man eine ihrer Brüste sehen kann, eine größere Versuchung sein als Eileen und die Dinge, die ich mit ihr schon getan hatte?“ (S. 91)
Für Ed beginnt eine Nacht, die er so schnell nicht vergessen wird. Er lernt Menschenfresser und einen perversen Entführer kennen, macht die Bekanntschaft gleich von mehreren hübschen Frauen, muss sich den Annäherungsversuchen seines schwulen Kumpels Kirkus erwehren und schließlich Eileen aus den Fängen eines Entführers befreien …
„Night In Lonesome October“ ist im selben Jahr – 2001 - erschienen, in dem Richard Laymon gestorben ist, doch zählt dieses Spätwerk nicht zu seinen besten Romanen. Zwar hat der Autor mit dem Icherzähler Ed Logan wieder einen überzeugenden jugendlichen Protagonisten geschaffen, doch wirken die Ereignisse, in die der Junge reihenweise stolpert, auf Dauer doch etwas stark bei den Haaren herbeigezogen und die ständigen erotischen Intermezzi wie spätpubertierende Sexphantasien. Natürlich ist „Finster“ wieder in Laymons einfacher, doch plastischer Sprache geschrieben, unterhaltsam und auch spannend, aber eben nicht der große Horrorroman wie viele seiner anderen Veröffentlichungen.

Tom Piccirilli – „Der Geruch von Blut“

Montag, 20. Dezember 2010

(Heyne, 303 S., Pb.)
Anderthalb Stunden nördlich von Manhattan liegt Three Rivers, ein beschauliches Örtchen mit einer fünf Blocks langen Hauptstraße, Fernfahrerkneipen mit schlechtem Essen, ein paar Bars, einer verlassenen Futtermühle und einer geschlossenen Zuckerfabrik. Die „Attraktion“ besteht in dem St. Valarian’s Mädcheninternat, an dem der blinde Finn Literatur lehrt. Der Verlust seines Augenlichts hat irgendwie mit seiner verstorbenen Frau Danielle zu tun, doch wie sich die Tragödie damals zugetragen hat, kann der Leser aus den oft wirren Erinnerungen des ehemaligen Polizisten nur dunkel erahnen.
 Während sein damaliger Partner Ray wegen Verstrickungen mit der Mafia in den Knast wanderte, quittierte Finn den Dienst und fing als Lehrer in dem Mädcheninternat ein neues Leben an, im Schlepptau die drogensüchtige Krankenschwester Roz, die sich zunächst aufopferungsvoll um den nach einer Bombenexplosion verstümmelten Ray kümmerte, wegen ihrer Sucht aber ebenfalls eine neue Stelle suchen musste. Doch auch im kleinen Three Rivers lassen Finn die Geister der Vergangenheit keine Ruhe. Als er auf dem nahe gelegenen Friedhof den verschneiten und misshandelten Körper eines Mädchens, Harley Moon, findet, hat ihn die Vergangenheit endgültig eingeholt, zumal auch wenig später Roz spurlos verschwindet …
„Manchmal hat er das Gefühl, nie wieder irgendeinen Einfluss auf die Welt zu haben. Und manchmal fühlt es sich an, als müsse er nur den Kopf zur Seite legen und mit den Fingern schnipsen, und alles, was er sich erträumt, wird wahr. Kein guter Ort für solche Gedanken. Er merkt, dass er ins Wanken gerät, und lässt die Hand sinken (…) So sieht wahrscheinlich ein Nervenzusammenbruch aus. Leute, die durch die Fifth Avenue laufen und vor sich hin murmeln, ins Gespräch vertieft mit verschollenen Kindern, toten Eltern, Klassenlehrern, Ausbildern bei der Armee, all den Heiligen, Märtyrern und anderen imaginären Bekannten. Finn überlegt, wen oder was Harley Moon wohl repräsentiert, für welche Fehler sie steht. Sein erstes Mal, seine Highschool-Freundin, Danielle, Rays Gespielinnen, Howies Zorn, die Mädchen im Leichenschauhaus. Die Toten und die Vermissten, die aus seinem Unterbewusstsein aufsteigen und ihn auf seltsame Weise am Leben halten.“ (S. 164 f.)
Nach „Killzone“ und „Schmerz“ liegt mit „Der Geruch von Blut“ der dritte Titel des amerikanischen Autors Tom Piccirilli vor, der mit seiner eindringlichen Sprache einen in jeder Hinsicht gebrochenen Mann beschreibt, der einfach nicht zur Ruhe kommt. Nach dem gewaltsamen Tod seiner Frau und dem Verlust seines Sehvermögens rauben ihm die Dämonen von damals, als Finn noch beruflich die Unschuldigen zu schützen versuchte, die letzten Nerven. Erst spät fügen sich für den Leser die Bruchstücke aus Träumen und Erinnerungen zu einem bedrohlichen Puzzle zusammen, das unweigerlich weitere Tote und Misshandelte zur Folge haben wird. Piccirilli zieht den Leser mit seiner poetischen Sprache schnell in den Bann und zeichnet auf spannende Weise das Psychogramm etlicher gescheiterter Lebensentwürfe.

