Richard Laymon - „Der Käfig“

Sonntag, 13. März 2011

(Heyne, 512 S., Tb.)
Diebe machen sich bei Robert Callahan daran zu schaffen, die Mumie der Pharaonenbraut Amara zu stehlen, doch Callahan und sein Ziehsohn Imad überraschen die Täter und verscharren ihre Leichen schließlich im Garten. Imad schlägt es allerdings auch in die Flucht, während sich die befreite Mumie am Hausherren gütlich tut. Nach Callahans Tod gelangt die Mumie in die Obhut des Charles-Ward-Museums, wo die stellvertretenden Kuratorin Sarah Connors erleben muss, wie ein Wachmann des Museums grausam verstümmelt wird.
Während die Mumie offensichtlich ihren vier Jahrtausende währenden Schlaf für einen Reanimationsblutbad beendet hat, plagen Ed Lake und Virginia ganz andere Probleme. Sie können sich nicht erinnern, wie sie in die Käfige gelangt sind, in die sie eingesperrt worden sind. Sie bekommen genug zu essen und zu trinken, müssen in dem oft abgedunkelten Raum ihren Entführern aber sexuell gefügig sein.
“Die Zeit verging. Ed Lakes Fuß heilte. Währenddessen gingen die seltsamen Spiele im Menschenzoo weiter. Immer wurde das Licht ausgeschaltet. Manchmal richtete sich die Aufmerksamkeit auf Virginia, manchmal auf Ed. Er bewahrte seine Kraft, so dass er die geforderte Leistung erbringen konnte. Und die Spiele dauerten stundenlang. Er lag immer auf dem Rücken auf der Plattform. Entweder wurde sein Schwanz von dem Mund bearbeitet oder von der anderen gierigen Öffnung. Aber er war jetzt sicher, dass es sich um eine Frau handelte. Natürlich sah er nie etwas. Zu dunkel. Und er achtete darauf, dass er nie zu einem Orgasmus kam, jedenfalls nie, ehe seine Entführerin befriedigt war.
Danach, egal was ihnen angetan worden war, sprach Ed jedes Mal mit Virginia. Sie teilten ihre Erlebnisse. Sie diskutierten jede Einzelheit – was ihre Peiniger getan hatten, wie sie rochen, wie sie sich anfühlten. Hat es sich schlecht angefühlt? Manchmal war es so schlimm, dass es unbeschreiblich war. Das Reden half ihnen. Es machte sie stärker. Sie begannen zu besprechen, wie sie zurückschlagen könnten.“ (S. 267)
Der 2002 posthum veröffentlichte Roman „Amara“ zählt zu den letzten Werken des großen amerikanischen Horrorautors Richard Laymon (1947-2001), allerdings nicht zu seinen besten. Zwar ist die für Laymon typische Mischung aus Sex und Horror wieder allgegenwärtig, aber der Plot wird durch zu viele Erzählstränge unnötig aus dem Rhythmus gebracht. Bis sich all die losen Fäden am Ende zusammenfügen, ist einiges an Sperma und Blut geflossen, doch so rechte Spannung will bei „Der Käfig“ leider nicht aufkommen. Wenig prickelnd ist leider auch das Vorwort von Laymons Freund und Kollegen Dean Koontz ausgefallen, dass sich ganz auf die Schilderung einer persönlichen Begegnung beschränkt.
Leseprobe "Der Käfig"

