Miriam Toews – „Die fliegenden Trautmans“

Sonntag, 13. Februar 2011

(Berlin Verlag, 255 S., HC)
Als die 28-jährige Hattie Trautman mitten in der Nacht einen Anruf von ihrer 11-jährigen Nichte Thebes erhält, wird ihr schnell der Ernst der Lage bewusst gemacht. Hatties Schwester Min liegt nur noch vollgedröhnt im Bett, Thebes‘ 15-jähriger Bruder Logan hat ständig Ärger in der Schule, und die Kleine ist schlichtweg überfordert, sich um alles zu kümmern. Da Hattie aber ohnehin in Paris ihre Vision des Künstlerdaseins nicht verwirklichen konnte und zudem von ihrem Freund Marc abserviert wurde, fällt es ihr nicht allzu schwer, die Zelte dort abzubrechen und nach Kanada zu fliegen, wo sie das vollkommene Chaos erwartet.
Min liegt mit schweren Depressionen im Krankenhaus und will niemanden sehen. Logan ist von der Schule geflogen, weil er mit bekannten Gang-Mitgliedern abhängt. Also tut Hattie das, was sie für das einzig Richtige hält: Sie fährt mit den Kindern Richtung South Dakota, wo sie deren Vater Cherkis zu finden hofft.
„Wir kamen allmählich auf die Zielgerade. Murdo war ein kleiner, unspektakulärer Fleck auf der Landkarte, aber für uns, jedenfalls für mich, baute es sich nun drohend vor uns auf wie King Kong Schatten oder Kandahar aus der Sicht einer amerikanischen Panzerbesatzung. Mir wurde mulmig. Ich hatte ja gar keinen richtigen Plan. Oder doch, ein geplantes Ergebnis immerhin. Bloß keinen Plan, der mich zwingend zu diesem Ergebnis führen würde, das natürlich darin bestand, Cherkis zu finden und zu beknien, dass er sich um seine Kinder kümmert. Ich wollte das nämlich nicht übernehmen – und konnte es auch gar nicht. Ich wusste überhaupt nicht, was ich zu ihnen sagen oder wie ich sie trösten sollte. Wahrscheinlich würde es Min nie wieder so gut gehen, dass sie nach Hause konnte, jedenfalls nicht als die Mutter, die die beiden brauchten. Ob Min an eine willkürliche Welt glaubte oder an eine mit einem göttlichen Sinn dahinter? Es gab so vieles, über das wir nie gesprochen hatte, und jetzt war es vermutlich zu spät.“ (S. 89)
Immer wieder ruft Hattie von unterwegs bei Min in der Psychiatrie an, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, muss sich dabei immer wieder selbst vergewissern, dass sie gerade das Richtige tut und erinnert sich an eine glücklichere Kindheit. Während der Fahrt erzählt sich die neu gefundene Familie eine skurrile Geschichte nach der anderen, übernachtet in heruntergekommenen Motels, trifft die merkwürdigsten Menschen auf dem Trip, der das Trio auf der Route 66 weiter nach Twentynine Palms und bis zur mexikanischen Grenze führt.
Miriam Toews stattet ihre jenseits aller gängigen Vorstellungen von „normal“ befindlichen Charaktere mit liebenswürdigem Charme aus und dabei so detailliert, dass diese kaum wie erfundene Romanfiguren, sondern wie Fleisch und Blut wirken. Es braucht nur wenige Zeilen, um sich auf die Seite der anfangs völlig überforderten, im Liebeskummer taumelnden Hattie zu schlagen, und dann verfolgt der Leser die spannende Odyssee in den Süden meist mit einem Schmunzeln, gelegentlich auch mit ehrfürchtigem Staunen und echtem Mitgefühl. Die lebendige Sprache, immer ganz nah am Jugendjargon und der Popkultur, trägt ihr übriges dazu bei, „die fliegenden Trautmans“ mit wachsendem Vergnügen zu verschlingen. Schade, dass die familiäre Selbstfindung und der amüsante Roadtrip schon nach gut 250 Seiten vorbei ist …