Jeff Lindsay – „Des Todes dunkler Bruder“

Sonntag, 12. Dezember 2010

(Knaur, 351 S., Pb.)
Eigentlich arbeitet Dexter Morgan als Spezialist für Blutanalysen bei der Polizei von Miami, doch seine Passion gilt der Bestrafung von Serienkillern, die durch das Netz der polizeilichen Ermittlungen schlüpfen. Gerade hat sich Dexter eines Priesters angenommen, der nicht nur im St. Anthony’s Waisenhaus Kinder umgebracht hat, sondern offensichtlich zuvor schon in anderen Städten, da wird Miami von einer neuen Mordserie erschüttert.
Der Killer entzieht seinen Leichen das sämtliche Blut und zerschneidet sie mit chirurgischer Perfektion. Dexters Adoptivschwester Deborah, die ebenso wie ihr verstorbener Vater Harry und Dexter bei der Polizei arbeitet, sieht hier die Chance, von der Sitte weg zur Mordkommission befördert zu werden, braucht aber dafür Dexters außergewöhnliche Intuition. Diese führt zu der Vermutung, dass der Killer seine Opfer in einem gestohlenen Kühltransporter verarbeitet. Als Deb und Dexter die nächste kunstvoll verpackte und blutleere Leiche im Tor des heimischen Eishockeystadions finden, beschleicht Dexter das ungute Gefühl, dass der Täter sehr viel mit ihm selbst gemein hat. Detective LaGuerta kann zwar bald mit einer Verhaftung vor der Presse glänzen, doch Dexter weiß, dass die bizarre Mordserie noch längst nicht beendet ist …
Mit seinem Debütthriller „Darkly Dreaming Dexter“ ist dem amerikanischen Autor Jeff Lindsay im Jahre 2004 ein grandioser Wurf gelungen, der CBS Showtime zu einer brillanten Fernsehserie inspiriert hat, in der Michael C. Hall die perfekte Besetzung für den geheimnisvollen Blutanalyse-Spezialisten Dexter Morgan darstellt. Dass der Roman die Grundlage für eine über mehrere Staffeln erfolgreiche TV-Serie bieten kann, ist dabei nicht nur der charismatischen wie enigmatischen Hauptfigur zu verdanken, deren faszinierende und beunruhigende Vergangenheit erst allmählich und nur stückchenweise enthüllt wird. Auch Dexters Schwester Deborah und seine Kollegen bieten viel Raum, um in einer spannenden wie unterhaltsamen Thriller-Serie ausgefüllt zu werden. Lindsay hat sein Debüt dabei so spannend wie humorvoll geschrieben, dass Fortsetzungen zum Glück nicht lange auf sich warten ließen.