Michael Connelly - (Harry Bosch: 14) „Neun Drachen“

Freitag, 11. März 2011

(Knaur, 479 S., Tb.)
Harry Bosch und sein Familien-gestresster Partner Ignacio Ferras bekommen einen Überfall auf einen Getränkemarkt in South Normandie zugeteilt, wo zunächst alles nach einem Raubüberfall aussieht, bei dem der Ladenbesitzer John Li erschossen wurde. Der Täter hat zur Sicherheit die Überwachungs-DVD mitgenommen, doch auf den beiden DVDs, die zurückgelassen wurden, entdeckt Bosch einen ersten Hinweis auf eine Schutzgeldzahlung, die Li geleistet hat. Durch die Mithilfe von Detective David Chu von der Asian Gang Unit nimmt Bosch den Verdächtigen Bo-Jing Chang fest, der zur chinesischen Triade Yung Kim – Tapferes Messer – gehören soll.
Allerdings bleibt den Beamten nur das Wochenende, um Chang wegen Mordes dranzukriegen, sonst müssen sie ihn wieder auf freien Fuß setzen. Doch die Durchsuchung von Changs Wohnung, Auto und Handy bringt nicht die gewünschten Ergebnisse. Da bekommt Bosch eine Videobotschaft seiner 13-jährigen Tochter Maddie zugeschickt, die mit ihrer Mutter in Hongkong lebt. Das Entführungsvideo enthält ein paar Hinweise auf den Aufenthaltsort seiner Tochter. Bosch nimmt den nächsten Flieger nach Hongkong, um mit seiner Ex-Frau Eleanor und ihrem neuen Lebensgefährten Sun Yee nach Maddie zu suchen.
„Er würde seine Tochter finden und nach Hause bringen. Oder er würde bei dem Versuch, sie zu befreien, sterben. Sein ganzes Leben lang hatte Harry Bosch geglaubt, eine Mission zu haben. Und um diese Mission durchführen zu können, musste er kugelsicher sein. Er musste sich und sein Leben so gestalten, dass er unverwundbar war, dass ihm nichts und niemand etwas anhaben konnte. Das alles hatte sich an dem Tag geändert, an dem er der Tochter vorgestellt worden war, von der er nicht gewusst hatte, dass er sie hatte. In diesem Moment hatte er gewusst, dass er gleichzeitig gerettet und verloren war. Von jetzt an war er mit der Welt für immer auf eine Weise verbunden, wie sie nur ein Vater kannte.“ (S. 227 f.)
Auch wenn „Neun Drachen“ ein ungewöhnlich persönlicher Fall für Detective Harry Bosch ist, fällt die Spannung recht moderat aus. Dabei wird weder besonders ausführlich auf die Triaden-Thematik eingegangen, noch auf den Menschenhandel in Hongkong. Ebenso unsicher wie Bosch ist, wem er bei seiner Suche nach seiner Tochter trauen kann, wird auch der Leser etwas unsicher durch den Plot geführt, der zumindest mit einer elegant aus dem Hut gezauberten Lösung aufwartet. 

