James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 3) „Schmierige Geschäfte (Black Cherry Blues)“

Mittwoch, 10. Mai 2017

(Pendragon, 480 S., Pb.)
Dave Robicheaux hat gerade eine Nacht in Baton Rouge und Träume von seiner ermordeten Frau Annie hinter sich, als er in einem Café seinen alten Kumpel Dixie Lee Pugh wiedertrifft, mit dem er 1956 an der Southwestern University of Louisiana das Zimmer geteilt hatte und der später Karriere als weißer Bluessänger machen sollte.
Nach einem Gefängnisaufenthalt hat Dixie auf Verpachtungen umgesattelt. Kaum ist Dave nach Hause in New Iberia zurückgekehrt, bittet Dixie um ein Treffen. Dabei erzählt er Dave von seinem Klienten Star Drilling, die ein Problem mit einem Landschaftsschutzgebiet und dem Reservat der Schwarzfußindianer haben. Dass Star Drilling auch die Firma ist, in deren Auftrag Daves Vater auf einer Bohrinsel zu Tode gekommen ist, lässt Dave etwas weiter nachforschen.
Als ehemaliger Lieutenant bei der Mordkommission in New Orleans lässt er alte Verbindungen spielen und stößt auf den Drogenfahnder Nygurski, der es auf Sally Dio abgesehen hat, für den nicht nur Dixie arbeitet, sondern auch Daves alter Kumpel Cletus.
Besonders Dios Handlanger Daltron Vidrine und Harry Mapes gelangen ins Visier von Daves Ermittlungen, der sich mit dem Tod eines Mädchens und zwei verschwundenen Indianers konfrontiert sieht. Doch dann wird seine Ziehtochter Alafair bedroht, und als Dave Vidrine und Mapes auf den Zahn zu fühlen beginnt, ist er der erste Tatverdächtige, der sich für den Mord an Vidrine verantworten muss. Dave Robicheaux lässt sich allerdings so schnell nicht einschüchtern und fordert Sally Dio heraus und sinnt dabei immer wieder über das Leben, das Leid und den Tod nach.
„Manchmal, wenn ich allein bin, besonders nachts, wenn es dunkel ist und ich anfange, über das unerträgliche Leid zu grübeln, das die meisten Menschen vor dem Tod erdulden müssen, bitte ich Gott, ihre Schmerzen rückwirkend zu lindern, ihnen seelischen und körperlichen Beistand zu leisten, ihre Sinne zu betäuben und die flammende Angst zu besänftigen, die ihnen im letzten Moment in den Augen steht.“ (S. 299)
In seinem dritten Abenteuer gerät der ehemalige Cop und Ex-Alkoholiker Dave Robicheaux wieder eher durch Zufall in eine schwierige Situation. Weil er sich seinen Problemen stellt und sie nicht einfach wie früher im Alkohol ersäuft, hat er es erneut mit skrupellosen Gangstern zu tun – mit dem Unterschied, dass sein Kumpel Cletus diesmal in den Diensten der Bösen steht.
James Lee Burke hat mit Dave Robicheaux einfach einen starken Charakter geschaffen, der nicht nur die Schrecken des Vietnamkrieges überwunden hat, sondern auch seine Alkoholsucht und den gewaltsamen Tod seiner Frau Annie. Auch wenn sie anfangs auf gegenüberliegenden Seiten stehen, ist es interessant zu sehen, wie sich Dave und Cletus, deren Wege sich nach ihrer gemeinsamen Zeit beim Morddezernat in New Orleans getrennt haben, wieder annähern, auch wenn der Weg bis dahin ebenso holprig wie blutig ist.
„Schmierige Geschäfte“ wartet mit einer Vielzahl interessanter Figuren, brutaler Action und coolen Dialogen auf, die dem raffinierten Plot die richtige Würze verleihen. Dazu beschreibt Burke das Leben in Louisiana wie kein Zweiter.
Leseprobe James Lee Burke -"Black Cherry Blues" (eBook-Ausgabe von Edel: eBooks)