Jeff Lindsay – „Die schöne Kunst des Mordens“

Freitag, 3. Dezember 2010

(Knaur, 413 S., Pb.)
Dexter ist gerade von seinen Flitterwochen mit Rita aus Paris zurückgekehrt, da wird seine ganz spezielle Fähigkeit, Tatorte zu lesen, auch schon wieder vom Miami Police Department, wo er als Blutanalyst arbeitet, beansprucht. Zunächst wird er an einen Tatort gerufen, wo die unterhalb des Brustkorbs ausgeweideten Leichen eines blassen, übergewichtigen Paars in den Dreißigern am Strand wie ein Obstkorb inszeniert worden waren. Während Dexter und seine Schwester Deborah noch den Tatort inspizieren, kommt schon der nächste Mord rein, diesmal aus Fairchild Gardens, wo die kopflose Leiche eines Mannes wie ein Blumenstrauß – mir Gedärmen statt Blumen –sitzend an einem Baum lehnte.
Doch selbst mit diesem Fund ist der Arbeitstag für Dexter noch nicht zu Ende. Rita versucht sich gerade an französischer Küche, als er zum nächsten Tatort gerufen wird. Diesmal handelt es sich um einen Mann, dessen Brustkorb von den üblichen Inneren befreit und mit Eis und Bierflaschen gefüllt worden ist. Als Dexter und Deborah überlegen, für wen diese kunstvollen Morde inszeniert wurden, fällt Dexter die Tourismusbranche ein. Offensichtlich will jemand den Sonnenstaat Miami madig machen. Erste Anlaufstelle für die Ermittler ist also die Behörde für Fremdenverkehr, wo sich tatsächlich eine erste Spur auftut. Doch als Deborah und Dexter den Verdächtigen Alex Doncevic aufsuchen, wird Deborah niedergestochen. Doncevic wird zwar wenig später verhaftet, doch da es nicht seine Fingerabdrücke auf der Waffe sind, wird Doncevic wieder auf freien Fuß gesetzt. Dexter tut, was er tun muss und lässt seinen „Dunklen Passagier“ Gerechtigkeit walten, während Deborah im Krankenhaus nur langsam wieder zu Kräften kommt. Doch Dexter muss einsehen, dass er den falschen Mann erwischt hat. Nun macht nämlich Doncevic‘ Liebhaber und Compagnon Brandon Weiss Jagd auf Dexter und seine Liebsten …
Mit seinem ersten Dexter-Roman „Des Todes dunkler Bruder“ hat Jeff Lindsay nicht nur einen außergewöhnlichen Psychothriller vorgelegt, sondern gleich die Vorlage zu der erfolgreichen Fernsehserie „Dexter“, in der Dexter Morgan tagsüber als Blutanalyst für das Miami Police Department arbeitet und nachts die bösen Buben aus dem Verkehr zieht, die durch das Rechtssystem geschlüpft sind. Das ist nicht nur im Fernsehen höchst unterhaltsam, sondern lässt sich nun mittlerweile bereits zum vierten Mal auch wunderbar spannend mit viel schwarzem „Dexter“-Humor lesen. Im vierten Dexter-Roman ist besonders interessant, wie Dexter feststellt, dass Ritas Kinder Cody und Astor ebenfalls eine dunkle Seite in sich haben.
„Ich musterte die beiden, und es kam mir fast so vor, als wohnte ich einem religiösen Wunder bei. Sie wussten vom Schattenmann – ihrem Dunklen Passagier. Ebenso wie ich trugen sie in sich und waren so vertraut mit seiner Existenz, dass sie ihm einen Namen gegeben hatten. Es bestand nicht der geringste Zweifel – sie befanden sich bereits in derselben dunklen Welt, in der ich lebte. Es war ein tiefgreifender Moment der Verbundenheit, und ich wusste, dass ich das Richtige tat: Sie waren meine Kinder und die des Dunklen Passagiers – und die Vorstellung, dass wir dadurch stärker als durch Blutsbande miteinander verbunden waren, war nahezu überwältigend.“ (S. 52)
Darüber hinaus erfährt der Leser, wie Dexter durch seinen Vater Harry mit dem Dunklen Passagier vertraut gemacht worden ist und wie seine Schwester mit dem Wissen umgeht, dass sich Dexter durch seine Selbstjustiz-Aktionen strafbar macht. Alles in allem bietet der neue „Dexter“-Roman einmal tiefere Einblicke in die geheimnisvolle Seele von Dexter Morgan, dazu eine Menge Humor und ganz nebenbei auch eine spannende Kriminalgeschichte.