Stieg Larsson - (Millennium: 1) „Verblendung“

Donnerstag, 10. Februar 2011

(Heyne, 688 S., Tb.)
Wie jedes Jahr bekommt der Großindustrielle Henrik Vanger auch zu seinem 82. Geburtstag anonym eine gepresste Blume in einem Bilderrahmen zugeschickt, so wie es seine Großnichte Harriet seit 1958 zu tun pflegte. Allerdings ist Harriet seit damals spurlos verschwunden. Der alte Vanger vermutet, dass sie umgebracht wurde, doch ihre Leiche konnte nie gefunden werden. Vor dreißig Jahren war das alljährliche Eintreffen der jeweils unterschiedlichen Blumen noch Gegenstand von kriminaltechnischen Analysen gewesen, mittlerweile wissen nur noch ein pensionierter Kommissar, Vanger selbst und der mysteriöse Versender von den seltsamen Geburtstagsblumen, die mal aus Madrid oder Bonn, aus Paris oder zuletzt aus Stockholm kamen.
Um dieses Rätsel endlich zu lösen, engagiert Vanger den Journalisten Carl Mikael Blomkvist, der gerade von einem Gericht zu einer dreimonatigen Gefängnisstrafe und 150000 Kronen Schadenersatz verurteilt worden ist, weil er den Industriellen Hans-Erik Wennerström in einem Artikel in der Zeitschrift „Millennium“ beschuldigt hatte, staatliche Mittel, die für Investitionen in Polen gedacht waren, für Waffengeschäfte missbraucht zu haben. Viel schlimmer als die empfindliche Strafe trifft Mikael allerdings der Verlust des Vertrauens in seinen journalistischen Spürsinn. Henrik Vangers Auftrag, das Verschwinden von Harriet aufzuklären, kommt ihm gerade recht, um Abstand zu der Sache zu bekommen und sich zu überlegen, wie es mit „Millennium“ und seiner Karriere weitergehen soll. Vanger hat seinen Anwalt
Frode beauftragt, den Background von Blomkvist zu überprüfen, worauf dieser Milton Security mit der Recherche beauftragte. Die überaus unkonventionelle, mit etlichen Tattoos und Piercings versehene Lisbeth Salander erstattet Frode ausführlich Bericht und lässt die Vermutung verlauten, dass Blomkvist bei der Wennerström-Affäre hereingelegt worden ist.
Als es für Blomkvist darum geht, die Geschichte der Familie Vanger auf der Insel Hedeby zu recherchieren, nimmt er die Mithilfe von Salander in Anspruch, weil sie sich als raffinierte Computer-Spezialistin erweist. Aber sie trägt auch ihre eigene problematische Geschichte mit sich herum. Nachdem sie ihren Vater in dessen Auto mit Benzin übergossen und angezündet hatte, wurde sie in eine psychiatrische Klinik eingeliefert und schließlich unter Vormundschaft gestellt. Doch ihr neuer Vormund, der Anwalt Bjurman, hat nichts Besseres zu tun, als Lisbeth zu vergewaltigen.
Als Blomkvist nach zwei Monaten aus dem Gefängnis entlassen wird, stößt er in einem Fotoalbum auf ein Bild, das Harriet bei einem Straßenumzug zeigt und wie sie verängstigt oder zornig jemand Bekannten ansieht. Doch bevor sie Henrik davon erzählen konnte, verschwand sie. Blomkvist und Salander stoßen auf komplizierte Verhältnisse und dunkle Machenschaften in der Vanger-Familienchronik …
Mit dem ersten Teil seiner „Millennium“-Trilogie präsentiert der leider schon 2004 verstorbene schwedische Autor Stieg Larsson auf den ersten Blick einen Kriminalfall, der über dreißig Jahre lang ungeklärt geblieben ist. Doch in erster Linie geht es um „Männer, die Frauen hassen“, wie der schwedische Originaltitel „Män som hatar kvinnor“ übersetzt lautet. Das ist nicht nur der Hintergrund der Familientragödie, die sich damals auf der durch einen Unfall abgeriegelten Insel zugetragen hat, sondern auch die ganz persönliche Geschichte der 26-jährigen Ermittlerin Lisbeth Salander, die mit dem engagierten Wirtschaftsjournalisten Mikael Blomkvist ein merkwürdiges, aber faszinierendes Team abgibt. Larsson nimmt viel Mühe auf sich, nicht nur die Vanger-Familiengeschichte zu enträtseln, sondern Mikael Blomkvist Lebenswandel und Salanders komplizierte Psyche zu beschreiben. Am Ende sind zwar der eigentliche Fall gelöst und Blomkvists Reputation wieder hergestellt, aber vor allem Salanders Background bleibt weiterhin größtenteils im Dunkeln. Da bringen erst die folgenden Teile „Verdammnis“ und „Vergebung“ die ersehnte Auflösung.