John Grisham – (Theo Boone: 6) „Theo Boone und der große Betrug“

(Heyne, 252 S., HC)
Mit nervöser Anspannung sieht der dreizehnjährige Anwaltssohn Theo Boone den Aufnahmeprüfungen für die Highschool entgegen. Schließlich ging es bei den zentral abgestimmten Prüfungen bei allen Achtklässlern im Bundesstaat nicht nur darum, das Abschneiden der Schüler und die Qualität der Ausbildung an den Schulen zu bewerten: In Strattenburg dienten die Prüfungsergebnisse auch dazu, die Achtklässler in drei Gruppen einzuteilen. Die Durchschnittsschüler durften einfach die Highschool besuchen. Während die besten Schüler im anspruchsvollen Honors-Programm unterkamen, mussten die schwächeren Schüler in Klassen, die den Lehrstoff etwas langsamer vermittelten.
Mit 91 Prozentpunkten würde man in die begehrten Honors-Kurse kommen, was nicht nur für Theo als angehender Jurist angestrebt wurde, sondern auch von seiner Freundin April, die es auf die besonderen Kunstkurse dort abgesehen hatte.
Doch dann erfährt Theo, dass an der weniger privilegierten East Middleschool die eindrucksvolle Verbesserung der Ergebnisse gegenüber den Vorjahren darauf zurückzuführen sein soll, dass fünf Lehrer auffällig viele Korrekturen zugunsten ihrer Schüler vorgenommen haben sollen. Neben ihrer Suspendierung vom Schuldienst droht ihnen beim Nachweis einer Verabredung zu einer Straftat sogar eine Gefängnisstrafe. Dies versucht Theos Mutter als Anwältin der fünf beschuldigten Lehrer zu verhindern.
„Ein Eklat werde die gesamte Schule treffen. Dabei habe die East Middleschool ohnehin schon zu kämpfen. Diese Affäre würde ihren Ruf wahrscheinlich schwer schädigen und könne sogar dazu führen, dass sie geschlossen wurde.“ (S. 112) 
Theo und April sind von den Vorgängen mehr betroffen, als es zunächst den Anschein hat. Aber davon abgesehen hat der engagierte Jung-Jurist auch an anderen Fronten zu kämpfen: So muss er nicht nur seinen geliebten Onkel Ike aus dem Gefängnis holen, nachdem dieser im betrunkenen Zustand Auto gefahren war, sondern auch seinem Kumpel Pete Holland beistehen, dessen betrunkener Vater sowohl ihn selbst als auch seine Mutter verprügelt hat, und vor dem Tiergericht Mr. Kerr verteidigen, auf dessen Grundstück ein Otter lebt, der offensichtlich mehrere Kois aus dem Teich seines Nachbarn Mr. Murray verspeist hat.
Dass John Grisham, Großmeister des Justiz-Thrillers („Die Akte“, „Die Firma“), in seiner erfolgreichen Jugendbuch-Reihe seinem bestens vertrauten Genre treu bleibt, darf kaum verwundern. Mit dem mittlerweile dreizehnjährigen Theo Boone hat er eine durchweg sympathische Figur kreiert, der als Sohn zweier Anwälte ebenfalls auf bestem Wege ist, eine juristische Laufbahn einzuschlagen, sozial bei den Pfadfindern und bei der Essensausgabe für die Armen aktiv ist und auch in der Schule Bestleistungen präsentiert.
In seinem sechsten Fall hat er gleich mit mehreren Fällen zu tun. Während die Episoden von häuslicher Gewalt und am Tiergericht eher kurzweilige Lückenfüller sind, geht es bei der Untersuchung der gefälschten Ergebnisse zu den Aufnahmeprüfungen für die Highschool auch in die Tiefe, nämlich um die unterschiedlichen Bedingungen, die Schülern aus sozial benachteiligten Familien und von Eltern mit Hochschulabschluss zur Verfügung stehen.
Für die Reihe um Theo Boone gilt ansonsten ebenso für Grishams Erwachsenenliteratur, dass die Figuren überwiegend sehr oberflächlich gezeichnet sind, die Geschichten aber auf kurzweilige Weise zu unterhalten wissen. 
Leseprobe John Grisham - "Theo Boone und der große Betrug"