Steve Mosby - „Spur ins Dunkel“

(Knaur, 377 S., Tb.)
Es sind einige Wochen vergangen, seit Amy einen Abschiedsbrief auf dem Küchentisch hinterlassen hatte, in dem sie ankündigte, einige Probleme in den Griff bekommen zu müssen, aber sie würde auf jeden Fall zurückkommen. Doch ihr Freund Jason ist mittlerweile überzeugt, dass seiner Amy etwas zugestoßen sein muss. Er durchstöbert diverse Internet-Foren und bewegt sich unter dem Namen Amy17 in einem virtuellen Sex-Chatroom, wo er auch gleich einen Interessenten aufgabelt, von dem er hofft, nähere Informationen zum Aufenthaltsort von Amy zu erfahren. Als die Polizei bei ihm auftaucht, befürchtet er schon, dass sie tot aufgefunden wurde, doch tatsächlich geht es um Claire Warner, eine weitere Internet-Chat-Bekanntschaft, die er schließlich einmal in Schio getroffen hatte.
Kaum ist die Polizei gegangen, taucht ein alter Mann namens Walter Hughes bei Jason auf, der mit ihm über Claire reden will. Zusammen mit seinem Freund, dem Computer-Experten Graham, versucht Jason den wenigen Hinweisen nachzugehen, die er in Bezug auf Amy hat, lässt ihren Computer untersuchen und stößt schließlich auf eine Art Snuff-Literatur, die detailliert Vergewaltigungen dokumentiert.
„Es gibt einen tiefen Abgrund, in den man fallen kann und den man eigentlich nur entdeckt, wenn man jemanden sehr gernhat. Niemand bringt einem das je bei, und niemand redet viel darüber, es gehört zu den Dingen, die man selbst und allein lernen muss. Das erste Mal, wenn man in dieses Loch fällt, kommt es einem vor, als werde der Sturz nie enden, und wenn man dann hinabstürzt, dass man niemals entkommen wird, dass man aus einem so tiefen, dunklen Loch nie wieder herausklettern kann.“ (S. 49)
Je mehr sich Jason in diesen erschreckenden Kreisen bewegt, umso mehr gerät sein eigenes Leben völlig aus den Fugen und in tödliche Gefahr.
„The Third Person“ war 2003 der erste Roman des britischen Thrillerautors Steve Mosby, der hierzulande vor allem mit seinem zweiten Werk „Der 50/50-Killer“ bekannt geworden ist. „Spur ins Dunkel“, so der deutsche Titel des Debüts, lässt zumindest schon den eleganten Stil des Autors erkennen, wirkt aber als geschlossene Erzählung noch viel zu umständlich. Was als spannende Suche nach einer vermissten Lebensgefährtin beginnt, verstrickt sich zunehmend in eine immer verworrene Verschwörung, die weit über illegale Sex-Websites hinausgeht, unzählige Tote nach sich zieht und am Ende gar keinen Durchblick mehr zulässt.
Leseprobe “Spur ins Dunkel”