Stieg Larsson - (Millennium: 2) „Verdammnis“

(Heyne, 751 S., Tb.)
Nach dem erfolgreichen Streich gegen den Industriellen Wennerström, den die Computer-Hackerin Lisbeth Salander um sein illegal erwirtschaftetes Vermögen betrog, trennte sie sich wortlos von dem ehemaligen „Millennium“-Herausgeber Mikael Blomkvist und flog nach Grenada, wo sich die zierliche, gerade mal 1,50 Meter große und 40 Kilo leichte Ermittlerin mit dem fotografischen Gedächtnis einer Brustoperation unterzog und sich von dort aus eine Luxuswohnung in Stockholm kaufte. Nach einem tödlichen Zwischenfall kehrt sie nach Schweden zurück, wo Blomkvist von dem Journalisten Dag Svensson gerade eine Story über Mädchenhandel vorgelegt bekommt. Dessen Freundin Mia Bergman schreibt in ihrer Doktorarbeit über eine skrupellose Sexmafia, die 15- bis 20-jährige Mädchen aus dem sozialen Elend der ehemaligen Ostblockstaaten mit obskuren Jobangeboten nach Schweden lockt.
Nach Svensson Recherchen sind dabei Männer aus den höchsten Gesellschaftskreisen beteiligt. Doch bevor er sein Buchprojekt für „Millennium“ abschließen kann, werden Svensson und seine Freundin von Mikael tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Als Tatwaffe stellt die Polizei eine Pistole sicher, die auf den Anwalt Nils Bjurman zugelassen ist und auf der sich die Fingerabdrücke von Lisbeth Salander befinden. Schließlich findet die Polizei auch Bjurman tot in seiner Wohnung vor, auf dem Bauch amateurhaft die Worte tätowiert: „Ich bin ein sadistisches Schwein, ein Widerling und ein Vergewaltiger“. Während Salander als Mordverdächtige gesucht wird und untertaucht, versucht Blomkvist, ihre Unschuld zu beweisen. In einer Mail, die Svensson vor seinem Tod an Blomkvist geschrieben hatte, erwähnte er einen osteuropäischen Gangster namens Zala, dem er eventuell ein eigenes Kapitel widmen wollte.
Auch von Salander bekommt Blomkvist diesen Namen zugespielt.
„Mikael starrte auf den Namen. Dag Svensson hatte bei ihrem letzten Telefongespräch von Zala gesprochen, zwei Stunden bevor er ermordet wurde.
Was will sie damit sagen? Sollte Zala am Ende die Verbindung zwischen Bjurman, Dag und Mia sein? Wie? Warum? Wer ist Zala? Und woher weiß Lisbeth Salander davon? Wie kommt sie in Spiel?“ (S. 402)
Je mehr Blomkvist in Sachen Salander nachforscht und dabei der Polizei dank Lisbeths Unterstützung immer einen Schritt voraus ist, desto mehr erfährt er auch über den Hintergrund von Lisbeths Geschichte, die unmittelbar mit dem Mädchenhandel in Verbindung zu stehen scheint …
Einmal beleuchtet Stieg Larsson ein düsteres Kapitel international organisierter Verbrechen und knüpft damit nahtlos an den extrem spannenden Auftakt seiner „Millennium“-Trilogie an. Faszinierend ist dabei nicht nur das Katz-und-Maus-Spiel, das Salander sowohl mit Blomkvist als auch der Polizei betreibt, sondern die wieder sehr detaillierten Charakterisierungen, mit denen Larsson überaus schillernde Figuren – allen voran die in jeder Hinsicht ungewöhnliche Lisbeth Salander – geschaffen hat, denen man als Leser wie gebannt folgt.
Lesen Sie im Buch: Larsson, Stieg - Verdammnis