John Grisham – „Bestechung“

Dienstag, 9. Mai 2017

(Heyne, 448 S., HC)
Lacy Stoltz und Hugo Hatch sind als Ermittler beim BJC (Board on Judicial Conduct) tätig, wo sie vor allem Beschwerden gegen standeswidriges Verhalten von Richtern in Florida nachgehen. In St. Augustine sollen sie im Auftrag ihres Vorgesetzten Michael Geismar einen Whistleblower treffen, der sich den beiden Kollegen und Freunden am Jachthafen der Stadt als Ramsey Mix alias Greg Myers vorstellt und dreißig Jahre als Anwalt praktiziert hat, bis er im Rahmen von RICO (Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act) für sechzehn Monate ins Bundesgefängnis musste, nachdem er einen Deal mit der Staatsanwaltschaft eingegangen war.
Mittlerweile hat er seine Lizenz zurück und nur einen Mandanten, dessen Namen er allerdings nicht kennt. Myers macht Lacy und Hugo mit einem Fall vertraut, in dem es um organisierte Kriminalität, indianische Kasinobesitzer in Brunswick County und die korrupte Richterin Claudia McDover geht, die mit dem Unternehmer Vonn Dubose gemeinsame Sache macht. Doch kaum wird die offizielle Beschwerde der Richterin zugestellt, verschwindet Myers völlig von der Bildfläche. Das hält vor allem Lacy überhaupt nicht davon ab, der Beschwerde weiterhin nachzugehen.
„Was auch immer die Richterin dachte, sie ließ sich nichts anmerken. Ihr Gesicht war völlig emotionslos, so unangenehm diese Angelegenheit auch sein mochte.
Das Schöne an Lacys Strategie war, dass McDover in diesem Moment keine Ahnung hatte, was der Maulwurf ihnen bereits gesagt hatte. Sie hatte keine Ahnung, dass das BJC von dem Bargeld, den Privatjets, den Immobilien, den vielen Annehmlichkeiten wusste.“ (S. 217) 
Doch vor allem Dubose kennt keine Skrupel, seine Interessen zu schützen, und schreckt auch vor Mord nicht zurück. Lacy muss unbedingt an den Maulwurf herankommen, um an die Infos aus erster Hand zu kommen, kann sich dabei aber auch auf ihren exzentrischen Bruder Gunter verlassen …
Mit seinem neuen Thriller „Bestechung“ hat es der Justiz-Thriller-Bestseller-Autor John Grisham einmal mehr auf schwarze Schafe in der sogenannten „besseren Gesellschaft“ abgesehen. Der Fall wird wie bei Grisham üblich sehr detailliert und schnörkellos dargelegt, wobei die Abwicklung der Geschäfte über diverse Offshore-Konten etwas arg minutiös geschildert wird. Bei der Figurenzeichnung gefällt vor allem die sympathische Protagonistin, die nicht nur einen schweren Unfall und Verlust zu verarbeiten hat, sondern sich auch mit einem ehrgeizigen FBI-Agenten privat zu treffen beginnt. Dagegen wird die beschuldigte Richterin sehr eindimensional als hemmungs- und skrupellos gierige Person charakterisiert, was ebenso auf Dubose zutrifft.
Was Grisham bei der Charakterisierung seiner Figuren vermissen lässt, gleicht er bei der Konstruktion des Plots locker wieder aus, so dass „Bestechung“ sicher nicht zu seinen besten Werken zählt, aber doch für grundsolide Spannung sorgt.
 Leseprobe John Grisham - "Bestechung"