Philippe Djian – „Die Leichtfertigen“

Montag, 7. März 2011

(Diogenes, 218 S., HC)
Der 60-jährige Schriftsteller Francis lebt mit seiner zweiten Frau Judith, einer erfolgreichen Immobilienmaklerin an der Grenze zu Spanien und versucht, irgendwie mit den angehäuften Problemen seines Lebens fertigzuwerden. Natürlich schmerzt ihn noch immer der Verlust seiner ersten Frau Johanna und seiner Tochter Olga, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, aber auch Olgas Schwester Alice, die den Unfall damals überlebt hat, bereitet ihm immer wieder Kummer. Sie heiratete den ständig zugedröhnten Banker Roger, stürzte sich als bekannte Schauspielerin immer wieder in Affären und verschwindet auf einmal spurlos.
Roger, der endlich zur Vernunft gekommen war, nachdem er im Rausch zwei Fingerglieder seiner Tochter zerquetscht hatte, und schlagartig seine Finger von den Drogen ließ, kommt mit den beiden Zwillingen aus Paris zu Besuch; Francis kümmert sich eine Zeitlang um die Zwillinge, versucht aber auch, endlich an einem neuen Roman zu arbeiten. Währenddessen wird ihm bewusst, dass Judith und er sich zunehmend entfremden, und er engagiert den gerade aus dem Knast entlassenen Sohn seiner alten Schulfreundin A.M. , um Judith beschatten zu lassen. Doch der 24-jährige Jérémie kann Francis keine Beweise für Judiths Untreue vorlegen. Francis muss nicht nur tatenlos mit ansehen, wie A.M., die er als Detektivin auf die Suche nach Alice angesetzt hat, rasend schnell vom Krebs zerfressen wird. In dieser Atmosphäre von Misstrauen, Verlustängsten, Tod und Unbestimmtheiten ist es für Francis alles andere als einfach, sich aufs Schreiben zu konzentrieren.
„Viele glaubten, Johannas Tod habe mich am Boden zerstört, und niemand hätte einen Cent auf mein Comeback gesetzt. Gut möglich. Dass ich am Boden zerstört war und mir die Hoffnung, je wieder einen Roman zu schreiben, endgültig abschminken konnte, mochte durchaus zutreffen. Das hätte mich nicht allzu sehr verwundert. Es war aber noch zu früh, um es mit Bestimmtheit zu sagen.
Es gibt nichts Schwierigeres, als einen Roman zu schreiben. Keine menschliche Beschäftigung erfordert so viel Anstrengung, so viel Selbstverleugnung, so viel Widerstandskraft. Kein Maler, kein Musiker kann einem Romanschriftsteller das Wasser reichen. Das ist fast jedem klar.
Ich biss manchmal mitten in einem Satz so fest die Zähne zusammen, dass der ganze Raum zu pfeifen begann. Das war auch Hemingways Erfahrung. Das Gras wurde nicht von selbst grün. Die Landschaft glitt nicht wie durch ein Wunder an der Scheibe vorbei.
Es wäre mir lieber gewesen, mit meiner Tochter wieder eine normale Beziehung zu haben oder meine Eheprobleme mit Judith zu lösen, aber einen Roman zu schreiben war im Moment das Einzige, was mir realisierbar schien. Mit jedem Tag war ich mehr davon überzeugt. Nichts anderes kam für mich in Frage. Ich sah keinen anderen Ausweg. Selbst wenn ich mich nach allen Seiten umschaute, sah ich keine andere Möglichkeit. Ich hatte noch nie ein Buch in einer solchen Verfassung geschrieben.“ (S. 122 f.)
Philippe Djian erweist sich immer wieder als Meister von Erzählungen, in denen es vor allem um die Irrungen und Wirrungen eines Schriftstellers geht. Mittlerweile stehen dabei nicht mehr die erotischen Eskapaden im Mittelpunkt, die Djians frühen Meisterwerke „Betty Blue“, „Rückgrat“ oder „Verraten und verkauft“ geprägt haben; die Empfindungen des in die Jahre gekommenen Autors scheinen reifer geworden zu sein, doch taumelt er immer noch zwischen den verschiedensten, unausgegorenen Empfindungen hin und her. Mit gewohnt eleganter Sprache schildert Djian die Eindrücke, die sein Protagonist aufnimmt, die ihn immer aufs Neue verunsichern, verärgern und verwirren. Und das tut er so lebendig und eindrucksvoll wie selten zuvor in seinen letzten Werken. „Die Leichtfertigen“ ist sicher nicht das große Meisterwerk eines renommierten Schriftstellers, aber herrlich kurzweilig und amüsant zu lesen. Man merkt dem kurzen Roman überhaupt nicht an, dass das Verfassen solche Schwierigkeiten mit sich bringt, von denen Francis im Zitat berichtet, aber darin liegt wohl Djians Meisterschaft – in der Verbindung ungeschönter literarischer Reflexion und psychologisch einfühlsam beschriebener Tragödien, die seine Protagonisten zu bewältigen haben.