Stieg Larsson - (Millennium: 3) „Vergebung“

(Heyne, 862 S., Tb.)
Lisbeth Salander hat die Konfrontation mit ihrem Vater, dem ehemaligen russischen Agenten Alexander Zalatschenko, der als Überläufer in Schweden mit neuer Identität verbrecherische Geschäfte im großen Stil abwickelt, und ihrem Bruder, dem Zwei-Meter-Riesen Ronald Niedermann, schwer verletzt überlebt. Zwar konnte sie Zala eine Axt ins Gesicht und ins ohnehin schon lädierte Bein hauen, doch hat er Lisbeths Attacke ebenso überlebt wie sie die Kugel, die sie in den Kopf geschossen bekam. Nun liegen beide nur wenige Meter voneinander entfernt in der Intensivstation des Göteborger Sahlgrenska-Krankenhauses.
Vor allem Salander braucht eine längere Regenerationszeit, aber früher oder später muss sie sich der Polizei und der Anschuldigung stellen, einen weiteren Mordanschlag auf ihren Vater verübt und zwei weitere Menschen schwer verletzt zu haben. Eine geheime Sektion der schwedischen Sicherheitspolizei versucht derweil, Zalatschenko endgültig aus dem Verkehr zu ziehen, bevor dieser das ganze Unternehmen gefährden kann. Und Mikael Blomkvist arbeitet wie besessen daran, Lisbeths Unschuld zu beweisen und die Verschwörung aufzudecken, die über Jahre hinweg gegen sie inszeniert worden war.
„Er erklärte Schritt für Schritt, wie sie mit einer Bande Kalter Krieger der RPF/Sich aneinandergeraten und in die Kinderpsychiatrie gesperrt worden war, damit sie Zalatschenkos Geheimnis nicht verraten konnte. (…) Die Verschwörung gegen Lisbeth Salander – er bezeichnete die Verschwörer in Gedanken als Zalatschenko-Klub – kam aus den Reihen der Sicherheitspolizei. Er kannte einen Namen, Gunnar Björck, aber Gunnar Björck konnte unmöglich der einzige Verantwortliche sein. Es musste eine ganze Gruppe geben, eine Art Abteilung. Es musste Chefs, Verantwortliche und ein Budget geben. Doch er hatte keine Ahnung, wie er es anstellen sollte, diese Personen zu identifizieren. Wo sollte er beginnen?“ (S. 189f.)
Zusammen mit seiner Schwester Annika Giannini, die Lisbeth als Anwältin vertritt, versucht „Kalle“ Blomkvist herauszufinden, welche Gruppierung innerhalb der Sicherheitspolizei seit 1991 konsequent versucht hat, Zalatschenko zu decken und gleichzeitig dessen Tochter wegzusperren. Dabei scheint vor allem Dr. Peter Teleborian eine besondere Rolle zu spielen, der als Chefarzt der psychiatrischen St.-Stefans-Klinik in Uppsala mit seinem Gutachten dafür gesorgt hat, dass Lisbeth Salander für unmündig und geisteskrank erklärt worden ist …
Da der schwedische Autor Stieg Larsson leider im Jahre 2004 an den Folgen eines Herzinfarkts gerade mal 60-jährig verstorben ist, bedeutet „Vergebung“ leider schon den Abschluss seiner „Millennium“-Reihe, die eigentlich auf zehn Teile angelegt war, es aber nur bis zur Trilogie geschafft hat.
Dennoch stellt „Vergebung“ einen würdigen Abschluss der komplexen Thriller-Reihe um die beiden so verschiedenen Ermittler Mikael Blomkvist und Lisbeth Salander. Nachdem im vorangegangenen „Verdammnis“ Lisbeth im Mittelpunkt des oft actionreichen Geschehens stand, muss sie sich nun erst im Krankenhaus auszukurieren und dann vor Gericht verantworten. Nun ist es allein an Mikaels und seinen vielen Helfershelfern, Lisbeths Unschuld zu beweisen, wofür Larsson tief in die politischen Strukturen und Geschichte Schwedens eintaucht. „Vergebung“ ist trotz aller Komplexität eine äußerst spannende Genre-Mixtur aus Justizdrama, Politikthriller und Gesellschaftsroman und fasziniert vor allem durch die detaillierte Zeichnung seiner so unterschiedlichen Figuren.