Steve Hamilton – (Nick Mason: 1) „Das zweite Leben des Nick Mason“

Freitag, 5. Mai 2017

(Droemer, 335 S., Pb.)
Nach fünf Jahren und achtundzwanzig Tagen kommt Nick Mason überraschend aus dem Gefängnis frei. Dass er nicht die kompletten fünfundzwanzig Jahre für einen misslungenen Coup absitzen muss, bei dem nicht nur sein Kumpel Finn O’Malley, sondern auch ein verdeckter Ermittler ums Leben kam, hat er vor allem dem einflussreichen Gangster Darius Cole zu verdanken, der mit Mason im selben Zellenblock von Terre Haute untergebracht war und von dort weiterhin seine Geschäfte in Chicago abwickelt.
Doch Nick Mason ist alles andere als frei. Zwar hat er endlich die Möglichkeit, seine nun neunjährige Tochter Adriana wiederzusehen, aber seine Ex-Frau Gina lebt nun mit Adrianas Football-Trainer zusammen, während er selbst auf Abruf für Coles Handlanger Quintero steht, der Mason ständig im Blick hat.
Bis dahin lebt er in einem schicken Townhouse in Lincoln Park West, verdient seine zehntausend Dollar im Monat als stellvertretender Geschäftsführer eines Restaurants und findet für seinen ersten Auftrag gleich eine Pistole in der Nachttischschublade eines heruntergekommenen Motels. Nachdem er bereits so viele seiner eisernen Regeln gebrochen hat, scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis Mason wieder hinter Gitter wandert, denn nicht nur der lästige Quintero hat sich an Masons Fersen geheftet, sondern auch Detective Sandoval, der sich sehr darüber wundert, dass sein alter Partner Gary Higgins dafür gesorgt hat, dass Mason so vorzeitig aus dem Knast gekommen ist. Zu guter Letzt ruft Mason nach seinem ersten Job in Freiheit auch noch die mit allerlei Sonderrechten ausgestattete Sondereinheit S.I.S. auf den Plan.
Mason muss noch einige seiner früheren Regeln brechen, um sich seinen Weg in die Freiheit zu erkämpfen. Dazu muss er allerdings auch herausfinden, was damals im Hafen, als Finn und der Cop umgekommen sind, wirklich geschehen ist.
„Alles, was danach passiert ist, sagte Mason sich, dass ich ins Gefängnis gegangen bin und meine Familie verloren habe, dass ich Darius Cole getroffen und diesen Pakt mit ihm geschlossen habe – auch all das, was ich bisher tun musste, diesen Mann töten, planen, den nächsten zu töten …
Das alles ist auf diese eine Nacht zurückzuführen.
Die Nacht, in der wir verraten wurden.“ (S. 209) 
Mit Nick Mason hat der internationale erfolgreiche, hierzulande aber noch nicht allzu bekannte amerikanische Krimi-Autor Steve Hamilton („Der Mann aus dem Safe“) einen charismatischen Helden kreiert, der in „Das zweite Leben des Nick Mason“ sein vielversprechendes Debüt gibt. Hamilton spielt geschickt immer wieder Rückblicke und Erinnerungen aus Masons Vergangenheit ein, den Beginn seiner kriminellen Laufbahn, seine wechselhafte Beziehung zu Gina und die Liebe zu seiner Tochter, der missglückte Coup, mit dem Mason seiner Familie eigentlich ein besseres Leben ermöglichen wollte, aber mit einer 25-jährigen Haftstrafe endete, von der er wiederum nur einen Bruchteil absitzen musste. Wie sich Mason dann als Auftragskiller durchschlägt, zwischen die Fronten einer neuen Liebe, seiner Mitbewohnerin Diana, Detective Sandoval, dem S.I.S. und letztendlich auch Darius Cole gerät, ist packend und schnörkellos geschrieben, lässt den Leser mit dem charismatischen Mason bis zu Schluss mitfiebern und auf die angekündigten Fortsetzungen hoffen.
Leseprobe Steve Hamilton - "Das zweite Leben des Nick Mason"