Leseprobe: Philippe Djian: „Die Leichtfertigen“

Håkan Nesser – „Die Perspektive des Gärtners“

Samstag, 5. März 2011

(btb, 320 S., HC)
Vor vierzehn Monaten beobachtete der Schriftsteller Erik Steinbeck am Küchenfenster seines Hauses in Saaren, wie ein Mann seine vierjährige Tochter Sarah im Garten ansprach und sie in sein grünes Auto einsteigen ließ. Bevor Erik an der Straße ankam, war der Wagen über alle Berge, die Polizei fand bis jetzt nicht einen einzigen Anhaltspunkt, was mit Sarah geschehen sein könnte. Vor allem Eriks Frau Winnie, die schon einmal eine Tochter in Sarahs Alter durch einen gewaltsamen Tod verloren hat, kam mit dem erneuten Verlust ihres Kindes nicht klar, verbrachte eine Zeit in einer psychiatrischen Anstalt und schlug schließlich vor, nach New York zu ziehen, um einen Neuanfang zu starten.
Doch Erik und Winnie finden nicht mehr zueinander und verbringen ihre Zeit meist getrennt voneinander. Während Winnie an einem fast fotografisch detaillierten Bild arbeitet, das die Entführungsszene aus Eriks Sicht darstellt und nur noch auf das Gesicht des Mannes wartet, an dessen Züge sich Erik aber nicht erinnern kann, arbeitet Erik in der Bibliothek an seinem neuen Roman. Als er Winnie zweimal überraschend in der Stadt sieht, leugnet sie jeweils, sich dort befunden zu haben. Dann behauptet sie plötzlich, Sarah sei noch am Leben. Erik macht sich Sorgen, dass Winnie wieder in ihren krankhaften Zustand nach dem Verschwinden ihrer Tochter zurückfällt.
„… wenn nun meine Ehefrau behauptet, unsere Tochter sei tatsächlich am Leben, dann will ich das nicht als Zeichen sehen, dass sie auf dem Weg zurück in die Dunkelheit ihrer Krankheit ist. Obwohl es natürlich so ist. Ich brauche eine gesunde Winnie – zumindest eine einigermaßen gesunde Winnie -, meine Kräfte reichen nicht für eine neue Welle des Wahnsinns. Guter Gott, denke ich, lass sie nicht den Verstand verlieren, lass nicht alles den Bach runtergehen. Lass etwas geschehen, das uns wieder ein bisschen Hoffnung gibt. Aber dass Sarah tatsächlich am Leben sein soll? Ich wage diesen Gedanken kaum zu denken.“ (S. 112f.)
Erik macht in der Bibliothek, in der er fast täglich arbeitet, die Bekanntschaft von Mr. Edwards, einem pensionierten Privatdetektiv, der dem Schriftsteller anbietet, herauszufinden, was Winnie mit ihrer Zeit, die sie nicht in ihrem Atelier verbringt, so treibt. Offensichtlich hat sie eine Parapsychologin namens Grimaux aufgesucht, und Erik fällt sofort der Zusammenhang mit dem gleichnamigen französischen surrealistischen Poeten auf, der ein Gedicht verfasst hat, das auf mysteriöse Weise Winnie und Erik einst zusammengeführt hat. Und je mehr Erik den immer geheimnisvolleren Hinweisen auf Winnie und Sarah folgt, desto mehr Rätsel geben Erik zu denken …
Dass der schwedische Bestseller-Autor Håkan Nesser nicht nur Krimis nach Schema F produziert, hat er bereits mit „Kim Novak badete nie im See von Genezareth“ bewiesen. Sein neuer Roman ist in New York angesiedelt, wo der Autor einige Jahre gelebt hat, und trägt von Beginn an jene surrealistischen Züge, die auch einige Romane des New Yorker Schriftstellers Paul Austers tragen.
„Die Perspektive des Gärtners“ wirft immer wieder Fragen nach Namen und Identitäten auf, lässt die Grenzen zwischen Realität, Traum, Vorsehung und Wahnsinn miteinander verschmelzen und immer wieder neue Rätsel die bisherigen Merkwürdigkeiten in neuem Licht erscheinen. Dabei tritt Sarahs Schicksal nicht unbedingt in den Hintergrund, aber zunehmend geht es auch um die Frage, was es mit Winnie auf sich hat. Dadurch, dass der Leser das Geschehen allein aus Eriks Perspektive verfolgen muss, bleibt lange Zeit ungewiss, inwieweit vielleicht Erik selbst dem Wahnsinn verfallen ist. Nesser erweist sich wieder einmal als sprachlich versierter Autor, der mit viel Liebe zum psychologischen Detail einen außergewöhnlichen wie verstörenden Roman geschaffen hat, der mit einem ebenso überraschenden Ende aufwartet.
Lesen Sie im Buch: Nesser, Håkan - Die Perspektive des Gärtners