James Patterson - (Mike Bennett: 2) „Blutstrafe“

Donnerstag, 3. Februar 2011


(Goldmann, 348 S., Tb.)
Mit dem Polizeipsychologen Alex Cross und der Reihe um den „Club der Ermittlerinnen“ hat James Patterson höchst erfolgreiche, aber leider – vor allem was Alex Cross angeht – auch allzu eingefahrene Thriller-Serien ins Leben gerufen, die mittlerweile etwas langweilige Automatismen entwickelt haben. Etwas Abwechslung soll da die neue Reihe um den New Yorker Detective Mike Bennett bringen ..
Knapp ein Jahr nach dem Tod seiner Frau Maeve hat Bennett nicht nur seine zehn Adoptivkinder zu versorgen, sondern hat es auch mit einem Killer zu tun, der sich selbst „der Lehrer“ nennt und scheinbar wahllos Menschen umbringt. Dabei ändert er so stark sein Aussehen, dass zunächst kein Zusammenhang zwischen dem Vorfall in der U-Bahn, wo er als Anzugträger ein Mädchen auf die Gleise schubste, und den Morden an einem Ralph-Lauren-Angestellten und einem  Kellner im „21 Club“ hergestellt wird, wo der psychopathische Killer sich als Repräsentant der Unterschicht präsentierte. Allerdings hat der Mörder bei den beiden Toten jeweils eine kryptische Nachricht hinterlassen.
„Meine Vermutung war, dass  wir über einen Typen sprachen, der in Schnapsidee-Komposition eine eins gekriegt hatte und dies allen Menschen mitteilen wollte – um ihnen seinen Größenwahn als Intelligenz zu verkaufen. Die einzige Möglichkeit, diese Art von Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, bestand in gemeinem, kaltblütigem Mord. Leider war er, wenn ich Recht behalten sollte, tatsächlich schlau und dazu noch vorsichtig. Unterschiedliche Aufmachung, kaum erkennbares Gesicht, keine Fingerabdrücke.“ (S. 102)
Soweit zur professionellen Einschätzung eines erfahrenen Polizisten. Leider macht sich Patterson nicht die Mühe, seine Figuren eingehender zu beschreiben. Der psychopathische Bösewicht ist einfach nur ein schlechtes Klischee, das sich leider auch viel zu häufig in den Plattitüden widerspiegelt, die der Autor von sich gibt (hat das wirklich Patterson geschrieben, oder war hier doch einer seiner Ghost Writer am Werk, von denen gerade bei ihm immer wieder die Rede ist?):
„Ich blieb stehen, wo ich war, und starrte auf die blutdurchtränkten Teppiche und Matratzen. Dies war das Schlimmste, das ich je gesehen hatte, eine Gräueltat, ein Verbrechen gegen die Menschheit. Ich sehnte mich danach, meine Glock auf diesen Kerl zu richten.“ (S. 216)
Leider bleiben solche Allgemeinplätze keine Ausnahme, und selbst eine kitschig beschriebene Nahtoderfahrung bleibt dem Leser nicht erspart. Zusammen mit einem 08/15-Plot, der lieblos runtergeschrieben wurde,  ist dies mit Abstand das schlechteste Buch, das ich von Patterson gelesen habe …

James Patterson - (Mike Bennett: 3) „Sühnetag“

(Goldmann, 319 S., Tb.)
Der New Yorker Detective Mike Bennett ist von der Mordkommission Manhattan Nord zur Abteilung für Kapitalverbrechen versetzt worden, die bei großen Banküberfällen, Kunstraub und Entführungen ermittelte. Mit letzteren hat er in großem Stil zu tun, als mit Jacob Dunning der einzige Sohn einer überaus prominenten Familie entführt wird. Donald Dunning, Gründer und Generaldirektor des multinationalen Pharmakonzerns Latvium and Company, lässt seine Verbindungen spielen und vom nationalen Zentrum für die Analyse von Gewaltverbrechen die beste Agentin anfordern: Emily Parker von der FBI-Abteilung für Kindesentführungen und Serienmorde.
Ähnlich wie mit dem „Lehrer“ aus dem vorangegangenen Fall „Blutstrafe“ hat es Bennett wieder mit einem missionarischen Täter zu tun, der die Gier und Unmenschlichkeit weltweit operierender Konzerne anprangert.
„,Wir könnten so viel tun, aber wir sitzen nur rum und sehen zu, wie alles den Bach runtergeht. Dunning könnte mit dem, was er für seine Schuhe bezahlt, siebenundzwanzig Menschenleben retten. Die Latvium-Aktien gedeihen auf den Leichen der Armen dieser Welt … Der einzige Zweck solcher Firmen, egal, in welchem Industriezweig sie tätig sind, ist die Produktion sagenhaften Wohlstands für das obere Management. Nationale Verantwortung und Menschenleben sind für Menschen wie Dunning Nebensache. So war es schon immer und wird es immer bleiben.‘“ (S. 48 f.)
Der Entführer belässt es allerdings nicht bei mahnenden Worten, sondern lässt Bennett und Parker den Jungen mit einem Kopfschuss und einem lateinischen Bibelspruch auffinden. Auch die nächste Entführte, Chelsea Skinner, Tochter des Präsidenten der New Yorker Börse, kann nur tot geborgen werden. Die nächste Entführung fällt allerdings etwas aus dem Rahmen, wird für den behinderten Dan Hastings, doch erstmals Lösegeld gefordert, und zwar per Mail, während der Entführer sich bislang immer telefonisch mit den Eltern der Opfer in Verbindung gesetzt hat. Während Bennett und Parker kaum zur Ruhe kommen, was die Entführungen angeht, finden sie doch die eine oder andere Minute, sich näher kennenzulernen …
Immerhin, nach dem Komplettausfall, den James Patterson mit „Blutstrafe“ hingelegt hat, scheint er sich wieder etwas gefangen zu haben. Zusammen mit seinem Co-Autor Michael Ledwidge schrieb er mit „Sühnetag“ einen typisch rasanten, spannenden Thriller, der mit einigen obligatorischen Wendungen überzeugt, aber wie so oft etwas mehr Sorgfalt bei der Charakterisierung der Protagonisten hätte verwenden können.
Leseprobe „Sühnetag“