Heinz Strunk – „Jürgen“

Donnerstag, 4. Mai 2017

(Rowohlt, 256 S., HC)
Eigentlich ist Jürgen Dose ganz zufrieden mit seinem Leben. Dass seine Mutter seit ihrem schweren Unfall, der sie ans Bett fesselt, bei ihm lebt, stört ihn kaum. Er hat ja Schwester Petra vom Pflegedienst Stadtkäfer und seinen verantwortungsvollen Job als Pförtner in einem Harburger Parkhaus mit 1400 Stellplätzen und – nicht zu vergessen – seinen Kumpel Bernd „Bernie“ Würmer, der allerdings im Rollstuhl sitzt, bei Westsaat in der Kaltakquise arbeitet und seine Lebensaufgabe darin sieht, sich fortlaufend mit Jürgen zu zanken.
Ihre Freizeit verbringen sie vor allem damit, in ihrer Lieblingskneipe „Kamin 21“ abzuhängen. Was zu ihrem Glück noch fehlt, sind Frauen. Dabei haben sie gar keine so hohen Ansprüche an das schöne Geschlecht. Für Bernie ist die Haarfarbe ebenso unwichtig wie das Alter, nur zu dick und zu groß sollte sie nicht sein, während Jürgen von seiner Traumfrau erwartet, keine Amalgamzähne zu haben, Insekten wegmachen zu können und Kniffel spielen zu wollen.
Theoretisch weiß Jürgen ganz genau, wie Frauenherzen zu gewinnen sind und dass vielerorts geradezu Männermangel herrscht (Chöre, Laientheater, Tanzkurse, Volkshochschulkurse). Er weiß, dass lächelnde Menschen auch innerlich hübscher sind, dass grinsen aber schnell dazu führt, in die Kategorie „nett, aber irre“ eingestuft zu werden. Hände sind wie Musikinstrumente der Seele und sollten bewusst eingesetzt werden, und bei Unterhaltungen sind Körpersprache und Klang der Stimme wichtiger als der Inhalt. Und schließlich gibt es diverse bewährte Strategien, um einen Flirt zu beginnen.
„Wenn man registriert, dass die Frau einen heimlich mustert, denkt man sich ‚Haha, erwischt‘ und setzt dazu den entsprechenden Gesichtsausdruck auf. Die Frau fühlt sich ertappt, und schon ist der schönste Flirt am Laufen. So wird aus einem Teufelskreis ein Gotteskreis. Immer dranbleiben, immer bohren, immer sägen, bis die Kiste fliegt. Aber man darf nicht zu lange zögern, sondern muss einfach machen.“ (S. 52) 
Und so melden sich Bernie und Jürgen zunächst zu einem Speed-Dating an, wo sie für 19 Euro nicht nur Mineralwasser, gelbe und weiße Brause gestellt bekommen (aber keine Zeit haben, davon auch zu kosten), sondern wahre „Augenpralinen“, von denen allerdings niemand Interesse an Jürgen und Bernd findet. Doch bevor die beiden liebeshungrigen Singles die Flinte ins Korn werfen, eröffnet sich schon die nächste großartige Chance: Die Partnervermittlung Eurolove verweist auf ihre 100%ige Erfolgsquote und fährt mit einer Busladung anderer Schicksalsgenossen nach Breslau, wo unzählige heiratswillige Polinnen auf sie warten.
Als Jürgen die schwerbusige Dominika, die eigentlich für Bernd gedacht war, auf das Zimmer nimmt und ihr bei Schaumwein näherkommt, scheint er am Ziel seiner Träume angelangt zu sein, doch die Rechnung hat er mal wieder ohne Bernd gemacht …
Seit seinem Debütroman „Fleisch ist mein Gemüse“ hat sich der Hamburger Schauspieler, Autor und Musiker Heinz Strunk in seinen Büchern den ganz normalen Menschen gewidmet, die der Volksmund durchaus als Loser und arme Willis bezeichnen würde.
Mit Jürgen Dose hat Strunk einmal mehr einen an sich sehr netten, freundlichen und genügsamen Protagonisten erdacht, der sich durch etliche Tiefschläge und Enttäuschungen gerade im Liebesleben nicht aus dem Konzept bringen lässt und unbeirrt weiter nach einer Frau in seinem Leben sucht, die weder seine Mutter noch Schwester Petra ist. Dabei versteht es Strunk wie immer, mit viel Sympathie für seine Figuren ihren biederen Alltag und ganz normalen Sehnsüchte mit einer Mischung aus Humor und Melancholie zu beschreiben, so dass man Jürgen wirklich von Herzen wünscht, endlich ans Ziel seiner einfachen Träume zu gelangen. 
Leseprobe Heinz Strunk - "Jürgen"