Simon Beckett – (David Hunter: 4) „Verwesung“

(Wunderlich, 444 S., HC)
Vor acht Jahren wurde der forensische Anthropologe Dr. David Hunter von Detective Chief Superintendent Simms nach Dartmoor gebeten, um dort eine Leiche im Moor zu identifizieren. Offensichtlich handelte es sich um eines der Mädchen, die dem verurteilten Serienmörder und Vergewaltiger Jerome Monk zum Opfer gefallen sind und deren Leichen noch nicht gefunden werden konnten. Doch die Ermittlungen standen unter keinem guten Stern. Hunter muss sich nicht nur dem besserwisserischen forensischen Archäologen Prof. Leonard Wainwright unterordnen, sondern hatte es auch mit Terry Connors zu tun, dessen Selbstgefälligkeit und Angeberei schon immer ein Dorn in Hunters Augen gewesen sind.
Nachdem die Torfleiche als Monks drittes Opfer Tina Williams identifiziert werden konnte, folgte eine großangelegte Suchaktion im Moor, hoffte man doch, die anderen beiden noch vermissten Leichen zu finden. Monk erklärte sich bereit, bei der Suche zu helfen, kann sich vor Ort aber an nichts erinnern, und die psychologische Ermittlungsberaterin Sophie Keller stößt nur auf einen Dachskadaver. Nach diesem Fiasko verschlug es Hunter an den Balkan, um an der Bergung eines Massengrabes mitzuwirken, dann verlor er seine Frau Kara und Tochter Alice bei einem Autounfall.
Acht Jahre später bekommt Hunter überraschenden Besuch von Terry Connors, der ihm erzählt, dass Jerome Monk aus dem Gefängnis geflohen ist, dann erhält er einen panischen Anruf von Sophie Keller, die ihn bittet, sich mit ihr in Dartmoor zu treffen. Als Hunter dort eintrifft, liegt Sophie allerdings auf der Intensivstation, wenig später kommt Leonard Wainwright zu Tode. Offensichtlich befindet sich Jerome Monk auf einem Rachefeldzug gegen alle, die damals mit seinem Fall zu tun gehabt haben. Er verfügt über das übliche Täterprofil:
„Mit fünfzehn Jahren war Monks Lebensweg vorgezeichnet. Von Geburt an verwaist, war er schon als Kind in doppelter Hinsicht ausgeschlossen, gemieden wegen seiner körperlichen Defekte und gefürchtet wegen seiner abnormen Kraft. Die wenigen Familien, die den störrischen, unberechenbaren Jungen in Pflege nahmen, schickten ihn bald wieder voller Entsetzen zurück. Bereits in der Pubertät war er kräftiger als die meisten erwachsenen Männer, sein Leben wurde durch Gewalt und Einschüchterung geprägt.“ (S. 357)
Simon Beckett beginnt seine David-Hunter-Romane stets mit der Schilderung nüchterner Fakten rund um den Verwesungsprozess, was an sich höchst informativ ist, doch leider setzt sich dieser abgeklärte Stil auch auf die Beschreibung der Handlung und der Zeichnung seiner Figuren fort. „Verwesung“ weist sicherlich alle Merkmale eines Bestsellers auf, eine interessante Hauptfigur, die nach „Die Chemie des Todes“, „Kalte Asche“ und „Leichenblässe“ zum vierten Mal im Mittelpunkt des Geschehens steht, einen mysteriösen Fall um einen mutmaßlichen Serienmörder und etliche persönliche Konflikte, die dem Geschehen seine „Würze“ verleihen. Doch man wird das Gefühl nicht los, dass Beckett in jeder Hinsicht auf Nummer sicher gehen wollte. Der Plot und die „überraschende“ Wendung zum Ende hin wirken wie am Reißbrett konstruiert, und Becketts abgeklärter Stil lässt nicht wirklich Sympathien für seine Figuren entwickeln, die aber immerhin alle ihre Päckchen zu tragen haben, auch David Hunter selbst, der sich immer noch Vorwürfe wegen des Todes seiner Familie macht. Sicher bietet „Verwesung“ spannende Unterhaltung, aber schon im vierten David-Hunter-Fall sind die Abnutzungserscheinungen nicht zu übersehen.
 Leseprobe “Verwesung”