Heinz Strunk - „In Afrika“

Dienstag, 1. Februar 2011

(Rowohlt, 270 S., HC)
Mit seinen ersten beiden Büchern „Fleisch ist mein Gemüse“ und „Fleckenteufel“ hat der 1962 in Hamburg geborene Musiker, Schauspieler, Schriftsteller und „Studio Braun“-Komiker auf höchst unterhaltsame Weise die Hürden beschrieben, die man als junger Erwachsener gerade auf dem Land zu überwinden hat. In „Fleisch ist mein Gemüse“ war es noch die fröhliche Tanzkapelle, die auf Schützenfesten in der Lüneburger Heide Klassiker wie „An der Nordseeküste“ spielen musste, in „Fleckenteufel“ die christliche Ferienfreizeit in einem Zeltlager an der Ostsee, die Heinz Strunks Erlebnisse der Post-Adoleszenz Revue passieren ließen. Mittlerweile ist Strunk erwachsen und pflegt alljährlich das Ritual, mit seinem Freund C. in der Weihnachtszeit zu verreisen. Diesmal bucht C. eine Reise nach Kenia.
Strunk versucht noch verzweifelt, sich vor Reiseantritt einen vorzeigbaren Körper anzutrainieren, dann geht es auch schon los. Allerdings – und das scheint Comedy-Stars immer zu passieren – geht der Koffer unterwegs abhanden, so wie es Kollege Christoph Maria Herbst auf seiner „Traumschiff“-Reise („Ein Traum von einem Schiff“) ebenso ergangen ist. Und C., der aus Wien angereist kommt, schlägt mit eintägiger Verspätung auf, nur um im Hotel all die Klischees und Rentner zu erleben, vor denen man eigentlich Angst hat.
„Der Welcomedrink ist ein ekliger, dickflüssiger Schleim und erinnert von Aussehen, Geschmack und Konsistenz her an den Getränkesirup Tri Top. Wenn ich mich recht erinnere, reichte ca. eine halbe Verschlusskappe für ca. einhundert Liter Fruchtjauche, Tri Top dürfte somit das billigste Getränk der Welt gewesen sein. Zum Glück schon lange Geschichte. Oder behauptet sich Tri Top inzwischen im gutsortierten Fachhandel als Kultgetränk?“ (S. 81)
Als C. endlich eingetroffen ist, wollen sie sich an ein Treatment für eine Fernsehkomödie machen. Strunk beschreibt seine Erlebnisse am Pool, im Meer und auf den Straßen von Mombasa recht witzig und mit selbstironischer Note, doch ist der Schmunzel-Humor weit von dem krachenden Humor von Strunks „Frühwerken“ entfernt. „In Afrika“ lässt sich ebenso locker und unverbindlich weglesen wie Herbst‘ „Ein Traum von einem Schiff“, nur um am Ende festzustellen, dass Comedy-Stars ebenso schlechten Urlaub erleben wie Otto Normalverbraucher – nur schreiben sie darüber etwas witziger …