Robert B. Parker – (Spenser: 39) „Spenser und der Cree-Indianer“

Dienstag, 2. Mai 2017

(Pendragon, 206 S., Tb.)
Der schwergewichtige Schauspieler Jeremy Franklin „Jumbo“ Nelson ist ein Kotzbrocken, wie er im Buche steht. Als er verdächtigt wird, die zwanzigjährige Dawn Lapota in seinem Bostoner Hotelzimmer bei experimentellen Sexspielchen erwürgt zu haben, setzt Polizeichef Martin Quirk den Privatdetektiv Spenser auf den Fall an, der wiederum von der Anwältin des Filmstudios bezahlt wird.
Laut Jumbos Aussage hat sich das Mädchen selbst erwürgt, als er selbst – voll mit Koks und Alkohol - die Toilette aufsuchen musste. Da sich außer ihm nur sein Bodyguard, der Cree-Indianer Zebulon „Z.“ Sixkill, zur Tatzeit in der Nähe befand, erhofft sich Spenser, von ihm den Tathergang geschildert zu bekommen. Er trainiert mit dem kräftig gebauten, aber untrainierten Indianer und gewinnt allmählich sein Vertrauen.
Wenig später machen Spenser und Sixkill die Bekanntschaft von zwei Männern, die die Investitionen, die die Mafia offensichtlich in Jumbos Filmgeschäfte getätigt hat, zu schützen. Um ihrem Ansinnen Nachdruck zu verleihen, schicken sie einen kompromisslosen Killer nach Boston. Davon sind weder Spenser noch seine Freundin Susan besonders begeistert, aber beide wissen, dass Spenser nicht der wäre, der er ist, wenn er vor drohender Gefahr kuschen würde …
Der 2010 verstorbene Robert B. Parker, der ganz offiziell in die Fußstapfen des großen Raymond Chandler treten durfte, hat 1973 mit „Die Schnauze voll Gerechtigkeit“ (aka „Das gestohlene Manuskript“) die Bühne für einen charismatischen Protagonisten namens Spenser geschaffen, der nicht nur auf eine Karriere als ehemaliger Schwergewichts-Profiboxer zurückblicken kann, sondern auch kurz bei der Polizei tätig gewesen ist. Mit „Spenser und der Cree-Indianer“ erscheint nun posthum der bereits 39. Band der erfolgreichen Reihe, die sogar als Vorlage für die beiden Fernsehserien „Spenser“ und „Hawk“ diente.
Wie üblich hält sich Parker nicht lang mit einer Einführung auf, sondern konfrontiert seinen Helden gleich mit dem prominenten Fall eines unter Mordverdacht stehenden Schauspielers, auf den die Mafia ein besonderes Auge hat. An seiner Seite entwickelt sich Jumbos ehemaliger Bodyguard Sixkill zu einem interessanten Sparringspartner nicht nur beim Training, sondern auch in den spritzigen Dialogen, die auch das Verhältnis zwischen Spenser und seiner langjährigen Freundin Susan Silverman prägen. Dazu gibt es kleine Einblicke in das Filmgeschäft und kursive Abschnitte, in denen mit vereinzelten Flashbacks der persönliche Hintergrund des Indianers aufgearbeitet wird.
Alles in allem bietet „Spenser und der Cree-Indianer“ einen rasanten Plot, bei dem weder handfeste Action noch packende Spannung und knackige Dialoge zu kurz kommen, faszinierende Figuren und auch ein wenig Gefühl:
„Ich saß da und dachte an Susan und mich und an unsere gemeinsame Zeit, was ich gerne tat. Ich hatte immer das Gefühl, es wäre völlig ausreichend, einfach mit ihr zusammen zu sein, und dass alles andere, gut oder schlecht, nur Hintergrundrauschen war.“ (S. 33)