Cody McFadyen – „Der Menschenmacher“

Donnerstag, 3. März 2011

(Lübbe, 605 S., HC)
Ein halbes Jahr nachdem David Rhodes seine alleinerziehende Mutter durch einen Autounfall verloren hatte, wurde er der sechsjährige Junge von einem Mann namens Robert Gray adoptiert, ebenso wie die fast gleichaltrigen Charlie Carter und Allison. Nahezu zehn Jahre lang wurden die drei Kinder von ihrem Ziehvater auf jede erdenkliche Art misshandelt, gequält, im dunklen Keller weggesperrt. Jede nicht erfüllte Anforderung, die dazu dienen sollte, die Kinder in ein höheres Dasein zu „evolvieren“, wurde bitter bestraft.
Doch eines Tages konnten die Kinder ihrem Gefängnis entkommen und ihren Peiniger töten. Seither hat jeder auf seine eigene Weise alles daran gesetzt, sein Leben dem Kampf gegen Kinderpornographie und Kinderprostitution zu widmen. David wurde Schriftsteller und erreichte bereits mit seinem ersten Thriller einen internationalen Bestseller. Seine Fähigkeit, die Menschen mit seinen Worten zu fesseln, kam seiner Stiftung Innocence Foundation zugute, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Kindern in Not zu helfen, Kinderpornographieringe auszuheben und Menschenhändlerbanden auffliegen zu lassen. Charlie hat sich zu einem Elitesoldaten ausbilden lassen und übernimmt den schmutzigen Teil der Aufgabe. Mit dem Wissen, wie ihre Brüder gegen die Grausamkeit Kindern gegenüber vorgingen, konnte Allison jedoch nicht mehr ihren Dienst beim FBI ausüben. Doch nach zwanzig Jahren werden die drei Adoptivgeschwister mit ihrer grausamen Vergangenheit konfrontiert. Eine Videobotschaft an jeden von ihnen und Geiselnahmen machen deutlich, dass das Böse aus ihrer Vergangenheit offensichtlich noch nicht vollständig ausgemerzt worden ist. Wenn sie nicht binnen 36 Stunden eine bestimmte Ärztin, die Abtreibungen vornimmt, töten, müssen auch die ihnen nahestehenden Geiseln dran glauben. David, Charlie und Allison machen sich auf eine erschreckende Odyssee in ihre alte Heimat und stoßen auf entsetzliche Hintergründe:
„Wir wissen, dass Bob, als Kind selbst misshandelt wurde. Er wurde von seiner Mutter gequält. Sein Vater war Prediger und starb wahrscheinlich schon, als Bob noch ein kleiner Junge war. Nach allem, was wir wissen, war der Vater ein ultra-fanatischer religiöser Eiferer. Ein christlicher Fundamentalist sozusagen. Wir wissen außerdem, dass Bob noch kein Killer war, bevor er nach Vietnam ging, aber er war mit Sicherheit einer, als er zurückkam. Er kannte kaum noch Grenzen. Er war ein abgebrühter, brutaler Psychopath, lange bevor er uns drei adoptiert hat.“ (S. 426)
Nach vier Bestsellern um die psychisch wie physisch mit Narben übersäte Polizistin Smoky Barrett hat Cody McFadyen mit seinem neuen Roman „The Innocent Bone“, der etwas arg reißerisch als „Der Menschenmacher“ ins Deutsche übertragen wurde, einen kleinen Exkurs unternommen und sich eines brisanten wie schrecklichen Themas angenommen. Zwar bemüht er die üblichen Erklärungen von religiösem Fanatismus, Brutalität in der Erziehung und philosophische Verwirrungen, um das kaum vorstellbare Grauen zu erklären, dass nicht nur die drei Adoptivgeschwister, sondern auch ihre Angehörigen erleiden müssen, aber McFadyen schildert ihre schreckliche Geschichte sehr überzeugend, psychologisch nachvollziehbar und letztlich auch spannend, um „Der Menschenmacher“ in einem furiosen Finale münden zu lassen, das es wirklich in sich hat.
Lesen Sie im Buch: Mcfadyen, Cody - Der Menschenmacher