Gareth Murphy – „Cowboys & Indies“

Montag, 1. Mai 2017

(Heyne Hardcore, 480 S., Tb.)
Mehr als 150 Jahre liegen zwischen der Erfindung des „Phonautographen“ oder Klangschreibers und der heute zu beobachtenden weitreichenden Digitalisierung der Musikwelt, die auf der anderen Seite die erfolgreiche Renaissance der Langspielplatte aus Vinyl feiert.
Der aus Irland stammende und in Paris lebende Autor Gareth Murphy hat sich der Herkules-Aufgabe gewidmet, die Entstehung der Musikindustrie, wie wir sie seit den 1960er Jahren mit der Beatlemania, dem Siegeszug von Elvis, den Rolling Stones und Bob Dylan kennengelernt haben, aus ungewohnter Perspektive aufzurollen, nämlich aus der Sicht sogenannter record men, die mit ihrem einzigartigen Gespür für neue Entwicklungen, Stars und Hits stets die treibenden Kräfte hinter dem zuweilen gigantisch aufgeblasenen Musikzirkus gewesen sind.
Murphy geht bei seiner „abenteuerlichen Reise ins Herz der Musikindustrie“ – so der Untertitel seiner umfassenden Geschichtslektion – streng chronologisch vor, beginnt etwas sehr ausufernd mit den Erfindungen von Klangaufzeichnungsgeräten und -schreibern, Patentstreitigkeiten und der Notwendigkeit, zu der entwickelten Hardware auch den entsprechenden Musikkatalog voranzubringen. Wir erleben mit der Geburt von His Master’s Voice und Columbia die Gründung der heute bekannten Musikindustrie, die Ende der 1920er Jahre mit der Verbreitung des Radios ihre erste große Krise bewältigen musste, mit John Hammond aber auch einen engagierten record man hervorbrachte, der zunächst für den britischen Melody Maker über die amerikanische Jazz-Szene schrieb und sich dann einen Namen als Produzenten von Stars wie Billie Holiday, Benny Goodman, Aretha Franklin, Count Basie und Bob Dylan machte, dem der Autor etwas mehr Aufmerksamkeit und Raum in seinem Buch schenkt.
Die weiteren Stationen decken Phil Spector und sein „Wall of Sound“ und die dem Baby-Boom zu verdankenden „Sixties“ ab, wobei die Karriere der Beatles und ihr Manager Brian Epstein wiederum ausführlicher beleuchtet werden. Je mehr sich die Majors wie EMI, Columbia, Capitol, CBS, Warner, Island, Atlantic bei Mega-Acts wie Led Zeppelin und Pink Floyd überboten, desto mehr kamen den Indies die Rolle zu, wirklich neue musikalische Strömungen zu entdecken, die über Plattenläden wie Rough Trade und Labels wie Factory, Mute, 4AD einem neugierigen Publikum zugänglich gemacht wurden.
„Praktisch hinter jedem stilbildenden Label versteckt sich eine sehr spezifische Geschichte, die gewöhnlich tief im Charakter des jugendlichen Gründers verankert ist. Dies sind die Schirmherren der musikalischen Gegenwart, dies sind die Propheten, die die Geschichte des Musikgeschäfts verinnerlicht haben und sich gleichzeitig in der Rolle des Richters und Schutzengels sehen.“ (S. 10f.) 
Gareth Murphy gelingt mit „Cowboys & Indies“ das seltene Kunststück, die eher unbekannte Seite des Musikgeschäfts, nämlich aus der Sicht der Manager, Talentscouts, Produzenten und Labelgründer zu rekapitulieren – und zwar chronologisch in ihrem soziokulturellen Kontext.
Natürlich kommt bei einer so turbulenten und umfassenden Geschichte einiges zu kurz, aber anhand von einigen wegweisenden record men und den Grabenkämpfen, die Majors wie Indies um ihr Überleben ausfechten mussten, entsteht ein umfassendes wie buntes Werk, das zuletzt auch die Herausforderungen durch die Digitalisierung thematisiert, auch wenn diese – wie viele andere Impulse – nur angerissen werden. Vor allem die exzentrischen Eigenheiten vieler record men und ihr schon geschäftsschädigendes Gebaren wird eindrücklich beschrieben.
Die vielen eingestreuten Zitate und Dialoge verleihen dem Buch fast schon den Charakter eines Augenzeugenberichts, machen es auf jeden Fall zu einem kurzweiligen Lesevergnügen, das durch eine weiterführende Bibliographie abgerundet wird. 
Leseprobe Gareth Murphy - "Cowboys & Indies"